"Delina?", Marbas Stimme riss Delina aus ihren leicht benebelten Gedanken, "Ich weiß, wohin sie sind, komm mit!"
Delina drehte sich verwirrt um aber niemand stand hinter ihr. Verstört rieb sie sich die Stelle an ihrem Hals auf welcher sie noch vor Sekunden warme Lippen gespürt hatte.
"Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen!", stellte Marbas besorgt fest, "Du bist doch wohl nicht etwa Church begegnet? Ich weiß, dass du sehr für ihn geschwärmt hast, das muss ja furchtbar für dich sein!"
Delina wollte ihm darauf nicht antworten, ebenso wenig wie sie erklären wollte das nicht Church eine solche Wirkung auf sie hatte.
Sie atmete tief ein und aus, dann sah sie Marbas ernst an: "Ein Hexenmeister ist hier!"
Marbas sah sich erschrocken um: "Ich habe von Buldaraks Hexenkönig gehört und das er mit Church zusammenarbeitet. Wenn das stimmt, was du sagst, dann sind wir in höchster Gefahr!"
Delina nickte und sah sich konzentriert um, natürlich sorgte sie sich um Amelie, aber wenn wirklich ein Hexer am Werk war, würden ihre Sinne ihr weitere Trugbilder liefern.
Dann wäre sie Marbas wohl keine Hilfe und würde sowohl sich selbst als auch ihn in Gefahr bringen.
Die Situation stand auf der Kippe, es könnte den Hexenmeister sogar gelingen die feiernde Meute auf sie und Marbas zu hetzen. Das wollte Delina sich lieber nicht ausmalen.
"Wir brauchen ein Ablenkungsmanöver!", stellte sie klar, "Etwas das den tödlichen Blick des Hexers auf sich zieht! Bring mich an den höchsten Punkt der Stadt, schnell!"
Marbas sah sich um und schien zu überlegen, um sie herum konnte er nur den alten Kirchturm ausmachen: "Komm mit, das sollte reichten! Willst du mir verraten was du vorhast?"
Delina folgte ihm schnellen Schrittes: "Es würde zu lange dauern dir das zu erklären, vertrau mir einfach! Und sobald ich fertig bin, musst du uns zu der Bar bringen, am besten in eine Seitengasse!"
Marbas warf einen ernsten Blick über seine Schulter zu ihr: "Church überwacht jede Form der Teleportation innerhalb von Schwarzwasser! Er wird schon auf der Suche nach uns sein also sollten wir das nicht riskieren!"
Delina aber beharrte darauf: "Church wird blind bleiben für das, was wir tun, wir werden für einen Aufruhr sorgen wie Schwarzwasser sie noch nie gesehen hat!"
Das zauberte sofort ein Lächeln auf Marbas Lippen, Churchs Leute zu verärgern klang nach etwas, was ihm große Freude bereiten konnte.
Beinahe ungesehen aber vor allem unbeachtet konnten sie die alte Kirche betreten und den Turm bis hoch zu der eisernen Glocke erklimmen. Ein kleines Fenster vermochte ihnen eine direkte Aussicht auf das Fest zu geben.
Delina seufzte tief, es lag eigentlich nicht in ihrer Natur irgendetwas zu zerstören, trotzdem ballte sie ihre linke Hand zu einer Faust, Blitzeis bildete sich und sie durchschlug die Wand um den Fensterrahmen mit einem gezielten Schlag. Die alten Ziegel stürzten krachend in die Tiefe, Staub ließ sie aufhusten bevor sie einen vorsichtigen Blick auf die Feiernden warf. Niemand schien den Krach bemerkt zu haben, das Glück war wohl auf ihrer Seite. Marbas warf ihr einen verwirrten Blick zu: "Wie zum Teufel hast du das gemacht?"
Delina winkte ab: "Lange Geschichte, mach dich bereit!"
Dann konzentrierte sie sich auf den steinernen Platz der Altstadt, das Wasser, das in dem großen Brunnen in der Mitte floss, sie konnte es spüren, wie es wieder und wieder nach oben katapultiert wurde, im Brunnen landete und seinen weg wiederholte.
Es war Zeit ein wenig Verwirrung zu stiften, der Brunnen bildete beinahe das Zentrum des Platzes und war nah genug an der Tribüne um alle blicke auf sich zu ziehen.
Delina schloss die Augen und streckte ihre flache Hand in die Richtung aus, dann ballte sie diese zu einer Faust. Im selben Moment schossen alle Kanaldeckel in die Höhe, der Druck des plötzlich in Millisekunden verdampften Wassers katapultierte sie geradezu in die Luft. Wasserdampf schoss aus den Brunnen und Schreie wurden laut, empört, verwundert und überrascht.
Delina atmete wieder ruhig ein und aus, spürte die Erde, die unter dem schweren Pflaster begraben war. Jede Wurzel. Jedes Samenkorn.
Sie riss ihre Faust in die Höhe und Bäume durchbrachen das Pflaster, schnellten in Sekunden in die Höhe und verwandelten den Stadtplatz in einen Urwald.
"Was zum Teufel ist hier los?", hörte sie Marbas neben sich flüstern.
Aber sie konnte ihm jetzt nicht antworten, es gab noch etwas zu tun.
Delinas Gedanken flossen , wie der Fluss der die Stadt in zwei Hälften teilte auf seinem Weg in das große Meer am Hafen. Das Wasser begann zu blubbern, sich zu erheben. Schreie waren nun aus der ganzen Stadt zu hören, riesige Wellen peitschten durch die Straßen.
Eine letzte Sache noch, dann hätte Delina es vollbracht. Sie nahm alle Kraft zusammen und konzentrierte sich auf die neu gewachsenen Bäume, durch die jetzt schon Soldaten ihre Äxte trieben, um den Urheber des unnatürlichen Phänomens zu finden.
Soldaten von Church, Soldaten die unzählige Vila abgeschlachtet hatten, um sich deren Land anzueignen.
"Das ist eure Strafe...", murmelte Delina noch bevor die Bäume in einer Feuersbrunst aufgingen die alles um den Stadtplatz grell erleuchteten.
Marbas schien das Zeichen zu verstehen und packte Delina an der Schulter, einen kurzen Moment später fand sie sich vor der Bar wieder und wurde von Marbas in eine Seitenstraße gezogen.
Der Hauptplatz vor ihnen brannte lichterloh und weitere Soldaten rannten achtlos an ihnen vorbei, um dem Inferno Herr zu werden.
Marbas zog Delina, die kraftlos wirkte, mit sich die Gasse entlang: "Aufruhr? Das grenzt ja an Terrorismus? Wie hast du das gemacht? Standen, Celles, Saphira, Vanessa und Mari hier irgendwo bereit um das zu vollbringen? Und wie hast du sie in die Stadt geschmuggelt?!"
Delina holte tief Luft: "Nein sie sind nicht hier, aber Church denkt das! Deine Teleportation wird ihn nun nicht mehr kümmern. Er wird die Stadt nach ihnen absuchen!"
Marbas nickte: "Das ist wohl wahr, er täte auch gut daran sie zu finden, die vier sind sicher hier um ihn..."
Delina unterbrach ihn: "Sie sind nicht hier Marbas! Also zumindest nicht körperlich! Nur ihre Kräfte!"
Marbas schien kein Wort davon zu verstehen, gab sich aber mit der Erklärung zufrieden und folgte weiter der Gasse.
Delina konnte nur hoffen das sich Amelie und der ominöse Mann noch auf der Straße befanden, sonst würde ihre Suche wahrscheinlich erfolglos bleiben.
Während sie die kleinen Häuser am Straßenrand betrachtete und versuchte mit Marbas Schritt zu halten entging ihr das sich ihnen jemand in den Weg gestellt hatte.
Erst als sie gegen Marbas ausgestreckten Arm prallte, fand ihr Blick zurück auf die Straße vor ihnen.
Marbas Arm zitterte leicht, sein Blick war voller Furcht: "Bitte sag mir das er nicht der ist für den ich ihn halte.
Delina starte auf das Hirschgeweih das aus der schwarzen Kapuze lugte.
"Ich würde sagen wir haben ein großes Problem!", stellte Delina fest, sie war mehr als erschöpft und jetzt gegen den Dunklen zu kämpfen wäre, würde keine guten Aussichten mit sich bringen.
Shanora starrte auf die Tasse Tee, die Ladira ihr gebracht hatte, nachdem sie Silas aus dem Haus gejagt hatte. Ihre Ziehmutter hatte sich neben sie auf ihr Bett gesetzt und warf ihr einen besorgten Blick zu.
"Wer hat diese Rune erschaffen?", fragte Shanora und stellte den Tee auf ihrem Nachttisch ab.
Ladira seufzte tief, sie wusste selbst zu wenig über diese verbotene Technik der Wiederauferstehung.
"Diese Rune...", Sassy stand in der Türe, "entstand aus Verzweiflung vor langer Zeit!"
Ladira sah zu ihr auf: "Du weißt mehr darüber?"
Sassy nickte: "Mein Mann schickt mich, er hat sich wohl mal wieder daneben benommen!"
Ladira nickte: "Wie auch immer du mit dem Kerl etwas so niedliches wie Henry zustande gebracht hast!"
Sassy lächelte: "Er ist eigen, aber er hat ein gutes Herz, Ladira. Alles was er getan hat versucht er wieder gutzumachen. Und er hat bewiesen, dass er bereit ist seine Maske hinter sich zu lassen!"
Ladira wusste, dass sie recht hatte, doch hatte sie ihre erste Begegnung mit Silas nicht vergessen. Bedroht hatte er sie, gespielt hatte er mit ihr und ihren Töchtern. Sie würde wohl noch eine Weile brauchen um ihm das alles zu verzeihen.
Ladira erhob sich und lächelte Shanora noch einmal zu: "Ich lasse euch alleine, ihr habt sicher viel zu besprechen!"
Sassy nickte und tauschte mit Ladira den Platz, diese beschloss sich ihrem Garten zu widmen, der in dem Trubel der letzten Monate sowieso zu kurz gekommen war.
"Erzähl mir was du weißt!", Shanora rückte noch ein wenig, damit Sassy sich direkt zu ihr ins Bett setzen konnte.
Sassy zog ihnen die Decke über die Beine und lehnte sich dann an einen der gemütlichen Polster: "Die Rune entstand an dem Tag, als Osilia zu brennen begann. Merlin hatte Silas damals zu Delina und ihrer Schwester geschickt und sie an den Dunklen verraten. Es dauerte kaum eine Stunde, bis die Straßen der Stadt im Nebel von Leichen gepflastert waren, aber schlimmeres geschah. Merlin versiegelte sie in einer Zeitschleife, auf ewig gezwungen den Augenblick ihrer Niederlage wieder und wieder zu erleben. Es war ein Mittel um den Prinzen des weißen Throns zu brechen, schließlich war das dem Dunklen nie vollständig gelungen!"
Shanora schauderte, das hatte Silas ihr nie erzählt.
Sassy seufzte tief: "Während Delina gerettet werden konnte starb ihre ältere Schwester durch Treplews Klauen, Silas hatte damals geschworen auf sie aufzupassen. Nicht mehr bei klarem Verstand benutzte er diese Rune, um sie zurück ins Leben zu holen. Aber sie war nicht mehr dieselbe, ihre Gestalt war verändert und sie war getrieben von Rache. Ihren Tod fand Nelina erst vor den Toren der schwarzen Kathedrale, als sie sich vor Delina warf, um sie zu beschützen!"
Shanora schauderte: "Das war als Delina und du, als ihr kurz darauf verbannt wurdet! Dann hat der Dunkle als zweiter diese Rune für sich entdeckt!"
Sassy nickte: "Ja, das ist wahr. Auf jeden Fall war der Dunkle nicht der einzige der damit experimentierte. Finn hat diese Rune einer seiner Jägerinnen verpasst, als sie krank wurde, sehr krank!"
Shanora riss geschockt die Augen auf: "Das hat er nicht getan!"
Sassy nickte: "Ladira kam ihm dahinter, das war einer der Gründe warum sie ihn mit Did fortschickte. Er sollte lernen seine Macht nicht zu missbrauchen, indem er die Naturgesetze damit auf Biegen und Brechen umgehen wollte!"
Shanora begann zu verstehen, darum hatte Ladira ihn einst auf Reisen geschickt. Nicht nur um zu lernen sondern auch, um zu verhindern, dass er weitere Experimente durchführen konnte.
"Die Rune verändert alles, sie bewahrt nicht einfach vor dem Tod oder verhilft zur Wiederauferstehung. Es ist extrem dunkle Magie, man darf nicht erwarten, dass sie sich positiv auswirkt!", Sassy sah nun zu Shanora.
Diese wusste genau, was ihr Blick zu bedeuten hatte, natürlich war so eine Rune aus Verzweiflung erschaffen worden. Sie hatte sie aus Verzweiflung angewendet und das wohl nicht richtig. Stunden hatte sie in ihrem Bett verbracht und mit ihrem bloßen Willen versucht diesen Frevel rückgängig zu machen.
"Ich wollte nie das so etwas passiert!", Shanora seufzte tief, "Aber ich weiß, dass es falsch ist, was ich hier tue!"
Sassy wollte gerade nachfragen, als sie schnelle Schritte hörte, die die Treppen zu ihnen hinauf eilten.
Kyra riss die Türe, welche Ladira zuvor wieder geschlossen hatte, auf und ihr Blick verriet, dass es keine guten Nachrichten gab.
"Am schwarzen Thron! Heerscharen.. Dämonen und Biester aus den Unterlanden!", keuchte sie völlig außer Atem.
Sassy sah sie ernst an: "Sie sind also aus den Löchern dieser verfluchten Ebenen gekrochen!"
Shanora dachte an einen seltsamen Traum zurück, den sie am letzten Weihnachtsabend gehabt hatte. Er hatte, damit geendet das sie am Fuße des schwarzen Throns ihr eigenes Grab gesehen hatte. Es war also so weit, das sollte ihr Ende sein.
Sassy stritt in der Zwischenzeit mit Kyra, was zu tun war, bis diese sich wütend auf die Suche nach Ladira begab.
Shanora stand langsam auf, fühlte sich benommen. Sie konnte Schwarzwasser sehen, in Flammen stehend. Delina und Marbas, blutend am Boden, sie Augen weit aufgerissen. Arya, durchbohrt von hunderten schwarzen Pfeilen in einem verlassenen Gebäude.
"Nein!", sie hielt sich den Kopf, "NEIN! Das lasse ich nicht zu!"
Sassy schien nicht allzu verwundert darüber zu sein: "Und darum habe ich etwas für dich!"
Shanora war bewusst, dass die Priesterin die Gabe der Voraussicht besaß, aber das sie all das geahnt hatte überraschte sie.
"Delina vertraute es mir einst an, die Hälfte einer gereinigten Welt!", Sassy zog einen weiß leuchtenden Kristall aus der Tasche ihres Umhangs: "Der Kristall der bei der Vernichtung Solons erschaffen wurde!"
Shanora konnte die Macht dieses Gegenstandes spüren: "Was soll ich tun, um das alles zu verhindern?"
Sassy nahm Shanoras Hände und lächelte sie liebevoll an: "Unsere Freunde kämpfen in einem aussichtslosen Krieg! Lassen wir sie wirklich im Stich?"
Shanora verstand sofort: "Ich breche den Bann, Elensar wird sich zu verteidigen wissen, während ich tue, was ich tun muss!"
Sassy nickte: "Elensar wird nicht fallen, Shanora! Wir werden es verteidigen!"