Als Diodorus schließlich auf die Verwandtschaft zwischen unserem Dynastiegründer Ptolemaios Soter mit Alexander dem Großen zu sprechen kommt, merke ich, wie die Aufmerksamkeit der Anwesenden sich wieder auf den Redner und den König verlagert, wobei die Mundwinkel des letzteren immer noch diesen missvergnügten Zug aufweisen. Das ändert sich auch nicht, als bereits Serapion als nächster Redner auftritt und über Kleopatra von Makedonien, die Schwester Alexanders des Großen berichtet, die beinahe meine Urahnin geworden wäre, aber vor ihrer Hochzeit mit meinem Vorfahren ermordet wurde.
„Arsinoe wählt die heutigen Themen ja wirklich mit Bedacht“, meint Caesar beiläufig.
„Ja, wobei die Idee mit dem Vortrag über Alexander und Thalestris ihr spontan gekommen sein dürfte“, antworte ich zynisch.
„Hat euer Vater deiner Schwester eigentlich ab und zu eine Tracht Prügel verabreicht?“, lautet Caesars trockener Kommentar.
„Nein, wir sind die Kinder eines Gottes. Wir wurden nie körperlich bestraft.“ Bis auf das eine Mal, wo selbst mein Vater die Geduld mit Arsinoe verloren hatte…
„Schade. Aber das erklärt so einiges.“
Serapion erzählt inzwischen die romantische Geschichte von Stratonike, der Tochter des makedonischen Königspaares Demetrios Poliorketes und Phila: „…Prinzessin Stratonike wurde mit dem berühmten Seleukos Nikator, einem der Feldherren Alexanders und Gründers des Seleukidenreiches vermählt. Doch Seleukos‘ erwachsener Sohn, Antiochos, verliebte sich unsterblich in die junge Gemahlin seines Vaters. Wegen dieser unerfüllbaren Liebe wurde der Prinz so schwermütig, dass er ernsthaft erkrankte. Der König war in großer Sorge um das Leben seines Sohnes. Als jedoch die schöne Stratonike das Krankenzimmer betrat, erkannte der Arzt Erasistratos an den körperlichen Symptomen, dass der Prinz nicht körperlich krank, sondern todunglücklich verliebt war. Als der Arzt dies dem König berichtete, trennte Seleukos sich von Stratonike, damit sein Sohn sie heiraten und mit ihr glücklich werden konnte. Und so geschah es: Als Antiochos den Thron erbte, wurde Stratonike seine Königin. Sie wurde die Mutter des Thronfolgers Antiochos Theos und über ihre Tochter Apame, zur Großmutter unserer hochverehrten Königin Berenike Euergetis…[3]“
Nachdem Serapion seine Erzählung unter allgemeinem Beifall beendet hat, tritt der nächste Redner nach vorne. Ein junger Gelehrter namens Rhodon, der an die Rede seines Vorgängers anknüpft und damit beginnt, die Geschichte des Antiochos Theos und der Berenike Syra zu erzählen. Und tatsächlich schafft er es, das Thema so spannend vorzutragen, dass auch ich bald die Bilder aus den goldenen Anfängen des Ptolemäerreiches vor mir sehe. „…Die Herrscher der beiden großen Häuser der Ptolemäer und Seleukiden schlossen Frieden. Und so begleitete Pharao Ptolemaios Philadelphos seine Tochter Berenike Syra persönlich bis nach Pelusium, von wo aus sie aufbrach, um den Seleukidenherrscher Antiochos Theos zu heiraten. Es war eine überaus prächtige Hochzeit. Der Pharao stattete den Brautzug seiner Tochter so reich aus, dass sie von da an auch Berenike Phernephóros, die Mitgiftträgerin genannt wurde. Doch es war der Liebreiz der Prinzessin, mit dem sie das Herz ihres Gemahls gewann. Antiochos trennte sich von seiner ersten Gemahlin Laodike und machte Berenike Syra zur Königin des Seleukidenreiches. Bald wurde dem Paar ein Sohn geboren, den der Herrscher zum Erben erklärte und der das ptolemäische und seleukidische Reich hätte einen können. Doch es sollte anders kommen. Im guten Glauben und dem Vorsatz, mit seiner ersten Gemahlin Frieden schließen zu können, reiste Antiochos einige Jahre später nach Ephesos. Doch kaum war er dort angekommen, starb er auf mysteriöse Art und Weise.“
Rhodon macht eine dramatische Pause und blickt in die Runde. „Alles deutete auf einen Giftmord hin, doch natürlich leugnete Laodike ihre Verwicklung in die feige Tat. Sie machte stattdessen ein gefälschtes Testament geltend, in dem der verstorbene Seleukidenkönig Berenikes Sohn enterbte und dafür Laodikes Sohn zum Erben erklärte. In ihrer Bedrängnis wandte sich Königin Berenike Syra an ihren Bruder Ptolemaios Euergetes, der gerade den ägyptischen Thron bestiegen und sich frisch vermählt hatte. Doch als Berenikes Hilferuf Alexandria erreichte, zögerte er keinen Augenblick. Zusammen mit seiner jungen Frau mobilisierte er umgehend das Heer und brach unverzüglich auf, um seiner belagerten Schwester und seinem kleinen Neffen im fernen Antiochia beizustehen.“
Wieder macht Rhodon eine dramatische Pause und plötzlich liegt Trauer in seinem Blick, als hätte er diese Geschichte, die sich vor nunmehr 200 Jahren ereignete, selbst erlebt.
„Der junge Mann hat Talent“, würdigt auch Caesar neben mir die Vorstellung des Redners und ich nicke zustimmend, während Rhodon auch schon fortfährt:
„Noch während die ägyptische Flotte unter dem Befehl des Königs in See stach, ereigneten sich in Antiochia dramatische Dinge. Dort standen sich die Anhänger der beiden Seleukidenköniginnen unversöhnlich gegenüber. Im Zuge der Kampfhandlungen gelang es zwei Gefolgsleuten der Laodike, den kleinen Sohn der Berenike zu entführen. Als Berenike Syra davon erfuhr, griff sie selbst zu den Waffen, sprang auf ihren Streitwagen und raste zum Ort der Entführung. Mit eigener Hand schleuderte sie ihre Lanze und streckte anschließend einen der beiden Entführer mit dem Schleuderstein nieder. Dennoch konnte sie ihren Sohn nicht mehr retten. Der Junge wurde ermordet und kurze Zeit später teilte auch die unglückliche Mutter und tapfere Kriegerin das Schicksal ihres Kindes. Als König Ptolemaios Euergetes in Antiochia eintraf, konnte er nur noch den Tod seiner Schwester und seines Neffen beklagen und den Mord an ihnen rächen…“
„Eine tragische Geschichte, aber sie wirft ein interessantes Licht auf die Ptolemäerinnen“, bemerkt Caesar leise. „Deine Vorfahrinnen haben also schon vor 200 Jahren entweder gekämpft oder Herrscher dazu gebracht, sich unsterblich in sie zu verlieben.“
„Manche haben beides geschafft. Berenike Syra musste den Krieg gegen Laodike ja nur deshalb führen, weil der König seine erste Frau ihr zuliebe verlassen hatte“, flüstere ich.
„Hm, wenn sie nur ein bisschen wie du war, kann ich das sehr gut nachvollziehen.“ Ich blinzele zu ihm auf und sehe das Lächeln in seinen Augen. Eine sanfte Wärme breitet sich in meinem Körper aus und strömt bis in meine Wangen.
Rhodon schildert indessen einige Details der Ereignisse und Schlachten und zitiert schließlich eine Lobeshymne auf die Taten des Königs:
„Der Großkönig Ptolemaios, Sohn des Königs Ptolemaios und der Königin Arsinoe, der Geschwistergötter…väterlicherseits Abkömmling des Herakles, des Sohnes des Zeus, mütterlicherseits Abkömmling des Dionysos, des Sohnes des Zeus, übernahm von seinem Vater das Königtum in Ägypten, Libyen, Phönizien, Zypern, Lykien, Karien und auf den Kykladen. Er zog mit seinem Heer gegen Asien, mit Fußtruppen, Reitern, der Flotte sowie troglodytischen und äthiopischen Elefanten, die er und sein Vater eigenhändig als erste in der Gegend um Adulis jagten, nach Ägypten brachten und für den Krieg abrichteten. Er machte sich zum Herrn über alles Land diesseits des Euphrat, über Kilikien, Pamphylien, Ionien, den Hellespont und Thrakien, über alle Krieger in diesen Ländern samt ihrer indischen Elefanten und zwang die Herrscher all dieser Gegenden zur Unterwerfung. Dann überschritt er den Euphrat, und nachdem er Mesopotamien, Babylonien, Susiana, Persis und Medien und alle anderen Länder bis nach Baktrien seinem Gebot unterstellt hatte, ließ er suchen, was einst an heiligen Gegenständen von den Persern aus Ägypten fortgenommen worden war, und ließ diese mitsamt der übrigen Beute aus allen Ländern nach Ägypten bringen. Danach sandte er seine Truppen durch die Kanäle heim.“[4]
Rhodon wendet sich noch einmal mit würdevoller Geste an die Zuhörer und schließt dann mit den Worten: „Der sogenannte Laodike-Krieg dauerte fünf Jahren. Pharao Ptolemaios Euergetes war in vielen Schlachten siegreich. Er eroberte Babylon, Antiochia und Kleinasien und fügte dem Ptolemäerreich die thrakischen Städte und Küsten hinzu. Letztendlich schloss er jedoch Frieden mit dem Sohn der Laodike und erkannte ihn als Herrscher des Seleukidenreiches an. Der Traum einer Vereinigung der beiden mächtigen Dynastien und eines erneuerten Alexanderreiches war jedoch gescheitert.“ Meine Augen wandern zu Caesars römischen Wachen und Offizieren. Inzwischen sind die Seleukiden ausgelöscht und ihre glanzvolle Residenz Antiochia ist nur noch eine Provinzhauptstadt des Römischen Reiches. Ihre Geschichte dient als Stoff für Legenden, doch Rom ist real. Rom ist die neue Weltmacht und ihr Herrscher träumt den alten Traum Alexanders. Das sehe ich in Caesars Augen.
...............................................................................
[3] Berenike II.
[4] Freie und gekürzte Nachdichtung einer griechischen Inschrift, basierend auf den Übersetzungen von: Wilhelm Dittenberger: Orientis Graeci inscriptiones selectae (OGIS). Band 1, Leipzig 1903, S. 54; Kai Brodersen/Wolfgang Günther/Hatto H. Schmitt: Historische Griechische Inschriften in Übersetzung (HGIÜ). Band 3: Der griechische Osten und Rom (250–1 v. Chr.) (= Texte zur Forschung. Band 71), Darmstadt 1999, S. 403; Steffan Pfeiffer, Die Ptolemäer. Im Reich der Kleopatra, Stuttgart 2017, S. 84. https://de.wikipedia.org/wiki/Ptolemaios_III.