Eine Weile schreiten Ptolemaios und ich schweigend nebeneinander auf dem Prozessionsweg einher. Hinter uns unterhält sich Maios mit seinen Milchbrüdern über die Waffen, die sie im Grab Alexanders gesehen haben.
„Du scheinst dich ja gut mit Sextus unterhalten zu haben, Ptolemaios“, versuche ich schließlich, eine Konversation mit meinem Bruder anzufangen.
„Ja, er ist ganz unterhaltsam“, antwortet Ptolemaios gleichmütig. „Und er erzählt spannende Kriegsgeschichten. Obwohl sein Vater eigentlich römischer Priester ist, ein Flamen Quirinalis. Wusstest du, dass die keine Pferde und Metall berühren dürfen?“
„Ja, ich habe davon gehört, aber ich wusste nicht, dass Sextus der Sohn eines Priesters ist“, gebe ich zu.
„Seine Mutter ist auch Priesterin, auch von diesem Gott Quirinus. Von dem hab ich noch nie was gehört.“
„Quirinus ist ein Kriegsgott, so ähnlich wie Mars oder Ares. Einer der sieben Hügel Roms ist nach ihm benannt“, erkläre ich ihm.
„Ein Kriegsgott, aber dann macht es ja noch weniger Sinn, dass seine Priester weder Waffen noch Pferde berühren dürfen!“, meint er skeptisch.
Innerlich muss ich Ptolemaios Recht geben, doch gleichzeitig wundere ich mich, dass ich gerade so etwas wie ein vernünftiges Gespräch mit meinem Bruder führe. „Denk an die unterschiedlichen Speise- und Kleidungsvorschriften in unseren Tempeln, Ptolemaios. Sie sind bei jeder Gottheit ein wenig anders und ohne tieferes Wissen oft nicht verständlich.“
„Mag ja sein. Vielleicht sollte ich mich mal mit deiner neuen Hofdame darüber unterhalten. Sie weiß viel darüber. Wo ist sie überhaupt?“, erkundigt er sich.
„Sie ist krank. Nichts Ernstes, aber der Arzt hat ihr Bettruhe verordnet“, erwidere ich möglichst gleichmütig und deute dann in Richtung der uns begleitenden Ahnenpriesterinnen, um von Khered-Anch abzulenken. „Du kannst dich ja mit der Kanephore oder mit der Athlophore unterhalten, die beiden kennen sich bestimmt auch sehr gut aus mit religiösen Vorschriften!“ Mein Bruder wirft einen Blick auf die beiden hübschen jungen Priesterinnen, die den Opferkorb und den Ehrenkranz tragen und zuckt dann mit den Schultern. „Ja, vielleicht. Aber die Trauerfeier heute Abend, was hältst du davon? Mal ehrlich, Kleopatra: jetzt wo Caesar nicht dabei ist!“
„Wie meinst du das?“ Ich werfe Ptolemaios einen misstrauischen Blick zu, nicht sicher, worauf er da gerade hinaus will.
„Ich meine, dass er vorhat, Pompeius‘ Überreste heute Abend öffentlich zu verbrennen. Das wird den ägyptischen Priestern nicht gefallen, und du legst doch immer soviel Wert auf deren Urteil!“
„In Rom ist das eben Sitte. Und auch viele unserer Vorfahren wurden eingeäschert“, erinnere ich ihn, „selbst die göttliche Arsinoe Philadelphos, ihr Mausoleum enthält nur ihre Urne.“ Und mit dem Kinn deute ich dabei auf ihren majestätischen Grabbau zu unserer Rechten, der von einem vergoldeten Pyramidendach gekrönt wird.
„Aber heutzutage ist es nicht mehr üblich. Und überhaupt, weshalb müssen wir denn dabei sein?“, beharrt er mit vorgerecktem Kinn.
„Warum wir dabei sein müssen?“ Ich schaue ihn entgeistert an. „Um unsere Anteilnahme zu zeigen, natürlich. Pompeius war der Patron unseres Hauses, bis du den Befehl gegeben hast, ihn zu ermorden, schon vergessen?“
Mein Bruder wirft mir einen verärgerten Blick zu. „Theodotos war der Meinung, dass es der einzige Weg sei, Ägyptens Unabhängigkeit zu sichern. Mal ehrlich, Kleopatra, wenn Pompeius hier gelandet wäre, hätte er doch hier seinen neuen Stützpunkt gegen Caesar aufgebaut und dann hätten die beiden ihren Bürgerkrieg in unserem Land ausgefochten!“
„Stattdessen hast du den Befehl gegeben, einen römischen General auf ägyptischem Boden zu ermorden. Normalerweise wäre das allein ein Grund für den römischen Senat gewesen, Ägypten den Krieg zu erklären. Du kannst so unglaublich froh sein, dass Caesar derjenige ist, der die Entscheidungen trifft und dass er darüber hinwegsieht!“
„Ich hab ihm doch einen Gefallen getan, oder nicht?“, beharrt er trotzig.
„Nein, hast du nicht! Du hast ihn um einen ehrenhaften Sieg gebracht und um die Möglichkeit, Pompeius zu begnadigen, wie er es eigentlich vorhatte. Pompeius war immerhin Caesars Schwiegersohn und er hat ihn respektiert. Und da ist es das mindeste, dass du heute Abend mit dabei bist und ein bisschen Betroffenheit zeigst!“ Noch einmal sehe ich ihn mahnend an, doch Ptolemaios meidet meinen Blick und schaut stattdessen mit zusammengepressten Lippen in Richtung der beiden Priesterinnen, die gerade in die Sphinx-Allee einbiegen, die zu den Gräbern unserer Eltern führt. Wir haben unser Ziel erreicht.
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