Splitternd gab die Fensterscheibe ihren Widerstand gegen meine Schläge nach.
Endlich! Viel länger hätte ich nicht durchgehalten.
Meine Arme waren schwer und meine Beine zitterten. Kalte Luft presste sich durch die Poren meines Pullovers, sog die letzte Wärme aus meiner Haut und der Schneesturm bombardierte mich mit tausend kleinen Eiskristallen, die sich in meinen Nacken bohrten.
Warum hatte ich nichts Wärmeres an?
Heißer Atem flüchtete aus meinem Mund und ich schloss meine Finger fester um den Holzprügel, der mir als Einbruchshelfer diente. Ich hatte kein Gefühl mehr, aber der dumpfe Druck sagte mir, dass er da war. Unbeholfen stieß ich die Scherben vom Rand des Fensters in den Flur hinein und drückte mich auf den Fenstersims.
Opfer meines Einbruchs war mein eigenes Zuhause. Eine Maisonettewohnung, im dritten und vierten Stock des Gebäudes, direkt unter dem Dach. Der Eingangsflur befand sich an einer Außenwand, bevor eine Treppe hinauf zum Rest meines überschaubaren Domizils führte. Der Flur beheimatete das einzige Seitenfenster der Wohnung – den einzigen Weg hinein. Auf den schrägen Dachfenstern lag nämlich meterhoher Schnee. Ebenso auf dem Boden. So viel, dass selbst der Haupteingang verschüttet war und die Hälfte der ersten Etage.
Ich ließ mich durch das Fenster in den Flur fallen, glücklicherweise ohne mich zu schneiden, und zog mich am Treppengeländer nach oben. Der Boden und die Treppenstufen bestanden aus Ahornholz. Es gab überhaupt viel Holz in meiner Wohnung. Überall waren Schränke und Regale in die Wände und Schrägen eingearbeitet. Gefüllt mit Büchern, Papierstapeln, Rechnungen und Werbung. Eisiger Wind wehte von draußen hinein, erfasste einen der Stapel und verteilte ihn im Flur.
Verdammt! Gegen die Öffnung musste ich etwas tun – wenn ich die nächsten paar Minuten überlebte. Jetzt brauchte erst eine heiße Dusche.
Das Bad war der erste Raum rechts neben der Treppe. Mit dem gewohnten, nervtötenden Quietschen drehte ich Warm- und Kaltwasserhahn auf. Es würde einen Moment dauern, bis der Boiler ansprang und das Wasser die gewünschte Temperatur erreicht hatte.
Dem Schnee war es bereits warm genug. Er schmolz und meine Kleidung sog sich gierig voll. Nach und nach ließ ich die nassen Kleidungsstücke im Badezimmer auf den Boden klatschen und stieg in die Dusche.
Ich war froh, dass das Wasser noch lief und es Strom für den Boiler gab. Bei den Verhältnissen dort draußen hätte auch ein Totalausfall sämtlicher Errungenschaften der modernen Zivilisation mich kaum gewundert.
Wie war es nur so weit gekommen?
*.*
Noch vor drei Stunden hatte ich mich auf einem vorweihnachtlichen Fackelmarsch zur Burgruine befunden, die weit oben über der Stadt lag. Weihnachtsstimmung und der steile Anstieg, da konnte ich nicht nein sagen – etwas körperliches Training schadete nie.
Kurz vor dem Ziel begann es zu schneien. Erst nur wenige Flocken, kein Grund, umzukehren. Dann zog der Wind an und ein Sturm brach los. So stark, dass wir die Aktion abbrachen. Die meisten blieben bei der Ruine, um sich über die Zufahrtsstraße abholen zu lassen, aber ich vertraute nicht sonderlich darauf, dass die noch befahrbar war. Ich machte mich allein auf den Rückweg durch den Wald ins Tal. Im Schatten der Bäume war ich wenigstens geschützt.
Nun, solange bis die Äste unter dem Gewicht von Schnee und Wind nachgaben und ich beinahe unter einer Lawine begraben wurde. Danach war ich vorsichtiger.
Die Schatten der Bäume tanzten im Licht meiner Fackel, die inzwischen schon fast heruntergebrannt war. Ein Schneehörnchen huschte an mir vorbei und hielt kurz inne, um mich neugierig anzublicken. Ich war verwundert. Eichhörnchen waren in der Gegend sehr verbreitet und auch nicht scheu. Die würden den Touristen sogar die Haare von den Köpfen fressen, wenn sie keine Nüsse mehr verteilten. Aber ein Schneehörnchen hatte ich hier noch nie gesehen.
Die nächste Lawine schreckte es auf und es verschwand in der Dunkelheit.
Eigentlich war es ein verdammt milder Winter gewesen. An manchen Tagen zweistellige Plusgrade und von einem Wetterumschwung keine Rede. Meteorologie war wohl nicht die genauste Wissenschaft – wenn sie sich überhaupt Wissenschaft schimpfen konnte.
Am Waldrand angekommen, erlosch die Fackel und meine ausgekühlte Hand fand den Weg in die wärmere Hosentasche. Schneefall und vom Wind aufgewirbelte Flocken waren nun so dicht, dass ich nur wenige Meter weit sehen konnte. Die angrenzende Straße war bereits komplett in Weiß gehüllt und nur das schwach erkennbare Licht der nächsten Laterne verriet ihre Existenz.
Bis zu meiner Wohnung waren es von hier aus vielleicht fünfhundert Meter. Der Wind war eisig und verwehte den Schnee mitunter so hoch, dass ich von den geparkten Autos nur noch die Dächer ausmachen konnte. Wenigstens wurden so andere Stellen frei, an denen ich halbwegs gut vorankam.
Das galt leider nur für den Weg bis zum Haus.
Ich starrte fassungslos auf den oberen geschwungenen Stützbalken der Vordertür, der wie die Spitze eines Eisbergs aus dem Schnee ragte. Die Tür würde ich nicht aufbekommen, selbst wenn ich das Schlüsselloch unter dem Schnee fand. Meine Finger waren jetzt schon zu taub, um den Schlüssel überhaupt richtig zu halten.
Also probierte ich es auf der Rückseite.
Dort war die Lage ähnlich. Die Verwehungen bildeten einen Hang bis zu den Balkonen im ersten Stock.
Ich nahm Anlauf, stapfte in den Schneehaufen hinein, und versank dabei bis zu den Knien. Doch irgendwie erwischte ich eine Sprosse der Feuerleiter. Über die schaffte ich es auf den ersten Balkon.
Ich klopfte ans Fenster, hatte aber wenig Hoffnung, reingelassen zu werden – es brannte kein Licht im Inneren der Wohnung. Musste ich etwa einbrechen? Kein schöner Gedanke. Egal, was ich kaputtmachte, billig würde es sicher nicht werden. Keine Ahnung, ob die Versicherung dafür aufkam. Wenigstens konnte keiner bestreiten, dass es sich um einen Notfall handelte.
Auf diesem Balkon fand sich nichts, was sich für einen Einbruch eignete. Auf dem Zweiten hatte ich mehr Glück. Die Nachbarn renovierten und nutzten ihn als Abstellkammer für Werkzeuge und Baumaterial. Ich nahm mir ein großes Stück Holz und kletterte zu meinem Balkon hinauf. Ich musste die Arme dabei um die Sprossen schlingen, meine Hände hatten nicht mehr die Kraft, mich richtig zu halten. Ein Wunder, dass ich es am Ende bis in die Wohnung geschafft hatte.
.*.
Und da war ich nun.
Mein Körper gewöhnte sich an das lauwarme Wasser und ich erhöhte die Temperatur. Ich stand einfach nur da und ließ mich berieseln, bis das Gefühl schließlich in meinen Körper zurückkehrte.
In Gedanken ging ich eine Liste meiner Kleidungsstücke durch und fragte mich, ob sich irgendwas davon für dieses Wetter eignete. Irgendwann musste ich die Wohnung ja wohl oder übel wieder verlassen. Oder nicht? Mein Ravioli-Vorrat würde noch ein paar Tage halten.
Ich stellte das Wasser ab, zog ein Handtuch herab, das über der Duschtür hing, und rubbelte meine Haare ab.
Tock!
Ich hielt inne und lauschte.
Tock tock!
Das kam von unten, aus dem Eingangsbereich.
Ich schlang das Handtuch um meine Hüfte und schlüpfte in meine Hausschuhe.
Tock!
Auf der Treppe griff ich mir aus einem Wandschrank ein Beil, das dort seit dem Ende meiner Pfadfinderzeit verstaubte. Vielleicht hatte ich einen oder zwei Horrorfilme zu viel gesehen, aber man konnte ja nicht wissen, was einen nach so einem unnatürlichen Schneesturm noch erwartete.
Tock tock.
Es war die Wohnungstür. Ich schlich heran und spähte durch den Türspion.