„Dies soll das Wandern des Sothisaufganges um einen Tag alle 4 Jahre abstellen und verhindern, dass einige Feste zur Zeit im Sommer, in künftigen Zeiten jedoch im Winter gefeiert werden, wie dies in früheren Zeiten geschah.“
Kanopus Dekret im 9. Regierungsjahr von Ptolemaios III, um 238 v. Chr.[1]
„Maiores nostri, patres conscripti, neque consili neque audaciae umquam eguere; neque illis superbia obstat, quo minus aliena instituta, si modo proba erant, imitarentur (…) Postremo, quod ubique apud socios aut hostis idoneum videbatur, cum summo studio domi exsequebantur: Imitari quam invidere bonis malebant.“
„Unseren Vorfahren, versammelte Senatoren, hat es niemals an Einsicht und Kühnheit gefehlt; auch hinderte jene nicht der Stolz, fremde Einrichtungen weniger nachzuahmen, wenn sie nur brauchbar waren. (…) Kurz, was ihnen überall bei den Bundesgenossen und Feinden günstig erschien, das suchten sie mit größtem Eifer zu Hause auszuführen: Sie wollten lieber die Guten nachahmen als beneiden.“
Aus Caesars Rede gegen Cato: Sallust, De Coniuratio Catilinae, 51[2]
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Kurz bevor wir den astronomischen Hörsaal erreichen, schließen Caesar und ich wieder zu meinen Brüdern auf, sodass wir gemeinsam über die Schwelle treten, als die Bibliotheksassistenten die schweren Bronzetüren für uns öffnen. Der Empfang, der sich uns hier bietet, ist allerdings anders als erwartet. Inmitten einer Gruppe weiß gewandeter Priester, Gelehrter und Schüler findet gerade eine lautstarke Auseinandersetzung statt. Die Kontrahenten sind keine geringeren als mein Astronomielehrer Sosigenes und der Gesandte des Hohepriesters: Psenamounis.
„Ein fester sechster Epagomenentag ist Unsinn. Den Kalender aus Bequemlichkeit zu verändern, wäre eine Beleidigung der heiligen Ordnung der Götter!“, ereifert letzterer sich gerade.
„Die Götter haben uns den Verstand gegeben, um zu rechnen. Es ist eine Beleidigung der Götter, ihn nicht zu nutzen!“, hält Sosigenes dagegen.
„Nur, dass Eure Berechnungen fehlerhaft sind!“
Olympos räuspert sich vernehmlich, was die beiden Männer dazu bringt, herumzufahren und augenblicklich zu verstummen, als sie des königlichen Besuches ansichtig werden.
„Anscheinend hat die Diskussion um den Kalender schon ohne uns begonnen“, bemerkt Caesar lakonisch und fährt dann an die beiden gerichtet fort. „Sosigenes und Psenamounis, Vielleicht hättet ihr die Güte, uns an eurer Disputation teilhaben zu lassen?“
„Gewiss, verehrter Konsul und Majestäten“, beeilt sich Sosigenes zu sagen und auch Psenamounis vollführt sofort eine formvollendete Verbeugung in unsere Richtung. Ich bedenke beide mit einem mahnenden Blick, während wir unsere Plätze einnehmen, die im Halbkreis um den Rednerplatz angeordnet sind, wobei ich zwischen Caesar und meinen Brüdern zum Sitzen komme.
„Was genau ist denn das Problem mit dem Kalender?“, fragt Ptolemaios in herrschaftlichem Ton und klingt dabei, als würde er sich wirklich dafür interessieren.
„Seid so gut und fangt nochmal mit den Grundlagen an, Sosigenes“, meint Caesar milde und lehnt sich ein wenig zurück. Seinen rechten Arm hat er beiläufig auf die Rückenlehne meines Stuhls gelegt.
Sosigenes stellt daraufhin zunächst seinen Stellvertreter Acoreus vor und weist die Bibliotheksassistenten an, das Planetarium[3] und den Himmelsglobus in die richtige Position zu bringen, damit wir einen guten Blick darauf haben. Für einen Moment hört man nur das Quietschen der Rollen, mit denen die großen mechanischen Apparaturen auf dem Marmorboden bewegt und installiert werden.
Als alles bereit ist, beginnt Sosigenes wieder zu sprechen: „Majestäten, Imperator, verehrte Besucher, wenn wir nachts den Sternenhimmel betrachten, wie man das hier in den ägyptischen Tempeln seit Jahrtausenden tut“, mit einem versöhnlichen Nicken schaut er kurz zu Psenamounis, der sich inzwischen wieder in die Schar der anwesenden Priester eingereiht hat, „bemerkt man sehr schnell, dass einige Sterne stets dieselbe Position zueinander haben. Sie bilden Sternbilder, von denen einige das ganze Jahr über sichtbar sind, andere nur zu bestimmten Zeiten. Im Laufe der Nacht absolvieren sie ihre Bahnen und anhand ihrer Bewegungen können wir uns in der Dunkelheit orientieren. Es gibt zahlreiche Sternbilder, doch für die Berechnung des Jahres sind die 12 Sternbilder des Tierkreises – des Zodiacs – von besonderer Bedeutung. Mein geschätzter Kollege Acoreus, wird das gleich hier an diesem Himmelsglobus demonstrieren.“ Und damit macht mein alter Lehrer eine weitausholende Handbewegung, welche die astronomischen Geräte, aber auch alle Anwesenden miteinschließt, die sich in der Mitte des großen Saals unter einer gewaltigen Kuppel im Halbkreis niedergelassen haben. Bei dieser vertrauten Geste muss ich schmunzeln und fühle mich unweigerlich in meine eigene Studienzeit zurückversetzt. Sosigenes brennt für die Astronomie und weiß diese Faszination für die Sterne auch in anderen zu wecken.
„Sehr gerne, verehrter Sosigenes“, beginnt Acoreus und wiederholt nun seinerseits die höfischen Begrüßungsfloskeln, bevor er auf die nicht ganz mannsgroße Kugel vor sich deutet. „Dieses Modell des Sternenhimmels wurde vor etwa 70 Jahren von dem bekannten Astronomen Hipparchos von Nicäa entwickelt und zeigt die bekannten 48 Sternbilder und ihre Positionen. Seine Himmelskoordinaten orientieren sich an der Entfernung zum Äquator und sind in Meridiane eingeteilt. Was Hipparchos hier auf dieser Kugel systematisch darstellt, sehen wir natürlich am nächtlichen Firmament wie in einer Kuppel über uns.“ Und mit einem verschmitzten Lächeln nickt er den Bibliotheksassistenten zu. Auf sein Zeichen hin schließen sie die schweren Vorhänge vor den Fenstern bis auf winzige Schlitze und drehen die dort angebrachten Bronzespiegel so, dass sie das noch hereinströmende Sonnenlicht einfangen und an die große Kuppel über uns reflektieren. Wie durch Zauberhand erstrahlen die dort aufgemalten Sterne plötzlich in gleißendem Gold und verwandeln den ganzen Raum über uns in ein plastisches Abbild des nächtlichen Firmaments. Vor einem Hintergrund aus tiefem Ägyptisch-Blau blicken hunderte von Sternen auf uns herab. Bei näherem Hinsehen erkennt man auch die feinen weiß-goldenen Linien, welche die goldenen Punkte zu kunstvoll gemalten mythologischen Sternbildern verbinden. Es wirkt im Halbdunkel, als würden wir uns unter einem riesigen Sternenhimmel befinden. Ich kenne den Effekt dieses Raumes, der bei Besuchern stets Erstaunen hervorruft und der auch an Caesar nicht spurlos vorübergeht, wie ich mit stiller Freude registriere. Ein faszinierter Ausdruck liegt für einen Augenblick auf seinem Gesicht, als er das illuminierte Kunstwerk über uns betrachtet.
Als er sich der allgemeinen Aufmerksamkeit sicher ist, erklärt Acoreus, wie man mit Hilfe von Himmelsgloben und Sternkatalogen die Zeiten des Auf- und Untergangs von Sternen berechnen kann, wobei er immer wieder auf die entsprechenden Sternbilder an der Decke über uns verweist. Nach dieser anschaulichen Einstimmung übergibt er das Wort wieder an Sosigenes, der zunächst veranlasst, dass die Vorhänge wieder geöffnet werden und den Dienern Zeit gibt, uns mit Erfrischungen und Getränken zu versorgen.
Meine Brüder bedienen sich an den Schalen mit gesüßtem Gebäck, die auf kleinen Beistelltischchen vor unseren Stühlen aufgetragen werden. Ich hingegen trinke nur ein wenig Wasser. Über den Rand meines lotosförmigen Kelches schaue ich dabei zu Caesar, der die Pause nutzt, um einige Worte mit Sextus zu wechseln. Bedächtig nehme ich einen Schluck aus meinem Wasserkelch und winke dann Khered-Anch zu mir. „Bitte geh kurz zu deinem Onkel und richte ihm aus, dass ich ihn im Anschluss sprechen möchte.“
„Ja, Majestät.“ Die junge Priesterin begibt sich sogleich zu Psenamounis, der kurz zu mir herüberblickt und ein Nicken andeutet.
„Was ist das für ein Streit zwischen Sosigenes und Psenamounis?“, fragt Caesar leise auf Latein. Seine Obsidianaugen mustern mich intensiv und plötzlich habe ich wieder seine ganze Aufmerksamkeit.
„Wahrscheinlich nur das Übliche“, erwidere ich ebenfalls auf Latein, „der alte Streit zwischen ägyptischen Priestern und hellenistischen Wissenschaftlern. Aber davon abgesehen sind die beiden einfach grundsätzlich anderer Meinung und diskutieren gerne.“
„Von der Sorte kenne ich auch so einige“, bemerkt Caesar trocken, doch ein kleines Lächeln spielt um seine Mundwinkel. „Allerdings geht es dabei meistens nicht um einen wissenschaftlichen Disput auf solch hohem Niveau.“
„Wann gibt es eigentlich was Richtiges zu essen?“, fragt Maios dazwischen, während er an einem Stück Erdmandelkonfekt knabbert.
„Im Anschluss, mein Prinz. Der Epistates hat alle zu einem gemeinsamen Essen im Speisesaal der Gelehrten eingeladen“, höre ich die leise Auskunft seiner Amme.
In diesem Moment öffnen sich die Tore, um einen etwas verlegen wirkenden Diodorus hereinzulassen, der mit mindestens 20 Schriftrollen beladen ist. Apollodorus bedeutet ihm, sich unauffällig zu uns zu gesellen. Aber Sextus winkt ihn zu sich, um ihm zuvorkommend den Platz neben sich anzubieten.
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[1] Übersetzung: Siegfried Schott, Altägyptische Festdaten, Mainz / Wiesbaden, 1950, S. 915.
[2] https://www.lateinheft.de/sallust/sallust-bellum-catilinae-kapitel-51-ubersetzung/#comments
[3] Das hier beschriebene Planetarium ist eine antike Form der Armillarsphäre, wobei sich auch Vergleiche mit dem Mechanismus von Antikythera anbieten, der auf 70-60 v. Chr. datiert wird.