Als meine Geschwister und ich in Begleitung von Caesar und Sextus den Übungsplatz betreten, versammelt sich natürlich fast das gesamte Lager, um uns zuzusehen. Charmion und Khered-Anch folgen mir und halten Bogen und Köcher für mich bereit.
Nachdem ich den ledernen Bogenhandschuh übergestreift habe, lege ich den ersten Pfeil an und teste die Spannung. Ich richte meine Konzentration auf die Scheibe, spanne den Bogen und visiere das Ziel einen kurzen Moment an, bevor ich loslasse.
„Getroffen, Majestät“, kommentiert Khered-Anch jubelnd meinen Schuss.
„Nicht schlecht für den Anfang“, meint auch Caesar anerkennend, der inzwischen neben mich getreten ist, „wenn auch nicht ganz die Mitte.“ Der Pfeil steckt tatsächlich in einem der äußeren Kreise der Scheibe, aber immerhin.
„Ein paar Übungsschüsse wirst du mir doch zugestehen!?“
Diesmal kalkuliere ich den leichten Wind mit ein, der vom Meer her über den Platz strömt. Wieder visiere ich das Ziel an und treffe diesmal den mittleren Punkt der Scheibe.“
„Siehst du!“, meine ich lächelnd. „Möchtest du es auch mal versuchen?“
„Mit dem Bogen habe ich lange nicht mehr geschossen, aber gib mal her“, meint Caesar lässig, während er sich ebenfalls einen Schießhandschuh überstreift. Unsere Hände berühren sich kurz, als er nach meinem Bogen greift. Er legt einen Pfeil an und zielt. Ich kann gar nicht so schnell schauen, da bohrt sich sein Pfeil auch schon direkt neben meinen – er steckt genau in der Mitte der Scheibe.
„Und das nennst du außer Übung?“
Er schenkt mir ein überlegenes Lächeln. Bei jedem anderen würde ich das als furchtbar arrogant empfinden. Bei ihm ist es überlegen.
Nachdem wir noch einige Übungsschüsse absolviert haben, ertönt plötzlich wieder das laute Donnern galoppierender Hufe. Vier prächtige Gespanne fahren auf den Übungsplatz, prunkvolle mit Goldblech beschlagene Streitwagen, die jeweils von zwei königlichen Pferden gezogen werden. Meiner wird von Apollodorus gelenkt. Die Wagenlenker bilden eine Reihe, steigen ab und verneigen sich tief, während meine Geschwister und ich auf unsere Pferde zugehen.
Auch nach über einem Jahr Abwesenheit erkennen mich meine beiden weißen Lieblingsstuten sofort wieder und begrüßen mich mit einem leisen Wiehern. Gerührt trete ich näher heran und streichele sanft über ihre Stirnen und Nüstern. Sappho und Dido sind ihre Namen. Beide waren ein Geschenk meines Vaters zu meinem 15. Geburtstag und ich habe sie oft bei Jagdausflügen oder bei Umzügen durch die Prachtstraßen Alexandrias gelenkt. Sappho spitzt die Ohren und reibt dann ihren Kopf an meiner Schulter. Lächelnd streichele ihr noch einmal über die Stirn und belohne beide Stuten dann mit getrockneten Brotstücken, die Apollodorus mir reicht. Er hat bereits die Zügel ergriffen und wartet auf meinen Befehl. Ich bin auf einmal auch voller Tatendrang und schwinge mich mit einer schnellen Bewegung neben ihm auf den Wagen. Charmion reicht mir meinen Bogen.
Den Anfang macht jedoch Arsinoe. Ihr schnelles Gespann rast in halsbrecherischem Tempo an uns vorbei. Der Sand des Übungsplatzes wird von den donnernden Hufen aufgewirbelt und flimmert in der Luft. Ihre beiden Stuten – sie hat sie doch tatsächlich Gorgo und Medusa genannt – werden von ihrem Strategen Ganymedes gelenkt. Meine Schwester war schon immer eine Amazone, das zeigt sie heute einmal mehr. Ihre Pfeile treffen punktgenau, während ihre beiden Rappstuten im Renngalopp an der Zielscheibe vorbeifliegen.
Als nächstes ist die Reihe an Ptolemaios. Sein Wagenlenker lässt die Pferde angaloppieren und umfährt die Zielscheibe insgesamt drei Mal. Während jeder Runde schießt der König einen seiner Pfeile und trifft sogar die Scheibe. Erstaunlich. Er muss während meiner Abwesenheit tatsächlich viel geübt haben.
Als nächstes bin ich an der Reihe und versuche mich mit dem Knie am Wagenrand auszubalancieren, während Apollodorus meine Stuten in gleichmäßiger Geschwindigkeit hält. Meine Haare wehen im Fahrtwind und ich besinne mich darauf, was ich gelernt habe, auch wenn es lange her ist, dass ich an den Trainingsstunden teilgenommen habe. Ich visiere das Ziel an und warte auf den richtigen Zeitpunkt. Aber ausgerechnet in dem Moment, als ich die Sehne loslasse, macht der Wagen einen kleinen Hüpfer. Verdammt! Der erste Schuss misslingt, aber mein Pfeil trifft immerhin noch den unteren Rand der Scheibe. Ich atme tief durch und versuche mich zu fokussieren. Ich will mich vor Caesar und den vielen Zuschauern nicht blamieren! Im Nu hat mein Gespann die Scheibe einmal umrundet. Wie von selbst greife ich nach einem weiteren Pfeil, spanne den Bogen, visiere das Ziel an und lasse los. Der zweite Pfeil trifft fast genau das Zentrum der Scheibe. Und auch beim dritten Versuch landet mein Pfeil im mittleren Kreis. Insgesamt ein akzeptables Ergebnis. Maios ergeht es bei seinen Runden ähnlich wie Ptolemaios und mir.
Die Soldaten um uns herum klatschen und jubeln bei jeder Runde, die wir beenden. Das ägyptische Königspaar und deren Geschwister bei so einer Übung zu beobachten, ist sicher kein alltäglicher Anblick. Wahrscheinlich werden sie noch ihren Enkeln davon berichten. Lachend und mit vom Fahrtwind erhitzten Wangen springe ich vom Wagen. Das hat Spaß gemacht, auch wenn ich nicht gewonnen habe.
„Meinen Glückwunsch, Arsinoe“, sage ich anerkennend.
„Dachtest du, ich hätte nur Symposien gefeiert und faul rumgelegen, während du weg warst?“, meint sie schulterzuckend, grinst dann aber ebenfalls. Auch ihre Wangen sind vom Fahrtwind gerötet. Einige ihrer langen Haarsträhnen haben sich aus der Frisur gelöst und geben ihrer Schönheit etwas Wildes und Ungezähmtes. Sie wirkt gerade tatsächlich wie eine Amazone und erinnert mich unwillkürlich an unsere kriegerischen Ahninnen. Wir könnten wirkliche Schwestern sein und zusammen Großes vollbringen, wenn nicht immer diese tödliche Konkurrenz zwischen uns stehen würde, zuckt mir der wehmütige Gedanke durch den Sinn.
„Mein Pfeil war näher an der Mitte als deiner“, mischt sich Ptolemaios wichtigtuerisch in unser Gespräch.
„Stimmt ja gar nicht, Kleopatras war näher“, meint Maios altklug.
Ich schaue meinen jüngsten Bruder überrascht an und er zwinkert mir zu. „Ist nur die Wahrheit.“
„Das werden wir gleich überprüfen,“ meint Ptolemaios und gibt einigen Dienern den Wink, die Zielscheiben zu bringen.
Ptolemaios‘ und meine Pfeile sind tatsächlich etwa gleich nah an der Mitte, während Maios knapp weiter außen getroffen hat. Arsinoe ist die Siegerin des Tages.
„Mein Wagen ist über einen Stein gefahren, als ich geschossen habe,“ meint Ptolemaios. „Ich verlange Revenge!“
„Ein anderes Mal gerne“, schaltet sich Caesar ein, der mittlerweile mit Sextus, Volusenus und einigen anderen Offizieren zu uns getreten ist. „Die Zeit ist schon fortgeschritten und wir müssen noch die Schiffe im Hafen besuchen.“
Auffordernd hält Caesar mir seine Hand hin. Ich ergreife sie und folge ihm zu meinem Streitwagen. „Die Königin fährt mit mir!“ Apollodorus übergibt Caesar sofort die Zügel. Mit einer geschmeidigen Bewegung ist er auf dem Wagen und zieht mich dann zu sich herauf.
In versammeltem Galopp drehen wir eine Runde um den Platz, bevor wir auf den Ausgang zusteuern. Natürlich ist Caesar ein exzellenter Wagenlenker. Was kann dieser Mann eigentlich nicht gut? Allerdings lenkt er das Gespann mit wesentlich festerer Hand, als ich es tun würde.
„Gib Sappho ein bisschen mehr Zügel, sie ist folgsam, wenn man ihr etwas Freiheit lässt.“
„Ich gebe dir doch genug Freiheit, oder nicht?“
„Ich habe nicht von mir gesprochen, sondern von der Stute!“
„Ach ja?“ Doch ich sehe, wie er den Zug ein bisschen verringert und leicht mit der Spannung spielt. „Bist du tatsächlich folgsamer, wenn ich sanfter bin?“
Sappho wölbt ihren Hals etwas mehr und fängt an, zufrieden auf der Trense zu kauen. „Schau sie dir an, das ist doch offensichtlich.“
„Dann sollte ich das vielleicht auch mal bei dir probieren. War ich zu grob heute Nacht?“, fragt er mit seidiger Stimme.
„Was? Nein.“ Die Hitze schießt mir in die Wangen. So etwas kann er mich doch nicht mitten in der Öffentlichkeit fragen! Seine dunklen Augen funkeln amüsiert. Oh doch, genau das kann er tun. Und er tut es – mit sichtlichem Vergnügen. „Ich hatte auch den Eindruck, dass es dir gefallen hat. Mir übrigens auch“, fügt er mit einem belustigten Blick auf meine geröteten Wangen hinzu.
Ich blinzele und richte meinen Blick auf die mit Straußenfedern geschmückten Köpfe meiner Pferde, weg von den neugierigen Augen der versammelten Menge. „Und wie haben dir unsere Streitwagenübungen gefallen?“, frage ich, um das Thema zu wechseln.
Caesar schmunzelt, geht aber tatsächlich darauf ein: „Ihr kämpft recht zielsicher vom Wagen aus, anstatt ihn nur als Transportmittel zu benutzen, wie die britannischen Krieger. Du bist tatsächlich eine gute Schützin und ich entdecke jeden Tag neue Talente an dir, meine kleine Göttin.“
„Aber mit Arsinoes Talent kann ich nicht mithalten.“
„Du hast so viel mehr Talente als sie. Gönne ihr den kleinen Erfolg. Schließlich hast du es geschafft, den größten Feldherrn Roms von deiner Seite zu überzeugen. Das ist kein kleiner Sieg, Kleopatra.“
„Nur den größten Feldherrn Roms oder den größten aller Zeiten?“, frage ich halb im Scherz.
„Um Alexander zu übertrumpfen, müsste ich Asien erobern, oder zumindest Parthien“, antwortet er ernst.
„Dann tue es doch!“ Ich schaue ihn an und dabei wird mir plötzlich klar, dass das kein unrealistischer Traum ist – Julius Caesar könnte es tatsächlich schaffen. Caesar hat das Talent und die Möglichkeiten, dies zu tun. Und das Glitzern in seinen Augen zeigt mir, dass auch er diesem Gedankengang gefolgt ist.
„Vielleicht werde ich das tun, meine kleine Königin. Vielleicht werde ich es tun.“
Unsere Blicke verhaken sich ineinander und wieder habe ich das Gefühl, dass unsere Schicksalsfäden von den Moiren noch ein Stück dichter miteinander verwoben werden. Sekunden dehnen sich zu Ewigkeiten.
Lauter Lärm vor uns unterbricht unsere Verbindung. Aus dem Augenwinkel sehe ich einen Schatten auf uns zukommen und dann einen Reiter, der das Geschoss mit seinem Schild abwehrt. Ein dumpfer Schlag ertönt und dann laute Schreie in der Menge. Aber während ich noch erschrocken nach der Quelle der Störung Ausschau halte, hat Caesar bereits seinen Schild erhoben und sich schützend vor mich geschoben. Ein Handgemenge bricht aus, Rufe ertönen und plötzlich haben die römischen Soldaten einen Mann ergriffen, den sie jetzt mit brutalen Griffen und Schlägen auf die Knie zwingen. Der Zug kommt zum Stehen.
„Was ist hier los!“, klingt Caesars autoritäre Stimme kalt über den Platz. Neben mir steht nun wieder der ehrfurchtgebietende Feldherr und Konsul – und wie immer ist er ganz Herr der Lage.
„Imperator, dieser Mann hat versucht einen Stein zu werfen. Wir konnten ihn daran hindern.“
„Ein Stein gegen römische Legionäre.“ Caesar schnalzt mit der Zunge. „Lächerlich. Genausogut könnte man versuchen, eine Pyramide mit bloßen Händen niederzureißen. Doch der Angriff galt auch dem König und der Königin von Ägypten.“ Caesars ernster Blick gleitet zu mir. „Ich nehme an, so etwas wird mit dem Tode bestraft?!“ Ich nicke kurz. „Nehmt ihn fest, verhört ihn und übergebt ihn anschließend der ägyptischen Gerichtsbarkeit. Soll der Dioiketes sich mit ihm herumschlagen!“
Den restlichen Weg legen wir schweigend zurück. Meine Hände zittern und ich bin froh, dass Caesar die Zügel hält und den Wagen scheinbar mühelos lenkt. Mein Herz klopft immer noch wie wild. Ein Angriff meiner eigenen Untertanen auf offener Straße. Ein Angriff auf Caesar oder mich – oder auf uns beide. Die ausgelassene und euphorische Stimmung von gerade eben ist verflogen. Nach wie vor herrscht Aufruhr in der Stadt. Trotz der Protektion durch die Priesterschaft ist längst nicht jeder in Alexandria geneigt, sich Caesars Autorität zu beugen.