Arya und Claude warteten auf Gretas Rückkehr, während sich die Elfe weiter in dem Raum umsah. Der Streit mit Amelie ging ihr nicht mehr aus dem Kopf, es tat ihr leid, dass sie so hart zu ihr gewesen war. Ihr verzweifelter Blick beschäftigte Arya immer noch und sie setzte sich auf den Stuhl, auf dem die junge Grünhaarige gesessen hatte. Dabei streifte sie die Maus und der schwarze Bildschirm vor ihr begann zu leuchten, sodass sie sehen konnte was Amelie angestarrt hatte als sie hereingekommen waren.
Sie überflog die Zeilen des wissenschaftlichen Berichts und ihr Atem stockte.
"Ist alles in Ordnung?", fragte Claude, der schließlich nicht sehen konnte was Arya gerade gelesen hatte. Arya blieb einen Moment stumm, überlegte, ob sie ihm sagen sollte was sie gelesen hatte. Dann aber löschte sie das Dokument und entleerte den Papierkorb des PCs.
"Ja, alles in Ordnung!", antwortete sie ihm dann, "Ich fragte mich nur gerade, was diese Greta so lange tut, lass uns nach unten gehen und fragen, ob sie Hilfe braucht!"
Sie war froh das Claude nicht weiter nachfragte und erhob sich um ihn dann am Arm zu packen und hinter sich aus dem Raum zu ziehen.
Sie waren gerade an der Treppe angekommen als sie eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen dem grimmigen Zwerg und Greta mitanhören konnten.
"Amelie hätte längst wieder hier sein müssen! Wenn wir noch länger warten wird das Portal instabil und fliegt uns um die Ohren!", die Stimme des Zwergs klang aufgebracht.
"Amelie hat vielleicht Schwierigkeiten, wir müssen warten! Was willst du ohne sie auf der anderen Seite? Wenn sie die Informationen nicht bekommt dann werden sie uns dort in einen Kerker werfen und ganz bestimmt nicht zuhören! Gib ihr noch ein wenig Zeit!", Greta schien ihn beschwichtigen zu wollen.
"Es ist mir egal, ob wir es in dieses von Wäldern überwucherte widerliche alte Reich schaffen! Amelie und du, ihr seit wie Kinder für mich, ich mache mir Sorgen!", das konnte man auch an seiner Stimme hören.
"Ach Korgrim...", Greta klang gerührt, "Du kennst doch Amelie, sie ist immer wieder einmal länger weg. Aber sie kommt immer wohlbehalten... Was war das?"
Arya hatte sich zu weit über die Treppe gelehnt, sodass das Geländer geknarrt hatte.
Schnell ging sie mit Claude im Schlepptau nach unten: "Es war nicht mein Ziel euch zu belauschen!"
Korgrim musterte sie finster: "Natürlich wollte die heilige kleine Elfe nicht lauschen, euch Spitzohren ist nicht zu trauen!"
Arya schnappte empört nach Luft: "Spitzohr? Ich habe mich wohl verhört!"
Greta stellte sich zwischen die beiden: "Krogrim, das du Elfen nicht magst wissen wir alle. Aber jetzt sei bitte freundlich!"
Claude schien das alles sehr zu interessieren: "Herr Zwerg, warum genau mögen sie keine Elfen? Ich gebe zu sie sind von einer gewissen Arroganz geprägt und die Männer sehen den Frauen so ähnlich das man die verwechseln könnte. Aber sie sind stark und unendlich treu. Das sind Eigenschaften die Zwerge einst ausmachten, nicht war?"
Arya beobachtete wie Korgrims Blick von wütend auf traurig und wieder zurückzuspringen schien. Sie hatte sich nie mit Zwergen und ihren Geschichten beschäftigt. Alles, was sie wusste war, dass es nicht mehr viele von ihnen gab.
"Einst habe ich Seite an Seite mit eurem Großvater gekämpft, Silberwolf. Auch wenn ihr von den Vila abstammt, ihr hattet immer Ehre und habt uns nicht im Stich gelassen!", Korgrim seufzte tief, dann wendete er sich an Arya, "Wenn ein Silberhaar euch vertraut, dann tue ich das auch!"
Arya spürte Claudes Hand auf ihrer Schulter und ihr Magen schien extrem darauf zu reagieren, während Claude sich weiter mit Korgrim unterhielt: "Wir dürfen in solch dunklen Zeiten nicht vergessen das Verbündete aus jedem Volk kommen können! Ihr hattet bestimmt viele Freunde unterschiedlichster Herkunft, nicht wahr?"
Korgrim stiegen plötzlich die Tränen in die Augen: "Dieses Menschenmädchen, sie war etwas Besonderes. Eisenbergmastiffs habe ich ihr geschenkt! Sie sollten über sie Wachen, aber es hat nichts geholfen!"
Claude versuchte nun besonders behutsam mit dem Thema umzugehen: "Eisenbergmastiffs? Dann muss sie wahrlich besonders gewesen sein, wenn sie ein so wertvolles Geschenk erhielt. Bestimmt haben sie ihr unzählige Male geholfen und ihr Leben deutlich verlängert!"
Korgrim nickte: "Sie waren ebenso wertvoll wie sie. Sie kam mit zwei anderen, als Madum überrannt wurde, von Dämonen und Elfen! Haben gekämpft wie drei Löwinnen, um möglichst viele von uns zu retten und in Sicherheit zu bringen! Sie war beeindruckend, hatte keine Furcht. Alles schien aussichtslos für uns, in die Enge getrieben wie wilde Tiere von Elfen und widerlichen Dienern des Dunklen. Dann sah ich sie, ihr goldenes Haar, ihr Bogen. Sie war wie eine Armee, bestehend aus einer einzigen Frau, unterstützt von ihren Gefährtinnen. Meine gesamte Sippe wäre an diesem Tag ausgelöscht worden, wenn sie nicht gewesen werde. Sie gab uns Hoffnung, wie sie sich alleine in diese Armee stürzte. Wir griffen zu den Waffen und kämpfen uns zu ihnen vor, sodass wir ihre Portale benutzen konnten und den nächsten Tag erlebten..."
Greta sah traurig zur Seite und verschränkte die Arme: "Sie war wundervoll... Doch dann gestattete Finn Dämonen seine Reihen zu vergiften! Und was geschah? Sie wurde in einem sinnlosen Krieg um eine sinnlose zerstörte Welt von einem Monster abgeschlachtet! Genau wie eine ihrer Verbündeten! Alles aus der Laune eines Wahnsinnigen heraus!"
Arya war bewusst von wem sie sprachen, den drei Jägerinnen, ihre Geschichten waren legendär genug um bis in ihre Reiche durchgedrungen zu sein. Julopatra, Newra und Kyra, wobei Kyra die einzige war die nicht in Zöne getötet wurde. Newra lebte wieder, aber ob das ein Trost für den alten Zwerg war vermochte sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht einzuschätzen.
Arya schloss ihre Arme um ihren Körper, Korgims Geschichte ließ sie sich noch schlechter fühlen. Eine menschliche Frau hatte soviel bewirkt und sie jammerte seit Wochen das sie ihre geheiligten Kräfte nicht einsetzen konnte. Delina schien sich irgendwie über Wasser zu halten, aber sie selbst versank gerade in diesem Gefühl.
"Wir warten noch eine Stunde!", Claude richtete wieder das Wort an Korgrim und Greta, "Dann suchen wir nach Amelie!"
Korgrim nickte dankbar und Greta erklärte sich ebenfalls einverstanden.
"Lass uns einen Moment vor die Türe gehen, frische Luft schnappen!", schlug er dann Arya vor, "Vielleicht finden wir einen Stand wo sie die gerösteten Seelen unschuldiger Babys verkaufen!"
Der letzte Satz war eindeutig als Witz gemeint und zeigte bei Arya auch Wirkung, sie lachte.
"Nehmt lieber den Stand rechts rum mit dem frischen Waffeln!", rief Greta ihnen nach, "Und bringt gefälligst welche mit! Ich versuche einstweilen das Portal stabil zu halten!"
Als sich die Türe hinter ihr schloss und Arya die kühle Abendluft inhalierte lief ihr eine Träne über die Wange, sie musterte Claude, dessen Haar im Schein des Mondes wirklich Silber glänzten.
Silberwolf hatte Korgrim ihn genannt und gesagt das sein Volk von den Vila, den Waldelfen abstammte.
Arya wurde bewusst, wie wenig sie über andere Völker wusste. Madum und seine steinerne Festung war einst die Heimat von Zwergen gewesen.
Claudes Stimme riss sie aus ihren Gedanken: "Hör auf zu verzweifeln Arya. Und hör auf dich dafür zu verurteilen. Du bist eine unglaublich charismatische, starke und treue Frau. Diese finsteren Zeiten werden vorübergehen und du wirst wieder das warme Licht der Sonne spüren!"
Wieder einmal war Arya überrascht wie einfühlsam und wohltuend die Worte des Druiden sein konnten. Er schien immer zu wissen, was sie fühlte und wie er es ansprechen sollte. Weitere Tränen rannen über ihre Wange und für einen Moment schloss sie die Augen, bis sie spürte wie Claudes Arme sich zuerst zaghaft und dann aber doch fest und stark um sie schlossen. Ein paar Sekunden verkrampfte sich ihr Körper und ihr Herz schlug so heftig das Arya fürchtete Claude konnte es an seiner Brust spüren.
Dann aber genoss sie die liebevolle Geste und lehnte ihren Kopf an seine Brust. Es war lange her das sie sich so geborgen gefühlt hatte, seit man ihren Vater tot nachhause gebracht hatte. Immer war sie selbst die einzige gewesen auf die sie sich verlassen hatte können. Aber nun schien dieses behütete Gefühl, welches seit vielen Jahren der Vergangenheit angehört hatte, wieder in ihr Leben zurückzukehren.
Sie hob ihren Kopf und sah ihm in seine trüben Augen. Sein Augenlicht hatte er gegeben, um sie zu beschützen, einfach so. Er nannte sie nicht wie andere Männer schön, er nannte sie charismatisch - stark - treu. Das waren gute Eigenschaften, wie sie fand und genau das schien er in ihr zu sehen.
Arya hatte sich nie viel auf Männern gemacht, sie hatten nie Platz in ihrem Leben gehabt. Außerdem waren es lebende Kühlschränke, wie Deseis gewesen, mit denen sie liiert war. Sie fragte sich, wie es wohl sein mochte mit einem Mann wie Claude verbunden zu sein. Es war bekannt, dass er extrem viele Frauen gehabt hatte und nie lange bei einer geblieben war. Mit Ausnahme von Caressas Mutter, bis diese ihn verlassen hatte.
Ob er, nachdem was seiner Tochter passiert war überhaupt noch einmal lieben wollte? Daran dachte eines Tages eine Familie zu haben, wenn der Krieg vorbei war?
Arya fragte sich auch warum sie sich all diese Fragen stellte, hatte sie wirklich so großes Interesse an ihm?
Die letzten Tage schien sie sich immer mehr nach ihrem Retter zu verzehren, aber er hatte bereits klargestellt das sie Freunde waren.
Das schloss wahrscheinlich jegliches Interesse seinerseits aus.
"Was geht dir durch den Kopf?", fragte er sie plötzlich schmunzelnd und lockerte seine Umarmung.
Arya ging, wenn auch widerwillig, einen Schritt zurück: "Ich habe mich gefragt wie es dir geht. Das klingt abgedroschen, aber von uns allen hast du den wahrscheinlich schwersten Verlust erlitten!"
Claudes Stimme war ruhig, doch so von Trauer durchzogen, dass es Arya schmerzte: "Man kann Verluste nicht vergleichen. Jeder einzelne davon ist schrecklich. Zu wissen das meine Tochter jahrelang am Leben war... Es hat mich verunsichert den ich bin keine gute Seele. Ich habe getötet, ich habe unschuldige ermordet, weil ich das Gefühl hatte nur in diesem einen Moment, in dem ich einen Gegner niedergestreckt hatte, noch lebendig war. Es war wie eine Sucht zu jagen und das dafür verdiente Geld zu versaufen. Ich hatte Angst davor ihr zu begegnen. Aber das wird nun noch eine Weile dauern, bis ich sie eines Tages auf der anderen Seite treffen kann! Wie es mir geht? Ich trauere und es gibt Momente, in denen ich fürchte, das dieser schreckliche Krieg niemals endet. Aber ich gebe nicht auf und genieße jeden Moment des Friedens!"
Arya bewunderte ihn dafür und spielte nervös mit ihren Fingern: "Ich bin beeindruckt von dir... Also mich positiv zu überraschen nach Delinas Horrorgeschichten war nicht schwer, aber du hast mich tief berührt, Druide!"
Claude seufzte tief: "Ich bin nur ein versoffener alter Mann der schon viel zu lange als letzter einer längst ausgestorbenen Art herumwandert! Lass uns Greta eine Waffel holen, ich schätze, sie wird uns sonst zerquetschen und zu Sülze verarbeiten!"
Arya musste wieder lachen, Claude schaffte es immer sie trotz ernster Gespräche für einen Moment herzhaft zu lachen wie ein kleines Kind.
Sie gingen die Gasse nach rechts weiter, wie Greta es ihnen gesagt hatte und Arya versuchte ihr Herzklopfen zu unterdrücken, das sie jedes Mal überkam, wenn sich ihre Arme streiften. Es war als würden seine Berührungen ihre ganze Haut kribbeln lassen und sie war wirklich froh, dass er nicht sehen konnte wie rot sie bei diesem Gedanken wurde.
Zusätzlich zu den altbekannten Problemen hatte sie neue Schwierigkeiten. Sie war in den letzten Druiden verliebt und das nicht nur ein wenig.
Auch wenn sie ihn erst kurz kannte, diese Gefühle überforderten sie, weil sie so unglaublich stark waren.
Was sie zuerst als eine Reaktion auf das verlassen werden von Deseis abgetan hatte, war nun glasklar. Neben ihr ging der erste Mann bei dem sie daran dachte den heiligen Schwur ihres Volkes zu leisten, um sich ewig mit ihm zu verbinden.
Aber Arya wusste, das nicht der richtige Zeitpunkt dafür war nun über so etwas nachzudenken. Sie befanden sich in einem Krieg und außerdem war da noch die Tatsache das Claude klargemacht hatte das sie nur Freunde waren.
Amelies Kopf pochte schrecklich und schmerzte, als wäre darin ein Cojomano explodiert.
Langsam öffnete die die Augen, aber das Licht der nackten Glühbirne über ihr schmerzte zu sehr, also ließ sie es bleiben.
"Ich konnte entfernen, was sie im Kopf hatte...", eine Frauenstimme, ernst, genervt, verbissen, "Aber ich habe keine Ahnung was für Schäden das an einem menschlich wirkenden Gehirn hinterlässt. Du weißt ja das die an Entzündungen und solchem Mist sterben!"
Trotz ihrer geschlossenen Augen schien sich alles in Amelies Kopf zu drehen.
Dann eine raue Männerstimme: "Ist klar Darling! Ich werde gleich nachkommen..."
Da fehlte doch ein Teil des Gesprächs, Amelie versuchte sich zu konzentrieren aber es gelang ihr nicht.
"Du musst sie zurücklassen...", wieder diese Frauenstimme, nun schrie sie aber.
Amelie schlief wieder ein, Schwärze umgab sie bis sie schließlich wirklich erwachte. Wasser tropfte auf ihr Gesicht, dann wurde ein Schwamm auf ihre Stirn gedrückt.
Wasser rann über ihre geschlossenen Augen, über ihre Haare und sie wollte es mit dem Handrücken wegwischen. Aber ihr Arm zitterte nur kurz, sie fühlte sich so unglaublich schwach.
Irgendetwas pochte in ihrer Brust, etwas das gegen ihre Rippen zu drücken schien und herauswollte.
Was war das? Amelie versuchte es zu erspüren, aber da schien es schon durch ihre Venen zu schießen wie ein Gift.
Aber es schädigte sie nicht, im Gegenteil, sie konnte endlich ihre Hand heben und sich das Wasser aus dem Gesicht wischen.
Dabei wurde ihr Handgelenk gepackt: "Immer ruhig mit den jungen Pferden, Darling!"
Diese Stimmer, der Mann aus der Bar.
Der Schwamm wurde von ihrer Stirn entfernt und sie öffnete die Augen. Das Licht schmerzte nicht, viel mehr schienen ihre Sinne geschärft zu sein und sie fühlte sich unglaublich gut.
"Was ist den hier los?", Amelie starrte in das grinsende Gesicht des Mannes, ihr Kopf lag auf seinem Schoss, in der einen Hand hielt er den tropfenden Schwamm, in der anderen eine Zigarette.
Schnell setzte sie sich auf: "Du hast auf meine Kleidung geäschert, außerdem stinkst du wie ein Aschenbecher!"
"Danke James, danke das du mich nicht auf Anraten deiner Partnerin irgendwo liegen gelassen hast!", witzelte der seltsame Kerl.
Amelie war davon wenig beeindruckt: "Warum zum Teufel hilfst du mir? Und wo bin ich? Wie spät ist es? Und wo sind meine Informationen?"