Geschrieben: 17:55 - 18:17 Uhr
Warnung: Keine Angst, am Ende wird alles gut, versprochen!
»Mama? Mama, wo bist du denn?«
Noch immer konnte Isabella ihre kleine Noemi hören, wie sie nach ihr rief. Gemeinsam waren sie an einem goldenen Herbsttag spazieren gegangen, um Kastanien im Wald zu sammeln.
Hand in Hand waren sie die Waldwege entlang gestapft und hatten Ausschau nach den leuchtend grünen Kapseln gehalten, welche die Kastanien enthielten. Und natürlich auch nach den schon daraus befreiten braunen Kugeln.
Sie waren so fokussiert gewesen, die Früchte einzusammeln und damit zu basteln, dass sie nicht auf den Weg geachtet hatten.
Und jetzt waren sie hier, irgendwo unterhalb der alten Brücke, die mit ihnen beiden zusammen gesackt und in die Tiefe gefallen war.
Isabella konnte sich nicht bewegen, aber rufen.
Immer wieder rief sie laut um Hilfe und nach der vierjährigen Noemi, aber diese antwortete nicht.
Panik machte sich in Isabella breit. Sie versuchte sich aus ihrer eingeklemmten Position zu befreien, aber es half alles nichts.
Ihre Sicht verschwamm immer wieder und allmählich ebbte das Adrenalin ab und sie spürte ihre Verletzungen.
Ihr Handy lag außerhalb ihrer Reichweite im Bach.
Sie hoffte nur, dass jemand kommen würde.
Das war ihr letzter Gedanke, bevor alles um sie herum schwarz wurde.
*~*~*~*~*
Ein nerviger, aber regelmäßiger Piepton war das Erste, was Isabella wieder wahrnahm. Dicht gefolgt von lautem Rascheln und dumpfen Worten.
Sie verzog ihr Gesicht und öffnete langsam ihre Augen.
Sie war nicht mehr allein. Drei oder vier Gesichter sahen sie an, Isabella war sich nicht ganz sicher.
»Ganz ruhig, Miss. Wir sind da um zu helfen. Ich gebe ihnen was gegen die Schmerzen und dann können wir sie endlich befreien«, sagte der Mann zu ihrer Rechten.
Isabella wollte nicken, aber ein Stiff-Neck verhinderte das.
»Noemi … wo ist … Noemi?«, fragte sie und versuchte sich umzusehen, wurde aber daran gehindert.
Eine warme Hand legte sich um ihre kalte und drückte sie fest.
»Ihrer Tochter geht es gut. Als sie ihr nicht geantwortet haben, ist sie den ganzen Weg zurück gelaufen, bis sie jemanden getroffen hat. Sie hat um Hilfe gebeten. Bis auf ein paar Schrammen geht es ihr gut.«, sagte eine Frau zu ihr. »Noemi wartet oben am Weg auf sie.«
Während die Frau sprach, spürte Isabella einen Stich in ihrem Unterarm und dann sank sie in sich zusammen, alle Anspannung aus ihrem Körper weichend.
Ihr Blick war so gut es ging zum Rand des Abhangs über ihnen gerichtet, während sie die Rettungskräfte machen ließ. Die Medikamente dämpften den Schmerz und ihre Reaktionen so sehr, dass sie nichts richtig wahr nahm.
Als man sie jedoch hinauf auf den Weg getragen hatte, hörte sie zum zweiten Mal in ihrem Leben das schönste Geräusch der Welt. Das Greinen ihrer Tochter.
»Vorsichtig«, mahnte eine Stimme das kleine Mädchen, aber Noemi ignorierte sie und legte sich vorsichtig neben ihre Mama auf die Trage. Ihr Gesicht vergrub sich an der Schulter ihrer Mutter.
»Mama, Mama … da bist du ja«, schluchzte die kleine Maus.
Isabella lächelte und legte mit Hilfe des Notarztes ihren Arm um ihre Tochter.
»Wir bringen sie ins Krankenhaus. Da werden sie beide noch einmal gründlich durchgecheckt und dann schauen wir weiter«, sagte dieser und Isabella brummte ihre Zustimmung heraus. Ihre ganze verbliebene Konzentration ruhte auf ihrer Tochter. Dieser kleine Mensch war wichtiger als alles andere auf der Welt.
Noemi schniefte und hielt ihrer Mama ihre kleine Faust hin.
»Schau mal … eine hab ich noch«, sagte sie verweint.
Isabella konnte nicht anders. Trotz allem musste sie lachen.
Mit ihrer kleinen Faust umklammerte Noemi eine Kastanie.