„Omnis homines, patres conscripti, qui de rebus dubiis consultant, ab odio, amicitia, ira atque misericordia vacuos esse decet. Haud facile animus verum providet, ubi illa officiunt, neque quisquam omnium lubidini simul et usui paruit. Ubi intenderis ingenium, valet; si lubido possidet, ea dominatur, animus nihil vale. Magna mihi copia est memorandi, patres conscripti, quae reges atque populi ira aut misericordia inpulsi male consuluerint. Sed ea malo dicere, quae maiores nostri contra lubidinem animi sui recte atque ordine fecere.“
„Senatoren! Es ist die Pflicht aller Menschen, die über ernsthafte Fragen einen Beschluss zu fassen haben, sich von Hass wie von Liebe, von Zorn wie von Mitleid frei zu machen. Nicht leicht sieht unser Geist das Richtige voraus, sobald einen jene Regungen blenden und keiner von allen hat sich jemals gleichzeitig von Leidenschaft und Vernunft leiten lassen. Sobald man den Verstand einsetzt, wirkt er; wenn die Leidenschaft ihn beeinträchtigt, herrscht diese und der Geist vermag nichts. Ich könnte, versammelte Senatoren, eine große Menge von schlechten Entscheidungen vorführen, die Könige und Völker aus Erbitterung oder Mitleid trafen; aber ich ziehe es vor, das zu erwähnen, was unsere Vorfahren gegen den Trieb ihres leidenschaftlichen Herzens richtig gemacht haben.“
Aus Caesars Rede gegen Cato: Sallust, De Coniuratio Catilinae, 51[1]
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„Also, warum bist du rausgelaufen?“ Caesar blickt mich aufmerksam an.
„Liegt das nicht auf der Hand?“
„Würde ich sonst fragen?“
Irritiert blinzele ich und suche nach Worten. Wenn ich daran denke, werde ich noch immer wütend. „Weil ich dir sonst vor den versammelten Gästen die Meinung gesagt hätte und das hielt ich nicht gerade für diplomatisch angebracht!“
„Da gebe ich dir Recht! Aber was genau hat dich so aufgeregt?“
„Du hast mir verboten zu tanzen!“
„Ich wusste nicht, dass dir das so wichtig ist.“
„Dann hättest du ja mal fragen können! Oder hinsehen!“
„Sch… nicht in diesem Ton!“ Caesar blickt mich mahnend an, aber auch mit einer tiefen Gelassenheit. Er strahlt keine Wut mehr aus, sondern einfach nur Ruhe und Konzentration. Er will es wirklich klären. Ich atme einmal tief durch, bevor er fortfährt. „Ich habe hingesehen, Kleopatra. Und glaub mir, ich habe Dinge gesehen, die dir offenbar entgangen sind!“
„Zum Beispiel?“
„Zum Beispiel, wie meine Offiziere und Wachen dich und deine Schwester angestarrt haben.“
„Wie denn?“
„Wie sie auch die anderen Tänzerinnen betrachten. Bist du dir eigentlich im Klaren, wie aufreizend ägyptische Kleidung in römischen Augen ohnehin schon wirkt? Und Tänzerinnen sind für einen Römer von Stand quasi Freiwild. Dass du und Arsinoe das nicht seid, ist zwar jedem klar. Aber nur, weil niemand es wagen würde, meine Autorität in Frage zu stellen. Weißt du eigentlich, wie ungewohnt es für meine Offiziere ist, dass ich eine Frau an den Besprechungen teilnehmen lasse? Was denkst du, warum sie das akzeptieren?“
„Weil sie dich respektieren und deinen Entscheidungen vertrauen?“, frage ich leise.
„Ganz genau. Und sie haben auch angefangen, dich zu respektieren. Zunächst, weil du unter meinem Schutz stehst, aber auch, weil sie gemerkt haben, dass du wirklich etwas Sinnvolles beitragen kannst. Dieser Tanz eben allerdings bringt dieses Bild wieder völlig durcheinander. Du hast in ihren Augen gerade an Respekt verloren. Verstehst du jetzt, warum ich dich gebeten habe, solche Tänze nicht vor meinen Männern aufzuführen?“
„Hättest du mich gebeten, hätte ich nicht so reagiert. Aber du hast es mir vor meinen eigenen Untertanen befohlen. Damit untergräbst du meine Autorität, Caesar!“ Ich bemühe mich, genauso ruhig und sachlich zu klingen wie er. Doch so ganz will mir das nicht gelingen.
Caesar sieht mich stirnrunzelnd an, während er meine Hand noch immer umschlossen hält. „Du bist dir schon im Klaren, wie die Hierarchie zwischen uns aussieht? Dir war von Anfang an bewusst, dass ich die Führung habe und wer im Zweifelsfall die Entscheidungen trifft. Ich kann nicht immer alles vorher mit dir absprechen.“
„Aber deshalb musst du mich nicht gleich so von oben herab behandeln. Das hast du doch noch nie getan! Und dann auch noch in einem Moment, wo ich überhaupt nicht damit gerechnet habe. Ich habe nichts falsch gemacht, Caesar. Im Gegenteil, ich habe mich bemüht, mit Arsinoe Frieden zu schließen, damit sie Ruhe gibt“, versuche ich meine Reaktion zu erklären und wieder zu ihm durchzudringen – zu meinem römischen Patron und zu dem Mann, der mich vor wenigen Stunden so leidenschaftlich geliebt hat, der mich mit Aufmerksamkeit überhäuft und mit dem ich gemeinsam über so vieles reden und lachen kann.
Einige Herzschläge sehen wir uns an und ich merke mit Erleichterung, wie sein Ausdruck milder wird.
„Ich habe dir nichts vor deinen Untertanen befohlen, Kleopatra. Ich habe dir lediglich gesagt, was ich von dir erwarte. Genauso hätte ich auch zu einer römischen Ehefrau gesprochen, daran ist nichts Abwertendes.“
„Eine Königin von Ägypten lässt sich aber nicht rumkommandieren wie eine römische Matrone!“
Etwas wie Überraschung blitzt in seinen Augen und dann zupft ein ironisches Lächeln an seinen Mundwinkeln. „Nun, offensichtlich nicht. Du bist in der Tat keine Römerin, die daran gewöhnt ist, sich kommentarlos zu fügen.“
„Wäre dir das lieber?“, frage ich etwas kleinlauter. Ich kann nicht gegen meinen Stolz an, aber ich will ihn auch nicht nochmal verärgern.
„Ich weiß es nicht, kleine Göttin. Ich muss mich auch erst daran gewöhnen. Du bist mir bereits so vertraut, dass ich das Gefühl habe, dich wirklich zu kennen. Und dann kommen Situationen, in denen ich merke, wieviel ich noch nicht über dich weiß.“ Wieder mustert er mich mit diesen unergründlichen Augen. „Und dann reizt es mich, diese Dinge in Erfahrung zu bringen.“
„Und deshalb bist du hier?“
„Ich bin hier, weil ich dich an meiner Seite haben will und deshalb nicht zulassen werde, dass irgendein Missverständnis zwischen uns steht.“ Er seufzt. „Wärst du eine Römerin aus meiner Familie, hättest du bei meinem Ton sofort geschwiegen und keine Diskussion mit mir angefangen – die Diskussion wäre dafür später gekommen. Zuhause.“ Er grinst.
„Ich kenne diesen Ton nicht von dir. Du… du warst so verärgert und ich verstehe noch immer nicht warum.“
„Weil ich mir Sorgen gemacht habe, Kleopatra. Und ja, vielleicht war ich auch ein bisschen wütend, dass du einfach losgezogen bist, ohne das mit mir abzusprechen.“
„Ich kann nicht immer alles vorher mit dir absprechen.“
„Dann wären wir da ja schon zu zweit.“ Er schaut mich pointiert an und ich bin so froh, dass das ironische Funkeln wieder da ist. Was immer ihn so aufgewühlt hat, es ist nicht mehr präsent. „Ist dir eigentlich bewusst, was für eine absolute Gradwanderung es darstellt, dich an den militärischen Sitzungen teilnehmen zu lassen?“
„Weil Frauen nach römischer Meinung nichts in öffentlichen Positionen zu suchen haben?“
„Richtig.“
„Alle Königinnen des Ostens sind empört über diese römische Sicht auf die Welt!“
„Ja, und viele Römer möchten die Herrschaft der Könige hier im Osten gänzlich abschaffen, und die der Königinnen erst recht.“
„Und trotzdem bewundert ihr uns. Und vor allem Alexander, den größten aller Könige.“
„Tja, so ist das mit der Doppelmoral.“
Ich nicke langsam. Caesars ruhige Argumentation leuchtet mir ein, trotzdem ist dieses Denken einfach absurd. „Aber du selbst denkst doch nicht so, oder?“
„Nein. Kleopatra, ich habe dich als Königin eingesetzt und weiß, dass du in meinem Sinne regieren wirst. In Kleinigkeiten werde ich mich nicht einmischen, aber wenn ich etwas sage, dann solltest du auf mich hören.“ Er schenkt mir einen warmen Blick und fügt dann hinzu: „Und um nochmal auf den Tanz zurückzukommen. Du hast dich sehr anmutig bewegt, das tust du immer. Und ich kann durchaus zwischen apollonischen und dionysischen Tänzen differenzieren. Aber ich habe in meinem Leben auch schon viele Länder bereist, war an Königshöfen und weiß um die kulturellen Unterschiede. Erwarte das nicht von den anderen. Weißt du, wie schwierig es schon war, den Soldaten einzubläuen, dass Katzen in Ägypten heilig sind und auf keinen Fall getreten oder auch nur verscheucht werden dürfen? Bring das mal einem römischen Legionär bei! Die Männer haben ohnehin schon einen Kulturschock.“
Ich betrachte unsere ineinander verschränken Hände. Ab und zu streicheln seine langen Finger über die empfindliche Haut meines Handgelenks. Seine Ruhe geht allmählich auf mich über und ich kann mich kaum noch erinnern, warum ich gerade noch so aufgebracht war. „Also warst du gerade so wütend, weil ich deine Bemühungen unabsichtlich untergraben habe?“, frage ich leise.
„Vor allem war ich wütend, weil du dich in Gefahr begeben hast und ich nicht einschreiten konnte, ohne die diplomatischen Bemühungen der letzten Tage zunichte zu machen.“
„Warum denkst du, dass ich in Gefahr war?“
„Weil deine Schwester den Nahkampf beherrscht. Ich sehe es an der Art, wie sie das Schwert führt. Dein Tanz war anmutig und schön – und glaub mir, hättest du das unter anderen Umständen aufgeführt, hätte ich deinen Anblick genossen – aber Arsinoe kann mit Waffen umgehen. Und ihre Tänzerinnen sind ebenfalls trainiert.“
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[1] Den Lateinischen Text und verschiedene deutsche Übersetzungen findet man hier: https://www.lateinheft.de/sallust/sallust-bellum-catilinae-kapitel-51-ubersetzung/#comments
https://www.gottwein.de/Lat/lat01.php