Fenster sind des Einbrechers Freund. So viel hatte ich seit letzter Nacht gelernt.
Die Fenster auf den Geschäftsetagen waren vergittert, die Besitzer des Fitnessstudios hingegen machten sich scheinbar weniger Sorgen um unerwünschte Besucher. Kein Hindernis für Sergejs Eisenstange. Wir stiegen ein, bewaffneten uns im Inneren mit Feueraxt und Feuerlöscher und verließen das Fitnessstudio durch einen Notausgang ins Treppenhaus.
"Wenn ich mal wieder den Schlüssel zu meiner Wohnung vergesse, rufe ich einfach dich", scherzte ich, während Sergej mit der Axt auf die Tür zum Hauptbereich der Geschäftsetagen einschlug. Griff und Schloss splitterten und nach einem Tritt schwang die Tür auf.
Mit einem nervtötenden Heulen startete die Alarmanlage und wir zuckten kollektiv zusammen.
"Mist", fluchte Sergej.
"Keine Sorgen", beruhigte ich ihn und mich. "Die Polizei wird schon nicht anrücken, bei all dem Schnee."
"Das Geräusch ist trotzdem unerträglich."
Wenn ich ehrlich war, widerstrebte es mir etwas, die Läden auszurauben. Im Moment mochte zwar ein Ausnahmezustand gelten, irgendwann würde der aber wieder vorbei sein. Und die Gesetze waren ja trotzdem nicht aufgehoben. Ich konnte nur hoffen, dass es keine Kameras gab. Das fiel mir jetzt vielleicht etwas spät ein, aber ich zog die Kapuze meiner Winterjacke über und betete, dass das ausreichte, um mein Gesicht gegen das fahle Licht abzuschirmen, das durch die Seitenfenster in die Hallen des Einkaufscenters fiel.
"Wohin müssen wir?", fragte die Ärztin.
Ich kaufte hier gelegentlich ein und rief mir den Aufbau in Erinnerung. Im Untergeschoss gab es einen kleinen Supermarkt, das Sportgeschäft erstreckte sich auf der einen Seite über drei Etagen. Ein Buchladen nahm einen Großteil der restlichen dritten Etage ein. Ein Friseur, ein Handyladen, mehrere Bäcker und Cafés sowie ein Tabakladen waren dazwischen verteilt. Und Klamottenläden. Natürlich in der gewohnten Verteilung Damen zu Herren von 100 zu 1. Die Geschäfte waren an den Außenwänden angesiedelt, in der Mitte befanden sich Rolltreppen und Sitzbereiche, die zu den Bäckereien und Cafés gehörten.
"Ich würde sagen, wir besuchen erst das Sportgeschäft und, weil mein Magen knurrt, danach den Supermarkt." Die letzte Portion Ravioli war nun schon eine Weile her und fast so schlimm, wie zu erfrieren, war, zu verhungern. Zwischendurch wäre auch ein Besuch auf der Toilette angesagt, wenn wir schon einen Abstecher in die Zivilisation machten. Den kündigte ich aber nicht groß an.
Sergej zuckte mit den Schultern, die Ärztin sah leicht genervt aus, weil wir sie immer noch nicht auf dem Weg zum Zylinder war, aber das war mir egal und ich ging voran.
Mit einer unglaublichen Routine schlug Sergej das Schaufenster des Sportladens ein und löste direkt die nächste Alarmanlage aus.
Die Ärztin hielt sich die Ohren zu und versuchte, den Lärm zu übertönen. "Gott, mach so weiter und ich bin bald taub."
"Schau mal dort, Sergej." Ich zeigte auf der Innenseite über die Tür. Auch er entdeckte den kleinen Lautsprecher und ließ ihn mit einem weiteren Hieb verstummen. Jetzt verfolgte uns nur noch das gedämpfte Jaulen aus dem Eingangsbereich.
Mit der Taschenlampenfunktion unserer Smartphones arbeiteten wir uns durch den Laden. Nach und nach suchten wir uns alles zusammen, was uns nützlich erschien. Ein großer Rucksack. Seile, Kletterhaken, Gürtel und Karabiner. Schneeanzüge. So konnte ich meine hässliche Schneehose endlich austauschen. Die würde ich draußen, voller Genugtuung, in einem Mülleimer verschwinden lassen. Eine Schneebrille mit verstellbarem Lichtfilter packte ich auch ein. Durch meine Arbeit im Büro waren meine Augen lichtempfindlich geworden. Strahlender Sonnenschein und reflektierender Schnee? Eine tödliche Kombination!
"Wenn wir nur ein Schneemobil finden könnten", murmelte ich.
Sergej nickte zustimmend. Da wir aber kein Ort für Wintersport waren und nicht mal in der Nähe eines Skigebiets lagen, mussten wir uns mit Schneeschuhen begnügen.
Das Highlight des Ladens war die Abteilung für Sportwaffen. Das einzige Gewehr, das ich jemals in der Hand gehalten hatte, war auf einem Jahrmarkt gewesen. Bei Bögen hatte ich etwas mehr Übung. Neben Knoten, Feuertechniken und dem Klettern war das eine der nützlicheren Sachen, die ich aus der Pfadfinderzeit mitgenommen hatte. Das Ding auch im Kampf einzusetzen, war aber etwas ganz anderes.
Ich schüttelte bedächtig den Kopf. "Ich glaub kaum, dass wir hier etwas finden, mit dem wir gegen die Monster ankommen."
Zur Antwort hielt Sergej grimmig einen Wurfspeer in die Höhe. Davon schnallte er drei an seinen Rucksack. Er hatte zumindest noch die Feueraxt. Die Ärztin nahm sich eins der Sportgewehre und Munition. Ob sie mehr Ahnung davon hatte als ich? Ich packte ein Messer ein und nahm mir einen Bogen samt Köcher mit Pfeilen. Es gab noch Pistolen mit unterschiedlichem Einsatzzweck. Alle auch nicht übermäßig gefährlich, wie es aussah. Wie auch, bei unseren restriktiven Waffengesetzen?
Eine Signalpistole konnte vielleicht zur Ablenkung dienen. Wurde samt Munition eingepackt. Ein Fernglas? Auch nützlich. Und schon musste ich mich stoppen, um nicht noch mehr mitzunehmen.
Dann verließen wir das Sportgeschäft. Ich ließ den anderen den Vortritt und legte heimlich das wenige Bargeld, das ich bei mir trug, neben die Kasse. So war mein schlechtes Gewissen vorerst beruhigt. Wenn das alles vorbei war, würde ich die Sache richtig klären.
Ein kurzer Abstecher zur Toilette, anschließend in den Supermarkt. Ein nahrhaftes Frühstück aus Keksen und haltbarer Milch, direkt aus der praktischen Kartonverpackung. Kekse und Wasser packten wir als Verpflegung ein. Inzwischen war mein Rucksack schon ziemlich voll.
Aus dem Buchladen plünderten wir eine Karte der Stadt, um die Umwege zum Krankenhaus und zum Zylinder zu planen, und mögliche Ausweichstrecken, falls etwas passierte. In Anbetracht des Schnees war es nicht sicher, wie viel das helfen würde, aber so hatten wir zumindest einen Plan und den Hauch einer Chance, lebend anzukommen.
Am Ende ging es zurück aufs Dach und ich setzte Wollmütze und die Skibrille auf.
Wir traten an den Rand des Dachs, auf deren Seite vorher das Rudel gelagert hatte. Nur noch einige rote Flecken zeugten davon, dass sie einmal da gewesen sein mussten. Ich warf einen Seitenblick zu Sergej, der stumm hinabblickte. Was ging bei diesem Anblick in ihm vor? Wollte ich es wissen?
"Mist", murmelte ich und sah wieder nach unten. Wo waren sie hin? Ich hob das Fernglas an die Augen und suchte die Umgebung ab und entdeckte sie weiter hinten.
"Wir haben Glück. So weit man das in unserer Situation sagen kann. Die Wölfe haben sich weit genug von unserem Weg zum Krankenhaus entfernt. Wir müssen also keinen großen Umweg gehen."
"Hoffen wir, dass das so bleibt", sagte die Ärztin.
Auf der anderen Seite, in Richtung des Zylinders schien der Weg auch frei. Also stiegen wir über die Feuerleiter nach unten. Hier würden sich unsere Wege erst einmal trennen.
"Viel Glück", sagte ich an die Ärztin gewandt.
"Euch auch."
Dann machten wir uns in Richtung unserer Ziele auf. Sergej und ich zum Krankenhaus, sie zum Zylinder.
. * .
"Mist, verdammter Mist!"
Ich fluchte innerlich und äußerlich bei jedem Schritt. Wir waren nur auf dem Boden unterwegs und ich fragte mich, warum ich das ganze Kletterzeug mitgenommen hatte.
"Was ist denn?"
"Ich bin nicht davon ausgegangen, dass wir so einfach wieder von dem Dach wegkommen, sondern uns abenteuerlich von Dach zu Dach hangeln müssen. Über gespannte Seile, gähnende Leere unter uns oder Monster, die nur darauf warten, dass wir abstürzen."
Sergej lachte trocken. Galgenhumor half manchmal.
"Aber worüber beklage ich mich eigentlich? Besser hätte es nicht laufen können."
Auf den Dächern knisterten Eis und Schnee. Der Himmel war immer noch klar und es gab keinen Schutz vor der Sonne. Unter dem Schneeanzug wurde mir warm. Das war auf alle Fälle besser als die Kälte.
Unsere Reise lief gut. Dennoch konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass wir beobachtet wurden. Doch jedes Mal, wenn ich mich umdrehte, sah ich nur Schnee oder die leeren Fenster der Häuser. Die Menschen schienen sich an die Weisung zu halten, dass sie im Inneren bleiben sollten. Sie hielten sich so gut daran, dass sie sich nicht einmal an die Fenster trauten. Das war noch unheimlicher, als der Gedanke verfolgt zu werden.
Am Ende erreichten wir das Krankenhaus, ohne gefressen, von Lawinen begraben oder entführt zu werden. Davon ließ sich mein Körper nicht trösten und schmerzte jetzt noch mehr.
"Hmm?", wunderte sich Sergej, als er vor der automatischen Tür stand. Sie öffnete sich nicht. Auch der Pförtner saß nicht mehr im Empfangsraum.
Klasse. Die nächste Scheibe, die wir zertrümmern mussten. Warum hatte ich eigentlich mit keinem der Leute im Inneren die Nummer ausgetauscht?