„Sed alia aliis licentia est, patres conscripti.
Qui demissi in obscuro vitam habent, si quid iracundia deliquere, pauci sciunt: fama atque fortuna eorum pares sunt; qui magno imperio praediti in excelso aetatem agunt, eorum facta cuncti mortales novere.
Ita in maxuma fortuna minuma licentia est; neque studere neque odisse, sed minume irasci decet; quae apud alios iracundia dicitur, ea in imperio superbia atque crudelitas appellatur.“
„Aber nicht allen wird gleiche Freiheit des Handelns zugestanden, Senatoren.
Wenn diejenigen, die ihr Leben gebückt im Dunkeln führen, irgend etwas aus Jähzorn begangen haben, wissen es nur wenige: Deren Ruf und (deren) soziale Stellung sind gleich; die, die mit großer Macht versehen, ein Leben im Licht der Öffentlichkeit führen, deren Taten kennen alle Menschen.
So gibt es in der höchsten sozialen Stellung die geringste Handlungsfreiheit; es schickt sich weder Zuneigung noch Abneigung zu zeigen, aber am wenigsten (schickt es sich) in Zorn geraten; was bei anderen Jähzorn genannt wird, das wird bei denen, die an der Macht sind, Hochmut oder Grausamkeit genannt.“
Aus Caesars Rede gegen Cato: Sallust, De Coniuratio Catilinae, 51[1]
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Ptolemaios runzelt die Stirn und der Ausdruck, mit dem er meine Hofdame Thais mustert, gefällt mir ganz und gar nicht. Mit wenigen Schritten bin ich bei ihm und sehe unseren jüngsten Bruder streng an. „Maios, hast du irgendwelche von den Kernen gegessen?“
„Nein, ich wollte sie mir nur näher anschauen, sie schillern so schön“, beteuert der Prinz und fügt mit einem bittenden Blick auf die kniende Frau hinzu. „Meine Amme hat mir eingeschärft hier nichts zu essen. Daran halte ich mich doch!“
„Den Göttern sei Dank!“ Ich atme einmal durch und wende mich dann an die Amme: „Lass dir das eine Warnung sein und bringe Isis, die über das Wohl der Kinder wacht, ein großzügiges Opfer dar!“ Die Frau küsst noch einmal den Boden und kommt dann unter Dankbarkeitsbeteuerungen wieder auf die Beine. Sofort sind ihre beiden Kinder bei ihr und auch Maios wirft mir einen dankbaren Blick zu. Doch Ptolemaios wirkt weiterhin unzufrieden.
„Wollen wir dann weiter, geliebter Bruder?“, frage ich ihn betont freundlich.
Doch in Ptolemaos‘ Augen ist plötzlich wieder dieses trotzige Funkeln. „Noch nicht, geliebte Schwester. Nicht nur die Amme hat sich der Nachlässigkeit schuldig gemacht. Ist das nicht eine deiner Hofdamen, die über die Zutaten hätte wachen sollen?“ Und damit deutet er auf Thais. „Sie kennt sich offenbar mit giftigen Pflanzen aus und hat zugelassen, dass ein ägyptischer Prinz damit in Berührung kam!“
Ich stöhne innerlich auf, denn damit steht Thais im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Übergangslos fällt das Mädchen auf die Knie und berührt mit der Stirn den Boden. „Verzeiht meine Unachtsamkeit, Göttliche Majestäten. Doch bitte hört mich an, es ist nicht so, wie es den Anschein hat.“
Meine Augen wandern von der zitternden Hofdame zum herausfordernden Ausdruck im Gesicht meines Bruders, der sich mal wieder als König aufspielen muss. Er will, dass ich Thais öffentlich bestrafe, ungeachtet der Begründung, die sie vorbringen mag. Denn wenn ich es nicht tue, könnte es so wirken, als sei diese Nachlässigkeit in Wirklichkeit Absicht und auf meinen Befehl hin geschehen. Die versammelten Freunde des Königs mustern uns abwartend und Ptolemaios ist sich der allgemeinen Aufmerksamkeit bewusst. Er ist und bleibt ein selbstgefälliger, verzogener kleiner Intrigant!
Doch die Entscheidung wird mir von Caesar abgenommen, der in diesem Moment zwischen uns tritt. Wie selbstverständlich legt er dem König einen Arm um die Schulter und wirkt dabei völlig gelassen. „Ptolemaios, ich bin sehr froh, dass du dich um das Wohlergehen deines Bruders sorgst. Genauso muss es sein. Doch bevor hier irgendeine Verurteilung stattfindet, sollten wir zunächst die Sachlage prüfen, meinst du nicht auch?“
Ptolemaios erwidert Caesars resoluten Blick und nickt schließlich, womit er sich der Autorität des römischen Konsuls beugt. Ich atme erleichtert auf.
„Gut.“ In freundlichem Ton, aber so laut, dass ihn alle im Saal hören, wendet sich Caesar an den jungen Arzt, der in einigem Abstand gewartet hat. „Bitte seid so gut und erklärt uns nun den Sachverhalt, Sostratos!“
Der Arzt verfällt sofort in eine tiefe Verneigung. Wie zufällig stellt er sich dabei vor seine Schwester Thais und schirmt sie damit vor den Blicken des Hofes ab. „Majestäten und Imperator, hier liegt ein Missverständnis vor. Die Hofdame der Königin hat sich nichts zu Schulden kommen lassen, denn diese Rizinus-Samen wurden bereits erhitzt und enthalten deshalb kein Gift mehr. Sie wirken in diesem Zustand nur als leichtes Abführmittel, sind aber ansonsten völlig harmlos. Für das Leben des Prinzen bestand daher nie eine Gefahr!“
Caesar nickt Olympos zu, der nun neben Sostratos tritt und den Samen, den er Maios abgenommen hat, näher betrachtet. Nachdem er auch noch die Schale mit den übrigen Samen in Augenschein genommen hat, wirkt er sichtlich erleichtert. „Verzeiht meine voreilige Reaktion, Majestäten. Es handelt sich hier in der Tat um bereits erhitzte Samen“, bestätigt er Sostratos‘ Aussage.
„Das Gift wird also tatsächlich durch Hitzeeinwirkung unschädlich gemacht?“, fragt Caesar nach, der nun schon wieder wissenschaftlich interessiert klingt.
„Ja“, bestätigt Olympos. „in erhitztem Zustand kann man die Samen bedenkenlos verwerten, beispielsweise in Kosmetika, die den Haarwuchs fördern oder, wie Sostratos bereits erwähnte, als leichtes Abführmittel. Auch unerhitzt ist ein einzelner Rizinus-Same nicht tödlich, er wirkt dann jedoch als sehr starkes Abführmittel und sollte nur mit größter Vorsicht von einem erfahrenen Arzt verabreicht werden, denn eine Überdosierung führt zu blutigen Ausfluss und damit letztendlich zum Tode.“
„Also kann man festhalten, dass diese Samen hier ungefährlich sind und man sie sogar unbedenklich verzehren kann?“, hakt Caesar nach.
„Ja, im Prinzip schon“, bestätigt Olympos, hinter dem sich nun auch der ebenfalls nickende Apollonios eingefunden hat, der noch ergänzt: „Sie schmecken sogar recht gut, wie Nüsse. Und die leicht abführende Wirkung ist bei einem alten Mann wir mir sogar hilfreich. Ich habe mir angewöhnt, vor jeder Mahlzeit einen zu mir zu nehmen.“ Und damit greift der ältere Arzt in die Schale und schiebt sich einen der Samen in den Mund, um dann demonstrativ darauf herumzukauen.
Caesar hat eine Braue gehoben, lässt das aber ansonsten unkommentiert und wendet sich stattdessen wieder an Olympos: „Gut, dann bleibt festzuhalten, dass es sich in der Tat um ein Missverständnis handelte und das Leben des Prinzen nie in Gefahr war. Dennoch danke ich Euch für Euer beherztes Eingreifen, Olympos. Dass man bei den hier gelagerten Zutaten lieber übervorsichtig ist, versteht sich von selbst.“
„Trotzdem war die Hofdame unaufmerksam“, versucht Ptolemaios es noch einmal. Kann er nicht einfach mal den Mund halten!
„Ein wichtiger Punkt, Ptolemaios“, geht Caesar liebenswürdig darauf ein. „Thais, erkläre uns doch einmal, warum du so abgelenkt warst! War es vielleicht die göttliche Majestät des Königs, die dich so beeindruckt hat, dass du vor Bewunderung einen Moment alles um dich herum vergessen hast?“
Erschrocken und verwirrt sieht das immer noch kniende Mädchen zu Caesar auf und murmelt dann mit hochrotem Gesicht. „Verzeiht, aber so war es wohl. Die Anwesenheit und Bewunderung der Göttlichen bringt uns Sterbliche leicht aus der Fassung.“
Caesar lacht und wendet sich in vertraulichem Ton wieder an den König: „Nimm es als Kompliment, Ptolemaios. Der Respekt, den man den Pharaonen hier in Ägypten entgegenbringt, ist wirklich beeindruckend. So etwas kennt man in Rom nicht. Doch du wirst mir sicher zustimmen, dass es in Anbetracht der Umstände vernünftig erscheint, es bei einer allgemeinen Ermahnung zu belassen. Die Amme, die Hofdame und alle Angestellten werden sich die Warnung zu Herzen nehmen und in Zukunft noch achtsamer sein. Glaub mir, Ptolemaios, Verzeihen und Milde in den richtigen Situationen wirken oft nachhaltiger als die Abschreckung durch Strafen.“
Und wie auf Kommando, beteuert Thais, in Zukunft aufmerksamer zu sein und bedankt sich für die Gnade des Königs, bis dieser ihr mit einem Wink erlaubt, sich wieder zu erheben. Und plötzlich setzten die Gespräche um uns herum wieder ein, und erleichtertes Getuschel klingt von allen Seiten zu mir herüber.
Caesar schaut gelassen in die Runde und verwickelt meinen Bruder und die Ärzte noch in ein Gespräch über die hier hergestellten Arzneimittel, während ich noch geschockt bin, wie schnell die Stimmung von heiterer Gelassenheit in bedrohlichen Ernst umschlagen konnte. Und gleichzeitig bin ich fasziniert von der Leichtigkeit, mit der Caesar die Situation wieder beruhigt hat. Ohne ihn wäre Ptolemaios vielleicht nicht zu stoppen gewesen, denn die Unsicherheit meines Bruders ist seine Schwäche. Gerade wenn er glaubt, seine Königswürde unter Beweis stellen zu müssen, wird er gefährlich und unberechenbar. Ptolemaios ist Pharao, der Herr über Leben und Tod. Doch er kann mit dieser Macht nicht umgehen. Er ist ein Kind, das König spielt und innerlich verzweifelt darum bemüht ist, überzeugend zu wirken. Selbst wenn das bedeutet, Kriege zu führen und Todesurteile auszusprechen.
Ich tausche mit Charmion einen stummen Blick. Auch sie lässt sich nichts anmerken, aber ihre Hände haben sich um den Straußenfederfächer in ihren Händen verkrampft. Was sollen wir nur tun, wenn Caesar wieder aufbricht? Hätte mein Einfluss in einer Situation wie dieser genügt? Hätte ich mich für Thais eingesetzt, hätte mir das als Anmaßung dem König gegenüber ausgelegt werden können. Ich kenne die höfischen Machtspiele zur Genüge. Ich bin Mitregentin, aber ich kann und darf meine Stimme in der Öffentlichkeit nicht gegen den König erheben. Auch wenn ich genauso wie Caesar vorgegangen wäre – meine Stimme hätte nicht das gleiche Gewicht besessen. Ich hätte sicherlich das Schlimmste verhindern können, aber dafür einen Teil meines Einflusses eingebüßt und der hätte mir bei einer weiteren Situation wie dieser dann gefehlt…oder ich hätte meinem Bruder nachgeben und Thais bestrafen müssen, für ein Vergehen, das im Grunde überhaupt keines ist.
Nachdem Caesar sein Gespräch beendet hat, wendet er sich wieder mir zu und wirkt dabei völlig unbeschwert. „Wollen wir nun weiter zur astronomischen Abteilung? Schließlich sind wir doch wegen Sosigenes und der Berechnungen zum Kalender hier.“
„Ja, das wäre sehr schön!“, stimme ich sofort zu und greife nach seiner dargebotenen Hand. Olympos übernimmt wieder die Führung und die Hofgesellschaft setzt sich mit meinen Brüdern an der Spitze in Bewegung. Doch diesmal hält Caesar mich zurück, sodass wir mit unserer Eskorte den Abschluss bilden. Sextus hat wieder ein Gespräch mit Charmion und Khered-Anch begonnen, an dem sich nun auch Apollodorus beteiligt. Alle tun so, als sei nichts geschehen.
„Danke“, sage ich leise zu Caesar, als wir wieder nebeneinander gehen.
„Gerne. Wir sollten uns die Stimmung nicht verderben lassen, nur weil dein Bruder mal wieder seinen Standpunkt durchsetzen wollte“, meint er zynisch.
„Meinst du, er hat gemerkt, dass du dich über ihn lustig gemacht hast?“, flüstere ich auf Latein.
„Unwahrscheinlich“, erwidert er gelassen auf Griechisch. Ein feines Lächeln umspielt seine Mundwinkel und als sich unsere Blicke treffen, sehe ich das amüsierte Funkeln in seinen Augen. Plötzlich muss ich selber lachen und damit ist die Leichtigkeit zurück.
„Du weißt schon, warum Thais so nervös war, oder?“, frage ich leise.
„Etwa nicht wegen der göttlichen Anwesenheit des Königs?“
„Eher wegen deines unangekündigten Besuches – neulich im Bad.“
„Ach deshalb war die Kleine vorhin so schreckhaft“, bemerkt er belustigt, als er die Andeutung begreift. „Dabei war ich doch sehr höflich, oder etwa nicht?“
„Doch. Für deine Verhältnisse schon“, bemerke ich mit leichter Ironie. „Aber ich glaube, meine Mädchen sind immer noch ziemlich eingeschüchtert.“
„Und du, bist du auch davon eingeschüchtert?“
„Nein“, flüstere ich, „mir hat´s gefallen.“
~*~
Hand in Hand durchqueren wir die mit astronomischen Darstellungen geschmückten Flure. Caesar betrachtet die Virtuosität der Malereien und Mosaiken und ich betrachte ihn; sein aristokratisches und ausdrucksstarkes Profil. Egal, was passiert, er bleibt immer Herr der Lage. So wie Caesar sollte ein Herrscher sein! Und der Unterschied zwischen ihm und meinem Bruder könnte nicht größer sein! Caesar hat mich gerade eben schon wieder beschützt und ich möchte auch ihn schützen. Aber wenn Julius Caesar mein Gemahl wäre…was könnten wir zusammen bewirken! Wir ergänzen und verstehen uns in einer Art und Weise, die schon magisch ist. Magie – Heka –, der Stoff, der die Welt durchdringt und zusammenhält. Und wir beide sind die Erben der Götter. Ich habe mich noch nie so geliebt und beschützt gefühlt, so willig, mich einem anderen anzuvertrauen.
Politisch haben wir andere Prioritäten – und doch, mit ihm kann ich immer eine Lösung finden, das spüre ich, denn auch ihm ist das wichtig. Immer öfter schaut er mich so liebevoll an und selbst hinter seiner Neckerei verbirgt sich nichts anderes als Zuneigung. Mit ihm als König an meiner Seite wäre das Leben ein Fest, wo es mit meinem Bruder ein einziger Kampf ist. Was wäre, wenn die Mythen wahr werden? Hat Caesar nicht selbst bewiesen, dass man das Schicksal ändern kann? Oder ist auch sein unglaublicher Siegeszug nichts anderes als vorherbestimmt? Er ist wirklich der neue Alexander, aber was das tatsächlich bedeutet, wird mir erst nach und nach bewusst. Zusammen könnten wir die Welt verändern, zusammen könnten wir alles erreichen!
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[1] https://www.lateinheft.de/sallust/sallust-bellum-catilinae-kapitel-51-ubersetzung/#comments