(Alexandria, 58 v. Chr. – 10 Jahre zuvor)
Im 22. Regierungsjahr des Pharaos Ptolemaios Neos Dionysos (Auletes)
Im 264. Jahr der Seleukidischen Ära
unter dem Konsulat des L. Calpurnius Piso Caesoninus und des A. Gabinius im Jahr 695 nach der Gründung Roms
„Amitae meae Iuliae maternum genus ab regibus ortum, paternum cum diis inmortalibus coniunctum est. Nam ab Anco Marcio sunt Marcii Reges, quo nomine fuit mater; a Venere Iulii, cuius gentis familia est nostra. Est ergo in genere et sanctitas regum, qui plurimum inter homines pollent, et caerimonia deorum, quorum ipsi in potestate sunt reges.“
„Meiner Tante Julia mütterlich Geschlecht ist Königen entsprossen, ihr väterliches mit den unsterblichen Göttern verwandt. Denn von Ancus Marcius stammen die Marcii Reges – diesen Namen führte ihre Mutter –; von der Venus die Julier, die Sippe, der unsere Familie angehört. Also ist in ihrem Geschlecht sowohl die Würde der Könige, der mächtigsten unter den Menschen, als auch die Weihe der Götter, in deren Macht sogar Könige stehen.“
(Caesars Laudatio auf seine Tante Julia, 69 v. Chr., zitiert nach M. von Albrecht, Meister römischer Prosa, S. 51)
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Wir waren geflohen, mitten in der Nacht. Mein Vater hatte an meinem Bett gestanden und mich wachgerüttelt. „Kleopatra, wir müssen die Stadt verlassen! Alexandria ist im Ausnahmezustand. Überall ist Aufruhr und der Palast wird belagert!“
Ich hatte ihn ungläubig angestarrt. Mein Vater war der Gottkönig von Ägypten, der Pharao auf dem Horusthron. Wie konnte es sein, dass das Volk es wagte, sich gegen ihn zu erheben?
In Windeseile packte meine Amme einige Dinge zusammen, während mein Vater mich schon bei der Hand nahm und mit schnellen Schritten in Richtung des königlichen Hafens eilte. Meine beiden Freundinnen Iras und Charmion folgten uns, beide genauso verstört wie ich.
„Was ist mit den anderen?“, fragte ich.
„Berenike und ihre Mutter Tryphaena sind verschwunden und den Kleinen wird nichts passieren. Ich würde sie holen, aber wir schaffen es nicht mehr bis in den Brucheion-Palast, die Menge ist bereits auf der Lochias-Halbinsel.“ Bevor ich noch mehr zum Verbleib meiner Geschwister fragen konnte, waren wir bereits am Königlichen Hafen angelangt und betraten über den schwankenden Steg die wartende Galeere. Diener eilten hinter uns an Bord, die Arme voller eilig bepackter Bündel und Wertgegenstände. Keuchend kam meine Amme angelaufen, ein Stoffbündel voller Habseligkeiten in ihren Armen. Und dann legte das Schiff auch schon ab. Ich stand am Heck und beobachtete zusammen mit Iras und Charmion, wie helle Lichter sich dem Lochias-Palast näherten. Fackeln, die durch die Stadt zogen und laute Rufe in der unheimlichen Dunkelheit. „Nieder mit dem König!“
Doch unsere Galeere glitt sicher durch das ruhige, dunkle Wasser. Gefolgt von einer kleinen Flotte von Schiffen verließen wir den Königlichen Hafen und passierten unbehelligt die Pharos-Insel mit dem Leuchtturm. Wir verließen das Licht und steuerten auf die dunkle Weite des Meeres zu – nur vom Firmament der ewigen Sterne erhellt – einer unsicheren Zukunft entgegen. Wir Mädchen standen an Deck und taten das, was wir in der Öffentlichkeit eigentlich nicht tun sollten – wir klammerten uns verängstigt aneinander und ich betete still vor mich hin: „Isis-Pelagia, Herrin des Meeres. Bitte beschütze uns!“
~*~
Und die Göttin hatte uns beschützt und sicher nach Rom gebracht. Doch diese neue Welt war zunächst ein Schock für mich gewesen. In Ägypten war ich die Tochter des Pharaos, vor dem sich jeder in den Staub warf und den Boden küsste. Hier behandelten ihn die römischen Adligen zwar respektvoll, aber nicht als König, nicht einmal als Höhergestellten. In Ägypten war mein Vater der Herr über Leben und Tod gewesen. Hier war er plötzlich ein Bittsteller. Die Stadt am Tiber konnte nicht im Mindesten mit unserem wunderschönen Alexandria mithalten. Statt Prachtstraßen und Kanälen gab es in Rom nur ein Wirrwar aus überbevölkerten Gassen. Rom war keine geplante, sondern eine gewachsene Stadt, erfuhr ich von meinen Lehrern. Jedenfalls stank sie im Sommer erbärmlich und wurde von Mückenschwärmen heimgesucht, die in den benachbarten Sümpfen ihr Zuhause gefunden hatten. Und doch hielten die Bewohner sich für den Mittelpunkt der Welt. Mit Erschrecken musste ich erkennen, wie abhängig mein Vater von den Entscheidungen einiger von ihnen war. Die Stadt wurde von einem Senat regiert, in Wirklichkeit herrschte aber ein Triumvirat aus drei Männern. Pompeius, Crassus und Caesar. Bei dem ersten wohnten wir. Gnaeus Pompeius Magnus hatte eine schöne Villa außerhalb der Stadt, wo er mit seiner jungen Frau Julia lebte. Julia war die Tochter von Gaius Julius Caesar und so waren die Herrscher der Stadt auch familiär miteinander verbunden. Mein Vater traf sich täglich mit einflussreichen Römern, doch da er nur wenig Latein sprach, hatte er stets einen Übersetzer dabei.
Ich tat das, was ich schon immer getan hatte. Ich vergrub mich in meinen Studien. Und so saß ich nach den Unterrichtsstunden mit Iras und Charmion im Garten und lernte Vokabeln und grammatische Formen. Besonders schwierig waren die Deklinationen und Konjunktionen dieser komplizierten Sprache. Aber ich lernte sie. Bald schon erlaubte mir mein Vater, an seinen Sitzungen teilzunehmen und zuzuhören. Nach und nach verstand ich besser, was hier verhandelt wurde. Und auch die abfälligen Worte, welche die Römer manchmal fallen ließen und die der Übersetzer natürlich nicht ins Griechische übertrug. Der König von Ägypten war nur ein König von Roms Gnaden. Die Schwere dieser Erkenntnis bescherte mir Albträume und raubte mir den Schlaf. Mein Vater hatte auch in Alexandria davon gesprochen, dass das Volk immer unzufriedener wurde, weil die Abgaben an Rom so hoch waren. Und dann hatte Rom Zypern erobert. Die Insel, die seit Jahrhunderten zum Ptolemäerreich gehörte, wurde einfach von heute auf morgen von Rom annektiert. Mein Onkel, der über Zypern regierte, hatte meinen Vater um Hilfe angefleht. Als keine kam, hatte er sich das Leben genommen – wie man es von einem besiegten König erwartete. Ich hatte meinen Onkel Ptolemaios von Zypern ein paar Mal getroffen. Er war ein freundlicher, vornehmer und gebildeter Mann gewesen.
„Warum hast du ihm nicht geholfen?“, hatte ich meinen Vater gefragt.
„Wenn ich ihn mit dem ägyptischen Heer unterstützt hätte, dann wäre jetzt nicht nur Zypern, sondern ganz Ägypten eine römische Provinz. Ich wäre tot und du eine römische Geisel.“
„Aber unser Heer ist stark!“, versuchte ich es erneut.
Mein Vater hatte bitter aufgelacht. „Für ägyptische Verhältnisse mag unser Heer stark sein. Doch auf jeden unserer Soldaten kommen zehn römische – und alle sind besser trainiert und ausgerüstet als unsere. Wir sind ein Volk von Bauern, Baumeistern, Künstlern, Wissenschaftlern und Händlern, aber nicht von großen Kriegern. Früher einmal, ja – da war Ägypten selbst ein Imperium. Aber diese Zeiten sind lange vorbei.“ Die Bitterkeit in der Stimme meines Vaters, des Mannes, den ich mehr als jeden anderen auf der Welt verehrte, war nicht zu überhören. Doch damals hatte ich noch nicht einmal ansatzweise eine Vorstellung davon, wie mächtig Rom wirklich war.
~*~
Die Römer waren also die neuen Herren der Welt. Ich konnte es nicht glauben, wenn ich mir ihre Kleidung, ihre Sitten und ihre chaotische Hauptstadt so anschaute. Alles, aber wirklich alles in Alexandria war prächtiger, verfeinerter und kultivierter. Nur in militärischer Taktik und Disziplin waren sie gut. Und Disziplin besaßen die Legionäre, die unser Anwesen bewachten, tatsächlich. Nicht so wie unsere Soldaten, die streiken oder rebellieren konnten, wenn ihnen irgendwas nicht passte.
Inzwischen hatte uns die Nachricht aus Ägypten erreicht, dass meine Stiefmutter Tryphaena gemeinsam mit ihrer Tochter, meiner Halbschwester Berenike, den Thron bestiegen hatte. Mein Vater hatte beide aufgefordert, die Herrschaft an ihn zurückzugeben, doch meine Tante und Schwester weigerten sich. Der Pharao tobte vor Zorn.
Unser Gastgeber Pompeius war indessen geneigt, die Herrschaft meines Vaters zu unterstützen. Bei den abendlichen Debatten ging es vor allem um die Kosten dafür, also Zahlungen von Ägypten an Rom – genauer gesagt: an Pompeius.
„Aber sind unsere Abgaben an Rom nicht jetzt schon viel zu hoch?“, hatte ich meinen Vater besorgt gefragt.
„Das sind sie, Kleopatra. Aber wir haben keine andere Wahl. Gnaeus Pompeius Magnus ist der mächtigste Mann Roms. Er ist unser Patron und wir müssen zahlen.“ Ich fühlte mich geehrt, dass mein Vater solche Dinge mit mir besprach, als wäre ich eine Erwachsene und versuchte ihm eine gute Ratgeberin zu sein.
„Was ist mit Marcus Licinius Crassus oder Gaius Julius Caesar?“
„Crassus ist mit Pompeius zerstritten und Caesar in Gallien. Glaub mir, wir sind am Besten beraten, wenn wir uns an Pompeius halten. Von den dreien ist er mit Sicherheit der Umgänglichste“, hatte mein Vater nur gemeint.
Trotzdem galt Caesar als der Brillanteste der drei. Ich hatte die Sklavinnen und Dienerinnen über ihn tuscheln hören. Er war der Vater unserer Gastgeberin Julia und momentan als Prokonsul in Gallien damit beschäftigt, barbarische Stämme zu unterwerfen. Charmant, charismatisch und skrupellos, das waren die Adjektive mit denen man ihn beschrieb. Julia sprach freilich nur in den höchsten Tönen und voller Bewunderung von ihrem Vater.
An manchen Tagen saß ich gemeinsam mit ihr im Garten und obwohl sie mit ihren knapp 20 Jahren bereits eine junge verheiratete Frau war und ich ein 12jähriges Mädchen, führten wir anregende Gespräche und ich lernte viel über die römische Gesellschaft von ihr.
„Dein Vater ist jünger als dein Ehemann?“, fragte ich überrascht.
Julia kicherte: „Ja, sechs Jahre, um genau zu sein. Pompeius ist 29 Jahre älter als ich. Aber wir sind trotzdem sehr verliebt ineinander.“
„Aber ich dachte, ihr führt eine diplomatische Ehe?“
„Das tun wir auch. Aber das eine schließt das andere ja nicht aus. Ich war bis vor zwei Jahren mit einem gewissen Quintus Servilius Caepio verlobt, aber ich habe immer heimlich für Pompeius geschwärmt. Er ist schließlich ein berühmter Feldherr und der mächtigste Mann Roms.“
„Aber dein Vater hat doch bestimmt, wen du heiraten musst, oder nicht?“ So würde es auch bei mir sein, denn ich war eine ägyptische Prinzessin und würde keine Wahl haben.
Julia lächelte. „Es kam ihm gelegen, ja. Aber er hätte mich nie zu einer Ehe gezwungen, in der ich unglücklich geworden wäre. Caesar kann vieles sein und manchmal ist er überaus streng und ordnet alles seinen politischen Zielen unter, um die Größe Roms zu mehren. Aber in dieser Hinsicht ist er anders. Er würde nie eine Frau aus seiner Familie zu so etwas zwingen. Mein Glück stand für ihn immer an erster Stelle.“
„Du nennst deinen Vater Caesar?“, fragte ich erstaunt.
„Alle nennen ihn Caesar.“
„Ich werde wahrscheinlich meinen Halbbruder Ptolemaios heiraten müssen. Aber der ist erst 5 Jahre alt. Das dauert also noch.“
„Oh wie schrecklich!“ Julia schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund.
„Wieso?“ Ich sah sie verwundert an. Wussten diese Römer denn nicht, dass königlicher Inzest heilig war? Wir Ptolemäer waren schließlich Halbgötter auf Erden, aber hier in Rom war einfach so vieles anders.
„Ach nichts. Tut mir leid. Ich weiß, in Ägypten denkt man anders darüber. Waren deine Eltern auch Geschwister?“
„Nein. Meine Mutter stammte nicht einmal aus dem Königshaus. Deshalb bin ich auch nur die Zweite in der Thronfolge. Meine ältere Halbschwester Berenike ist die Tochter des Königs mit seiner Schwestergemahlin Tryphaena. Genaugenommen ist sie eigentlich nicht die Schwester, sondern Cousine meines Vaters, aber trotzdem nahe genug verwandt, um den heiligen Titel einer Schwestergemahlin führen zu dürfen.“
„Sind das die Beiden, die jetzt über Ägypten herrschen?“
„Genau.“
Die Nachricht war kurz nach unserer Flucht aus Ägypten eingetroffen, als wir auf Zypern haltgemacht hatten, das nun von einem römischen Statthalter namens Cato regiert wurde. Das war eine doppelte Demütigung für meinen Vater gewesen. Zuerst die erniedrigende Behandlung, mit der Cato ihn empfangen hatte, und dann die Nachricht, dass seine eigene Schwestergemahlin und Tochter ihn verraten und in seiner Abwesenheit den Thron für sich beansprucht hatten. Sie hatten den Pharao für seine römerfreundliche Politik zum Verräter erklärt. Dieser Verrat der eigenen Familie schmerzte doppelt. Sie wähnten sich und Ägypten unabhängig, aber wenn sie hier wären, wenn sie die Realität Roms erkennen würden, dann müssten sie doch verstehen, dass mein Vater keine andere Wahl gehabt hatte!
„Zwei Herrscherinnen… so etwas wäre hier in Rom undenkbar“, resümierte Julia nachdenklich. „Die einzigen Frauen, die wirklich Macht haben, sind die Priesterinnen der Vesta. Aber dafür müssen sie auch ein Leben in Jungfräulichkeit führen.“
„In Ägypten haben schon oft Frauen geherrscht“, berichtete ich stolz. „Und die meisten Priesterinnen dürfen heiraten. Meine Mutter war selbst Priesterin und zudem die Tochter des Hohenpriesters von Memphis.“
„Was ist mit deiner Mutter geschehen?“, fragte Julia mitfühlend.
„Sie ist bei Osiris“, sagte ich traurig. „Sie starb, als ich noch klein war.“
„Meine Mutter ist auch gestorben, als ich noch klein war. Caesar hat sehr um sie getrauert. Meine Eltern waren beide noch ganz jung bei ihrer Heirat und haben sich sehr geliebt.“
„Meine Mutter war auch die Lieblingsgemahlin meines Vaters.“
„Sie war wahrscheinlich genauso liebreizend und schön wie du!“
„Ja, das sagt mein Vater auch immer.“ Ich lächelte in Gedanken an den liebevollen Ausdruck, der jedesmal auf seinem Gesicht erschien, wenn er mir von ihr erzählte. „Und dazu war sie auch noch klug und belesen.“ Ich sah Julia offen an. „Deine Mutter muss auch eine Schönheit gewesen sein.“ Es war kein Kompliment, sondern eine Tatsache, denn Julia mit ihren goldbraunen Haaren und lachenden dunklen Augen war eine bezaubernde junge Frau.
„Das sagt Caesar auch oft, aber eigentlich liegt die Schönheit bei uns in der männlichen Linie. Denn du musst wissen: wir Julier stammen von der Göttin Venus ab“, flüsterte sie verschwörerisch.
„Ich gelte als Tochter der Göttin Isis. Sie ist zwar auch die Göttin der Liebe und Schönheit, genau wie Venus, aber vor allem ist Isis die Göttin der Weisheit, wie die römische Minerva.“
Julia lachte. „Klug bist du außerdem, denn sonst könntest du dieses Gespräch auf Latein nach so wenigen Monaten gar nicht mit mir führen, Kleopatra. Während andere Mädchen sich wie schnatternde Gänse über Belanglosigkeiten unterhalten, sehe ich dich immer konzentriert über deinen Papyrusrollen, oder mit deinen Freundinnen über Grammatik und Philosophie diskutieren.“
„Ich möchte soviel lernen, wie ich kann“, gestand ich. „Denn ich will wissen, worum es im Leben geht. Und ich muss doch verstehen, wie alles zusammenhängt, ich bin jetzt schon die Beraterin meines Vaters und vermutlich werde ich einmal über Ägypten herrschen.“
„Ich dachte eine Königin ist in erster Linie für den Erhalt der Dynastie und einige kultische Pflichten zuständig. Können Frauen in Ägypten denn wirklich allein regieren? Ich meine, eine Frau benötigt doch für alles die Erlaubnis ihres Vaters oder Gemahls. Wärst du dann nicht eher eine Art Ratgeberin für deinen Gemahl, so wie jetzt für deinen Vater?“
Ich lachte. „Also momentan regieren meine Schwester und Tante allein über Ägypten. Deshalb ist Vater ja so wütend, weil sie den Thron nicht wieder aufgeben möchten. Meine andere Tante war ebenfalls Regentin, genau wie meine Urgroßmutter und deren Mutter.
„Das ist für römische Frauen nicht möglich. Politik ist Männersache. Obwohl mein Vater auch immer wollte, dass ich soviel wie möglich lerne.“
„Damit du deinem Gemahl eine gute Ratgeberin bist?“, fragte ich neugierig.
Julia lachte. „Ja, das auch. Aber mein Vater hält allgemein nichts von Frauen, die sich nur über Oberflächlichkeiten unterhalten können, egal wie hübsch sie sind. Seiner Meinung nach hat eine Frau nur Ausstrahlung, wenn sie auch Intelligenz und einen wachen Geist besitzt. Naja, ich hab mir immer Mühe gegeben, seine Erwartungen zu erfüllen, aber so wissbegierig wie du, war ich leider nie, Prinzessin.“ Julia lächelte und sah mich mit ihren dunklen blitzenden Augen bewundernd an. „Du hast dieses unglaubliche Feuer in den Augen, Kleopatra. Bewahre dir das und lass dich nicht unterkriegen. Dann wirst du bestimmt eine großartige Königin!“
„Meinst du wirklich?“
„Ganz bestimmt.“
~*~
Nach stundenlangem Lernen hatten Iras und Charmion schließlich aufgegeben und waren unter dem Vorwand, Getränke zu holen, in die Küche geeilt. Ich saß allein im schattigen Peristyl über meine Schriftrolle gebeugt und versuchte, mich auf den Text vor mir zu konzentrieren, den Julia mir gegeben hatte. Es war die Grabrede Caesars auf seine Tante Julia, die Frau des Marius. In dieser Familie hießen irgendwie alle Frauen Julia. Während es in meiner Dynastie zumindest ein paar Namensvarianten für Prinzessinnen gab, war das bei den römischen Patrizierfamilien offenbar nicht der Fall.
Jedenfalls entsprach diese Rede in ihrer Eleganz und Klarheit offenbar dem attizistischen Ideal und meine Gastgeberin hatte mir die Schriftrolle mit sichtlichem Stolz überreicht. Ich war ehrlich gesagt froh, den Sinn einigermaßen zu verstehen. Von dem Anspruch, die dichterische Kunstfertigkeit zu erkennen, war ich jedoch meilenweit entfernt. Also sagte ich den Text halblaut vor mich hin und versuchte ihn gleichzeitig ins Griechische zu übersetzen.
„Amitae meae Iuliae maternum genus ab regibus ortum, paternum cum diis inmortalibus coniunctum est.
Meiner Tante Julia mütterlich Geschlecht ist Königen entsprossen, ihr väterliches mit den unsterblichen Göttern verwandt.
Nam ab Anco Marcio sunt Marcii Reges, quo nomine fuit mater; a Venere Iulii, cuius gentis familia est nostra.
Denn von Ancus Marcius stammen die Marcii Reges – diesen Namen führte ihre Mutter -; von der Venus die Julier, die Sippe, der unsere Familie angehört.
Est ergo in genere et sanctitas regum, qui plurimum inter homines pollent, et caerimonia deorum, quorum ipsi in potestate sunt reges.“
Ich überlegte einen Augenblick, doch bevor ich die richtigen Worte auf griechisch bilden konnte, hörte ich eine klangvolle männliche Stimme hinter mir:
„Also ist in ihrem Geschlecht sowohl die Würde der Könige, der mächtigsten unter den Menschen, als auch die Weihe der Götter, in deren Macht sogar Könige stehen.“
Überrascht drehte ich mich um und blickte in die dunkelsten und stechendsten Augen, die ich je gesehen hatte. Der Mann war hochgewachsen und hatte aristokratische Gesichtszüge. Um seine Lippen spielte ein amüsiertes Lächeln. Die meisten Frauen hätten ihn sicher als äußerst gutaussehend und attraktiv bezeichnet. Ich dagegen bezeichnete ihn innerlich als unverschämt, denn sein selbstsicheres und dominantes Verhalten ziemte sich nicht gegenüber einer Pharaonentochter. Kein Römer durfte es wagen, mich einfach so zu unterbrechen!
„Wer seid Ihr und was habt Ihr hier zu suchen!“, verlangte ich so höflich wie möglich zu wissen. Schließlich trug er die römische Toga mit einem purpurnen Streifen, ein Senator vermutlich. Da durfte ich nicht zu herrschaftlich auftreten, hatte mein Vater mir eingeschärft.
Er hatte mich inzwischen umrundet, sodass er jetzt vor mir stand und das Lächeln um seine Lippen wurde breiter, als er in flüssigem Griechisch weitersprach: „Ich habe eine lange Reise hinter mir und suche eigentlich die Domina Julia. Stattdessen finde ich hier ein kleines Mädchen, das lateinische Texte ins Griechische übersetzt. Mit wem habe ich denn da die Ehre?“
„Ich bin kein kleines Mädchen, sondern eine ägyptische Prinzessin!“, erwiderte ich ebenfalls auf griechisch.
Er lächelte spöttisch. „Wenn du eine Prinzessin bist, dann bin ich Julius Caesar.“
Ich richtete mich stolz auf und versuchte erhaben zu wirken. „Ich bin wirklich eine Prinzessin! Kleopatra Thea Philopator von Ägypten.“
„Und dann sitzt du hier allein, ohne Amme oder Begleitung. Wie alt bist du, 13?“
„Ich bin 12 und meine Hofdamen holen gerade Erfrischungen. Und wenn sie Euch hier finden, werden sie alles andere als erfreut sein.“ Genaugenommen hätte ich mich gar nicht allein mit einem fremden Mann unterhalten dürfen, aber er musste wohl ein Freund der Hausherrin sein, sonst hätten die Wachen ihn sicher nicht hereingelassen.
„Ach, das glaube ich nicht. Eine echte ägyptische Prinzessin also.“ Er sah mich schmunzelnd an und betrachtete mich nun näher. „Ich habe von Julias ägyptischem Besuch gehört, aber dich mit eigenen Augen zu sehen, übertrifft dann doch alle Erwartungen. Es ist schön, dich kennenzulernen, Kleopatra.“
Unter seinem intensiven Blick spürte ich, wie sich meine Wangen röteten und ich sah kurz zu Boden. Bestimmt fand er mich süß oder hübsch. Alle taten das, aber ich durfte nicht darauf eingehen, schließlich vertrat ich als Prinzessin die Belange unseres Hauses. „So sehr mich Eure Freude auch ehrt, ich bin hier, um zu lernen und würde es vorziehen, das auch weiterhin ungestört zu tun!“, erwiderte ich deshalb resolut und begegnete unerschrocken seinem Blick.
Sein Lächeln wurde breiter und ein übermütiges Funkeln erschien in seinen Augen. „Und warum, wenn ich fragen darf, sitzt du hier allein zwischen den alten Statuen und liest langweilige lateinische Reden?“
„Caesars Rede ist mitnichten langweilig! Sie besticht durch ihre Klarheit und Eleganz und entspricht dem attizistischen Ideal!“, gab ich Julias Worte so überzeugend wie möglich wieder.
„Soso, dem attizistischen Ideal also. Was genau heißt denn das?“ Wieder dieser amüsierte, leicht herausfordernde Tonfall.
„Natürlich, dass im attizistischen Stil, im Gegensatz zum asianischen Stil, die Rhythmik und Wortwahl des attischen Griechisch, wie es in Athen gesprochen wird und nicht die des umgangssprachlichen Koine-Griechisch als Vorlage für den lateinischen Text dient“, besann ich mich auf die Definition meines Rhetoriklehrers.
„Und woran machst du das fest?“, fragte er weiter.
Tja woran machte ich das fest? Keine Ahnung, hier half nur Improvisieren: „Inhaltlich an der Klarheit der Gedankenführung. Der Verfasser verdeutlicht, dass die verstorbene Julia Marcia mütterlicherseits von Königen und väterlicherseits von Göttern abstammt.“
„Und weiter?!“, fragte er interessiert.
Also improvisierte ich weiter: „Das Thema des ersten Satzes wird in den folgenden zwei Sätzen relativiert, wieder aufgegriffen und noch einmal gesteigert, indem klargestellt wird, dass selbst die Könige als Menschen den Göttern unterworfen sind.“
Der Römer lächelte. „Sehr gut, Kleopatra. Und äußerst eloquent vorgetragen. Und findest du die Aussage stimmig? Als Tochter eines Königs hast du doch bestimmt eine klare Position dazu.“
Ich erwiderte seinen dunklen Blick einen langen Moment lang schweigend. Warum pochte mein Herz eigentlich so schnell und warum beantwortete ich diesem Römer eine Frage nach der anderen, während ich über ihn bisher überhaupt nichts wusste? „Natürlich sind auch Könige den Göttern unterworfen, selbst wenn sie Gottkönige sind, wie mein Vater. Sonst wären wir ja wohl kaum hier in Rom und ich würde mich nicht mit einem mir unbekannten Römer über eine Laudatio von Julius Caesar unterhalten. Wer seid Ihr überhaupt?!“
„Oh, sagte ich das nicht?“ In seinen Augen blitzte es spöttisch. Als ob er über einen Witz schmunzelte, den nur er verstanden hatte.
„Nein, das tatet Ihr nicht!“
Sein Lächeln wurde breiter und er setzte gerade zu einer Erwiderung an, als sich uns rasche Schritte näherten. Und plötzlich hing eine freudestrahlende Julia um den Hals des Mannes vor mir und umarmte ihn stürmisch. „Vater, endlich bist du zurück. Ich hab dich so vermisst!“
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Das also war der berühmte Gaius Julius Caesar, einer der drei Herrscher Roms, über den die Sklavinnen die ganze Zeit Klatschgeschichten erzählten. Wie gut er aussah, wie viele Affären er hatte, wie siegreich und charismatisch er war... Ich hatte das Ganze bisher als dummes Gerede abgetan, doch nach der heutigen Begegnung musste ich zugeben, dass er mich tatsächlich irgendwie dazu gebracht hatte, auf seine Fragen zu antworten und selbst dabei nichts von sich preiszugeben. Wie hatte er das geschafft? Ich war doch kein dummes, kleines Mädchen mehr, das man so einfach manipulieren konnte – oder vielleicht doch? Naja, zumindest wusste ich jetzt, mit wem ich es zu tun hatte. Als ich an diesem Abend als Beraterin an der Seite meines Vaters stand und Caesar offiziell vorgestellt wurde, zeigte ich mich von meiner höflichsten Seite. Ich übersetzte für meinen Vater, war aufmerksam, aber redete ansonsten nur, wenn ich gefragt wurde. Ich versuchte nicht zu erröten und das verlegene Lächeln, das immer wieder an meinen Mundwinkeln zupfte, zu unterdrücken. Immer wieder huschten meine Augen zu Julius Caesar und sein dunkler amüsierter Blick verfolgte mich bis in meine Träume.
Er blieb nur einen Tag und reiste dann zurück nach Gallien. Den Grund seines Besuches erfuhr ich nie, nur dass er dringend etwas mit Pompeius hatte besprechen müssen und in Gallien gerade einen Krieg gegen den Stamm der Belger führte.
Als ich meinen Vater auf Caesar ansprach, winkte er nur wieder ab. „Hüte dich vor ihm, mein Kind. Vor acht Jahren haben er und Crassus versucht, Ägypten zur römischen Provinz zu erklären. Pompeius war damals dagegen.“
„Aber jetzt schien er doch einverstanden mit Pompeius‘ Plänen zu sein, dir den Thron wiederzugeben“, gab ich zu bedenken.
„Weil er momentan in Gallien mit anderen Dingen beschäftigt ist. Ägypten interessiert ihn gerade nur peripher und das ist gut so. Mit Pompeius als Patron sind wir gut beraten. Bete darum, dass er sich am Ende als der Mächtigste der drei Triumvirn erweisen wird! Pompeius fordert viel, aber bisher hat er das Haus Ptolemaios immer unterstützt und das wird er auch in diesem Fall tun.“
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Mein Vater sollte Recht behalten. Nach zähen Verhandlungen, die sich über fast zwei Jahre hinzogen, stellte uns Pompeius schließlich eigenmächtig und gegen den Senatsbeschluss eine Armee zur Verfügung, um Ägypten zurückzuerobern. Unter der Leitung des Prokonsuls von Syrien, Aulus Gabinius und seines Reiterführers Marcus Antonius eroberte die römische Armee die Grenzfestung Pelusium und dann ganz Ägypten für meinen Vater zurück. Der General Gabinius ließ nach seinem Sieg drei Legionen in Alexandria, wo sich die römischen Legionäre ansiedelten und einheimische Frauen heirateten. Die sogenannten Gabiniani bildeten fortan einen Großteil des königlichen Heeres. Mein Vater war wieder König, doch ich merkte, wie verbittert ihn die Zeit des Exils gemacht hatte. Mein feinsinniger Vater, der früher so gerne selbst musiziert und philosophiert hatte, griff nun gnadenlos durch und ließ meine ältere Schwester Berenike wegen Hochverrats hinrichten. Ihr junger Gemahl Archelaos war in der Schlacht gefallen und meine Tante in der Zwischenzeit gestorben.
Und damit war ich die älteste überlebende Königstochter. Ich wurde mit 14 Jahren zur Kronprinzessin erhoben und mit 17 zur Mitregentin gekrönt. Mein Tagesablauf war von nun an noch strenger geregelt als zuvor. An der Seite des Königs wohnte ich jeder Ratssitzung und Verhandlung bei, diktierte, unterschrieb und siegelte Briefe und vollzog die heiligen Rituale in den Tempeln. Ich unterstützte meinen Vater, wo ich nur konnte und war mir doch der außenpolitischen Lage nur allzu bewusst, denn die Zahlungen, die Pompeius für seine militärische Hilfe verlangte, waren kaum zu bewältigen, selbst für ein so reiches Land wie Ägypten. Mein königlicher Vater, Pharao Ptolemaios Neos Dionysos regierte noch drei Jahre über Ägypten, doch außenpolitisch war er nur noch ein König von Roms Gnaden. Als er in seinem 30. Regierungsjahr erkrankte, erschien eine Sonnenfinsternis über Ägypten. Die Priester deuteten dies als böses Omen.
Mit bangem Herzen saß ich tagelang betend neben dem Krankenbett meines Vaters. Doch die Götter hatten anders entschieden. Wenige Tage später starb der Pharao und hinterließ meinem kleinen Bruder und mir ein verschuldetes Land.
Ich war zu diesem Zeitpunkt gerade 18 Jahre alt und versuchte die Politik meines Vaters fortzuführen, so gut es ging. Die ägyptische Priesterschaft stand hinter mir und meinen Entscheidungen. Doch in Alexandria hatte ich nur wenige Freunde und Unterstützer. Und ich hatte den Einfluss des alexandrinischen Adels und Regentschaftsrates unterschätzt, die sich anmaßten, im Namen meines minderjährigen Bruders Ptolemaios zu regieren. Die Fronten verhärteten sich und schließlich kam es zu einem neuen Aufruhr in Alexandria. Diesmal war ich diejenige, die aus der Hauptstadt fliehen musste. Und während im römischen Reich ein verheerender Bürgerkrieg zwischen Gnaeus Pompeius Magnus und Gaius Julius Caesar tobte, befand ich mich plötzlich in meinem eigenen ägyptischen Bürgerkrieg und belagerte mit meiner Armee die Grenzfestung Pelusium. In dieser Situation erreichte mich die Nachricht, dass Caesar bei Pharsalos gesiegt hatte.
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Historische Anmerkung:
Dass Kleopatra und Caesar sich bereits zuvor einmal begegnet sein könnten, ist nicht überliefert, aber theoretisch im Rahmen des Möglichen. In den Jahren 58-57 v. Chr., während seines Aufenthaltes in Rom, war Pharao Ptolemaios XII. zu Gast bei Pompeius und wohnte in dessen Villa. Pompeius war zu diesem Zeitpunkt mit Caesars Tochter Julia verheiratet, während Caesar bereits als Proconsul die Statthalterschaft über Illyrien, Gallia Narbonensis und Gallia Cisalpina ausübte. Die Grenzen Roms durfte er in dieser Funktion nicht übertreten, aber falls es ein inoffizielles Treffen zwischen Pompeius und Caesar außerhalb Roms gegeben hätte, bei dem Caesar auch seine Tochter besuchte, wäre er vermutlich auch dem ägyptischen König und der 12-jährigen Prinzessin Kleopatra begegnet, die ihren Vater wahrscheinlich auf dieser Reise begleitete. Aus dramaturgischen Gründen habe ich für diesen Roman ein solches Treffen angenommen. Der Rückblick spielt 9 bzw. 10 Jahre in der Vergangenheit, zu Beginn der Haupthandlung im Jahr 48 v. Chr. ist Kleopatra 21 Jahre alt und bereits seit 3 Jahren Königin von Ägypten.