Ich trennte meine Verbindung zu den Schiffssystemen und ließ die Augen geschlossen, bis die Bilder verschwunden waren. Dann drehte ich mich um, ließ mich an der Wand in eine sitzende Position rutschen und wischte mir die Stirn mit meinem Ärmel ab.
Die beiden Kinder standen mir gegenüber. Klara mit einem erwartungsvollen Blick, als ob ich ihr gleich mein Geheimnis verraten würde, wie man den Hunger der Welt stillen könnte. Moritz schaute gedankenverloren durch mich durch.
Als sie merkte, dass ich keine Antwort auf die Probleme der Welt hatte, erklärte sie mit flüsternder Stimme: "Daniel? Fipsi meint, wir müssen uns vor dem Kerl echt in acht nehmen."
"Wer ist denn Fipsi?", fragte ich erschöpft.
Sie zeigte mit dem Daumen auf das Schneehörnchen auf ihrer Schulter. Das putzte sich gerade die Schnauze mit seinen Vorderpfoten und drehte sich dabei zu Klaras Kopf. Mit etwas Fantasie sah es so aus, als flüsterte es etwas in ihr Ohr.
"Hat Fipsi auch einen Plan, wie wir die anderen befreien sollen?"
"Ne, aber ich." Sie reckte stolz das Kinn. "Wir fragen einfach meinen Opa und der fragt die Soldaten."
Das hörte sich ganz einfach an. Aber scheinbar hatte ich einen wichtigsten Teil ihres Plans verpasst. Nämlich die Stelle, an der wir ihren Opa gefunden hatten. War meine Verwirrtheit der erste Schritt in die Welt, in der sich Moritz scheinbar schon befand?
"Du weißt, wo dein Opa ist?"
"Ja, bei den Soldaten."
"Und woher genau weißt du das?"
"Na ist doch klar, Fipsi hat es mir gesagt", erklärte sie in einem Tonfall, in dem nur kleine Kinder Offensichtliches erklären können. Hatte das Mädchen nach all dem Durchlebten jetzt den Verstand verloren? Oder war das ein Spiel, mit imaginären Freunden und Teepartys?
"Sie kann mit Tieren sprechen", kam es teilnahmslos von Moritz, der sich wieder einen der Apparate geschnappt hatte und ihn untersuchte.
Natürlich konnte sie das. Ich stöhnte innerlich. Aber wenn ich ehrlich war, fiel mir in diesem Augenblick kein Schlachtplan ein. Dazu musste ich den Kopf erst noch etwas abkühlen lassen. Solange konnte ich mir auch anhören, was Klara zu sagen hatte. Immerhin saß ich gerade in einem Raumschiff und hatte einen Zauberhandschuh. Wie abwegig waren da kleine Mädchen, die mit knuffigen Tierchen sprachen?
"Gut, wie sieht dein Plan aus?"
"Na, wir schleichen uns zum Camp und schicken Fipsi hinein, mit einer Nachricht. Dann kommt mein Opa raus und wir reden mit ihm."
"Dein Opa kann auch mit Tieren sprechen?"
Lag das in den Genen? Er konnte mit Tieren kommunizieren, aber mit mir sprach er kein einziges Wort, wenigstens nicht in einer Sprache, die ich auch verstand?
"Quatsch, wir schicken ihm natürlich eine Nachricht auf einem Zettel."
Ja. Warum war ich da auch nicht selber drauf gekommen?
"Aber du kannst mit deinem Opa sprechen, oder? Weil, ich versteh ihn nicht wirklich."
"Klar kann ich das. Du fragst aber komische Sachen."
In den Augen eines Kindes war wahrscheinlich das meiste, was wir Erwachsenen machten, komisch. Vielleicht ging es ja wirklich so einfach. Wir marschierten hin, keine Wölfe fraßen uns und keine Eiszombies rissen uns in Stücke. Easy.
Ein hochfrequentes Surren riss mich aus meinen pessimistischen Gedanken.
"Moritz!", schimpfte ich.
Das Surren kam vom Apparat in seinen Händen, den er lächelnd aus nächster Nähe betrachtete. Er drückte einen Knopf und der Ton verstummte. Der Apparat hatte einen Gurt und der Junge hängte sich ihn um.
"Was ist das? Eine Waffe?"
Entfernt erinnerte es an ein kurzes einläufiges Gewehr, vielleicht so lang wie eine abgesägte Schrotflinte, war aber massiger. Das Grundmaterial war weiß, bedeckt von glänzenden und unregelmäßig blinkenden grünen Verkleidungsstücken und Anzeigen. An dem einen Ende hatte es eine Öffnung, verdeckt von einem grob gerasterten Gitter. Am anderen einen Griff, vielleicht auch einen Abzug.
"Keine Ahnung, ich hatte nur das Gefühl, dass ich es mitnehmen sollte."
Ich hatte heute echt das Glückslos gezogen. Ein Mädchen, das alles besser wusste und ein Junge, der nicht wusste, wer er war und warum er tat, was er tat.
"Hast du auch einen Tipp für mich, was ich davon mitnehmen könnte?"
"Du brauchst doch nichts, du bist der Handschuh."
Ich seufzte. Ich war also der Handschuh. So sehr verbunden fühlte ich mich mit ihm eigentlich noch nicht. Solange ich die Verteidigungssysteme des Schiffes damit nicht fernsteuern konnte, was sollte er mir da groß nutzen, wenn wir erstmal das Schiff verlassen hatten? Zumal ich die Systeme noch nicht einmal von hier drinnen richtig bedienen konnte.
Ich nahm mir eins der Betäubungsgewehre. Wenn man den Eiszombie schon nicht verletzen konnte, vielleicht konnte man ihn wenigstens damit außer Gefecht setzen.
Anschließend kletterte ich in meinen Schneeanzug und wir wanderten durch das Raumschiff bis zur Luke. Der Schnee reflektierte das grelle Licht der Sonne und ich passte meine Schneebrille auf ein angenehmes Halbdunkel an.
Wir hüpften hinaus und mit einer Berührung des Handschuhs schloss sich die Tür.
Klara und Max waren schon ein paar Schritte voraus und folgten dem Schneehörnchen. Erst jetzt fielen mir die Schneeanzüge auf, die die Kinder trugen. Eng anliegende weiße Anzüge mit grünen Akzenten. Ganz im Stil des Raumschiffes. Wo kamen die denn her? Musste ich mich darüber wundern? Ich schloss mit ein paar großen Schritten wieder zu ihnen auf.
Nach einer Weile kam die Stelle in Sicht, an der vor ein paar Minuten der Kampf stattgefunden hatte. Daneben lagen die Wölfe, die Sergej und Dr. Pfaff betäubt hatten.
"Am besten machen wir einen Bogen um sie herum und gehen schnell vorbei", entschied ich.
Auf halber Strecke um Schlachtfeld und Wölfe herum, erklang ein Stöhnen, das aus der Richtung des zurückgelassenen Fahrzeugs kam. Hoffentlich nicht noch mehr Zombies ...
"Wir müssen nachsehen und helfen!" Klara und Schneehörnchen blickte mich eindringlich an. Nach einem Moment des Zögerns zog sie die Augenbrauen nach oben. "Daniel, bitte!"
Auch wenn mein Verstand dagegen war, wie konnte ich dem kleinen Mädchen diesen Wunsch ausschlagen. Außerdem hatten wir wohl jedes Quäntchen gutes Karma nötig, nach all dem, was auf dem Weg hierher schon geschehen war.
"Pssst!" Ich legte den Finger auf meine Lippen und bedeutete den beiden, besonders vorsichtig zu sein, als wir durch die Körper der bewusstlosen Wölfe schlichen. Die schweren Brustkörbe der Ungetüme hoben und senkten sich. Dass sie so friedlich sein konnten? Eines von ihnen schnaubte im Schlaf und drehte sich. Ich zuckte zusammen und hielt den Atem an. Dann fiel es wieder zurück in den beruhigenden Rhythmus von Einatmen und Ausatmen. Auch ich traute mich, wieder auszuatmen.
"Du brauchst keine Angst haben", flüsterte Klara. "Fipsi sagt, sie schlafen tief und fest."
Na, wenn Fipsi sich keine Sorgen machte, war ich aber beruhigt. Ich nickte Klara zu und ging die letzten Schritte bis zum Fahrzeug. Es lag jetzt vor uns, der Hilferufer aber auf der anderen Seite. Weiter bis zur Vorderseite, wo ich kurz um die Ecke lugte. Es war einer der Soldaten.
"Hallo", flüsterte ich aus hockender Position neben der Motorhaube, die immer noch Wärme ausstrahlte und beim Abkühlen immer wieder knackte. Ich wollte nicht in seiner Schusslinie stehen, falls er einen Schreck bekam.
"Oh, jetzt höre ich schon Stimmen", murmelte der Soldat. "Was für ein beschissener Tag."
"Er könnte auch besser werden", fuhr ich fort. "Brauchen sie Hilfe? Wir sind echte Menschen und kommen jetzt um die Ecke, falls Sie nicht schießen."
"Keine Sorge, ich glaube, meine Arme sind zertrümmert, ich schieße erstmal auf keinen mehr."
Ich wagte mich um die Ecke auf die Beifahrerseite des Fahrzeugs, die Kinder folgten mir vorsichtig. Der Soldat saß mit dem Rücken an das Fahrzeug gelehnt, mit hängenden Schultern und sah uns erstaunt an. Das Erstaunen wandelte sich in Unglauben, als er das Schneehörnchen auf Klaras Schulter sah.
"Ich glaub, ich halluziniere."
Zur Antwort grinste das Schneehörnchen nur schief und ich stimmte dem Soldaten zu.
"Können Sie sich bewegen?", fragte ich den Soldaten und ging zu ihm herunter in die Hocke.
"Ich hab versucht, mich hochzudrücken, kann meine Arme aber nicht belasten, bei den Beinen ist es auch nicht besser. Oh, ich bin so froh, nochmal einen Menschen zu sehen. Wir sind eigentlich als Bergungstrupp geschickt worden und dann das? Was war das?"
Schweiß stand dem Soldaten auf der Stirn und sein Blick war verklärt. Stand er unter Schock? Vor dem nächsten Weltuntergang gab es wohl so einige Themen, über die ich mich informieren musste.
"Wir sind auf dem Weg zu eurem Stützpunkt. Sollen wir jemanden zur Hilfe schicken oder versuchen, Sie irgendwie dorthin zu bringen?"
Er sah mich an und schielte dann zu Moritz und Klara, ohne seinen Kopf zu bewegen. "Besser nicht. Ich hab keine Ahnung, was alles kaputt ist. Ihr habt keine Trage, und wenn, wie willst du mich mit den Kindern tragen? Bis zum Camp?" Er schnaufte schwer und schloss die Augen. Ich hatte schon Angst, dass ihn diese Worte sein Leben gekostet hatten, bevor er weitersprach. "Aber ihr könnt den Stützpunkt anfunken. Funkgerät ist vorne im Fahrzeug. Und ich bete, dass sich ein Rettungstrupp hierhertraut."
Ich blickte durch die türlose Öffnung, die in der Seite des Fahrzeugs klaffte und entdeckte das Funkgerät.
"Ja, seh ich."
Ich erhob mich aus der Hocke und stütze mich in der Türöffnung ab, um in das Fahrzeug zu klettern.
Da traf mich ein mentaler Schlag. Ich wurde von einer Flut an Informationen über das Fahrzeug und seiner Funktion überschwemmt. Ich hatte mich schon so sehr an den Handschuh gewöhnt, dass ich ihn nicht ausgezogen hatte. Ein Glücksfall, sonst wäre mir entgangen, dass ich ihn nicht nur in Kombination mit dem Raumschiff einsetzen konnte.
Seine Funktion schien sich nicht nur auf Elektronik zu beschränken. Worauf noch alles? Maschinen im Allgemeinen, Metall oder leitfähige Elemente? Ich hatte noch so viel zu lernen. Ich probierte, ob ich auch etwas steuern konnte und spürte, wie sich das Lenkrad auf einen Gedanken hin leicht bewegte. Vielleicht musste ich ja nicht einmal in das Fahrzeug einsteigen, um das Camp anzufunken. Ich versuchte, den Funk mit meinen Gedanken zu kontrollieren. Das Gerät sendete. Allerdings schickte ich nur Rauschen hinaus, ich würde schon selbst hineinsprechen müssen. Ich kletterte hinein, ließ mich in den Sitz fallen und bediente das Funkgerät eben auf altmodische Weise.
"Hallo?"
"Raus aus unserer Frequenz, Zivilist!"
Klar, die hatten bestimmt irgendwelche Codes, um sich zu begrüßen, und keiner davon lautete 'Hallo'. Leider lag es nicht in meiner Macht, den Funker im Camp zu unterbrechen. Erst nach einer Belehrung, die eine halbe Ewigkeit dauerte, konnte ich ihn davon überzeugen, dass die Lage ernst war. Zumindest für seinen Kameraden. Sie würden ein Team vorbeischicken, um ihn zu bergen und uns aus dem Gefahrengebiet zu bringen.
Also warteten wir. Klara hüpfte während der Wartezeit unruhig herum, der Soldat stöhnte in regelmäßigen Abständen und Moritz tat nichts. Klara würde ihren Opa treffen. Ob es für ihn auch noch ein glückliches Ende gab? Vom Camp aus war es sicher möglich, seine Eltern zu kontaktieren.
Der Rettungstrupp kam und holte uns ab. Der Großteil der Strecke war gezeichnet von Kampfspuren, die nach einer Weile verschwanden. Entweder hatten die Soldaten den Eiszombie zur Strecke gebracht oder er hatte das Interesse am Kampf verloren. Unterwegs konnten wir dem Trupp klar machen, wer Klara war. Es gab tatsächlich einen Professor Kudyan im Camp, Teil des Forscherteams, das zum Zylinder geschickt wurde. War das wirklich ihr Opa?
Schließlich erreichten wir das Militärcamp. Zelte, Schneefahrzeuge und Soldaten, die zielstrebig umhereilten. Wir wurden von zwei Soldaten zu einem der größeren Zelte eskortiert. Darin befand sich, unter einer Gruppe Zivilisten und Militärs, mein Nachbar, Klaras Opa.
"Hallo Klara, ich hätte mir denken können, dass du es nicht in der Wohnung aushältst."