Irgendwie dachte ich, dass ich etwas machen müsste, weil Schugabi so geknickt war, nachdem sie den Aufstieg ihrer Art in eine andere Bewusstsein- und Seinsebene Hautnah miterlebt hatte. Es hatte sich herausgestellt, dass nicht nur die zwanzig in der Station verschwunden waren, auch alle ihres Volkes auf dem Planeten waren fort. Nur sie und Schumira wurden zurückgelassen, weil sie nicht mehr glaubten, aber das war nur die halbe Wahrheit. Und nun war da die Frage, wie und überhaupt konnten sie überleben, alleine? Und wenn, wie konnten sie es? Und durfte Sie noch den lieben, den Sie liebte, einen Menschen, ein Wesen einer anderen Art?
Warum ich von diesen Überlegungen wusste? Weil ich die Kleine nach dem Vorfall bei ihrem Planeten nicht mehr aus den Augen ließ. Schumira, ihre von uns bestimmte Ziehmutter, war da ganz froh drum. Das neue vollkommen in sich gekehrte junge Mädchen war nichts, auf das die ebenso recht junge Frau klar kam. Sie gestand, dass sie mit der kleinen mehr in einer WG gelebt hatte, als das sie wirklich verstand, was sie jetzt tun sollte.
Bei der nächsten Außenmission war sie dann mit all meinen Kleinen mit dabei und James nahm sie, auch gegen ihren Willen an die Hand. Bexies Sohn hatte sich entschieden, wie er sich ausdrückte. Schugabi sollte es sein. Sie würde sein Mädchen. Ein Ausdruck von Leonie, die darüber lächelte, dass es ihr Bruder im Geist geschafft hatte, schon eine zu ergattern. James war zwar ihr Cousin, aber wer will bei unserer Familie mit den Beziehungsbegriffen so kleinlich sein. Die beiden liefen vor uns, während wir in der Stadt der Sänger der Einladung des Hofpianisten folgten, an der Uraufführung zur neusten Serenade des hoch ehrwürdigen Meisters Hockade dem alleinigen zu hören zu dürfen. Wir hatten auf unserem Weg durch das Gebiet der Republik den Planeten gefunden, der die Heimat der vierarmigen Dunkelrothäutigen Blonden Humanoiden entsprach, die Schugabi in gewisser Art sogar ähnlich waren, bis auf die Farbe der Haut.
Dem Meister fiel die betrübt dreinblickende Kleine sofort auf. Er setzte sie in die erste Reihe und begann dann sein Spiel. Es wirkte bezaubernd, wie er das Doppelklavier beherrschte. Seine Finger wirbelten regelrecht über die Tasten und bauten einen wahren Klangpalast.
Alle riss es von den Stühlen und am Ende bekam er Standing Ovation, nur Schugabi und damit auch James blieben sitzen. Auch das bemerkte er und sorgte dafür, dass wir blieben, obwohl alle anderen Gäste den Saal verließen. Er setzte sich auf den Bühnenrand vor Schugabi und musterte sie.
Die anderen Kinder waren schon längst unruhig und wollten weiter, da bat der Meister darum, dass Schugabi seine Muse sein dürfte, für ein neues Stück. Ich wies daraufhin, dass wir ein sehr komplexes Familienkonstrukt hätten, dass es Verbot, einzelne Kinder und ihre festen Freundinnen zu trennen, aber er sagte, die zwei Stunden hätten wir bestimmt Zeit. Da willigte ich ein. Ich überließ Alice das weitere Programm mit dem Botschafter des Planeten, der auch schon wegen der Verzögerung unruhig war, aber aus Respekt vor dem Meister nichts gesagt hatte.
Meister Hockade hielt Schugabi zwei seiner Hände hin und zog damit dann die kleine auf die Bühne. James kletterte hinterher und setzte sich dann hinter sie auf das angebotene Kissen, so dass sich sein Mädchen an ihn anlehnen konnte. Der Meister beobachtete auch das mit einem Lächeln. Er hielt ihr wieder eine Hand hin, die sie vorsichtig ergriff. Mit geschlossenen Augen begann seine untere linke Hand eine traurige dunkle Weise zu spielen. Er sah wieder zu ihr und dann hielt er James eine Hand hin. Das Musikstück bekam nun eine sorgenvolle Note dazu und auch eine Spur Lieblichkeit, weil die zweite Hand in höheren Tonlagen spielte. Er ließ die Hände der Kinder los und knetete dann alle seine Finger richtig durch. Einen kurzen Moment war es in dem grossen Saal so ruhig, dass man meinte den Lärm der umgebenden Stadt zu hören, da senkte er seine Finger auf die Tasten.
Tief und dunkel begann das Stück, es klang verwirrend, bedrohlich, auch ein bisschen beängstigend und verloren. Dann wechselte eine Hand auf die höheren mittleren Lagen. Es wirkte wie der Versuch, dem grollenden finsteren Licht entgegen zu setzen. Ich sah, wie Schugabi nach James Hand suchte und sich vor die eigene Brust zog. Er legte von selber seine zweite auch um sie. Auch der Meister reagierte darauf und ließ eine zweite Hand in die helleren Töne gleiten. Nun war das Spiel nicht mehr ganz so bedrohlich.
Der Meister sah zu mir und ich hatte das Gefühl, er blicke mir direkt bis in die Seele. Es schien, als Suche er etwas. Ich griff automatisch nach meinem Stein und befand mich in der Traumwelt. Aber ich hatte auch ihn hineingezogen.
"Oh. Ein Wesen der Macht."
"Ein Diletant der Macht schon eher", wehrte ich ab. "Ich bin gut in der Geistwelt."
"Bescheiden ist er auch, das ist gut. Er sollte aber lernen, die Fähigkeit zu verschließen, bei dem Ziel, das er hat."
"Der Rat der Republik."
"Die Spielwiese der Wächter", sagte Hockade ernst.
"Schugabi ist eine ehemalige Schülerin der Wächter. Wir haben uns schon mit ihnen angelegt. So mächtig sind die nicht."
"Aber auch weniger mächtig ist er um so gefährlicher, weil er weiß, was er zu verlieren hat. Meine Muse wusste von ihrem Verlust, der sie komplett durchdringt, nichts. Sie zeigt es nicht, ihr sie liebender Freund weiß es nicht, aber sie können mir den Grund zeigen."
Ich zeigte ihm den Moment des Aufstieges von Schugabis Volk und auch die Erklärung, warum sie zurückgelassen wurde. Ich bemerkte, dass das Gesehene dafür sorgte, dass er sein Spiel unterbrach. Als ich auch aus dem Traum hervorkam stand er schon.
"Folgt mir", sagte er nur und wir mussten uns beeilen, mit ihm Schritt zu halten. Es ging in die Katakomben der Bühne. Immer tiefer führte er uns dabei in die Unterwelt der Stadt. Nach dem Gefühl verließen wir aber den Bereich des Theaters nicht. Vor einem gemauerten Torbogen, dessen eine Hälfte von einem Massiven Betonpfeiler ersetzt war, ließ er uns halten.
"Eine Stadt auf einer Stadt", sienierte ich und musste an Köln denken, dass auf den Trümmern drei Untergänge errichtet war, so dass der berühmte Dom mittlerweile in einem Loch stand.
"Das Bild ist das richtige. Diese Stadt steht auf vier älteren Generationen. Diese hier stammt aus einer Zeit vor etwa 4000 Jahren. Es ist eine alte Kultstätte meiner Vorfahren und dokumentiert ihren Aberglauben, den Sie auch dem ursprünglich dem hier lebenden Volk nahe gebracht haben. In den letzten viertausend Jahren hat aber nur die ursprüngliche Rasse überlebt, ist die anerkannte und auch von der Republik unterstützte Meinung, aber seht selber."
Wir traten. In den Raum, wo im hinteren Teil ein großes Bleiglasbild, das wohl mal ein Fenster war und nur noch zu dreiviertel da war, von Licht hinterleuchtet war. In Kelchen großer Pflanzen saßen dort acht Wesen mit blauer Haut, blonden Haaren und reckten ihre Arme zum Himmel die Kelche wurde dabei von Wesen mit roter Haut und zwei Armen gehalten.
"Ihr seit mit mir verwandt", stammelte Schugabi.
"Ich denke ja, das ist ein kleiner Teil der Wahrheit. Ich denke, dass wir nun, wo die geisteskontrolle der Republik vorbei ist, wir auch wieder eine Chance haben, die ganze Wahrheit zu erfahren. Aber ich zeige dir auch was anderes. Schau mich an, meine kleine Muse. Ich bin das Kind zweier Welten und trage doch den Keim unserer Vorfahren in mir. Also darfst auch du deinen James lieben. Dadurch alleine verrätst du deine Aufgabe nicht."
Das brachte ein Stück Lächeln zurück in Schugabis Gesicht.