Schwere Gewitterwolken verdeckten die Sterne und verschleierten alles in völliger Dunkelheit. In ihren Augen war das nur ein weiteres Zeichen dafür, das sie hier das Richtige taten. Es hatte Monate gedauert, die beiden ausfindig zu machen. Immerhin gab es über fünfzig Sommerinseln und die beiden hatten sich auf eine der abgelegeneren davon zurückgezogen. Ihnen sollte es nur Recht sein, so gab es weniger Orte, an denen sie auf der Insel hinfliehen konnten.
Seit Stunden beobachteten sie die kleine Hütte und warteten darauf, bis es still wurde in der Hütte. Nun endlich war es soweit, seit zwei Stunden war nichts mehr zu hören, sie schliefen sicher längst. Trotzdem wartete sie nochmals eine Stunde, bevor sie ihren beiden Begleitern das Zeichen gab, sich anzuschleichen. Die beiden waren sicher aus gutem Grund hiergeblieben, sie wussten, das sie verfolgt wurden und erwarteten ihre Verfolger. Doch sie konnten nicht jede Nacht Wache halten.
Das Moos auf dem Boden machte es einfacher, sich geräuschlos an die Bambushütte heranzuschleichen. Die Fenster waren lediglich mit einem dünnen Stoff gegen die Mücken behangen, der ideale Einstieg also. Sie gab einem ihrer Begleiter das Zeichen zu warten, während sie und der andere sich dem Haus von zwei Seiten näherten. Sie tat hier das Richtige, dessen war sie sich sicher. Ihr Antrieb war ihr Glaube daran, dass man ihn nicht belügen durfte. Arya konnte einfach nicht die Wahrheit gesagt haben. Sie hatte die junge Frau aus gutem Grund getötet, er konnte das unmöglich anders sehen. Sie hatte zwar keine Anzeichen einer Lüge bemerkt, doch das lag wahrscheinlich daran, weil sie in den letzten Jahren einfach zu viel gelernt hatte.
Sie hob den dünnen Stoff und starrte in die Dunkelheit, als sich die Wolken plötzlich lichteten und der Mondschimmer die Hütte leicht erhellte. Sie starrte in die Dunkelheit. Und aus der Dunkelheit starrten ein Paar sturmgraue Augen zurück.
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Das kratzende Geräusch der Feder auf dem Pergament hatte etwas beruhigendes an sich. Es half ihm, sich ganz und gar auf seine Arbeit zu konzentrieren. Eine Arbeit, von der er nicht erwartet hätte, je damit konfrontiert zu werden. Seufzend dachte er an die letzten Tage zurück, die mehr Unruhe innerhalb des Ordens gestiftet hatten als der Krieg.
Kaum aus dem Tunnel zurück, hatte die Priesterin ihn abgefasst. Er hatte sie mit Hilfe einiger anderer Gesichtslosen abgelenkt, doch das war nun vorbei. Für einen Moment war er überzeugt gewesen, sie würde noch auf ihn los gehen. Aber sie war sich offenbar bewusst, dass sie sich mit dem Misstrauen anderen gegenüber keinen Gefallen getan hatte und fragte stattdessen nur ruhig: «Wohin sind sie gegangen?» Das wusste er nicht, was er ihr auch erklärte. Als sie ihn daraufhin auch noch des Verrats beschuldigte, platze ihm der Kragen.
«Sie hat die Wahrheit gesagt, du hast es mit eigenen Ohren gehört. Er hat sie aus freien Stücken zurückgeschickt. Weil du versucht hast sie umzubringen.» Er schob es absichtlich nur auf sie. Es gab sicher noch andere, die den Plan befürwortet hatten, doch solange er nicht sicher sein konnte, wollte er lieber keine Beschuldigungen anstellen.
«Dann hätte sie auch hier bleiben und dafür einstehen können. Warum sind sie geflüchtet, wenn sei nichts zu verbergen haben?»
«Vielleicht weil du ihn niedergeschlagen und in eine Kiste gesteckt hast? Ich glaube nicht, dass sie es auf einen weiteren Versuch ankommen lassen wollten.»
«Beruhigt euch, alle beide», mischte sich nun noch jemand ein. «Wir sollten ruhig überlegen, wie weiter vorzugehen ist.» Leider war das ein fruchtloser Vorschlag. Die Flucht der beiden war nur der Tropfen, der schon ein längst volles Fass zum Überlaufen brachte. Gewisse Spannungen hatte es immer gegeben, auch wenn sie alle der selben Sache dienten. Die Aufgabe der Priester war es bis anhin gewesen, diese Zwiste zu schlichten, doch nun waren sie praktisch führerlos. Denn nach dem was die Priesterin ins Rollen gebracht hatte, wurde ihr von mehreren Seiten Misstrauen entgegengebracht. Doch nicht alle dachten so. Es herrschte Uneinigkeit darüber, ob man die beiden nun verfolgen sollte oder nicht und wie es mit der Führung des Ordens weitergehen sollte. Beide Fragen hatten sich eigentlich in einer einzigen Nacht gelöst. Zwei Tage nach der Flucht hatte sich die Priesterin davongemacht, zwei weitere der Gesichtslosen begleiteten sie. Sie taten dies, obwohl es zu keiner Abstimmung gekommen war. Es wurde entschieden, die drei nicht zu verfolgen, doch sollten sie es wagen, je wieder einen Fuss nach Braavos zu setzen, würde man sie ihrer gerechten Strafe zuführen. Für so Dumm hielt er sie allerdings nicht.
Aus Mangel an anderen freiwilligen, hatte er nun vorübergehend die Leitung des Ordens übernommen. Allerdings hiess das in seinem Fall, sämtliche Zusammenkünfte zu leiten, nicht mehr und nicht weniger. Er wollte sich nicht zum Priester weihen lassen, besonders jetzt nicht, wo der Orden auf dem besten Weg war auseinanderzubrechen. Was er allerdings tat, war die Geschehnisse niederzuschreiben. Sollte der Orden tatsächlich fortbestehen, konnten künftige Generationen vielleicht daraus lernen, was sie nun falsch gemacht hatten. Es gab ein Buch, in dem alle wichtigen Ereignisse ihrer Ordensgeschichte niedergeschrieben worden war. Das Buch an sich war eigentlich schon vor über zweihundert Jahren geschrieben worden, doch an seinem Ende gab es noch ein paar leere Seiten, die er nun mit einem selbst verfassten Anhang füllte. Ob diese Worte tatsächlich später von irgendjemandem gelesen wurden, vermochte er nicht zu sagen.
E N D E