„Nil nimium studeo, Caesar, tibi velle placere,
nec scire, utrum sis albus an ater homo.“
(Catull. 93, 1-2)
„Wenig kümmert es mich, o Cäsar, dir zu gefallen,
Ob du bist weiß, ob schwarz, dieses auch kümmert mich nicht.“
(Übersetzung von F.Pressel, 1889)
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„Was kann ich für dich tun, Sextus?“ Caesar ist der interessierte Blick seines Großcousins nicht entgangen.
„Ähm…ja, genau, was soll mit Theodotos geschehen? Meine Männer haben ihn im Auge behalten und hierher eskortiert, aber bisher als normalen Gast behandelt. Ich nehme an, du willst ihn sprechen?“
„Ja, in der Tat. Aber gib ihm noch ein bisschen Zeit, damit er sich für die Reise stärken kann.“ Caesar lächelt süffisant. „Ach und Sextus!“
„Ja, Onkel?“
„Virgo non tangere!“[1]
Ich winke Charmion zu mir und bitte sie, Khered-Anch, die Caesars lateinischen Kommentar zum Glück nicht verstanden hat, mit den anderen Hofdamen bekannt zu machen.
„Und bitte hilf ihr, sich hier einzugewöhnen und gib ihr ein Zimmer neben deinem. Oder noch besser…“ ich senke die Stimme, damit nur sie mich hört: „kann sie heute Nacht bei dir unterkommen?“
„Natürlich, Majestät.“ Charmion wirft mir einen verschwörerischen Blick zu. Sie hat verstanden und wird das Mädchen nicht aus den Augen lassen.
„Sehr gut, dann veranlasse das, Charmion, und bitte geh danach zu Sosigenes und schick ihn zu mir. Der Konsul hat einige Fragen bezüglich des Kalenders.“
„Sehr gerne, Majestät.“ Charmion verneigt sich und nimmt Khered-Anch, die sich ebenfalls schüchtern verneigt, mit zu den anderen Hofdamen, um die Mädchen miteinander bekannt zu machen.
Sextus sieht ihr nach und wendet sich dann mit gespielter Entrüstung an seinen Feldherrn. „Was denkst du denn von mir, Onkel?“
„Ich kenne diesen Blick, Sextus. Aber sie ist die Tochter des Hohepriesters und wir können uns momentan nicht noch mehr Komplikationen leisten. Also, such dir ein anderes Mädchen für heute Nacht! Und jetzt genieß das Fest und lass Theodotos in einer Stunde zu mir bringen.“
„Wie du wünschst, Onkel,“ Sextus verabschiedet sich und mischt sich dann wieder unter die Gäste, nicht jedoch, ohne uns noch ein jungenhaftes Grinsen zu schenken.
Ich sehe Sextus Julius Caesar nach. Ob Gaius Julius Caesar als junger Mann auch so war? „Meinst du, er hält sich daran?“, wende ich mich an meinen mächtigen römischen Liebhaber und Beschützer.
„Wenn nicht, kann ich ihn ja eine Woche lang zum Latrinendienst einteilen." Caesar lächelt belustigt bei dem Gedanken. „Der Kleine glaubt wohl, er kann sich alles erlauben, nur weil er mit mir verwandt ist!“
Von wem er das wohl hat? Laut frage ich: „Warum nennt Sextus dich eigentlich Onkel, ich dachte, er ist dein Cousin?“
„Ja, er ist der Enkel des Bruders meines Vaters und damit mein Großcousin. Aber vom Alter her könnte er in der Tat eher mein Neffe sein. Er ist ja gerade mal Anfang dreißig.“ Caesar hebt eine Augenbraue und fügt dann in ironischem Ton hinzu: „Ich weiß auch nicht, warum mich in letzter Zeit mehrere Leute hier als ,Onkel‘ bezeichnen. Vielleicht muss ich mal wieder ein bisschen mehr Härte zeigen, um die Disziplin wieder herzustellen? Hm, meinst du, ich bin zu nachsichtig?“
„Also ich finde du zeigst genug Härte, wo sie angebracht ist.“
„Ist das so?“
Der dunkle Ton seiner Stimme erweckt auf einmal ganz andere Assoziationen in mir zum Leben und unter seinem amüsierten Blick schießt mir die Röte in die Wangen. Schnell senke ich die Lider. Von was reden wir hier eigentlich? „Ich denke schon, aber…ich bin dir auch dankbar für deine Nachsicht mir gegenüber“, füge ich vorsichtshalber hinzu.
Er schmunzelt: „Das will ich dir auch geraten haben, mein Kätzchen.“
„Warum nennst du mich eigentlich Kätzchen?“, versuche ich meine Verlegenheit zu überspielen und werfe noch einen Blick zu meinen Hofdamen, um mich zu vergewissern, dass wir auch wirklich außer Hörweite sind. Doch alle sind zum Glück damit beschäftigt, Khered-Anch kennenzulernen und auszufragen.
„Weil du genauso neugierig bist, wie ein Kätzchen.“ Er lächelt. „Und genauso süß. Außerdem sind Katzen doch heilig in Ägypten, nicht wahr?“
„Ja, sie sind eine Erscheinungsform der Göttin Bastet“
„Na siehst du, dann passt das doch. Ich sollte wirklich eine Statue von dir in Auftrag geben.“
„Als Katzengöttin?“, frage ich belustigt.
„Auch eine interessante Idee, aber ich fürchte die Darstellung einer zoomorphen Göttin mit Frauenkörper und Katzenkopf, wäre für die meisten Römer dann doch zu befremdlich.“
„Also doch lieber als Venus?“, frage ich in Erinnerung an seinen Gedanken von heute Morgen.
„Nun, die Göttin Venus ist schließlich meine Stammutter. Und die ägyptische Isis entspricht doch der römischen Venus, nicht wahr? Vor der Schlacht von Pharsalos habe ich der Göttin gelobt, ihr einen neuen Tempel zu erbauen. Und dies habe ich vor, sobald ich wieder in Rom bin.“ Caesar mustert mich intensiv. Er meint das wirklich ernst, auch wenn sein Ton wieder halb belustigt klingt und er sich lässig zurückgelehnt hat. „Eine Statue von dir würde sich darin wirklich gut machen. Ich sollte den berühmten Stephanos aus der Bildhauerwerkstatt des Pasiteles damit beauftragen.“
„Stephanos, wie unser Kronenbewahrer?“ Ich suche den alten Mann im Saal und stelle erfreut fest, dass er sich gerade angeregt mit Apollodorus unterhält, während er sich eine Ente schmecken lässt.
„Ja, genau, der junge Stephanos gilt momentan als bester Bildhauer Roms. Wenn ich eine Statue von dir fertigen lassen würde, wäre er mein Ansprechpartner. Weißer Marmor würde mir gefallen, vielleicht vergoldet.“ Caesar schmunzelt und seine Augen wandern ungeniert über meinen Körper.
„Müsste ich dann nicht nackt Model stehen?“
„So enganliegend wie dein Kleid heute wieder ist, sollte das kaum nötig sein. Warum tragen ägyptische Prinzessinnen eigentlich solche Kleider?“
Ich lächele. „Weil wir es können!“
„Hm, Kannst du diese Erklärung auch konkretisieren?“
Ich zucke leicht mit den Schultern. „Das ist seit Jahrtausenden so, wenn ich in Oberägypten in der Rolle der Göttin erscheine, trage ich sogar noch weniger. Nun, vermutlich könnte ich nackt durch die Gänge laufen und die Höflinge würden es trotzdem nicht wagen, mich auch nur lüstern anzusehen. Die Töchter und Gemahlinnen eines Pharaos sind heilig. Wer die Hand nach ihnen ausstreckt, wird diese Hand verlieren, das weiß jeder.“ Ich werfe Caesar einen herausfordernden Blick zu. Er ruht neben mir auf der Kline und hat sich lässig zurückgelehnt. Natürlich berühren wir uns nicht, aber wir sind uns trotzdem sehr nahe. Die Luft zwischen uns knistert und die Spannung ist fast greifbar. Er könnte mit Leichtigkeit die Hand nach mir ausstrecken und niemand würde es ihm verwehren. Am wenigsten ich.
„Kein römischer Mann würde sich davon abschrecken lassen, Kleopatra.“
Ich lächele. „Ihr seid eben schlecht erzogen.“
Das Blitzen in Caesars Augen wird herausfordernd. „Gib zu, dass dir das gefällt!“
„Bei dir…vielleicht.“ Ich lächele und erwidere seinen Blick. „Aber, um wieder auf das Thema Bildhauer zurückzukommen, was hältst du von den Werken des Praxiteles?“
„Viel. Mir gefallen die Natürlichkeit und Anmut seiner Werke, er hebt sich von der erhabenen Strenge des Phidias ab, ohne sie gänzlich aufzugeben. Paraxiteles' Aphrodite von Knidos zählt zu meinen Lieblingsstatuen.“ Er lächelt hintergründig. „Vielleicht auch wegen der Geschichten, die sich um sie ranken.“
„Man sagt die berühmte Hetäre Phryne hätte vor dreihundert Jahren für die Statue Modell gestanden. Hast du mich nicht heute Morgen mit ihr verglichen?“
„Du meinst die Geschichte, wie ihre Richter sie von allen Anklagepunkten freisprachen, nachdem sie sich vor dem Areopag öffentlich entkleidet hatte? Ihre Schönheit war so groß, dass der ganze athenische Gerichtshof sie einfach nicht verurteilen wollte.“ Caesars Blick wandert von meinem Gesicht bis zu meinem Dekolleté und wieder zurück. Er zieht mich mit den Augen förmlich aus. Und doch wirkt er vor allem zufrieden, erheitert, fast schon verspielt. „Männer können schönen Frauen eben schwer widerstehen. Und selbst wenn sie es können, wollen sie es manchmal vielleicht gar nicht.“
„Du sprichst doch nicht etwa gerade von dir, Caesar?“
„Aber nein, meine schöne Göttin, wie kommst du denn darauf?“, entgegnet er mit seiner tiefen, einnehmenden und amüsierten Stimme. „Ich verschenke jeden Tag Inseln!“
Ich sehe ihm in die Augen und wieder schießt mir die Röte in die Wangen, aber diesmal senke ich den Blick nicht. „Ich danke dir“, flüstere ich. „Wie kann ich das jemals wieder gut machen?“
„Hm, ich weiß noch nicht. Aber da wird uns sicherlich etwas einfallen.“ Caesar lächelt hintergründig und für einen Moment glaube ich, in diesen dunklen Obsidianaugen zu ertrinken. Unsere Blicke verhaken sich ineinander und es ist fast so, als würden wir wortlos miteinander verhandeln und ein neues unausgesprochenes Bündnis schließen. Ich bin bereits an ihn gebunden, doch ich bin bereit, mich noch viel mehr an ihn zu binden. Und auch in seinen Augen erkenne ich unausgesprochene Fragen und Wünsche. Unsere wortlose Kommunikation wird jedoch unterbrochen, als Charmion in Begleitung von Sosigenes zurückkommt. Beide verneigen sich, bevor Charmion den Gelehrten bei uns zurücklässt, um sich wieder um die Tochter des Hohepriesters zu kümmern.
Ich blinzele, um wieder ins Hier und Jetzt zurückzufinden und stelle den neuen Besucher vor: „Caesar, darf ich dir Sosigenes von Alexandria vorstellen. Er ist der führende Astronom an der großen Museionsbibliothek.“ Ich schenke meinem alten Lehrer ein warmes Lächeln. „Sosigenes, der römische Konsul interessiert sich für deine Berechnungen zur Verbesserung des Kalenders. Könntest du sie kurz erläutern?“
„Meine Königin, es ist mir eine Freude und große Ehre hier sein zu dürfen, ich danke Euch für die Einladung.“ Der Gelehrte verneigt sich ehrerbietig vor mir und wendet sich dann an Julius Caesar: „Imperator, erlaubt Ihr mir, mit einigen allgemeinen Darlegungen bezüglich des ägyptischen Kalenders zu beginnen?“
„Nur zu, ich bin sehr gespannt!“
„Nun gut.“ Sosigenes räuspert sich und legt die Spitzen beider Hände kurz an die Stirn, um sich zu sammeln, bevor er mit seinem kleinen Vortrag beginnt. „Der ägyptische Sonnenkalender besteht aus 12 Monaten, von denen jeder 30 Tage hat. Das ergibt zusammen 360 Tage. Hinzu kommen die fünf Festtage der Götter Osiris, Horus, Seth, Isis und Nephthys, die sogenannten Epagomenen-Tage am Ende des Jahres. Damit zählt das Sonnenjahr 365 Tage. Nun ist es jedoch so, dass das astronomische Jahr, also die Zeit, welche die Erde benötigt, um sich einmal um die Sonne zu drehen und ihren ursprünglichen Platz wieder einzunehmen nicht 365, sondern eher 365 und ¼ Tag beträgt.“
„Einige Gelehrte hier in Alexandria präferieren oder diskutieren das heliozentrische Weltbild des Aristarchos von Samos[2] und des Seleukos von Seleukia[3] gegenüber dem geozentrischen des Aristoteles“, werfe ich ein.
„Beide Thesen sind mir bekannt und haben durchaus etwas für sich“, Caesar hebt eine Braue. „Gleich ob die Erde sich nun um die Sonne dreht, oder umgekehrt: Solche Ideen sind es wert, überprüft und diskutiert zu werden. Ganz besonders in der Stadt, die als Zentrum der Wissenschaften gilt und deren Gelehrte in der Lage sind, den Erdumfang zu berechnen“, womit er wiederum auf die Forschungen des Eratosthenes[4] anspielt. „Bitte fahrt fort, Sosigenes!“
„Gerne.“ Mein alter Lehrer nickt Caesar und mir noch einmal anerkennend zu, wie er es auch im Unterricht immer tut, wenn er das Wissen seiner Schüler würdigt, und fährt dann fort. „Also ungeachtet der Frage, ob die Erde sich um die Sonne dreht oder umgekehrt, dauert das astronomische Jahr etwa 365 Tage und ¼ Tag, der Kalender zählt aber nur 365 Tage. Da also jedes Gemeinjahr ohne die Einfügung von regelmäßigen Schalttagen um einen Viertel Tag zu kurz ist, verschiebt sich der bürgerliche Kalender gegenüber dem natürlichen Jahr alle 4 Jahre um einen Tag. Es dauert 1460 Jahre, bis beide wieder übereinstimmen. Idealerweise fällt dann der erste Tag des Monats Thot mit dem Beginn der Achet-Jahreszeit, dem Einsetzen der Nilschwemme und dem Erscheinen des Sterns Sirius – der Göttin Isis-Sothis – am Morgenhimmel zusammen. Das entspricht im römischen Kalender der Mitte oder dem Ende des Monats Juni.“
„Den genauen Tag zu bestimmen, dürfte momentan ebenfalls etwas schwierig werden“, bemerkt Caesar lakonisch.
„Das ist richtig, verehrter Konsul.“ Sosigenes bedenkt ihn mit einem feinen Lächeln. „Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass Rom und damit auch der römische Kalender noch gar nicht existierten, als Ägypten seinen letzten Sothis-Zyklus von 1460 Jahren vollendet hatte. Das geschah das letzte Mal unter Pharao Sethos Men-Maat-Re (Sethos I.), dem Vater des großen Pharao Ramses Usermaatre (Ramses II.) und ist jetzt bereits 1300 Jahre her. Der ägyptische Verwaltungskalender, der mit dem Monat Thot beginnt, ist deshalb ein Wandeljahreskalender und die Monatsnamen verschieben sich jedes Jahr ein bisschen gegenüber den natürlichen Jahreszeiten. Neben dem Verwaltungskalender gibt es deshalb auch noch den Sothis-Mondkalender, der zum Neujahrsfest Mitte Juni mit dem Monat Wepet-Renpet beginnt, aber die tatsächlichen Jahreszeiten und Himmelserscheinungen berücksichtigt. Er ist nicht nur wichtig für die Ernten, sondern auch für die Datierung der Götter- und Himmelsfeste.“
„Dann ist der ägyptische Sothis-Kalender dem römischen Mondkalender ja gar nicht so unähnlich, außer dass der römische nicht im Juni, sondern im Januar beginnt.“, resümiert Caesar das Gehörte.
„Richtig“, pflichtet Sosigenes ihm bei. „Allerdings verstehe ich das römische Prinzip der Schaltmonate nicht ganz.“
„Kein Wunder“, dagegen wirkt das ägyptische Prinzip ja regelrecht übersichtlich.“ Caesar schmunzelt und fährt dann fort: „Der römische Kalender basiert auf einem lunisolaren Prinzip. Er umfasst ebenfalls 12 Monate, allerdings gibt es vier Monate mit 31 Tagen und sieben Monate mit 29 Tagen. Hinzu kommt der Februar mit nur 28 Tagen. Das ergibt zusammen eine Jahreslänge von 355 Tagen. Um auf ein Jahr von 365 ¼ Tagen zu kommen, fehlen in dieser Rechnung also 10 ¼ Tage. Deshalb wird jedes zweite Jahr nach dem Februar ein Schaltmonat namens Mensis intercalaris eingefügt. Im zweiten Jahr eines Zeitraumes von vier Jahren hat Mensis intercalaris 22 Tage und im vierten Jahr hat er 23 Tage. Ein römisches Jahr hat also abwechelnd 355, 377, 355 und 378 Tage.“
Ich rechne kurz nach. 22 und 23 ergeben 45 zusätzliche Tage, verteilt auf vier Jahre. Geteilt durch vier macht das durchschnittlich 11 ¼ zusätzliche Tage pro Jahr. Aber 355 Tage und 11 ¼ ergibt zusammen 366 ¼. „Damit wäre ein römisches Jahr doch aber im Durchschnitt 366 ¼, statt 365 ¼ Tage lang! Also genau ein Tag zu viel pro Jahr?“
„Richtig! Du bist wirklich gut, Kleopatra.“ Caesar nickt beeindruckt. „Genau da liegt das Problem. Das römische Jahr verschiebt sich gegenüber dem natürlichen Jahr um etwa einen Tag pro Jahr. Deshalb ist eine weitere Schaltung alle 24 Jahre nötig. Dann müsste nämlich im zweiten Jahr der Schaltmonat Mensis intercalaris um einen Tag gekürzt werden und im vierten Jahr ganz wegfallen. Auf diese Weise erhält man dann im Durchschnitt tatsächlich 365 ¼ Tage. Allerdings wurde diese zweite Schaltung durch diverse Umstände und Kriege in der Vergangenheit nicht konsequent durchgesetzt.“
Warum einfach, wenns auch kompliziert geht? „Die Methode ist irgendwie auch zu umständlich, um praktikabel zu sein“, wende ich ein. „Mein Vorfahre Ptolemaios Euergetes (Ptolemaios III.) hat vor 200 Jahren einfach einen 6. Epagomenentag als Schalttag alle vier Jahre eingeführt, um das Jahr und damit auch den Verwaltungskalender auf 365 ¼ Tage zu bringen.“
„Und warum hat man das wieder abgeschafft, wenn es doch so praktikabel war?“, fragt Caesar nach.
Ich zucke die Achseln. „Irgendwie hat sich das nicht durchgesetzt und wurde nach seinem Tod wieder aufgegeben.“
„Die Methode war einfach und gut“, bestätigt Sosigenes meinen Einwand. „Aber sie scheiterte am Widerstand der Priesterschaft, die einen 6. Epagomenentag ablehnte, da die Tage der Götterfeste heilig sind. Nichtsdestotrotz haben sich die Gelehrten hier in Alexandria in den letzten Jahrzehnten immer wieder Gedanken über eine Kalenderreform gemacht, um den bürgerlichen Kalender an die wirkliche Länge des Sonnenjahres anzugleichen.“
„Wie weit weicht denn der römische Kalender inzwischen vom natürlichen Kalender ab?“ richte ich meine Frage an Caesar.
„Ich vermute es sind etwa zwei bis drei Monate. Kalendarisch haben wir heute den 5. Oktober, aber von der Temperatur und Jahreszeit befinden wir uns eher Ende Quintilis (heute: Juli) oder Anfang Sextilis (heute: August).
„Wenn Ihr wollt, kann ich das gerne für Euch genau berechnen“, bietet Sosigenes an, der sich inzwischen immer mehr für das Thema erwärmt.
„Eine wunderbare Idee. Darauf komme ich gerne zurück. Vielleicht besuche ich in den nächsten Tagen sogar die Museionsbibliothek. Was meinst du, meine Liebe?“ Und damit wendet Caesar sich wieder mir zu.
„Sehr gerne. Bitte bereite alles vor, Sosigenes. Ich werde unseren Besuch rechtzeitig ankündigen.“
„Es wäre mir eine Ehre, Majestät.“ Mein alter Lehrer verneigt sich begeistert von der Idee, während er sichtlich immer noch am Nachrechnen und Überlegen ist.
„Dann feiere jetzt bitte weiter und genieße das Fest!“ Belustigt verfolge ich mit den Augen, wie Sosigenes sich sogleich zu seiner Kline begibt und mit einigen anderen Gelehrten lebhaft diskutiert und sich austauscht. Ich hätte nicht gedacht, dass das Kalender-Thema so spannend sein könnte.
„Wie kommt es eigentlich, dass du so viel über den Kalender weißt?“, frage ich Caesar neugierig.
„Das gehört zum Wissen des Pontifex Maximus. Als oberster Priester Roms muss ich die Festdaten berechnen können. Ich wusste nur nicht, dass auch ägyptische Prinzessinnen in Astronomie unterrichtet werden.“
„Hier in Alexandria auf jeden Fall. Schließlich muss ich als Königin die Daten der Götterfeste ebenfalls kennen!“ Ich zwinkere ihm zu.
„Auch im Krieg kann solch ein Wissen von entscheidendem Vorteil sein, Kleopatra. Ich war mir der Abweichungen zwischen natürlichem und offiziellem römischen Kalender bewusst, Pompeius und seine Offiziere aber offensichtlich nicht, weswegen sie die Winde falsch eingeschätzt und nicht mit meiner Überfahrt von Rom nach Griechenland gerechnet hatten.“
„Wer war denn für die fehlende Auslassung des Schaltmonats in den letzten Jahren verantwortlich?“
„Der Pontifex Maximus.“
„Also du?!“
Caesar lächelt.
Und sein Lächeln vertieft sich noch, als im nächsten Moment vier Soldaten vor unserer Kline erscheinen, die Theodotos in die Mitte genommen haben und ihn zu Caesar eskortieren. Doch bei den Legionären dürfte es sich weniger um Ehrenwachen, sondern eher um Gefängniswächter handeln. Nun bin ich es, die sich ein wenig zurücklehnt, um die Szene zu verfolgen. Das kalte Lächeln, mit dem Caesar Theodotos empfängt, verheißt nichts Gutes.
„Ah, Theodotos, schön, dass du das Fest genießt. Da ich ja heute schon einmal in Geberlaune bin, wollte ich natürlich auch dir, dem Wortführer der heutigen Sitzung ein besonderes Geschenk machen.“
„Ein besonderes Geschenk? Was meint Ihr damit?“, fragt Theodotos misstrauisch.
„Oh, habe ich mich vorhin im Thronsaal nicht klar ausgedrückt? Wie schade“, Caesar lächelt noch immer charmant, wie eine Katze, die mit einer Maus spielt. „Ich brauche einen zuverlässigen und gebildeten Rhetor, der den Kult des vergöttlichten Caesar, des Sohnes der Göttin Venus in Ephesos vorantreibt. Und ich könnte mir für diese Aufgabe keinen besseren Mann vorstellen, als den ehemaligen Wortführer des ägyptischen Regentschaftsrates.“
„Den ehemaligen Wortführer?“
„Nunja, ich denke, diese neue Aufgabe ist genau das Richtige für dich. Und sieh es einmal so, du wärst auch noch näher an deiner Heimat Chios. Könntest deine Verwandten besuchen, was man so in Griechenland und Kleinasien macht.“
„Aber Imperator, mir gefällt meine Stellung hier, ich bin dem König treu ergeben.“
„Dem König vielleicht. Aber unglücklicherweise nicht dem römischen Patron des Königs, nicht wahr Theodotos? Was hast du noch gleich gesagt, als du mir bei meiner Ankunft den Ring des Pompeius überreicht hast? Tote können nicht mehr beißen? Nun, der neue Patron des Hauses Ptolemaios, der ja heute dank deiner Intervention seine Machtfülle demonstriert und sich dabei als äußerst großzügig gezeigt hat, kann das sehr wohl.“
„Verehrter Konsul und Imperator, ich verstehe nicht…?“
„Kleopatra meine Liebe, wie würdest du meine Worte interpretieren?“
Ich schaue Caesar an. Prüft er mich wieder? Dann blicke ich dem ehemaligen Rhetoriklehrer des Königs in die Augen. „Nach meinem Verständnis, werter Theodotos, hat Caesar dich nach Ephesos verbannt. Nach der heutigen Rede und den unzähligen Angriffen auf ihn und mich kannst du dich wahrlich glücklich schätzen, dass er dich nicht zum Tode verurteilt.“
„Danke für die Zusammenfassung, meine Liebe.“ Caesar schenkt mir ein warmes Lächeln und richtet seinen kalten Blick dann auf Theodotos. „Doch nun zu den interessanten Details: Ephesos ist nicht dein Gefängnis, Theodotos, sondern deine Zuflucht. Denn hier in Alexandria hat jeder Soldat meiner Legionen ab morgen den Befehl und die Erlaubnis, dich zu töten. Großzügig wie ich bin, erlaube ich dir, mitzunehmen, was du tragen kannst, schließlich musst du deine Schiffspassage nach Ephesos bezahlen. Ich gebe dir bis Sonnenaufgang Zeit. Das solltest du nutzen.“
„Das sind nur noch zehn Stunden, Imperator.“ Zum ersten Mal höre ich nackte Panik in Theodotos‘ Stimme.
„Nun, der Hafen ist nur eine halbe Stunde vom Palast entfernt, du musst nur ein Schiff finden und einen Kapitän, der bereit ist, morgen auszulaufen. Das sollte doch kein Problem sein, für so einen geübten Rhetoriker wie dich. Du hast doch auch den Regentschaftsrat zu dem Mord an Pompeius überreden können, nicht wahr?“ Caesar lächelt kalt. Sein tödliches Lächeln.
Theodotos ist kreidebleich geworden. „Ich bitte um Gnade, Imperator!“
„Genug. Geh, bevor ich es mir anders überlege!“ Caesar schnippt mit den Fingern und die vier Wachen nehmen Theodotos in die Mitte und eskortieren ihn zum Ausgang. In sich zusammengesunken verlässt der einst so stolze Rhetoriklehrer den Saal.
Nachdenklich sehe ich ihm nach. „War das jetzt Milde oder Rache?“
„Ein bisschen von Beidem.“
„Es wundert mich, dass du ihn mit Verbannung hast davonkommen lassen.“
„Ach, so gesehen war Theodotos Sarkasmus ja geradezu erfrischend. Wenn ich es zum Beispiel mit Catulls Schmähgedicht vergleiche.“
„Was hat der denn geschrieben?“
„Du kennst es nicht? Nil nimium studeo, Caesar, tibi velle placere, nec scire, utrum sis albus an ater homo.“
Ich versuche es zu übersetzen: „Ich gebe mir wenig Mühe dir zu gefallen, o Caesar. Es kümmert mich auch nicht, ob du weiß oder schwarz bist?“
„Ja, oder etwas poetischer: Dir zu gefallen, o Caesar macht mich nicht heiß, es ist mir egal ob du schwarz bist oder weiß.“[5]
„Was meint er damit? Was soll das heißen?“, frage ich verwirrt.
„Oh meine süße, kleine Königin, das ist eine ganz böse Anspielung und eigentlich nicht für die Ohren von unschuldigen Prinzessinnen bestimmt“, zieht er mich auf.
„Bitte klär mich auf!“
„Schon wieder?“ Caesar hebt eine Augenbraue und sieht mich amüsiert an. „Na, wenn du so süß darum bittest…aber, ich habe dich gewarnt! Das Verb placere, gefallen kann eine erotische Konnotation haben, im Sinne von: er möchte nicht mein sexuelles Interesse wecken. Weiß und Schwarz wiederum bezeichnet den passiven und aktiven Part beim sexuellen Verkehr…zwischen zwei Männern.“
„Oh.“ Ich merke, wie mir die Röte in die Wangen schießt.
„Ja, in der Tat. Der gute Catull hat sich damals ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt. Und meine kleine Königin ist ganz schön verlegen.“
Ich schlucke, denn das ist in der Tat ein delikates Thema.
Ich hatte mal ein Gerücht gehört, demzufolge sein Kontrahent Bibulus Caesar damit verhöhnt hatte, als junger Mann eine Beziehung mit dem bythinischen König Nikomedes gehabt zu haben. Nun war der Akt zwischen zwei Männern auch in Rom nicht verboten, aber trotzdem verpönt und potentiell karriereschädigend. Besonders wenn man jemandem unterstellte, dabei den passiven Part gespielt zu haben. Nach allem, was ich in den letzten zwei Nächten mit Caesar erlebt habe, halte ich die Geschichte definitiv für erfunden, außer er war in seiner Jugend experimentierfreudig... Aber danach werde ich ihn garantiert nicht fragen! Stattdessen höre ich mich sagen: „Das ist eine bodenlose Beleidigung! Was hast du dagegen unternommen?“
„Ach nichts weiter. Ich habe von Catull eine öffentliche Entschuldigung verlangt. Nachdem er meine Botschaft erhalten hatte, hielt der gute Dichter es dann auch tatsächlich für angebracht, dies zu tun. Worauf ich ihn zum Essen eingeladen und noch eine interessante Unterhaltung mit ihm geführt habe.“ Caesar lächelt belustigt.
„Eine interessante Unterhaltung?“, frage ich ungläubig, „nach diesem Gedicht?!“
„Beleidigungen unter der Gürtellinie und jenseits des guten Geschmacks haben sich in Rom inzwischen zu einer Kunstform entwickelt. Man tut gut daran, sie geflissentlich zu ignorieren, oder sollte sie zumindest nicht zu ernst nehmen. Aber zur Zielscheibe solch ausgefeilter Schmähungen und Spinnereien zu werden, ist auch eine Art Auszeichnung.“
Ich werfe Caesar einen zweifelnden Blick zu. Die spinnen, die Römer![6]
Plötzlich schiebt sich ein Schatten vor mein Gesicht und als ich aufblicke sehe ich ins aufgebrachte Gesicht meiner Schwester Arsinoe. Mit verschränkten Armen hat sie sich vor unserer Kline aufgebaut und erdolcht Caesar förmlich mit ihren Blicken.
„Prinzessin Arsinoe, es ist wie immer eine Freude, dich zu sehen. Was kann ich diesmal für dich tun?“, begrüßt Caesar meine Schwester.
„Mein Bruder, der Pharao von Ägypten würde gerne wissen, warum du seinen Lehrer Theodotos verbannt hast“, kommt Arsinoe sofort zur Sache.
„Aber natürlich.“ Blitzschnell hat Caesar sich erhoben und überragt Arsinoe nun um Haupteslänge. Provokant streckt er ihr die Hand entgegen, „Wollen wir?“, fragt er charmant. Unsicher greift sie danach. Normalerweise darf kein Mann außer dem Pharao und nahen Familienangehörigen eine königliche Prinzessin berühren, aber es gibt Ausnahmen. Und die diplomatische Höflichkeit im Umgang mit Gästen bei öffentlichen Anlässen ist so eine. Aber Caesar hat hier ohnehin inzwischen so ziemlich jede Regel außer Kraft gesetzt.
Lächelnd wendet er sich nun mir zu und streckt mir seine andere Hand entgegen. „Kommst du mit, Kleopatra?“ Das lasse ich mir nicht entgehen! Ohne zu zögern, greife ich nach seiner rechten Hand, und er zieht mich an seine Seite. Flankiert von den beiden Töchtern des Pharaos durchquert Caesar zunächst einmal den Saal, nickt allen Gästen freundlich zu, und wechselt im Vorübergehen einige Worte mit seinen Offizieren, bis er sich umwendet und mit Arsinoe und mir auf die königliche Kline meines Bruders zusteuert. Meine Hofdamen folgen in gebührendem Abstand, sodass eine richtige kleine Prozession entsteht, die Caesar folgt.
Dann betreten wir alle die wenigen Stufen des Podestes und nähern uns dem jungen Pharao. Ptolemaios mustert uns kurz verwundert. Dass Caesar nun bereits beide Schwestern auf seiner Seite hat, wenn auch nur vorrübergehend, lässt ihn stutzen. Auf der einen Seite die golden gewandete Königin, auf der anderen die silberne Prinzessin. Und da wird mir bewusst, dass Caesar genau dieses öffentliche Bild erzeugen wollte und sich innerlich vermutlich köstlich darüber amüsiert. Die Verstimmung meines Bruders, wird im selben Moment auch Arsinoe klar, denn sie befreit ihre Hand mit einer geschickten Drehung aus Caesars Griff und setzt sich neben den Pharao auf dessen Kline.
Caesar nimmt daraufhin wie selbstverständlich auf der anderen Seite des Königs Platz und zieht mich neben sich, so dass ich vor ihm sitzen kann. Die königliche Leibwache mustert uns ohne Reaktion. Was ist hier schon noch normal?
Wir rücken alle auf der Kline soweit zusammen, dass wir bequem nebeneinander sitzen und uns ansehen können. Caesar und ich auf der einen Seite, meine Geschwister auf der anderen. „Ich habe gehört, du hast Theodotos verbannt?“, fragt Ptolemaios, sichtlich um Ruhe bemüht.
„Nun ja, verbannt ist vielleicht das falsche Wort. Er hat die Möglichkeit erhalten, den Caesarkult in Ephesos voranzutreiben und genießt dort meine Gastfreundschaft. Nach seiner Rede vorhin im Thronsaal, war dies das Mindeste, was ich für ihn tun konnte. Ich habe ihm allerdings eine baldige Abreise nahegelegt, das ist richtig.“
„Du führst dich hier auf, als würde Ägypten dir gehören!“, zischt Arsinoe, allerdings so leise, dass nur Caesar, Ptolemaios und ich es hören können.“
„O, aber Ägypten gehört mir im Grunde“, und damit wandern seine Augen kurz zu mir. „Ob dir das gefällt oder nicht, Arsinoe.“
Meine Schwester schnaubt nur, aber Ptolemaios hat wieder sein trotziges Gesicht aufgesetzt. An seiner königlichen Miene, muss dieser Junge wirklich noch arbeiten. „Auch wenn wir nur Klientelkönige von Roms Gnaden sind, so obliegen alle Entscheidungen doch nominell dem König. Du hättest mich wenigstens vorher fragen können, oder es mit mir absprechen. Theodotos ist immerhin mein Erzieher.“
„Es tut mir leid, Ptolemaios.“ Caesars Stimme klingt auf einmal sehr aufrichtig. „Aber als dein Vormund kann ich nicht dulden, dass kriegstreibende Elemente, wie dieser Rhetor länger irgendeinen Einfluss auf dich ausüben. Wir sind gerade dabei, diesen Bürgerkrieg friedlich zu beenden. Einen neuen Aufruhr können wir uns nicht leisten.“
„Aber ich hatte Theodotos gerne!“ Manchmal vergesse ich, dass Ptolemaios im Grunde noch ein kleiner Junge ist. Ein Junge, dem man viel zu früh dieses höchste Amt übertragen hat.
„Das verstehe ich“, räumt Caesar erstaunlich geduldig ein. Er kann tatsächlich mit Kindern umgehen. „Wenn du willst, kannst du dich von Theodotos verabschieden, er kann sich frei bewegen. Aber er muss die Stadt bis Sonnenaufgang verlassen. Da lasse ich nicht mit mir handeln.“
Ptolemaios schluckt und nickt nur. Arsinoe hat die Hand unseres Bruders ergriffen und drückt sie ermutigend.
Caesar fährt indessen unbeirrt fort: „Ich finde dieses Fest hier sehr gelungen. Es hat wirklich etwas für sich, sich endlich einmal so zwanglos und familiär unterhalten zu können. Das hätten wir viel früher tun sollen. Ohne die ganzen störenden Berater. Was haltet ihr davon, wenn wir in Zukunft mehr Zeit miteinander verbringen? Wir könnten das Morgenmahl in Zukunft gemeinsam in meinen Räumlichkeiten einnehmen. Wie wäre das?“
Wir alle sehen Caesar erstaunt an. Doch er scheint von der Idee sehr angetan und lächelt nur hintergründig. Ich wechsele einen Blick mit meinen Geschwistern und dann mit Caesar. Wir alle nicken.
~*~
„Oh große Uräusschlange. Du bist am Kopf des Königs von Ober- und Unterägypten und der Herrin beider Länder. Du umwindest ihren Kopf in Vollkommenheit. Du vertreibst all ihre Widersacher und sendest Feuer gegen ihre Feinde…“[7] Ich spreche die rituellen Worte und übergebe die Krone an Stephanos, der sich ehrerbietig verbeugt und sie in dem kleinen Schrein verschließt, den sein junger Gehilfe für ihn trägt. Das schwere Gewicht der Krone und Perücke ablegen zu können, wirkt befreiend. Morgen werde ich mich griechisch kleiden und nur das ptolemäische Diadem aus Stoff tragen, beschließe ich. Ich entlasse Charmion nach diesem langen anstrengenden Tag. Sie schenkt mir noch ein warmes Lächeln und entschwindet dann mit der sichtlich überwältigt erscheinenden Khered-Anch in Richtung ihres Zimmers. Ich folge Caesar zu unseren Gemächern. Die Öllampen im Gang tauchen alles in ein warmes Licht und die angenehm kühle Luft, die jetzt durch die Flure strömt, duftet nach Rosen und Meer.
Bevor wir zu unseren Privatgemächern abbiegen, ergreift Caesar meinen Arm und hält mich davon ab. „Ich will noch ins Bad, kommst du mit?“
„Um zu baden oder…zu entspannen?“
„Das Eine schließt das Andere ja nicht aus!“ Amüsiert funkelt er mich an.
Nervös und vorfreudig zugleich folge ich ihm durch die Gänge, vorbei an den unbewegt dastehenden Wachen, bis zum großzügigen Baderaum. Die Diener haben das steinerne Becken, das im Boden eingelassen ist, bereits mit warmem, herrlich duftendem Wasser gefüllt. Rosenblätter schwimmen auf der Oberfläche. Doch es ist niemand zu sehen, wir sind allein. Caesar muss den Befehl dazu bereits vor unserem Aufbruch gegeben haben. Schweigend legt er seine Kleidung ab. Ich trete zu ihm und helfe ihm mit der Toga.
„Wie viel Stoff braucht man eigentlich für so eine Toga?“ So ein unglaublich unpraktisches Kleidungsstück können sich auch nur Römer ausdenken. Kein Wunder, dass er baden möchte, denn trotz der dicken kühlenden Palastmauern sind die Tage heiß und so eine Toga ist eindeutig nicht für das ägyptische Klima konzipiert.
„Etwa neun Ellen[8]. Du machst das übrigens sehr gut. Soll ich dir auch aus deinem Kleid helfen?“ Seine Stimme hat wieder diesen sinnlichen Klang angenommen, der mir ganz genau sagt, auf was das hier hinauslaufen wird. Er trägt noch seine Tunika, deren Fransen ihm bis auf die Unterarme fallen, doch den Verschluss des Gürtels hat er bereits geöffnet. Ich falte den Stoff locker zusammen, bevor ich ihn ablege und mich dann langsam zu ihm drehe.
Erwartungsvoll und leicht nervös schaue ich ihn an. Sein warmer bewundernder Blick streichelt mich und er beugt sich zu mir herunter, um ganz leicht von meinen Lippen zu kosten. „Endlich sind wir wieder allein“, raunt er mir zu. „Weißt du eigentlich wie süß, göttlich und verführerisch du den ganzen Abend ausgesehen hast?“ Er knabbert leicht an meinem Ohrläppchen. „Ich wette jeder Mann im Palast stellt sich heimlich vor, genau das hier mit dir tun zu dürfen, was ich jetzt mit dir mache.“ Der tiefe Klang seiner Stimme vibriert durch meinen Körper und seine Worte sind verführerisch und süß wie dunkler Honig. Ich drehe den Kopf und suche wieder seine Lippen, liebkose sie mit meinen. Ich genieße seinen Duft, seinen Geschmack, seine Nähe. Caesars Hand fährt in meine Haare und hält meinen Hinterkopf, als er die Führung übernimmt. Er küsst mich besitzergreifend, langsam und sinnlich und ich schmiege mich an ihn und schlinge die Arme um seinen Hals. Mit zwei geschickten Griffen öffnet er die Schulterfibeln meines Chitons und die golden schimmernde Seide gleitet an mir herab.
„Tztz, trägst du eigentlich nie Unterwäsche?“
„Das geht bei diesen engen Zeremonienkleidern nicht, darunter würde sich doch alles abzeichnen.“
„Natürlich, warum frage ich auch?!“ Caesar schüttelt amüsiert den Kopf, zieht sich mit einer Hand die Tunika über den Kopf und wirft sie achtlos beiseite. Ich betrachte seinen nackten Oberkörper. Caesar ist hochgewachsen und schlank, doch die breiten Schultern und muskulösen Arme, lassen seine Stärke erahnen und ich weiß inzwischen sehr gut, welche Kraft er besitzt. Die sich hell abzeichnenden Narben künden von den vielen Schlachten, in denen er gekämpft hat. Seine ansonsten glatte Haut ist wie eine Landkarte der Kriege, die er geführt hat. Caesar gehört nicht zu jenen Feldherren, die ihre Schlachten aus der Ferne delegieren, sondern hat oft genug selbst sein Leben riskiert. Ohne darüber nachzudenken, habe ich meine Hände auf seine Brust gelegt, fahre zuerst sanft über die verheilten Narben und male dann kleine Kreise um seine Brustwarzen. Aus einem Impuls heraus beuge ich mich vor, um sie zu küssen.
„Das ist bei mir nicht so empfindlich wie bei dir.“ Caesar schmunzelt, macht aber keine Anstalten, mich von meiner Erkundungsreise abzuhalten. Seine Haut ist hier viel heller als an Armen und Beinen. Aber auch dort hat sie eher einen Olivton, während meine einen leichten Goldton aufweist. Fasziniert streichele ich über seine breite Brust und genieße das Gefühl seiner warmen Haut unter meinen Fingerspitzen. Caesar hat kaum Körperbehaarung, das ist mir schon zuvor aufgefallen. Aber jetzt frage ich mich, ob das natürlich ist, oder ob er sich die Haare entfernen lässt. Hier im Orient ist das auch bei Männern verbreitet, aber bei einem Römer hätte ich es nicht erwartet. Meine Hand fährt zu seinem Kinn. Auch hier ist er glattrasiert, er muss heute morgen beim Barbier gewesen sein. Überhaupt ist Caesar immer sehr gepflegt und auf seine Erscheinung bedacht. Eigentlich erstaunlich für einen Mann, der die letzten Jahre auf Schlachtfeldern und in Heerlagern verbracht hat, aber mir gefällt das.
Schließlich fängt er meine Arme ein und drückt mir einen Kuss auf die Handknöchel.
„Dafür hast du später noch Zeit. Komm jetzt mit ins Wasser“, raunt er mir zu und legt einen Arm um meine Hüfte, um mich zum Becken zu dirigieren. Bevor er hineingleitet, legt er auch seine Unterkleidung ab und ich senke schnell den Blick. Caesar lacht. „Aber aber, ich dachte über diesen Punkt wären wir hinaus?!“
Ich gleite neben ihm ins Becken und fixiere einen Punkt auf seiner Brust. Da ich kleiner bin, reicht mir das Wasser fast bis zu den Schultern. Doch schon zieht er mich an sich heran und küsst mich sanft, während er mit einer Hand meinen Rücken streichelt und mich noch näher an sich drückt. Und da spüre ich an meinem Bauch, was ich eben nur kurz aus dem Augenwinkel gesehen habe. Die Wärme, die mich durchflutet stammt nicht vom Wasser.
„Du könntest mir eigentlich beim Waschen helfen“, raunt er mir zu. Und damit ergreift er meine Hand und legt sie auf sein steinhartes Glied. Ich keuche überrascht auf.
„Immer noch so schüchtern, Liebes?“ Er lässt meine Hand nicht los, sondern delegiert vielmehr meine Bewegungen, hält meine Hand fest und lässt sie an seiner beeindruckenden Erektion auf und abgleiten. „Komm her, schau mich an!“ Mit seiner anderen Hand hebt er mein Kinn ein Stück, so dass ich ihm ins Gesicht sehen muss. Die Hitze steigt mir in die Wangen und vertieft sich parallel zu seinem amüsierten Grinsen.
„Dann mach die Augen zu und fühl einfach, was du mit mir machst“, bietet er mir an. Und das ist wirklich leichter. Bis jetzt hat er immer alles vorgegeben und aus eigener Initiative habe ich mich nicht getraut, ihn dort anzufassen. Aber ich merke, wie er auf meine Bewegungen reagiert, spüre die zunehmende Härte unter der seidigen Oberfläche und höre, wie er leise zu stöhnen beginnt. Und plötzlich werde ich mir meiner Macht dabei bewusst. Ich habe den Herrscher Roms im warsten Sinne des Wortes in der Hand und er genießt, was ich mit ihm tue. Doch erfahrungsgemäß ist Caesar niemand, der die Kontrolle lange aus der Hand gibt. Und richtig, im nächsten Moment finde ich mich gegen den Beckenrand gepresst wieder. Und jetzt ist er es, der mich aufreizend streichelt, an diesem süßen Punkt direkt zwischen meinen Beinen, womit er mich dazu bringt, alle Gedanken loszulassen. So bekomme ich nur halb mit, dass er mich hochhebt, auf den Beckenrand setzt und meine Schenkel auseinander drückt.
„Was machst du…?“, frage ich benommen.
„Sch, entspann dich und lehn dich zurück. Es wird dir gefallen.“ Sein Kopf ist plötzlich zwischen meinen Beinen und seine Zunge ersetzt seine Finger, leckt und saugt an dieser empfindlichen Stelle. Mein Kopf wird völlig leer. Meine Finger greifen wie von selbst in seine Haare, während ich ihm meinen Körper hemmungslos darbiete. Mehr! Ich will einfach nur mehr davon. Das Zentrum meines Körpers scheint sich unter seiner Zunge zu befinden und ich winde mich unter seinem festen Griff. Caesar hält meine Hüften an Ort und Stelle, lässt nicht zu, dass ich mich aufbäume und treibt mich weiter. Bis zur völligen Erschöpfung. Und darüber hinaus. Ich stöhne, schreie und schluchze vor Ekstase. Und doch kann ich einfach nicht genug davon bekommen.
Mein Körper ist nur noch ein schwer atmendes und völlig willenloses Nervenbündel, als Caesar mich wieder zu sich ins warme Wasser und in seine Arme zieht. Ich ringe nach Atem. Er küsst mich langsam und sinnlich und ich schmecke mich selbst auf seiner Zunge. Als ich stöhne, küsst er mich fordernder und drängt mich gegen den Beckenrand, umfasst mit beiden Händen meine Hüften und hebt mich wieder ein Stück an. „Komm, leg deine Beine um mich!“ Und ich gehorche, ohne nachzudenken, fühle, wie er sich positioniert und diesmal quälend langsam in mich eindringt. So langsam, dass ich ihm verlangend mit dem Becken entgegenkomme. Ich will ihn in mir spüren! Caesar lacht leise und dann gibt er seine Zurückhaltung auf. Presst mich hart an den marmornen Beckenrand und stößt tief und fordernd in mich hinein. Ich drücke den Rücken durch, halte mich an seinen Schultern fest und schlinge die Beine noch enger um seine Hüfte, komme ihm jedesmal entgegen, so gut das in dieser Position geht und stöhne in seinen Mund. Ich werde morgen mit Sicherheit Druckstellen haben, aber das ist mir in diesem Augenblick völlig egal!
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[1] lat. Rühr die Jungfrau nicht an! Oder etwas freier übersetzt: Das Mädchen ist tabu!
[2] Der Astronom Aristarchos von Samos vertrat bereits im dritten Jahrhundert v. Chr. das heliozentrische Weltbild, also dass die Erde sich um die Sonne dreht.
[3] Seleukos von Seleukia bzw. Babylon war ein Astronom im zweiten Jahrhundert v. Chr. Er verteidigte Aristarchs These des heliozentrischen Weltbilds und untermauerte sie außerdem durch eigene theoretische Überlegungen.
[4] Der Universalgelehrte Eratosthenes von Kyrene (um 276/273-194 v. Chr.) wurde unter Ptolemaios III. zum Leiter der Bibliothek von Alexandria ernannt, wo er als Mathematiker, Geograph, Astronom, Historiker, Philologe, Philosoph und Dichter, sowie als Erzieher und Lehrer von König Ptolemaios IV. tätig war. Seine Berechnung des Erdumfangs gehört zu den wissenschaftlichen Meisterleistungen der Antike. Aufgrund der Messung der Schatten am Tag der Sommersonnenwende in Alexandria und Assuan, berechnete er, dass die Entfernung zwischen diesen beiden Städten ein Fünfzigstel des Erdumfangs ausmachen müsse. Er kam dabei auf den Wert von 41.750 km, was mit nur 4,2 %. Abweichung dem tatsächlichen Erdumfang von 40.075 km am Äquator sehr nahe kommt.
[5] Diese Nachdichtung wird im Kinofilm Cleopatra (1962) von Julius Caesar (Rex Harrison) zitiert.
Die Anregung, Catulls Gedicht hier im Dialog zu verarbeiten, verdanke ich übrigens dem interessanten Artikel von Anne-Catherine Simon: https://www.diepresse.com/4967648/die-kunst-einen-caesar-zu-schmahen
[6] Dieses gedankliche Asterix-Zitat konnte ich mir nicht verkneifen. :-D
[7] Frei nach einem Tempeltext in Dendera, Budde, Das Götterkind im Tempel, S. 46.
[8] Die römische Elle (cubitus) entsprach 44,4 cm. Neun Ellen entsprachen also ungefähr einer Länge von 4 Metern. Die republikanische Toga war nur 4 m lang, während die spätere Toga der Kaiserzeit 6 m betrug.