Wir hatten einen Engel gefangen, so schien es zumindest. Das Wesen war von Kopf bis zu den krallenartigen Füßen von weißen leicht leuchtenden Federn bedeckt. Ob sein konturloses Gesicht überhaupt die üblichen Sinnesorgane besaß, konnten wir nicht feststellen.
"Und was machen wir jetzt?", wollte ich von Zero wissen. Was er getan hatte, passte mir eigentlich garnicht.
"Jetzt werde wir sie erpressen. Sie werden für diese eine jeden Preis zahlen."
"Warum für diese eine?", wollte ich von Zero wissen.
"Es ist ein Kind", sagte er und steckte die restlichen kleinen Nadeln zurück in seinen schwarzen Mantel.
"Seit wann entführen wir Kinder?"
Dass mich seine kalte Skrupellosigkeit gerade entsetzte, muss ich wohl nicht erwähnen.
"Es ist notwendig", beschwichtigte mich mein Neffe. "Sie werden nun viel gesprächsbereiter sein."
"Wenn ich gewusst hätte, dass wir einen Engel aus dem Garten Ende entführen, hätte ich dich aufgehalten."
"Es gibt leider keine andere Möglichkeit. Wir müssen von diesen Wesen eine Träne der Macht erlangen. Wir werden sie noch brauchen."
Ich sah Zero skeptisch an.
"Und wenn du die Träne hast, was dann? Was hat das alles mit Mia, Bexie und den anderen beiden zutun? Ich dachte, wir wären wegen ihnen hier unten."
"Eigentlich nichts", dachte Zero laut.
"Und was hast du mit der Nadel gemacht, die du ihr in die Stirn gedrückt hast?"
"Ich habe das geistige Chakra dieses Wesen blockiert."
"Warum?", fragte ich, obwohl ich eine Vermutung hatte.
"Damit sie nicht um Hilfe ruft?"
"Ich denke, es hätte auch eine andere Möglichkeit gegeben. Zero, es ist ein Kind. Du tust gerade einem Kind Gewalt an."
Ich bückte mich und wollte die Nadel wieder aus der Stirn des Wesens ziehen.
"Lass das", sagte Zero und hielt mich auf. "Ich weiß, was ich tue. Hast du gewusst, was du tust, als du die beiden nur mit unnützen Waffen und zwei Früchtesammlern hier herunter gelassen hast?"
"Die Scanner zeigten an, dass der Ort verlassen ist."
Zero zeigte auf das Wesen auf dem Boden, das sich nicht rührte. "So viel zu den Scannern des Schiffes."
Zero hob das geflügelte Wesen an und legte sich den bewegungslosen Körper über die Schulter. Zusammen traten wir den Rückweg zu den Shuttles an, die auf der Bühne auf uns warteten. Niemand verstellte uns den Weg. Wir waren fast an unserem Ziel angekommen, da hielt ich ihn auf.
"Was ist das besondere an dem, was du von diesen Wesen haben willst? Du scheinst sehr genau zu wissen, was du hier bekommen kannst. Was ist es?"
"Es ist nur ein leuchtender blauer Stein", log mich Zero an. "Er wird mir zu Hause auf Red eine nette Summe einbringen. So große Aquamarine haben schon ihren Wert. Ein Nebengeschäft. Einfach so."
"Zero, verarsch mich nicht."
"Es war ein Versuch", sagte der Angesprochene, zuckte mit der freien Schulter und drehte sich wieder zum Gehen. Ich hielt ihn an der Jacke fest. "Du solltest mich loslassen, Kapitän."
"Sonst was?"
Ich sah in Zeros rote Augen. Schnell war ich mir nicht mehr sicher, dass ich wusste, wer er war. Ich sah nichts von der Liebe der Parker in ihnen. Da war nur kalte Berechnung. Er zupfte seinen Ärmel aus meinen Fingern.
"Sonst kommen wir nie am Shuttle an", sagte er abweisend. Ich trotte hinter ihm her, tief in meinen Gedanken. Wir hatten kaum den Platz erreicht, da senkte sich ein doppelt so großes geflügeltes Wesen auf unser Shuttle hinab und versperrte uns so den Weg.
"Was willst du, Fremder?", fragte er mit überirdisch klingender Stimme.
"Den Stein", sagte mein Neffe und legte das Kind vor sich auf den Boden.
"Du willst ein Herz unseres Volkes? Warum?!"
"Meine Sache."
"Es wird sie dir nicht zurückbringen, deine Familie. Der Tod gibt nicht zurück was er einmal hat."
"Ich muss es versuchen", sagte nun mein Neffe mit einem flehenden Unterton.
"Zero?", fragte ich und trat neben ihn.
"Ich spüre sie jeden Tag", sagte er leise. "Ich habe ihre Seelen gefangen, aber das Behältnis ist zu klein. Alle Versuche, ein größeres zu schaffen, sind bisher fehlgeschlagen."
"In deinem Traumstein?", fragte ich.
"In seinem", sagte er und zeigte mir an seiner Kette einen Zwillingsstein.
In mehrerer Hinsicht hatte er mir gerade die Augen geöffnet. Zero hatte genau gewusst, was man hier unten finden konnte. Egal wie er es gemacht hatte, er konnte Dinge auf diesem Planeten sehen, die mir entgingen. Außerdem hatte er ganz nebenbei meine irdische Engstirnigkeit bewiesen. Es hatte geheißen, dass sein Partner mit seinem Kind schwanger gewesen sei. Wenn man irdisch dachte und das Taten die Menschen im Allgemeinen, dann konnte sein Partner nur ein Frau sein. Aber sein Partner war Katzoid. Zero hatte in der Forschungsstation seine Ehemann und sein Kind verloren.
Ich nahm ihn nur Wortlos in den Arm.