„Bei der Deutung der beiden Göttinnen als Königinnen hast du Tryphaena vergessen. Mein Vater hatte drei Gemahlinnen“, flüstere ich Psenamounis auf ägyptisch zu, als wir die Stufen des Mausoleums hinabschreiten.
„Das ist mir bewusst, Sherienesi. Aber Königin Tryphaena stand weder dir noch deinen Brüdern sonderlich nahe“, flüstert er zurück.
„Stimmt, ich kannte sie kaum“, gebe ich zu. Mein Vater hatte seine Schwestergemahlin zeitweise vom Hof verbannt. Und dennoch wurde sie hier bestattet, genauso wie seine anderen Gemahlinnen, seine Mutter und seine älteste Tochter. Ich werfe einen Blick auf die makedonischen Grabtürme, die das Mausoleum meines Vaters flankieren. Aus Berenikes Kapelle erklingt noch immer Gesang. Zumindest Arsinoe ehrt das Andenken unserer unglückseligen Schwester, auch wenn sie es manchmal übertreibt.
„Glaubst du, dass wir uns wegen des Zeichens Sorgen machen müssen, Pa-Sheri-en-Amun?“, frage ich leise mit Blick auf den König. Ptolemaios und Maios verschwinden soeben in der Grabkapelle ihrer Mutter.
Psenamounis ist meinem Blick gefolgt und seine Brauen haben sich leicht zusammengezogen. Für einen Moment scheint sein Blick ins Leere zu gleiten, bevor er kryptisch antwortet: „Jeder König muss sterben und wird im Tod zu Osiris. Doch zuvor mögen die Götter ihm die Weisheit des Alters gewähren. Er lebe, sei heil und gesund.“
„Er lebe sei heil und gesund“, wiederhole ich die heilige Formel und verspüre dabei trotz der Hitze einen leichten Schauder. Entschlossen wende mich dem Grabtempel meiner Mutter zu.
Da es sich um ein ägyptisches Heiligtum handelt, beginnen die Reinigungsriten bereits am Eingang. Psenamounis rezitiert die ersten Gebete, während Pakhom und Pa-Amon-Paeni symbolisch etwas Wasser für die Herrin des Grabes vergießen und das restliche Wasser dann über unserm Gefolge versprengen. Eine der Hofdamen kniet vor mir nieder, um meine ledernen Sandalen gegen solche aus geflochtenen Palmblättern auszutauschen. Charmion und die anderen Mädchen wechseln ebenfalls ihr Schuhwerk, oder folgen mir barfuß in den überdachten Vorhof, als am Eingang eine Diskussion zwischen den ägyptischen Priestern und den uns begleitenden Römern entbrennt.
„Leder, Wolle und alle aus tierischen Bestandteilen gefertigten Kleidungstücke sind kultisch unrein – sie sind nicht wab und damit im Tempel verboten! Wenn Ihr eintreten wollt, müsst ihr eure Sandalen ausziehen – und auch die Kriegsgürtel und ledernen Riemen ablegen!“, fordert einer der Priester resolut.
Rufio bleibt erstaunlich ruhig, als er dem Priester daraufhin erklärt, dass er und seine Legionäre das mit Sicherheit nicht tun werden, da das Ablegen des Kriegsgürtels, des Cingulum militare für einen römischen Soldaten einer militärischen Entehrung gleichkäme.
Innerlich seufzend wende ich mich noch einmal um und begebe mich zurück zum Eingang.
„Rufio, du kannst mit deinen Männern hier draußen warten. Im Tempel droht mir keine Gefahr.“
„Caesar war sehr deutlich, was Euren Schutz anbelangt, Majestät“, meint der Offizier unbehaglich und sieht mich nun direkt an.
„Aber hier bin ich von Freunden umgeben und außerdem wird Apollodorus mich begleiten!“ Und damit deute ich auf meinen Leibwächter, der die Diskussion bisher mit einem amüsierten Grinsen verfolgt hat. An Rufios Mimik kann ich förmlich sehen, wie er die verschiedenen Befehle, Vorschriften und Anweisungen gegeneinander abwägt und schenke ihm noch ein gewinnendes Lächeln. Resigniert gibt er auf und bedeutet seinen Legionären, vor dem Eingang zurückzubleiben, während Apollodorus sich seelenruhig seine Schuhe abstreift, um mir dann ins Innere zu folgen. Nachdem wir den Vorhof und den Eingang zum Naos durchquert haben, verharren wir einen Augenblick im Schatten des überdachten Säulenumgangs. Auch die Fächer- und Baldachinträger sind vor dem Eingang zurückgeblieben, so dass mein Gefolge jetzt nur noch aus meinen Vertrauten, Hofdamen und Priestern besteht. Meine Begleiter warten schweigend, während die beiden Wächter die Schnüre mit dem Tonsiegel der Totenstadt lösen, um das Portal zum Naos für uns zu öffnen. Von den Kapitellen der Säulen über uns erklingt Vogelgezwitscher und als ich aufblicke, sehe ich dort eine ganze Schar von Sperlingen, die aufgeregt hin und her flattern. Diese kleinen Vögel haben keine sonderliche mythologische Bedeutung – anders als die Schwalbe, die als Erscheinungsform der Göttin Isis interpretiert werden kann.[1] Die Ägypterin in mir versucht noch immer, die möglichen Deutungen des Omens im Geiste durchzugehen, während die abgeklärte Stimme der Griechin mir versichert, dass Vögel sich eben manchmal verfliegen, ohne dass es von Bedeutung sein muss. Und Caesar würde vermutlich noch einen ironischen Kommentar dazu abgeben, wenn er jetzt bei mir wäre!
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[1] Dazu passend steht der Sperling in der Hieroglyphenschrift für alles, was klein und unbedeutend ist, während die Schwalbe den Lautwert „wr“ (groß) bildet und in den Beinamen der Göttin Isis „Die Große“ und „Die Zauberreiche“ vorkommt.