Geschrieben: 18:00 - 18:20 Uhr zur Mondscheinsonate, weil YouTube das als meditative Musik empfindet
Danika saß seufzend an ihrem Tisch. Vor ihr das Schneidbrett, in der Hand ihr altes, treues Schneidemesser. Geübt schnitt sie Paprika in Streifen. Rote, grüne, gelbe und orangefarbene Schoten lagen auf dem Tisch und warteten darauf zerkleinert zu werden.
Das Messer klackerte rhythmisch gegen das Brett und eine rote Paprika lag kaum eine Minute später entkernt und in gleichmäßige Streifen geschnitten auf dem Brett. Weitere Schoten folgten, bevor Danika keinen Platz mehr hatte und die Streifen in den großen Topf warf, der auf dem Herd stand.
Ihr Blick flackerte durch den Raum. Der Stapel an Paprika wollte und wollte nicht kleiner werden, egal wie viele Schoten sie schnitt. Nur zu gerne hätte sie ihre Vorfahren verflucht, aber genau das war der Punkt.
Eine ihrer Großtanten war eifersüchtig auf ihre Großmutter gewesen und hatte sie mit einem Fluch belegt. Und wenn eines wirklich hartnäckig war, dann war das ein Fluch der Zigeuner.
Welche Form der Fluch annahm, hing von der betroffenen Person ab. Ihre Großmutter war weitestgehend unberührt davon geblieben, hatte sich der Wirkung des Fluches nur hin und wieder unterwerfen müssen. Sie hatte zwanghaft Knoblauchzehen gesammelt. Ein Teil der Sammlung hing immer noch über den Fenstern und Türen, um das Haus vor Vampiren zu schützen.
Danika hielt das für Humbug, aber ihre Mutter glaubte an diesen Hokus Pokus und so lange sie lebte, würden die Knoblauchzehen an ihrem Platz bleiben.
Danikas Mutter kratzte sich zwanghaft am Kopf und ein, zwei Mal im Monat rannte sie nackt durchs Dorf. Zu Beginn hatten die Dorfbewohner sich noch aufgeregt. Inzwischen waren sie daran gewöhnt. Seit bald sechzig Jahren sahen sie dabei zu, wie Agnetas Körper sich veränderte. Ihre Titten hingen von Jahr zu Jahr tiefer, der Hagelschlag an den Oberschenkeln schlimmer wurde und das Haar zwischen ihren Schenkeln genauso grau war, wie das am Kopf.
Die junge Zigeunerin schätzte sich glücklich. Ihr Fluch zwang sie dazu jedes Wochenende Unmengen an Paprika zu schneiden und Zigeunersauce zu kochen. Zum Glück hatte sie mit der örtlichen Frittenbude und dem Restaurant einen Ort weiter Abnehmer für ihr Produkt.
Soviel, wie sie davon kochte, konnte sie es auch in Gläser abfüllen und im Internet verkaufen. Ihre Mutter half bei der Abfüllung und Etikettierung, wenn sie nicht gerade durchs Dorf sprintete.
Nachdem Danika den vierten 20 Liter Kessel mit Paprikastreifen, gewürfelten und geschälten Tomaten und Zwiebelringen gefüllt hatte, feuerte sie den Ofen an. Sie goss Wasser in jeden der Töpfe und ließ sie langsam vor sich hinköcheln. Nach und nach würzte sie die Sauce, ließ sie einreduzieren.
All diese Handlungen liefen automatisch ab und Danika machte sich keine Gedanken darum. Ihr Blick ruhte auf dem Tisch und der bunten Gemüsemischung. Ob sie am Wochenende jemals in ihrem Leben etwas anderes als Zigeunersauce kochen würde?
Sie wollte es ausprobieren. In der Küche gab es neben dem altmodischen Holzofen auf dem die Sauce munter vor sich hinblubberte, ein Induktionskochfeld, welches ihre Mutter vor einiger Zeit angeschafft hatte.
Routiniert würfelte und schnitt Danika Möhren, Paprika, Tomaten, Zwiebeln und Knoblauch, begann dann einen Gemüseeintopf zu kochen. Sie zwang sich nach anderen Gewürzen zu greifen und experimentierte herum.
Am Ende war eine passable vegetarische Bolognese entstanden. Sie kochte Nudeln dazu und rief ihre Mutter. Als Agneta in die Küche trat und die Bolognese sah, lächelte sie.
»Ich glaube, wir haben den Fluch gebrochen ... ich habe mich, seit du mit dem Kochen am Induktionsherd angefangen hast, nicht mehr am Kopf gekratzt«, sagte sie.
»Setz dich und lass uns essen«, erwiderte Danika.
Agneta nickte.
Im Laufe der nächsten Wochen stellte sich heraus, dass der Fluch wirklich gebrochen war. Allerdings behielt Danika ihre Routine vom wochenendlichen Sauce kochen ebenso bei wie Agneta ihre Sprints durchs Dorf. Keine von beiden wollte aus ihrem gewohnten Rhythmus ausbrechen.
Und vielleicht, ganz vielleicht, hingen viele Jahre später, als Agneta schon lange unter der Erde lag und Danika das Familienoberhaupt war und selbst ihre drei Töchter und zwei Söhne heranzog noch der Knoblauch über den Fenstern und Türen.
Manche Dinge veränderten sich nie, selbst wenn ihre Ursache schon lange verschwunden war.