Die Wochen, bis Jörg und ich uns auf den Weg nach Polen zu Danuta und Bogdan machen müssen, vergingen schnell. Schon zum Ende der nächsten Woche wird es nun soweit sein. Dieses Mal werden wir fliegen, anstatt mit dem Auto zu fahren. Das musste ich Jörg versprechen, vor allem aber auch, mich zu schonen. Inzwischen ist meine monatliche Blutung schon mehrmals ausgefallen. Auf Jörgs Drängen gehe ich endlich zum Arzt, um mich untersuchen zu lassen. Der Termin ist schnell gemacht, bereits am nächsten Tag kann ich in die Praxis kommen.
„Glückwunsch, Frau Oktober“, sagt der Arzt nach einer gründlichen Untersuchung zu mir. „Sie erwarten ein Kind.“
„Ich ahnte es, deswegen bin ich ja hierher gekommen“, meine ich daraufhin. „Ich wollte nur noch ihre Bestätigung haben.“
„Na dann, die haben sie nun ja. Schonen sie sich ein wenig und essen sie etwas mehr. Sie haben mir etwas zu viel abgenommen in der letzten Zeit“, rät mir der Arzt. „Das besorgt mich etwas.“
„Kein Wunder“, antworte ich darauf. „So wie das Essen drin war, so schnell war es auch wieder draußen. Wie soll ich da zunehmen.“
„Seien sie vorsichtig. Solange das Kind normal wächst und sie sich wohlfühlen, ist alles in Ordnung. Kommen sie regelmäßig zu den Untersuchungen, das ist sehr wichtig“, redet er weiter. „Wir machen jetzt noch eine Blut– und Urinuntersuchung, dann geht’s noch auf die Waage. Den Ultraschall mache ich beim nächsten Termin, wenn die anderen Untersuchungen durch sind. Sie haben heute hoffentlich ein wenig Zeit mitgebracht?“
„Ja, natürlich“, erwidere ich. „Ach ja, ehe ich es vergesse. Im wievielten Monat bin ich?“
„Laut ihren Angaben zu ihrer letzten Regel sind sie jetzt in der elften Woche, also Ende des dritten Monats“, klärt er mich auf. „Wenn sie keine Fragen mehr haben, gehen sie jetzt bitte hinaus zur Schwester, die wird alles Weitere veranlassen.“
Etwas genervt verlasse ich das Untersuchungszimmer. Ich gehe zur Schwester, die wie auf einem Thron hinter dem Empfangstresen sitzt. „Ach, Frau Oktober, da sind sie ja schon. Kommen sie bitte mit. Wir brauchen als erstes etwas Blut von ihnen.“
Ich folge ihr in die heiligen Hallen. Etwas mulmig ist mir schon. Ich mochte es noch nie, Blut abgezapft zu bekommen. Aber tapfer nehme ich auf dem Stuhl Platz, den mir die Schwester hingestellt hat. Routiniert verrichtet sie ihre Arbeiten. Die Kanüle, mit der mir das Blut gezogen werden soll, sitzt rasch und fast schmerzfrei an der dafür vorgesehenen Stelle in meiner Ellenbeuge. Genau so schnell sind die drei Röhrchen, die für die Untersuchungen benötigt werden, gefüllt.
Plötzlich fühle ich mich so komisch. Mir wird schwindlig. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre er mit Watte gefüllt. Ehe ich etwas sagen kann, falle ich wie ein Stein vom Stuhl. Was danach kommt, weiß ich nicht mehr – Filmriss.
„Hallo, Frau Oktober“, höre ich wie durch eine Wand meinen Namen rufen. „Schauen sie mich an, öffnen sie die Augen.“
Ich versuche es, doch es gelingt mir nicht, so sehr ich mich auch bemühe. Ein kühler Lappen wird mir auf die Stirn gelegt. Langsam aber sicher kehre ich zu den Lebenden zurück.
„Was ist passiert?“, frage ich, immer noch wie benebelt. Ich sehe mich um. Ich liege im Arztzimmer auf der Liege, der Arzt sitzt neben mir und schaut mich besorgniserregt an.
„Sie sind beim Blutziehen ohnmächtig geworden“, antwortet er mir. „Die Schwester rief um Hilfe. Gemeinsam haben wir sie hierher getragen. Geht es ihnen wieder gut?“
„Ich weiß nicht, irgendwie ist es mir, als wäre ich hinter Watte“, gebe ich Auskunft. „Warum bin ich ohnmächtig geworden?“
„Das weiß ich noch nicht, wahrscheinlich war es die Aufregung, die sie nicht verkraftet haben“, redet der Arzt weiter.
Er reicht mir ein Glas Wasser, das ich gierig austrinke.
„Haben sie irgendwo Schmerzen?“, befragt er mich weiter.
„Nein, nirgends“, antworte ich.
„Ich werde jetzt doch noch den Ultraschall machen, wenn sie nichts dagegen haben. Vorsichtshalber“, beruhigt er mich. „Sind sie einverstanden?“
„Ja, tun sie, was sie tun müssen. Meinem Kind soll es ja gut gehen.“ Ich ziehe mein Shirt aus der Hose und mache den Bauch frei.
„Wenn sie bitte auch ihre Hose etwas öffnen und nach unten ziehen würden“, bittet mich der Arzt. Ich tue es und schon geht es los. Kaltes, glitschiges Gel wird auf meinem Unterbauch verteilt. Der Arzt schaltet das Ultraschallgerät an und beginnt mit seiner Untersuchung.
Interessiert schaue ich auf den kleinen Monitor. Erkennen kann ich allerdings nichts, außer einem Bild, das aussieht, als würde es Schneesturm in Alaska abbilden. Nur das Rauschen des Windes fehlt.
„Hier“, erklärt mir der Arzt und zeigt auf einen kleinen Punkt, den man kaum erkennen kann. „Das ist der Fötus. Das Kind ist bis jetzt voll entwickelt, alle Organe sind vorhanden, allerdings sind diese noch nicht funktionstüchtig. Die Gliedmaßen sind auch schon vorhanden. Jetzt muss ihr Kind nur noch wachsen. Hier sieht man auch schon das kleine Herz. Sehen sie, wie schnell es pocht.“ Er zeigt mit dem Finger in die Mitte des Bildes, auf dem ich dann auch wirklich etwas sehe, das sich rhythmisch bewegt. Das allerdings sieht nicht wie ein Kind aus.
„Hm“, sage ich nur, nicht ganz überzeugt. „Das sieht in meinen Augen eher aus wie ein Klops oder so was, aber nicht wie ein Kind.“
Mit etwas Fantasie stelle ich mir mein Baby vor, das in mir wächst. Doch so richtig kann ich es noch nicht glauben, dass das, was ich da sehe, einmal ein richtiges kleines Menschenkind werden soll.
„Das wird noch, keine Angst. Sie sind auch laut Ultraschall, wie wir schon errechnet hatten, in der elften Woche. Bis zum Ende der zwölften Woche wird der Fötus vollständig ausgebildet sein. Danach wächst er nur noch, bis er die richtige Größe und das Alter zur Geburt hat“, erklärt er mir genauer.
„Beim nächsten Ultraschall werden wir dann auch die Gliedmaßen genauer sehen und wenn wir Glück haben, auch was es wird.“
„Ob es ein Mädchen oder ein Junge wird, ist egal“, antworte ich. „Hauptsache gesund und alles ist dran, was dran sein muss.“
„Richtig so“, meint der Doktor. „So wie ich es hier sehe, ist alles gesund. Glückwunsch, Frau Oktober.“ Der Arzt wischt den Ultraschallkopf ab und verstaut seine Utensilien wieder. „Wir sind dann fertig“, sagt er. „Sie können sich anziehen. Rufen sie bitte jemanden an, der sie abholt. Ich möchte sie nach ihrer Ohnmacht nicht alleine nach Hause fahren lassen. Der Vorsicht halber.“
„Gut, dann rufe ich meinen Verlobten an“, sage ich, während ich mich anziehe.
Wenig später stehe ich im Wartezimmer, das Handy am Ohr. „Hey, Jörg“, spreche ich hinein. „Hol mich bitte mal in der Arztpraxis ab.“
„Oh, was ist geschehen?“, höre ich Jörg sagen. „Muss ich mir Sorgen machen?“
„Das erkläre ich dir nachher“, antworte ich ihm.
Eine halbe Stunde später ist Jörg da.
„Was ist passiert, dass ich dich abholen muss“, fragt er wieder. Seine Sorge um mich steht ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben.
„Ich hatte nur einen leichten Schwächeanfall“, beruhige ich ihn. „Der Arzt meinte nur, ich solle jetzt besser nicht alleine fahren, sondern mich abholen lassen.“
„Aber mit dem Kind ist alles in Ordnung“, piesackt mich Jörg weiter mit Fragen.
„Ja, da ist alles okay. Ich wäre nur ein wenig schmal geworden und soll etwas mehr essen, damit das Kind auch gut wachsen kann.“
„Na dann ist ja alles in Butter“, freut sich Jörg.
Gerade als wir die Praxis verlassen wollen, kommt Doktor Albert aus dem Behandlungszimmer.
„Ah, der werdende Vater“, sagt er zu Jörg. „Meinen Glückwunsch und geben sie ein wenig auf ihre Frau Acht. Sie muss mehr essen“, rät er Jörg noch.
„Das hat sie mir eben auch gesagt“, erwidert Jörg. „Aber ansonsten müssen wir uns keine Sorgen machen?“, mimt er den übervorsichtigen, werdenden Vater.
„Nein, Sorgen müssen sie sich keine machen. Mutter und Kind sind wohlauf. Aber nun muss ich weiter, die nächste Patientin wartet“, verabschiedet sich Doktor Albert.
Eine Woche später
Es ist mitten in der Nacht. Ich erwache mit starken Unterleibsschmerzen. Stöhnend versuche ich mich auf die Seite zu drehen, damit ich die Beine etwas anziehen kann. So, denke ich, könnte ich die Spannung im Bauch etwas verringern. Doch es passiert nicht das, was ich mir gewünscht habe. Im Gegenteil. Die Schmerzen werden im Laufe der Zeit noch schlimmer. Ich überlege, ob ich Jörg wecken sollte, der fest schlafend neben mir liegt. Doch ich entscheide mich, es nicht zu tun. So liege ich die nächsten zwei Stunden wach im Bett und kann vor Schmerzen nicht wieder einschlafen. Plötzlich ist es mir, als würde in mir etwas platzen. Gleich darauf wird es zwischen meinen Beinen nass. Erschrocken hebe ich die Bettdecke und sehe da einen großen Blutfleck. Voller Panik schreie ich auf.
Jörg springt hoch. Er reibt sich verschlafen die Augen.
„Liebling, was ist los?“, fragt er schlaftrunken.
„Schatz, ich glaube, wir müssen sofort ins Krankenhaus.“ Ich hebe die Bettdecke hoch und zeige Jörg den Blutfleck, der langsam immer größer wird.
Wie von der Tarantel gestochen springt Jörg aus dem Bett und rennt zum Telefon. Verzweifelt wählt er die Notrufnummer. „Ja, hallo. Wir brauchen dringend einen Arzt“, schreit er in den Hörer. „Wohin? Ach ja, Villa Oktober“, er nennt noch Straße und Hausnummer, dann fügte er hinzu: „Es ist dringend. Meine Frau ist im dritten Monat schwanger und hat starke Blutungen. Ja, natürlich. Ich warte unten auf sie.“
„Bleib ruhig“, versuche ich Jörg die Aufregung zu nehmen. Dabei ist es mir selber auch zum Heulen zumute. Was ist, wenn ich das Kind jetzt verliere? Soll unser Traum von einem gemeinsamen Kind so schnell zu Ende sein?
„Du hast gut reden. Schau doch mal, es blutet immer noch. Hoffentlich überlebt das Kind das“, sagt Jörg fast schluchzend. Er nimmt mich in den Arm und drückt mich.
Nun muss ich beinahe auch weinen. Ich denke an die schönen Stunden, die wir verbracht haben, als wir das Kind zeugten und an Crazy Mamas Prophezeiung. Ob sie doch noch in Erfüllung geht? Ich weiß es nicht. Das steht in den Sternen.
„Ich gehe schon mal nach unten“, sagt Jörg. „Der Krankenwagen wird gleich da sein.“ Kaum ist Jörg weg, geht die Tür wieder auf. Ma steht im Türrahmen.
„Pele, was ist das für ein Krach mitten in der Nacht und warum rennt Jörg wie angestochen runter?“, fragt sie besorgt.
Als sie mein bleiches Gesicht sieht und dann die Blutlache, die sich noch weiter ausgebreitet hat, erschrickt sie.
„Schatz, was ist passiert? Warum blutest du?“ Sie rauft sich die Haare. Doch dann bemerkt sie, woher das Blut kommt. „Oh“, ruft sie. „Sag jetzt ja nicht, du bist schwanger!“
„Doch Ma, in der zwölften Woche“, erwidere ich.
„Warum habt ihr nichts gesagt?“, fragt sie vorwurfsvoll. „Wir hätten uns doch über das neue Enkelkind gefreut.“
„Das sollte doch eine Überraschung werden“, schluchze ich. „Zu unserer Hochzeit wollten wir euch das sagen, sozusagen als Hochzeitsgeschenk für euch.“
„Ach, Liebling“, seufzt Ma und schnüffelt ihn ihr Taschentuch.
Unten vor dem Haus kommt Trubel auf. Durch das Fenster sehe ich Blaulicht blinken.
„Der Arzt ist da“, sage ich, tapfer meine Tränen unterdrückend.
Gleich darauf poltert Jörg die Treppe ins Obergeschoss nach oben, gefolgt vom Arzt und einem Sanitäter.
„Hier entlang“, höre ich Jörg draußen im Flur und schon steht er im Raum.
„Guten Morgen, Frau Oktober“, grüßt der Arzt. „Ihr Mann sagte, sie wären schwanger“, spricht er weiter.
„Ja, in der zwölften Woche“, antworte ich.
„Seit wann bluten sie, wie waren die Anzeichen?“, fragt der Arzt weiter.
Ich erzähle ihm, wie ich vor etwa zwei Stunden mit Schmerzen im Unterleib aufgewacht bin und sie seitdem immer schlimmer wurden, bis ich plötzlich blutete.
„Wir machen hier einfach kurzen Prozess. Wir nehmen sie mit in die Klinik. Hier kann ich eh nicht viel ausrichten. Das muss sich ein Frauenarzt ansehen“, sagt der Notarzt. „Die Trage bitte nach oben“, ruft er ins Walkie-Talkie.
„Ich kann selber laufen“, sage ich trotzig. Mir passt es nicht, dass er mich mitnehmen möchte und ich auch noch getragen werden soll.
„Nichts da, sie werden getragen. Wir können hier kein Risiko eingehen. Ihres und das Leben ihres Kindes stehen auf dem Spiel!“
„Okay, okay“, gebe ich mich geschlagen. Mir bleibt nichts weiter übrig bleiben, als klein bei zu geben. Ich werde von zwei Sanitätern auf die Trage verfrachtet und nach unten in den Rettungswagen getragen.
Inzwischen sind noch alle anderen Familienmitglieder von dem Trubel wach geworden und nach unten gekommen. Pa steht mit vom Schlaf verwuschelten Haaren am Eingang und scheint immer noch nicht begriffen zu haben, was geschehen ist. Omama jammert was, von das arme Kind und Opapa versucht, sie zu trösten.
Jörg darf als einziger im Krankentransport mitfahren. Pa und die anderen wollen alle nachkommen, doch der Arzt hält sie davon ab, sie könnten jetzt nichts weiter machen als abzuwarten. Jörg ruft noch, ehe die Tür geschlossen wird, er würde sich telefonisch melden und Bescheid geben.
Und schon geht die Fahrt los. Mir ist es mulmig im Magen. Mein Bauch schmerzt immer noch, die Blutung hat Gott sei Dank ein wenig nachgelassen. Jörg sitzt mit verzweifeltem Gesicht neben mir. Obwohl es mir selbst echt Scheiße geht, versuche ich gute Miene zu bösem Spiel zu machen.
„Es wird schon gut gehen“, sage ich leise zu Jörg.
Der Arzt lächelt mich an und spricht mir Mut zu. Binnen kurzer Zeit erreichen wir die Klinik. Ich werde schnellstens in die Notaufnahme gebracht. Als Privatpatientin werde ich bevorzugt behandelt. Wenigstens das klappt, denke ich mir und lasse die Untersuchungen, die der herbeigerufene Gynäkologe mit mir macht, über mich ergehen. Jörg weicht nicht von der Seite. Besorgt sieht er dem Arzt zu, wie er mich untersucht.
Eine halbe Stunde später ist die Prozedur überstanden. Doch das Gesicht des Arztes sieht nicht gerade heiter aus, als er mit den Untersuchungsergebnissen ins Notfallzimmer zurückkommt.
„Was ist? Wie geht es weiter?“, prasseln meine Fragen auf ihn ein. Der Arzt steht wie zur Salzsäule erstarrt neben meinem Bett und schüttelt mit dem Kopf.
„Es tut mir leid, Frau Oktober. Der Fötus hat sich abgelöst und ist durch die starke Blutung abgegangen.“
„Was heißt das?“, in meinem Kopf stürzt Frage nach Frage auf mich ein. Doch ich bin außerstande, sie zu formulieren.
„Es tut mir leid, sie hatten eine Fehlgeburt“, klärt mich der Frauenarzt auf. „Wir werden sie gleich in den OP bringen und die Reste des Kindes ausschaben.“ Dann erklärt er mir, was während der Operation alles getan wird. Auch welche Risiken dabei entstehen. Vor allem, dass es halt sein muss und das Kind nicht mehr gerettet werden kann.
Ich brauche lange, bis ich die Worte des Arztes begreife. Als mir endlich der Sinn seiner Rede klar wird, fließen mir die Tränen, ohne dass ich sie stoppen kann.
„Leider kann ich ihnen nichts anderes sagen“, versucht mich der Arzt zu trösten.
Jörg steht am Fenster und starrt hinaus. Er ist leichenblass, kein Wort kommt über seine Lippen. Doch ich sehe, wie seine Schultern zucken, so als würde er weinen.
„Haben sie noch Fragen?“, geht der Arzt wieder auf mich ein.
Am liebsten würde ich im Boden versinken, mich unsichtbar machen, oder sonst was anderes. Nur hier bleiben möchte ich nicht und mir mein Kind umbringen lassen. Ich will aufstehen, doch der Arzt hält mich zurück.
„Bitte, bleiben sie liegen. Sie haben viel Blut verloren, sparen sie sich die Kräfte, die sie noch haben, für nach der Operation auf.“
Weinend falle ich zurück in die Kissen, ich muss mich wohl oder übel der Anweisung beugen und den Eingriff zulassen.
„Nachher wird eine Schwester kommen und sie vorbereiten“, klärt mich der Arzt auf. Danach verlässt er das Zimmer.
„Jörg“, flüstere ich leise. „Jörg“, sage ich etwas lauter, als er nicht reagiert.
Er dreht sich zu mir um und sieht mich mit verweinten Augen an. Langsam kommt er auf mich zu und setzt sich neben mich auf das Bett. „Liebling, ich weiß gar nicht, was ich sagen oder wie ich dich trösten soll“, sagt er mit zitternder Stimme. Dann nimmt er mich in seine Arme.
„Frau Oktober“, hören wir plötzlich eine weibliche Stimme neben uns. Eine Schwester, wohl die, die für den OP da ist, ist ins Zimmer gekommen, ohne dass wir es bemerkt haben. „Ich muss sie nun fertig machen“, sagt sie mit ruhiger Stimme. „Haben sie noch Fragen?“, will sie dann noch wissen.
„Nein, keine mehr. Der Arzt hat uns schon alles erklärt“, antworte ich abweisend. Dabei kann sie gar nichts dafür, sie macht nur das, was ihr aufgetragen wurde und wichtig für mich, die Patientin ist.
„Doch! Ich habe noch eine“, meldet sich Jörg zu Wort. „Können wir noch Kinder bekommen?“
„Diese Frage kann ich ihnen leider nicht beantworten. Risiken bestehen bei solch einer OP immer, dass man danach nicht mehr schwanger werden kann“, klärt die Schwester Jörg auf. „Es ist wohl ihre erste Schwangerschaft?“, fragt sie mich.
Ich nicke nur mit dem Kopf.
„Es wird schon gut gehen“, tröstet sie mich. „Kopf hoch, alles wird gut.“
Na die hat gut reden, denke ich grimmig.
Die Schwester tut ihre Arbeit.
„So, wir müssen nun in den OP, der Doktor wartet da schon.“ Sie schiebt mich samt Bett aus dem Zimmer und den langen Flur entlang.
Ich starre zur Decke und denke an das Kind, das ich verloren habe. Traurigkeit steigt immer mehr in mir hoch. Als wir an einer großen Schwingtür ankommen, wird Jörg zurückgehalten.
„Sie dürfen hier leider nicht mit rein“, sagt die OP-Schwester.
Jörg gibt mir noch einen Kuss. „Ich warte hier, bis du wieder rauskommst“, flüstert er mir ins Ohr.
Ehe ich mich versehen kann, liege ich auch schon auf dem OP-Tisch. Alles um mich herum wirkt beängstigend. Der Anästhesist kommt und setzt die Narkose. Ich werde müde, die Augen fallen mir zu. Das letzte, was ich sah, war die riesige Lampe über mir, dann verließen mich die Sinne.
Ich öffne meine Augen. Im ersten Moment weiß ich nicht, wo ich mich befinde. Doch dann sehe ich Jörg, der neben mir am Bett steht und mich anblickt. Ich sehe mich weiter um, Ma und Pa sind auch im Zimmer.
„Hallo Süße, da bist du ja wieder“, ruft Ma aufgeregt, als sie bemerkt, ich bin wach. Sie springt auf. Flotten Schrittes kommt sie an mein Bett und beugt sich über mich. „Wie geht’s dir?“, fragt sie besorgt.
„Ich weiß nicht“, antworte ich. „Ich bin nur müde und will schlafen.“
„Es ist alles gut gegangen“, lässt Jörg von sich hören. „Der Arzt war vorhin kurz da und hat uns über den Ausgang der OP berichtet.“
„Und das Kind?“, frage ich leise.
„Es ist weg“, antwortet Jörg traurig.
Erst jetzt wird mir richtig bewusst, was ich verloren habe. Wieder kommen mir die Tränen hoch. Ich kann sie nicht stoppen. Selbst Jörg schluchzt, Ma steht das Wasser auch in den Augen. Nur Pa versucht krampfhaft, die Contenance zu halten. Doch als ich genauer zu ihm hinsehe, bemerke ich, auch er weint.
„Können wir noch Kinder bekommen?“, frage ich Jörg.
„Das konnte der Arzt mir noch nicht sagen, das müssen wir noch abwarten“, antwortet er mir.
„Ich will nach Hause“, sage ich. Doch als ich aufstehen will, knicken mir die Beine weg.
„Bleib liegen, du musst dich noch ausruhen“, weißt mich Jörg zu Recht. „Du kannst noch nicht nach Hause, der Arzt meinte, er will dich noch bis morgen Abend hierbehalten, falls doch noch Probleme auftreten sollten.“
Leise grummle ich vor mich hin. Doch ich muss mich beugen. Jörg würde mich auf keinen Fall ohne Zustimmung des Arztes mit nach Hause nehmen, da kenne ich ihn zu genau.
Drei Tage später
Seit gestern Abend bin ich wieder zu Hause. Ich fühle mich noch schwach. So verbringe ich die meiste Zeit auf dem Sofa im Wohnzimmer unseres Appartements. Ma und Pa kommen regelmäßig zu mir und schauen, ob ich etwas benötige. So viel Fürsorge auf einmal.
„Weißt du was“, sage ich zu Jörg, als er von einem Außentermin zurückkommt. „Wir haben Danuta und ihre Einladung ganz vergessen.“
„Oh, ja“, antwortet Jörg. „Wir werden aber nicht hinfliegen. Das kannst du vergessen.“
„Hmmm“, grummle ich. „Aber anrufen darf ich Danuta?“
„Natürlich, du musst ihr ja mitteilen, dass wir nicht zu ihrer Verlobung kommen können.“
„Das werde ich jetzt gleich tun“, erwidere ich, greife nach dem Telefon und wähle Danutas Nummer.
„Hey Danuta“, sage ich, als sie am anderen Ende das Gespräch annimmt. „Hier ist Pele.“
„Na so was, Pele“, ruft sie zurück. „Wie geht es dir?“, fragt sie.
„Deswegen rufe ich dich an. Es ist etwas passiert, was es mir unmöglich macht, zu eurer Verlobung zu kommen“, murre ich.
„Na dann schieß mal los, was wichtiger ist als Bogdans und meine Verlobung.“
„Danuta, ich bin erst seit gestern aus der Klinik nach Hause gekommen. Ich fühle mich noch schwach“, beginne ich. Und dann erzähle ich ihr, was geschehen ist und ich mich deshalb noch einige Zeit schonen muss.
„Oh Süße, es tut mir leid. Da musst du natürlich nicht die weite Reise auf dich nehmen. Bogdan wird das schon verstehen, auch wenn er traurig sein wird, dass du nicht dabei sein kannst“, höre ich Danutas Stimme.
„Es tut mir leid“, sage ich in den Hörer.
„Du musst dich nicht entschuldigen. Deine Gesundheit geht vor“, unterbricht mich Danuta. „Denke jetzt erst einmal an dich, das ist wichtiger.“
„Danke“, flüstere ich, wieder den Tränen nahe.
Wir reden noch eine Weile, dann beenden wir das Gespräch.
„Und, was hat Danuta gesagt?“, fragt Jörg, der nach meinem Telefonat zurück ins Wohnzimmer gekommen ist.
„Danuta meinte, meine Gesundheit geht vor. Ich solle mich erst einmal ausruhen und wieder auf die Beine kommen“, berichte ich ihm. „Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, weise ich ihn darauf hin, die Reise nach Polen auf alle Fälle nachzuholen, spätestens zu deren Hochzeit.
„Ja, natürlich, keine Frage“, antwortet Jörg lächelnd. „Meine Süße muss sich nun ausruhen. Leg dich hin!“, befiehlt er mir scherzhaft.
„Du General“, rufe ich lachend und werfe eines der Sofakissen nach ihm. Doch ich gehorche ihm.