Geschrieben: 18:00 - 18:20 Uhr
Christopher saß an Ians Bett und hielt die Hand seines jüngeren Bruders. Sein Daumen streichelte abwesend über dessen Handrücken, während sein Blick sich auf die Monitore fixiert hatte, die Ians Vitalparameter anzeigten.
Seit Ian vor bald vierzehn Tagen eingeliefert worden war, hatten sie sich kaum verändert. Zumindest nicht seit dem ersten Crash im Schockraum.
Die blauen Flecke waren schon in diesem gelblich-grünen Zustand, so dass Christopher sicher war, dass sie bald verschwunden sein würden. Die gebrochenen Knochen heilten langsam und auch die Schürfwunden sahen immer besser aus.
Aber Ian wachte nicht auf. Seit dem Unfall hatte er nicht einmal die Augen geöffnet. Die Ärzte hatten die Hirnblutung operiert, aber kaum etwas an seinem Zustand hatte sich geändert. Ian wurde seit der OP beatmet, weil er das allein nicht ausreichend hinbekam.
Trotzdem wirkte Ian, als würde er schlafen. Zwischenzeitlich hatte er Fieber bekommen und die Ärzte hatten eine Blutvergiftung vermutet und ihn mit Antibiotika behandelt, aber mehr war nicht passiert.
Christopher hatte Angst, dass Ian ewig in diesem Limbo gefangen sein würde. Irgendwo zwischen Schlafen und Wachen. Nie wieder zu seiner Familie und seinen Freunden zurückkehren würde.
Seine Hände schlossen sich um Ians, er lehnte seine Stirn gegen die verschlungenen Hände und er schloss seine Augen, bevor er begann zu beten.
Wenn er das nicht getan hätte, hätte er es vermutlich verpasst. Ians Finger zuckten in seinem Halt.
»Ian?«, flüsterte Christopher und drückte Ians Hand automatisch noch einmal. Abermals zuckten Ians Finger in Christophers Halt und dann zuckten auch seine Lider.
Christopher klingelte nach einer Schwester, die einen Moment später in der Tür auftauchte.
»Wie kann ich helfen?«, wollte sie wissen.
»Seine Finger ... er drückt zurück, wenn ich seine Hand halte ... und seine Augenlider«, flüsterte Christopher und klang dabei, als hätte er den Sinn des Lebens neu entdeckt.
Die Schwester nickte, verschwand aus dem Raum und kam wenige Minuten später mit einem Arzt zurück.
Dieser untersuchte Ian umsichtig und gründlich und lächelte Christopher dann ein.
»Es ist ein erster Lichtblick.«, sagte er und drückte Christophers Schulter.
Dieser nickte und betrachtete seinen kleinen Bruder. »Komm zurück zu mir, Ian. Ich brauche dich«, flüsterte er leise. Die Hand, die er hielt, drückte für einen Moment fester zu, so als wollte Ian ihm sagen, dass er daran arbeitete.
Christopher ließ sich wieder in seinen Stuhl sinken und tat das, was er in den letzten Wochen schon getan hatte. Er wartete. Aber diesmal hatte er einen konkreten Hoffnungsschimmer. Dieser machte das Warten deutlich leichter als zuvor.