Sie war nicht besonders weit gekommen, da packte Jaqen sie an den Schultern und riss sie zu sich herum. «Ein Mädchen erzählt jetzt in knappen Worten, was los ist.» Da sie ihn ohne Antwort wohl kaum loswerden würde, fügte sie sich, sprach aber so schnell wie möglich um weiter zu können.
«Wie überall gibt es auch unter den Rebellen Idioten. Riesen Idioten, die einen vorschnellen Angriff wollten. Ich dachte, wir hätten sie davon überzeugt, dass es töricht ist, einfach ein Gemetzel anzufangen, aber…» Sie deutete in die Richtung, aus der der Kampflärm kam. «Diese verdammten Idioten.»
Sie sah, das Jaqen nachdachte. «Ein Zurück gibt es jetzt nicht mehr. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass die Rebellen Hestins Männer in Schach halten können, bis Hilfe aus den anderen Städten eintrifft.»
Die Vorstellung so lange die Kämpfe aufrecht zu erhalten gefiel ihr gar nicht. «Das kann Wochen dauern», gab Arya zu bedenken. Ihr war aber auch klar, das ihnen nun nichts mehr anderes übrigblieb. Selbst wenn sie sich jetzt zurückzogen, würde Hestin seine gesamte Wut an der ganzen Bevölkerung auslassen, schuldig oder nicht.
«Ich muss sehen, ob ich Vyro finden kann. Er ist mehr oder weniger der Kopf der Rebellen. So schaffen wir es vielleicht, etwas Ordnung in diesen Haufen zu bringen.» Der Befehl zum Angriff war sicher von Ereth gekommen und den hielt sie nicht gescheit genug für eine brauchbare Strategie.
«Ein Mann wird die verbliebenen Gesichtslosen zusammenrufen und so gut helfen wie er kann.» Sie konnte nicht verstehen, wie er so ruhig bleiben konnte.
«Danke», sagte sie und war schon ein paar Schritte gelaufen, als sie glaubte, ihn noch etwas sagen zu hören. «Pass auf dich auf.» Überrascht wandte sie sich nochmals um, doch er war bereits in die entgegengesetzte Richtung aufgebrochen.
Das Chaos war tatsächlich so verheerend, wie es sich von weitem angehört hatte. Auf den ersten Blick konnte sie nicht erkennen, wer zu welcher Seite gehörte, so gross war das Durcheinander. Ereth, dachte sie. Wenn ich dich in die Finger kriege… In dem Getümmel das herrschte, blieb sie vorerst unbemerkt. Sie suchte die Umgebung nach einem bekannten Gesicht ab, vergebens. Schliesslich blieb ihr keine Zeit mehr dazu, weil eine der Wachen auf sie aufmerksam geworden war. Arya nahm die Herausforderung gerne an und kämpfte sich durch das Getümmel. Noch waren die Rebellen in der Überzahl. Sie hätte gedacht, dass sich Hestin nicht noch einmal übertölpeln liess. Doch je mehr Zeit verstrich, desto mehr von Hestins Männern strömten herbei. Erleuchtet wurde alles durch ein paar Fässer, die für diesen Zweck entzündet worden waren.
Sie hatte keine Zeit sich auf längere Gefechte einzulassen. Einer nach dem anderen fiel ihren Schwerthieben zum Opfer. Hilfreich war dabei sicher, dass sie nach wie vor vorwiegend mit der linken Hand kämpfte. Sie merkte gar nicht wie die Zeit verstrich und irgendwann war auch völlig in den Hintergrund gerückt, warum sie ursprünglich aufgebrochen war- nämlich um Ereth und Vyro zu finden.
Erst als der Himmel heller wurde war klar, dass einiges an Zeit verstrichen sein musste. Das Blutbad war weitaus schlimmer als beim letzten Mal und diesmal würde es nicht aufhören, bis eine der beiden Seiten unwiderruflich besiegt war. Als sie manche der Leichen sah, wurde ihr schlecht. Nicht wenige von Hestins Männern waren nicht nur getötet, sondern geradezu aufgeschlitzt und zum Sterben zurückgelassen worden. Sie biss die Zähne zusammen und fragte sich ob es klug gewesen war, so viel Vertrauen in die Rebellen zu setzen.
Wenigstens waren sie dazu übergangen, einen Teil der umliegenden Strassen in Beschlag zu nehmen und Palisaden aus Brettern, Fässern und grossen Steinen aufzubauen um sich so einen Rückzugsort zu schaffen. Dort oben, mit seinem hellblonden Haar schwer zu übersehen, kniete Vyro und erteilte Anweisungen. An Ereth.
Schnellen Schrittes näherte sie sich den Palisaden. Auf ihrem Weg dorthin fielen weitere vier Soldaten ihrem Schwert zum Opfer. Vyro, der sie ebenfalls bereits entdeckt hatte, gab den Befehl sie durch zu lassen. Ohne Mühe erklomm sie das angebliche Hindernis und hätte sich wohl direkt auf Ereth gestürzt, wenn Vyro sie nicht vorher zurückgehalten hätte.
«Ich habe den Auftrag zum Angriff gegeben, nicht Ereth.» Vyro liess sie erst los, als er sicher war, dass sie nicht doch noch zuschlagen würde. Und er ging einen grossen Schritt auf Abstand, während er versuchte sich zu erklären.
«Gestern Abend habe ich ein Gespräch zwischen meinen Eltern belauscht. Mein Vater sagte meiner Mutter, sie solle heute ja im Haus bleiben. Hestin liesse eine ganze Flotte seiner Männer aus Astapor herbringen, die die Rebellen finden und ausmerzen sollen.»
Aryas aufgebrachter Geist brauchte eine gewisse Zeit, um das gehörte zu verarbeiten. Sie sah zum Hafen, aber von Schiffen war noch nichts zu sehen.
«Mir ist klar, wie das für dich klingen muss. Aber glaub mir, ich habe das hier nur angezettelt, weil wir den Hafen in unsere Gewalt bringen müssen, bevor Hestin es tut. Sie sollen gar nicht erst an Land kommen können.»
«Und um das zu erreichen müsst ihr Leute ausweiden?» Ereth, der wohl ganz froh gewesen war, dass Vyro sein Nasenbein gerettet hatte, mischte sich nun doch ein.
«Die haben es doch nicht besser verdient.» Der verachtende Blick den sie ihm nach diesen Worten zuwarf bracht ihn dazu, noch ein Stück weiter von ihr weg zu rücken.
«Als was? Bei lebendigem Leib aufgeschlitzt zu werden? Abgesehen davon, dass es barbarisch ist, kostet es unnötig Zeit.» Dann wandte sie sich wieder Vyro zu.
«Woher weiss dein Vater so etwas? Arbeitet er für Hestin?» Er wirkte etwas verloren, diese Frage hatte er sich sicher längst selbst gestellt.
«Ich weiss es nicht. Ich konnte ihn ja schlecht danach fragen.»
«Das solltest du aber vielleicht mal tun.» Sie wusste, dass sie ihm Unrecht tat. Wenn es wirklich stimmte was er sagte, hatte er die Stadt wohl davor bewahrt, hoffnungslos überrannt zu werden. Trotzdem bereitete ihr das Verhalten der Rebellen Kopfzerbrechen.
«Du kannst uns später noch hassen, aber jetzt brauchen wir deine Hilfe. Der Hafen ist nur der erste Schritt. Wir haben vor, den Titan von Braavos zu erobern und unseren Feinden einen Empfang zu bereiten, den sie nicht so schnell vergessen werden.» Es brauchte mehr als ein paar Worte um sie davon abzulenken, wie viel hier gerade schief ging. Doch die Idee mit dem Titan gefiel ihr durchaus, wenn sie es wirklich schafften sich diese Position zu sichern, konnten sie vielleicht durchhalten, bis Hilfe eintraf.
«In Ordnung. Ich habe ein paar Freunde, die uns dabei sicher helfen können.»
~ ~ ~
Als erstes suchte er Baerrel auf. Es erstaunte ihn, dass dieser die Identität aufrechterhalten hatte, nachdem ihr Aufenthalt im Palast so fürchterlich schiefgelaufen war. Er hatte sich in einer Schenke untergemietet und half dem Wirt. Wenn es nötig war beim Bedienen, manchmal aber auch um unliebsame Gäste zur Tür hinaus zu befördern.
Da sich das Wirtshaus an einer etwas abgelegen Strasser befand, waren hier noch nicht alle Leute wach. Einige schliefen wahrscheinlich noch ihren Rausch aus. Barrael hingegen kümmerte sich um diejenigen Gäste, die schon wach waren. Als er ihn sah runzelte er die Stirn.
«Was ist da draussen los?» Er sprach absichtlich in schnellem hochvalyrisch, was wohl die wenigsten der halb schlafenden Gäste verstehen dürfte.
«Die Rebellen wollten nicht mehr länger warten.» Sie zogen sich zu einem der Fenster zurück.
«Jetzt bleibt uns nichts mehr anderes übrig als zu helfen.»
Barrael seufzte. «Was soll ich tun?»
«Mitkommen. Wir müssen die anderen suchen und besprechen, wie wir weiter vorgehen.»
Im Bordell gab es eindeutig mehr wache Kundschaft als im Wirtshaus. Sie fanden auch gleich wen sie suchten und wurden in ihre Kammer geführt. Sie hatte sich viel besser an das Holzbein gewöhnt, als er es für möglich gehalten hätte, aber selbst mit einem langen Kleid konnte es nicht über das Humpeln hinwegtäuschen. Sie würde beim Kampf nicht helfen können und das wusste sie.
«Was für ein geschäftiger Morgen. Ihr seid nicht die ersten, die mich besuchen.»
«Ehrlich gesagt will ich nicht wissen, wie viele Freier du heute schon hattest», sagte Barrael. Sie warf mit einem Kissen nach seinem Kopf.
«Idiot. Ich meinte Arya. Sie war bereits hier, weil sie dachte, dass du mich suchen würdest.» Während sie das sagte, sah zu Jaqen. «Die Rebellen haben nicht grundlos gehandelt, eine Flotte aus Astapor dürfte in wenigen Stunden hier eintreffen. Die Rebellen versuchen den Hafen und den Titan von Braavos unter ihre Kontrolle zu bringen.» Sie schwiegen beide. Auf der einen Seite war es eine sehr kluge Idee, wenn ihnen das tatsächlich gelang, hatten sie einen riesigen Vorteil, ganz egal wie sehr sie in der Unterzahl waren. Auf der anderen Seite fragte er sich, wie sie all das Material, das es dafür brauchte hinaufschaffen konnten. Da keiner von ihnen etwas sagte, fuhr sie fort.
«Ich habe ihr versprochen, dass wir alles an Chemikalien besorgen werden, was wir können. Ich dachte da an unseren Notvorrat. Meint ihr, Hestins Männer haben ihn gefunden, als sie den Tempel auseinandergenommen haben?»
«Schwer zu sagen», sagte er. «Ein Mann wird nachsehen.»
«Ich komme mit», entschied Barrael.
Es war nun schon über vier Monate her, dass sie den Tempel zurücklassen mussten. Das Gift hatte sich in der Zwischenzeit sicher verflüchtigt, trotzdem waren sie sehr bedacht darauf, nichts zu berühren. Immer wieder mussten sie über Gesteinsbrocken hinwegsteigen, Hestins Söldner hatten jede einzelne Statue im Tempel umgeworfen. Hin und wieder waren noch Konturen der verschiedenen Gottheiten erkennbar. Der Boden war grösstenteils dunkel vom getrockneten Blut. Auch wenn es sich mehrheitlich Teil um das Blut ihrer Feinde handelte, war der Anblick trotzdem erschreckend. Warum nur lernten die Menschen nicht aus der Vergangenheit? Warum gab es immer diejenigen, die das Gefühl hatten, über allen anderen zu stehen?
Endlich liessen sie das Trümmerfeld hinter sich und stiegen die Treppe zum Kellergewölbe hinab. Das, was sie nicht hatten mitnehmen können, hatten sie selbst zerstört um nichts dem Feind zu hinterlassen. Es gab jedoch eine im Stein eingelassene Geheimtür, hinter der sie die besonders gefährlichen Stoffe gelagert hatten, die sie kaum brauchten. Sprengkörper waren zu unsicher, oft tötete man damit mehr Leute als vorgesehen und so kamen sie sehr selten zum Einsatz. Es war das Risiko nicht wert gewesen, das alles aus dem Tempel zu retten. Wie vermutet hatten Hestins Männer den Eingang nicht entdeckt und so war noch alles da. Kalisalpeter, Kohlepulver und Schwefel war nur ein Teil davon. Natürlich wurde jedes dieser Pulver dicht verschlossen separat aufbewahrt.
Sie teilten alles auf, was sie tragen konnten und verschlossen den Eingang danach sorgfältig.
«Ich wundere mich ja, dass Hestin nicht mal Wachen abgestellt hat.»
«Warum sollte er?», erwiderte Jaqen. «Dieser Ort ist eine Ruine. Und vielleicht hatte er ja Wachen hier. Aber wenn dem so ist, sind sie in der Zwischenzeit sicher zum Kampflärm geeilt.» Dasselbe, was sie nun auch taten. Allerdings umgingen sie die grössten Tumulte. Mit einem gestohlenen Ruderboot gelangten sie zu einem der Felsen, auf dem der Seelord thronte.
So oft hatte er das Gebilde vor sich aufragen sehen und war darunter hindurch gefahren, aber noch nie war er dem massiven Stein so nahe gewesen. Er warf einen Blick nach oben und sah, wie etwas herabgelassen wurde. Ein Seil. Sofort knoteten sie das Gepäck daran und in derselben Sekunde wurde es nach oben gezogen. Diesen Vorgang wiederholten sie, bis alles oben war. Ein Teil waren die Pulver, der Rest des Gepäcks bestand aus Wasser und Lebensmitteln. Barrael und ihm würde wohl nichts anderes übrigleiben als nach oben zu klettern, das Seil machte nicht den kräftigsten Eindruck. Es müsste schon seit Jahrzehnten dort oben gewesen sein.
Sie machten sich an den Aufstieg. Es gab kleine stufenartige Ausbuchtungen, die wirklich nur dann zu spüren waren, wenn man daran emporkletterte. Doch für einen Laien war das fast unmöglich, zumal der Wind, je weiter sie nach oben kamen, immer heftiger wurde.
Er vermied es einen Blick nach unten zu werfen, sondern konzentrierte sich darauf, ein langsames aber regelmässiges Tempo beizubehalten. Einmal wurden sie beinahe von einer Böe hinuntergerissen, konnten sich aber noch gerade so festhalten.
Direkt unter dem Kampfrock befand sich eine Plattform, auf der bereits vier Gestalten standen. Er war erstaunt, wie viel Pech und Holz sich hier oben befand. «Das meiste war schon hier», erklärte Arya, die seinen Blick auffing. Das Blut auf ihrer Kleidung machte deutlich, dass sie im Gegensatz zu ihm nicht um die Söldner herumgekommen war.
«Wie kann es eigentlich sein, dass Hestin so einen strategisch wichtigen Punkt einfach unbewacht lässt?», fragte Barrael hinter ihm. «Er kommt nicht aus Braavos», war die simple Antwort eines der Rebellen. «Wahrscheinlich hat er die Geschichten über den Titan für Ammenmärchen gehalten.»
In der Mitte der Plattform befand sich ein etwa zehn Fuss breites Loch. Darüber hing ein riesiger Kessel, in dem das Pech vorbereitet werden konnte. Da das allerdings eine Weile dauerte, packten sie ihre eigenen Vorräte aus, mit denen sich schneller etwas Brennbares machen liess.
«Woher habt ihr all das Zeug?», fragte einer der Rebellen.
«Ist das jetzt wichtig?», entgegnete Arya. Offenbar nicht, denn keiner stellte weitere Fragen. Während er und Barrael das Kohlepulver und den Schwefel in einen festen Lederbeutel füllten, half Arya den restlichen Rebellen dabei das Pech in den Kessel zu schaufeln. Da der Boden hier aus Stein bestand, war es möglich den Kessel zur Seite zu schieben und darunter ein Feuer zu entfachen. Es vergingen mehrere Stunden in denen kaum ein Wort gewechselt wurde und der Tag bereits wieder in die Nacht überging.
«Ich sehe Schiffe!» Die Stimme kam von oberhalb und Jaqen hob den Blick. Erst jetzt bemerkte er, dass es mehrere Ebenen gab, auch wenn es eher einer Galerie glich. Vermutlich, damit der Rauch besser aufsteigen konnte. Einer der Rebellen hatte dort Stellung bezogen und sah aus einem Guckloch. Davon gab es auf allen Seiten. «Siehst du zu wem sie gehören? Wir wollen keine Händler in Brand stecken», rief einer der Rebellen nach oben.
«Dafür sind zu viele Leute auf dem Schiff. Ich verwette meinen rechten Arm, dass das Krieger sind.»
«Ich nehme dich beim Wort, sagte der Anführer und sah zu dem Kessel. «Das Pech ist noch nicht heiss genug», rief Arya. Barrael nahm sich einen der Lederbeutel und ging zu dem Loch. «Dann fangen wir hiermit an. Mal sehen, ob es so funktioniert, wie wir uns das erhoffen.» Er liess den Beutel einfach so fallen, ohne ihn vorher zu entzünden. Wenn die Mischung so funktionierte, wie sie sich das vorstellten, würde sie beim Aufprall auf dem Deck ihre Wirkung entfalten.
Jaqen sah nicht, wie der Beutel das Deck traf, er hörte nur den Knall und die Schreie. «Reicht nicht um das Schiff zu versenken, aber diejenigen, die über Deck waren, sind in Flammen aufgegangen.», meinte einer der Rebellen anerkennend. Jaqen schluckte leer. Leute die in Flammen aufgingen… Dieser Anblick war ihm erschreckend bekannt. Er schüttelte die Erinnerungen jedoch schnell ab und fuhr damit fort, weitere Bomben vorzubereiten. Warum sahen nur so viele Leute Gutes im Feuer? Natürlich, auch er war schon oft um dessen Wärme froh gewesen. Davon abgesehen hatte er aber fast nur gesehen, wie Leute und Menschen durch die Flammen zerstört wurden.
Die nächsten Stunden zogen sich in die Länge. Die Hitze vom kochenden Pech wurde schnell unerträglich und die Dämpfe raubten ihnen den Atem. Ausserdem reichten ihre Vorräte lange nicht so weit, wie sie geglaubt hatten. Das galt sowohl für das Schwefelpulver als auch für das Trinkwasser.
Als sie den letzten Rest Pech über den Schiffen entleert hatten, setzten sie sich gemeinsam auf den Boden und machten eine Verschnaufpause. Insgesamt waren sie vielleicht ein Dutzend Leute. Nur Barrael stand abseits von ihnen und gab darauf acht, dass sie keine ungebetenen Besucher erhielten. Allerdings war der Rauch unterhalb des Titans so dick, dass sie gar nicht erst bis nach unten sehen konnten. Deshalb hatten ihre letzten Versuche die Schiffe in Brand zu stecken auch schlechter funktioniert als die ersten. Da die brennenden Schiffswracks den Hafen blockierten, hatten sie trotzdem einige Stunden gewonnen.
«Was jetzt?», fragte einer der Rebellen. Alle Blicke hefteten sich an ihren Anführer, Vyro, wie Arya ihm erklärt hatte.
«Wir werden wohl nicht darum herumkommen, neue Vorräte holen zu müssen.» Die aufkommende Stille machte deutlich, dass keiner darauf erpicht war. Doch es würde darauf hinauslaufen. Sie waren für den Moment zahlenmässig weit unterlegen und das konnten sie fast nur durch ihre Position hier oben wett machen.
«Ich gehe», entschied Arya. «Wahrscheinlich bleibe ich etwas länger unten, ich muss noch etwas erledigen. Aber ich sende euch Hilfe.» Fragend sah er in Aryas Richtung. Etwas beunruhigte sie offenbar und es war nicht der Kampf. Nur war das hier sicher nicht der richtige Ort um sie danach zu fragen. Er sah, das ihr Vorschlag auch dem Rebellenführer nicht ganz zu passen schien, aber mangels anderer Freiwilliger stimmte er zu.
~ ~ ~
Da der Abstieg noch kniffliger war als der Aufstieg, band man ein Seil an ihr fest, in der Hoffnung, dass es ihren Sturz im Notfall bremsen würde. Doch sie kam ohne Schwierigkeiten unten an, der Abstieg kümmerte sie kein Stück. Sie war mit ihren Gedanken ganz wo anders.
Kaum berührten ihre Beine den Boden, riss sie das Seil von ihrem Körper und rannte los. Trotz des Rauches, der sie immer wieder husten liess. Die Felsen waren noch immer unberührt, die Rebellen mussten es geschafft haben, Hestins Männer an einer Überfahrt zu hindern. Sie nahm sich das kleinere der beiden Ruderboote um über zu setzen. Ihren Armen, die vom Klettern und Schaufeln brannten gönnte sie keine Ruhe.
Wieder an Land holte das letzte aus sich heraus und war so schnell, dass sich keiner der erschöpften Wachen die Mühe machten die Verfolgung aufzunehmen. Das einzige was sie spürte war das Pochen ihres Herzens und die Muschel, die sie in der Hand hielt. Die Muschel, die Maro ihr geschenkt hatte und die sie immer bei sich getragen hatte, obwohl sie sie doch schon so lange hätte wegwerfen müssen. Wie hatten sie Brea nur vergessen können? In dieser Stadt war keiner mehr sicher. Das wurde nur bestätigt, je weiter sie rannte. Überall lagen Leichen und das schlimmste, manche der Rebellen hatte nichts Besseres zu tun als sie zu plündern.
Von aussen war das Haus unversehrt. Doch ebenso wie bei allen umliegenden Häusern, war die Tür eingetreten. Sie verlangsamte ihre Schritte und blieb kurz vor der Haustür ganz stehen. Es war vollkommen still in der Strasse, keine Menschenseele war zu sehen. Jedenfalls keine lebende. Leichen gab es zahlreiche.
Sie wollte das Haus nicht betreten. Im besten Falle war es leer, aber was, wenn nicht? Natürlich ging sie trotzdem hinein. Und blieb gleich wieder stehen.
Brea lag in einer Blutlache, die sich weithin verteilt hatte. Ihr Puls war sicher äusserst hoch gewesen, als man ihr die Kehle durchgeschnitten hatte. Selbst im Tod waren ihre Augen noch schreckensgeweitet.
Normalerweise hatte sie mit Blutgeruch kein Problem, doch diesmal drehte sich ihr der Magen um. Nur, dass es nichts gab, was sie hätte erbrechen können, ausser Galle. Sie liess sich unweit von der Leiche an der Wand hinabsinken. Warum hatte sie Brea nicht weggebracht? In das Haus der Roten Hände zum Beispiel, irgendwo in einen Keller, aber nur nicht hier. Das Blut war noch nicht geronnen, also konnte sie noch nicht sehr lange tot sein. Vielleicht, wenn sie etwas schneller gewesen wäre…
Maros Leiche konnte sie nirgends entdecken. Gefangene gemacht hatten sie sicher nicht, also war der Kleine wahrscheinlich weggelaufen- oder seine Leiche lag in einem der anderen Zimmer.
Schwankend kam sie wieder auf die Beine. «Maro?» Sie war heiser und ihre Worte nur ein flüstern. Sie räusperte sich. «Maro, bist du hier?» Zuerst Stille. Doch dann hörte sie etwas, es kam aus dem Kinderzimmer. Mit drei Schritten war sie dort und öffnete die Tür, aber von dem Jungen war nichts zu sehen. «Maro?», wiederholte sie nochmal. «Hier ist Katz.» Sie hörte das Geräusch nochmal, es kam von unter dem Bett.
Sie kniete sich hin und sah in ein paar schreckensgeweitete Kinderaugen. Sein ganzes Gesicht war tränennass. Er hielt seine Schmusedecke, die eigentlich nichts weiter war als ein Lappen aus grünem Stoff fest umklammert. Arya tat alles, um ein etwas zuversichtlicheres Gesicht zur Schau zu tragen und streckte einen Arm nach ihm aus. Er machte keine Anstalten, ihre Hand zu ergreifen und so griff sie mit beiden Händen nach ihm und zog ihn unter dem Bett hervor. Er wehrte sich nicht. Es war, als befände er sich in einer Art Schockstarre.
Sie presste ihn an sich. Ob ihm oder ihr zu liebe wusste sie in diesem Moment nicht. Mit der einen Hand hielt sie seinen Körper fest, mit der anderen drückte sie sein Gesicht an ihre Brust. Sie mussten nochmals an Breas Leiche vorbei und auch wenn sich der Anblick sicher ohnehin schon in seine Seele eingebrannt hatte, nochmal brauchte er seine Mutter nicht so zu sehen. Wie konnte jemand in all diesem Chaos Zeit finden Unschuldige zu ermorden? Überall wurden Kämpfe ausgefochten, warum tötete man diejenigen, die gar nicht erst kämpfen konnten? Manchmal hasste Arya die Menschheit.
So schnell wie möglich aber ohne in das Blut zu treten, verliess sie das kleine Haus, das ihnen in den letzten Wochen als Unterschlupf gedient hatte. Und als Dank hatten sie Brea einfach ihrem Schicksal überlassen.