Das schöne an einer langweiligen Randregion ist, dass selten jemand vorbeikommt. Man kann sich damit beschäftigen, Häuser zu bauen, Felder zu bestellen, einmal in der Woche zur Kirche zu gehen, zweimal ins Vereinshaus, um Bingo zu spielen oder sich am Stammtisch über das Wetter oder die Steuern aufzuregen. Einmal im Jahr kam dann so ein Ding vorbei und verpasste den jungen Mitgliedern der Gemeinde die Kappe der Reife und danach durfte man wieder seinem beschaulichen Leben nachgehen.

Aber irgendwo im Hinterkopf rumorte da so ein Gedanke. Das Leben wirkte doch Falsch? Dieser Mann, der neben einem lag, der war doch nicht deiner. Und warum wurde einem so Warm ums Herz, wenn man der Nachbarin begegnete?

Und dann war da dieser Mann gekommen, der sie an ihrem Stand angelächelt hatte. Wieder kam eine Erinnerung, die sofort zu massiven Kopfschmerzen führte. Der Mann kannte einen Namen, der tief in ihr zu einer Explosion führte. Sie war umgekippt und an einem ganz seltsamen Ort aufgewacht. Da stand ein Wesen, so eines hatte sie noch nie gesehen. Es hatte Haare überall und konnte Krallen an seinen Fingerkuppen ausfahren. Es grinste total schrecklich, aber auch wieder nicht.

"Wie lange ist Julius jetzt schon in ihr?", wollte ein Wesen wissen, dass dem ersten ähnelte.

"Seit zwei Stunden. Keine Angst Alice. Dein Mann ist stabil."

"Und diese Frau?"

"Ariane? Sie ist nach wie vor kritisch. Dieses Ding an ihr ist tief in ihr Gehirn gewebt. Es ist schwer, die Programmierung und Kontrolle von Außen zu brechen. Ohne Parker Luis werde ich keine Chance haben."

Wieder überrollte mich tiefer Schmerz, den ich dann aber bewusst ignorierte. Ich konnte mir das auch leisten, war ja nicht mein Hirn. Aber es wurde nun auch langsam leichter, Adriane aus dem Gefängnis ihres Geistes zu befreien, ohne sich dabei selber zu verlieren. Langsam fädelte ich mit Hilfe der Macht einen weiteren Draht aus dem Bewusstsein meiner alten Freundin. Oh, ich hatte den Bereich befreit, wo sie sich an die Schule erinnerte. Und an mich, der ich neben ihr gesessen hatte.

"Mann lässt niemanden zurück. Wir sind nämlich Parkers", murmelte ihre Lippen.

Mit dem nächsten Faden hatte ich ihren Geist an der Stelle befreit, wo ihre Wahre Liebe unterdrückt wurde.

"Jenniffer", flüsterte sie jetzt.

Ich legte sie danach schlafen und stieg aus ihrem Gehirn aus. Unsicher öffnete ich die Augen und sah die Krankenstation von etwas weiter rechts. Ich wollte mich aufrichten, doch der Doc hielt mich zurück.

"Langsam, junger Mann. Sag mir erst mal, wie viele Finger du siehst."

"Vier. Und ich würde nur zwei sehen, wenn du die Hand umdrehst und ich nur den Handrücken sehen würde."

"Okay, du scherzt schon wieder, dann kannst du dich langsam aufrichten."

Alice und der Doc halfen mir dabei und es war auch gut so. Mir wurde sofort übel. Wie ein schlimmer Fall von Raumkrankheit, der mich immer am Ende von Schwangerschaften befiehl und ich deshalb die Schwerelosigkeit in der Zeit vermied.

"Wie viele Verbindungen sind noch drin?", wollte ich wissen.

Der Doc drehte sich zum Bildschirm um: "Du hast acht von Sechzehn. Ihre Werte sind damit deutlich stabiler."

Ich seufzte. Vorsichtig auf Alice gestützt stand ich auf und ließ mich aus dem Raum führen.

Wir hatten ihr ganzes Dorf bis auf die Kinder in Stase auf dem Schiff. Etwa fünfzig von ihnen lebten in dem kleine Weiler, der aus der besagten Kirche, ein paar Bauernhäusern und einem weltlichen Versammlungsort bestanden. Auf dem Planeten gab es weiter 400 Dörfer jeweils in einer kleinen eigenen Rodung, wo Menschen, aber auch andere Wesen lebten, als wäre noch immer 1476. Diese Zahl stand zumindest über der Tür des Hauses, aus dem ich Ariane hatte gehen sehen.

Die Wälder hielten sie für gefährlich und im Prinzip hatten sie recht. Sie lebten in kleinen Versuchseinheiten und an ihnen wurden von Forschern der Relanern die neusten Hirnkontrolleinheiten getestet. Als wir beim ersten Versucht hatten, die Kappe zu entfernen, war der schreiend und ziemlich Qualvoll gestorben. Die Obduktion hatte dann ergeben, dass sein Hirn von den Fäden darin gegrillt worden war.

Es bedurfte vier Sitzungen mit Cham, damit der die Funktionsweise seines eigenen Interfaces erklärte. Auf der Basis dieses Systems hatten die Forscher auf dem Planeten die Gedankenkontrolle konstruiert. Begeistert war Cham darüber nicht.

Wie hatten wir das alles entdeckt? Wir hatten bei Tusch in seinem Harem eine Frau gefunden, die aus dem Schiff stammte, mit dem meine Freundin Ariane verschwunden war. Sie hatte, bevor ihre Sinne vernebelt wurden, mit angesehen, wie die komplette Staseeinheit ungeöffnet in einen Noahfrachter geladen wurde, die laut dem Kapitän des Schiffes in den Outerrimsektor flogen. Das war eigentlich ein verbotenes Gebiet, weil die Staubbelastungen dort so hoch waren, dass Schiffe dort anschließend aussahen, als hätte einer die Aushülle mit einem Sandstahlgerät bearbeitet. Trotz Quantenblase und Trotz Einstein-Rosen-Brücke.

Es kam zwei Wochen später wieder zu Tusch und sah tatsächlich genau so aus. Damit hatten wir eine Richtung und ein ungefähres Zeitfenster. Der Rest war einfache Fleißarbeit. Nach fünf Planeten, auf denen entweder Bergbaubetriebe waren oder Insekten in dunklen Wäldern leuchteten, hatten wir in der Mitte des Gebietes, das tatsächlich nur drei Flugtage vom Rand des Ratsgebietes entfernt lag, diesen Planeten gefunden, der außergewöhnlich stark und zum glück automatisch verteidigt wurde.

Automatiken konnten nicht dazulernen, wenn sie nach dem ersten Schuss sofort zerstört werden. Ohne Input ist jede KI nur ein C64, hatte mein Großvater gesagt. Ich hatte es nicht verstanden, also nicht genau, aber der Sinn stimmte wohl.

Kurz über dem Planeten flog dann auch noch eine Raumstation herum, die sich auch durch ihre Verteidigung selbst beinahe aus dem Orbit geschossen hätte. Den Rest erledigte unser Microentertrupp. Danach war der Weg frei, uns dort umzusehen.

Nach einem weiteren Tag und tief fliegenden Sonden wussten wir, in welcher der 400 Zellen mit unterschiedlichen Lebensgemeinschaften sich Adriane befand. In weiteren befanden sich zweihundert Personen der Gurdian Angel, die eine Bergbaukolonie betrieben und Kohle aus dem Boden holten, mit der Hand.

Es hätte eine Idylle sein können, wenn das Ganze nicht dazu dienen würde, die Wesen dieses Teil der Galaxie noch besser zu versklaven.