Es gibt immer verschiedene Methoden, sich dem ewigen Vergessen zu stellen. Der Mensch glaubte an die Wiedergeburt in einem anderen Leben oder an eine Erinnern in Form besonderen Taten, das seinem Leben einen Sinn gibt. Das WIR ging in ein höheres UNS ein und hielt so die Erinnerungen an das Vergangene wach. Die Ghost hatten blaue Kristalle, die die Lebensenergie auffing und so vor dem verschwinden und vergessen konservierte. Die Mech übertrugen ihre Erinnerungen an die nächste Generation.
Cham hatte die von 20.000 Kolonisten aufnehmen sollen, die mit ihm auf einem Kolonieschiff gewesen waren, und war an dieser Aufgabe kläglich gescheitert. Das war etwas, was ihn seit dem Ereignis verfolgt hatte. Sein Volk hatte alles dafür getan, dass wenigstens ein paar von ihnen überlebten, als sie von den Relanern aufgebracht und danach Leben für Leben ausgelöscht worden waren. Cham hatte am Ende in seinem Geist die Erinnerungen der anderen in so gepresst Form gehabt, dass seine eigene Persönlichkeit fast verloren ging.
Juliet hatte ihm zweitausend Seelen abgenommen. Sie erklärte diese Erfahrung mit einer Art wiederkehrendem Traum, der zeigte, wie Wesen in einer großen Suppe schwammen, bevor sie sich den Aufstieg als Individuum verdienten, ihr Leben als Mechwesen, dass zu den Sternen aufbrach, um dort neue Erkenntnisse zu gewinnen.
Und so sehr Cham der Verlust von Hunderten von Erinnerungen betrübte, die er dann nicht seinem Volk zurückbringen konnte, so sehr war er auch glücklich, dass er für sie nun neue, unschätzbare, einzigartige Erinnerungen produzierte. Das wiederum brachte mit der Zeit aber auch eine Art neue Ängstlichkeit zu Tage. Er hatte außer Juliet niemanden, an den er, wenn er in Gefahr geriet, sein Wissen abgeben konnte. Ihm und seinem Wissen drohte das erneute Vergessen, wie es auch vielen seiner Familie und Freunde passiert war, die er nicht hatte halten können.
Wir waren gerade dabei, laut der Infos der Kids unser nächstes Ziel auszusuchen, da kam Cham auf die Brücke. Das passte, da eines der Schiffe in Reichweite seinem Volk gehörte und die Bezeichnung Archiv trug.
"Was ist ein Archiv?", wollte ich von ihm wissen.
"Jedes große Schiff hatte so ein Archiv", erklärte Cham mit seiner blechernen Stimme. "In jedes ist das gesamte Wissen der Mech kopiert. Mit diesem können wir auf das Wissen derer zugreifen, die vor uns gelebt haben. Da ist aber nicht nur reines Wissen drin. Es geht bis zu ganzen emotionalen Momenten, wenn sich zwei meines Volkes treffen und merken, wie gut sie in Einklang schwingen. Es ist die Essens unseres Lebens."
"Also ein großer Computerspeicher?"
"Ein Archiv ist eine Keimzelle für neues Leben. Es ist sowohl ein elektronischer Speicher als auch eine Gruppe unserer klügsten Geister."
"Auf dem Kurs wird es lange dauern, bis die Geister das neue Leben starten können."
"Wenn es überhaupt noch funktioniert."
Ich hörte eine unbestimmte Traurigkeit aus seiner Stimme heraus.
"Okay, damit steht unser Ziel fest. Wir werden dieses Schiff einsammeln. Shima, setz bitte einen Kurs."
Cham blieb während des ganzen Sprunges auf der Brücke. Als wir wieder den normalen Raum sahen, drifftete vor uns eine Kugel herum, die von einem Kegel durchstoßen war. Der große Ionenantrieb füllte die gesammte Bodenfläche des Kegels aus. Ein Loch in der Seite des Schiffes zeigte, dass wir nicht die ersten hier waren. Das Schiff war auch zu groß, als dass wir es in unsere Shuttlerampe hätten ziehen können. Wir würden mit einem Shuttle andocken müssen.
"Hat es da drüben noch Energie", fragte ich Tekau.
"Rein theoretisch könnte es noch fliegen, aber es ist leer. Ich messe keine lebenden und elektrischen Aktivität."
"Kann auch nicht", bemerkte Cham. "Der letzte Überlebende dieses Schiffes steht hier."
"Das ist das Schiff deiner Familie?"
"Ja."
"Dort drüben könnte also euer Archiv sein?"
"Ohne Energie ist es verloren."
"Aber ganz genau weisst du es nicht."
"Die Mechs haben keine Archive mehr. Unser Wissen ist verloren."
"Um so wichtiger, dass wir dort nachsehen", stellte ich fest und wendete mich zur Shuttlerampe. Auf dem Weg dorthin stellten sich wie von selbst andere meiner Familie ein, die wir da drüben brauchen würden. Max hatte schon einen Raumanzug an. Juliet berührte nochmal sanft den Hals von Cham, bevor sie ihre Hände in den Handschuhen verbarg. Im Hangar warteten Rooo und Ru Mar Kso in ihren Anzügen auf uns.
Wir nahmen ein kleines Shuttle, mit dem wir zu dem anderen Schiff übersetzten. An der Schleuse bemerkte ich sofort Spuren von Restenergie im System.
"Wir werden keinen Schalter betätigen, keine Systeme hochfahren oder sonst etwas machen. Wir benutzen nur Taschenlampen."
"Ja, Boss", kam von den anderen.
Vorsichtig krochen wir durch das luftleeren Schiff. Überall sah ich Energiereste durch die Leitung sickern. Fast schon automatisch lief ich ihnen hinterher. Ich hatte das Gefühl, dass es wichtig war. Hinter mir fragte Juliet, wo ich denn so zielsicher hinlaufen würde. Dort sei das Archiv, sagte Cham.
Vor einem stärker gesicherten Bereich fanden wir einen toten Mech. Mit geplatzter Hirnkuppel lag er mit seinem Oberkörper über einer Konsole. Ich interessierte mich kaum für ihn, denn stattdessen lag meine Aufmerksamkeit auf einer Energiezelle am Boden. Von dort gingen fünf energiereiche Kabel zu einem Bereich hinter einer gewölbten Wand.
"Ist das euer Archiv?", fragte ich.
Cham bestätigte es.
"Dann brauchen wir Mia, einen Plasmabrenner, Roo, drei Luftaufbereiter und fünf Backup Energiequellen aus den Shuttels. Und mit viel Glück retten wir euer Archiv."
Wir gingen verbissen ans Werk. Nach kurzer Zeit waren auch Zero und Chimea auf dem Schiff der Mechs, um ungewollte Energieableitungen zu trennen. Mia und Roo brachen den runden Bereich vorsichtig aus dem Schiff. Cham stand mehr oder weniger ungläubig neben uns, weil sehen konnten die normalen Wesen nichts. Er zweifelte noch immer an unserem Erfolg.
Als es endlich soweit war, dass wir den Kern frei schwebend aus dem Loch schieben konnten, hielt Juliet seine Hand.
"Papa weiss, was er tut. Vertrau ihm."
Es mochte so sein, dass er mir nicht vertraute, oder an die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens glaubte, aber er vertraute Juliet. So schwebte er mit ihr hinter uns her, während Roo und Ru Mar Kso die Gesicherte Kugel aus dem Schiff und in die Frachtluke des Shuttles schoben.
Erst zurück an Bord und auf einer Halterung in einer der leeren Diplomatenzimmer - wir hatten noch über 30 Stück davon - ließ ich ihn das Archiv öffnen. Es dauerte Minuten, bis er Worte fand.
"Es ist noch alles da. Das ist das letzte vollständige Archiv meines Volkes. Danke."
Damit war unsere Mission allerdings auch erstmal unterbrochen. Wir mussten zurück, um diese Einheit zu kopieren.