Kapitel 35: Das Buch der Philainis
„Philainis von Samos, Tochter des Okymenes, verfasste dieses Buch für diejenigen, die ihr Leben auf der Grundlage von wissenschaftlich und nicht laienhaft erworbenem Wissen führen wollen.“[1]
Papyrus-Fragment aus Oxyrhynchos (Ägypten)
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Mit klopfendem Herzen erwidere ich Caesars schmunzelnden Blick, während die Musik noch einmal anschwillt, um dann nach und nach leiser zu werden. Der wilde Tanz hat ein Ende gefunden, aber dafür dringen auf einmal die aufgebrachten Rufe einer lautstarken Auseinandersetzung durch den Saal und fordern erneut unsere Aufmerksamkeit. Die geladenen Hetären haben offensichtlich begonnen, sich unter die feiernden Männer zu mischen, was aber zum Streit um die Gunst einer Dame geführt hat, der nun mit lauten Beschimpfungen ausgetragen wird.
Mit den Worten „Du verlauster makedonischer Schafhirte wagst es, mich einen Eselficker zu nennen?!“, ist einer von Caesars Offizieren mit hochrotem Gesicht aufgesprungen und hat einem von Arsinoes adeligen Gästen einen so heftigen Kinnhaken verpasst, so dass dieser zu Boden gegangen ist und sich nicht mehr rührt. Erschrocken haben einige der Hetären das Weite gesucht und drängen sich nun in einer Ecke zusammen. Die Musik ist verstummt und hat einem betretenen Schweigen Platz gemacht.
Ein Blick auf Caesars Miene sagt mir, dass auch er alles andere als erbaut von dieser Entwicklung ist. „Domitius Carfulenus, kannst du mir erklären, was da gerade vorgefallen ist?!“, herrscht er im nächsten Moment den offensichtlich betrunkenen jungen Offizier an, sodass der mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen zu seinem Feldherrn aufsieht und augenblicklich Haltung annimmt.
„Dieser Sohn einer phönizischen Hafenhure hat meine Mutter beleidigt, Imperator“, kommt es kleinlaut von dem Kohortenführer. Caesar findet die Aussage jedoch offensichtlich alles andere als komisch.
„Und du hast vergessen, dass du hier zu Gast bist, Carfulenus! Dein Verhalten bringt Schande über die römische Armee. Du wirst dich auf der Stelle bei der königlichen Familie für dein Verhalten entschuldigen!“
Auf Caesars scharfe Worte hin, hat der Offizier sofort seinen Blick gesenkt und gibt eine eilige Entschuldigung von sich. Doch meine Aufmerksamkeit ist eher bei Olympos, der hinzugetreten ist, um den Ohnmächtigen vorsichtig zu untersuchen, während einige Sklaven eine Bahre herantragen und Anstalten machen, ihn darauf zu heben.
„Der ist nur besinnungslos, das wird schon wieder“, durchbricht jedoch eine resolute Frauenstimme die Stille. Mit in den Hüften gestützten Armen hat sich Olympos‘ dunkelhäutige Gehilfin neben dem Ohnmächtigen aufgebaut und gibt einem hünenhaften blonden Sklaven ein Zeichen, worauf dieser einen Eimer mit Wasser über das reglose Gesicht des Ohnmächtigen gießt. Prustend kommt der bewusstlose Mann wieder zu sich.
„Ich habs doch gesagt. Halb so schlimm.“ Grinsend schaut die dralle junge Frau zum königlichen Leibarzt auf, der nur missbilligend den Kopf schüttelt. Doch mehr als ein mahnendes „Elephantine!“ kommt nicht von seinen Lippen.
„Elephantine. Ist das dein Name? Eine ziemlich robuste Behandlungsmethode“, meldet sich darauf Sextus in spöttischem Ton zu Wort. „Dasselbe hätte ich auch getan, auch wenn ich von ärztlichen Untersuchungen keine Ahnung habe.“ Seine Bemerkung lockert die Stimmung sichtlich auf und sorgt für einige verhaltene Lacher aus den Reihen der Gäste. Doch die resolute junge Frau zuckt nur mit den Schultern und hat die Hände noch immer in die Hüften gestemmt. „Ich bin Hebamme und was bei ohnmächtigen Ehemännern hilft, kann bei besoffenen Raufbolden ja nicht schaden, oder?“
Der königliche Leibarzt hat sich indessen neben den Mann auf den Boden gehockt und betastet mit geübten Griffen dessen Kiefer und Wangen, worauf dieser schmerzerfüllt das Gesicht verzieht.
Caesar fährt derweil mit seiner Strafrede fort: „Deine Urlaubstage für diesen Monat sind gestrichen, Carfulenus und für den nächsten erhältst du keinen Sold. Der deiner Kohorte wird ebenfalls um ein Viertel gekürzt. Außerdem wirst du die Behandlungskosten tragen. Und jetzt geh mir aus den Augen!“
Noch einmal nimmt der Offizier Haltung an, um dann mit leicht wankenden Bewegungen das Fest zu verlassen. Die missbilligenden Blicke einiger Gäste folgen ihm.
„Nicht nur römische Frauen, sondern auch die Männer können offenbar keinen Alkohol vertragen“, resümiere ich den Abgang des jungen Offiziers.
„Wer sich nicht im Griff hat, sollte die Finger davon lassen. Trunkenheit schützt nicht vor Strafe“, lautet Caesars nüchternes Urteil. Doch als er sich wieder mir zuwendet, wird sein strenger Blick sofort milder.
Ganymedes gibt den Musikern ein Zeichen, worauf sie wieder zu ihren Instrumenten greifen und die rhythmischen Töne der Flöten und Kitharen im Hintergrund erneut einsetzten.
„Was genau macht eigentlich eine Hebamme bei so einem Symposion?“, erkundigt sich Sextus interessiert bei Elephantine und fügt dann spöttisch hinzu: „Werden deine Dienste nicht erst in neun Monaten benötigt?“
Die Männer reagieren mit Gelächter, doch die Hebamme zuckt nur abermals mit den Schultern. „Das Wissen einer Hebamme ist vielseitig. Meine Kundinnen schätzen meine Kenntnisse. Die Mädchen bezahlen mich dafür, dass ich sie bei öffentlichen Auftritten begleite. Mehr braucht Ihr nicht zu wissen!“
„Oh, Jetzt hast du mich aber erst recht neugierig gemacht, Elephantine. Was sind denn das für Kenntnisse?“, zieht Sextus die Hebamme weiter auf.
„Lest das Buch der Philainis, wenn Ihr es genau wissen wollt, Römer!“ Entgegnet sie nur kurz angebunden und folgt dann Olympos, der sich gerade anschickt, den Saal zusammen mit dem Verletzten auf der Bahre zu verlassen. Allgemeines Gelächter setzt ein und die ausgelassene Stimmung ist schnell wieder hergestellt, als einige der Festgäste nun beginnen, die Worte der Hebamme aufzugreifen und Passagen aus dem Buch wiederzugeben.
„Das berühmt-berüchtigte Buch der Philainis. Hast du es je gelesen?“, erkundigt sich Caesar interessiert.
„Das gehörte nicht gerade zur Lektüre einer Kronprinzessin!“, antworte ich ausweichend.
„Immerhin ist es eins der wenigen Bücher, die von einer Frau verfasst wurden“, gibt er zu bedenken. „Und dann noch über ein so pikantes Thema.“
„So wenige Bücher sind das gar nicht, denkt man an die Werke so berühmter Autorinnen wie Erinna oder Sappho! Und wurde das Buch der Philainis denn wirklich von einer Frau geschrieben? Ich dachte, Philainis machte einen gewissen Polykrates aus Athen dafür verantwortlich, das Buch in ihrem Namen verfasst zu haben.“
„Dafür, dass solches Wissen nicht zur Lektüre einer Prinzessin gehört, kennst du dich aber erstaunlich gut aus“, resümiert Caesar amüsiert. „Also hast du es gelesen!“
„Ich habe vielleicht mal einen Blick hinein geworfen“, gebe ich zu, wobei Bilder von einem abgelegenen Flügel der Bibliothek und Iras und Charmions kichernden Gesichtern vor mir aufblitzen. Natürlich waren wir als Mädchen neugierig gewesen und sehr darauf bedacht, bei unserer „Recherche“ nicht erwischt zu werden.
„Ich fand das Buch immer inspirierend“, fährt Caesar ungerührt fort, „die verschiedenen Stellungen beim Liebesakt sind anschaulich beschrieben und auch das medizinische Wissen ist beachtenswert. Ich kann mir gut vorstellen, dass es von einer Frau geschrieben wurde, aber vielleicht war es der Autorin später peinlich.“
„Was ja nicht verwunderlich wäre!“, bemerke ich mit einem Blick auf die nun offenbar über dieses Thema debattierenden Männer. Und es bleibt keineswegs bei der Theorie, denn Tiberius hat eine der Hetären auf seinen Schoß gezogen, wo sie nun mit gespreizten Beinen sitzt. Sextus ist indessen damit beschäftigt, sich über seine Lyraspielerin zu beugen und sie ganz ungeniert zu küssen. Zwischendurch wirft er provozierende Blicke in Richtung der Kline meiner Schwester.
Arsinoe stellt ihren Weinbecher so abrupt ab, dass er umkippt und rote Spritzer auf ihrem silberweißen Gewand hinterlässt. Mit zornfunkelnden Augen ist sie aufgestanden und bereits wieder auf dem Weg zu uns. So schnell, dass die Hofdamen Mühe haben, ihr zu folgen. Caesar hat nur eine Augenbraue gehoben.
„Ich verabschiede mich für heute“, verkündet meine Schwester mit stolz vorgerecktem Kinn. Und fügt dann in verächtlich-bissigem Ton hinzu: „Natürlich nur, wenn du mir erlaubst, mich für heute zurückzuziehen, Imperator! Da deine Offiziere mein Symposion offensichtlich mit einer Orgie verwechseln, ist es für eine königliche Prinzessin nicht länger angemessen, noch länger zu verweilen und diesem Treiben zuzusehen!“
[1] Papyrus-Fragment aus Oxyrhynchos (Ägypten), Siehe dazu: https://en.wikipedia.org/wiki/Philaenis und Ian Michael Plant, Women Writers of Ancient Greece and Rome: An Anthology, 2004, S. 46.