Caesar bricht sein Schweigen erst, als die kühlen Mauern des Mausoleums uns bereits umfangen und wir die prachtvoll dekorierte Säulenhalle betreten, von der aus man zu den unterirdischen Kammern gelangt. In knappen lateinischen Worten weist er seine Offiziere an, hier oben zu warten und der Opferzeremonie beizuwohnen, welche die Priester und Priesterinnen auf dem mit Blumen geschmückten Altar vorbereiten. Meinem Beispiel folgend, wirft er einige Weihrauchkügelchen auf die Kohlen des Feuerbeckens und spricht die rituellen Worte, bevor ich den Priestern der Totenstadt das Zeichen gebe, die bronzebeschlagenen Tore zum eigentlichen Grab für uns zu öffnen.
Über eine mit Marmor verkleidete breite Treppe folgen Caesar und ich zwei Fackeln tragenden Wächtern in die Unterwelt der königlichen Nekropole. Wir passieren dabei Pfeilerhallen und Nebenräume, in denen man das Metall von Waffen, Möbeln und Rüstungen aufblitzen sieht. Alexanders persönliche Besitztümer und die Votivgaben seiner Verehrer. Vor der eigentlichen Grabkammer erweitert sich der Gang noch einmal zu einer farbenprächtig gestalteten Säulenhalle und endet dann vor einem mit Einlegearbeiten aus Gold geschmückten Portal. Während einer der Wächter sich daran macht, die Siegel zu lösen, betrachtet Caesar die darauf angebrachten goldenen Reliefs: Alexander auf seinem Streitwagen inmitten makedonischer und persischer Leibwächter, gefolgt von einer Gruppe indischer Kriegselefanten, eine Reitereinheit stolzer Hetairoi und einer Flotte von Schiffen, die sich zu einer Seeschlacht formieren.[5]
„Sind das die berühmten Szenen, die Alexanders Begräbniszug begleiteten?“, fragt Caesar. Und ich höre die Ehrfurcht in seiner Stimme.
„Es sind nur die Miniaturen davon“, antworte ich leise, „die Originale befinden sich hinter dieser Tür“. Jene berühmten Tafeln, die Alexanders legendären Begräbniswagen schmückten, auf dem man seinen Leichnam von Babylon nach Makedonien hatte überführen wollen und den mein Vorfahre Ptolemaios Soter nach Ägypten umgeleitet hatte, um seinen Freund und König hier zu bestatten.
Fast lautlos öffnen sich die schweren Zedernholztüren und geben den Blick auf die Grabkammer frei. Schimmerndes Gold und Glas inmitten alles umfangender Schatten. Man hört nur die hallenden Schritte der beiden Priester, die schweigend begonnen haben, die Öllampen im Inneren zu entzünden. Und mit jedem entzündeten Licht erkennt man mehr Details: Monumentale Schlachtendarstellungen an den Wänden und lebensgroße Statuen von Siegesgöttinnen, die goldene Kränze aus Olivenzweigen in den ausgestreckten Händen halten. Im Zentrum der Kammer bewachen zwei gewaltige Löwen die Stufen zu einem Podest aus Alabaster, auf dem ionische Säulen in die Höhe ragen, deren Kapitelle ein vergoldetes Dach mit dem Banner Alexanders tragen. Und inmitten dieser Säulen ruht Alexander selbst in seinem gläsernen Sarkophag.
Mit einer stillen Verneigung ziehen die beiden Priester sich zurück und lassen uns allein. Zielstrebig hat Caesar bereits die Stufen des Podestes erklommen, und ist vor dem milchig schimmernden Sarkophag stehengeblieben. Ich verharre, wo ich bin, um die Szene zu betrachten, diese Begegnung zweier gottgleicher Feldherren. Der eine hat die Welt geschaffen, in die ich hineingeboren wurde, der andere ist dabei, sie zu verändern. Die kristallenen Augen eines der goldenen Löwen scheinen mir zu folgen, als ich langsam den Raum durchquere und die Stufen emporsteige, um an Caesars Seite zu treten. Der Anblick des gläsernen Sarkophags, der einen zweiten kristallenen Sarg umschließt ist mir vertraut. Und dennoch ergreift auch mich ein Hauch jener Ehrfurcht, die ich als Mädchen verspürte, als ich mit meinem Vater das Grab Alexanders zum ersten Mal besuchte.
Durch das milchige Glas kann man sein Gesicht erkennen, die geschlossenen Augen und das dunkelblonde lockige Haar unter dem Diadem. Seine Züge wirken friedlich und ruhig, fast heiter. Die Balsamierer haben ein Wunder an ihm gewirkt und durch das Glas wird der Eindruck noch verstärkt. Hier ruht er, der legendäre Herrscher, der Eroberer der Welt, so als könnte er sich jeden Augenblick erheben. Ein schlafender König und ein goldener Gott.
„Ich wußte nicht, dass Mumien so lebendig wirken können.“ Caesars Stimme klingt sichtlich bewegt.
„Die meisten tun das auch nicht. Alexander der Große ist die Ausnahme, wie bei so vielen Dingen, die er vollbracht hat“, sage ich und betrachte ihn andächtig, wie er da in seiner kostbaren Rüstung ruht, die im Schein der Lampen golden schimmert. Er wirkt wirklich fast lebendig, auch wenn ich weiß, dass sein Körper unter der Rüstung bandagiert und sein eigentliches Gesicht unter einer hauchdünnen, lebensecht gestalteten Totenmaske verborgen ist.
„Und dennoch ist dies nur seine Hülle. Die Kraft, die ihn ausmachte, existiert eher in der Erinnerung an seine Taten, als in diesem Grabmal“, erwidert Caesar nachdenklich.
„Alexanders Kraft und sein Geist leben in dir, Caesar!“, erwidere ich überzeugt und sehe ihn an. „Du bist seit Jahrhunderten der Erste, der sich mit Alexander und seinen Taten messen kann!“
Caesars dunkle Augen funkeln bei meinen Worten, doch sein Blick wandert für einen Moment in die Ferne, bevor er schließlich antwortet. „Während meiner Zeit in Spanien studierte ich die Kriegsberichte über Alexander. Ich hatte damals nach der Praetur mein erstes ernstzunehmendes militärisches Kommando inne. Und während ich Alexanders Geschichte las, wurde mir mehr und mehr bewusst, wie wenig ich doch im Vergleich zu ihm erreicht hatte. Denn Alexander hatte in meinem Alter bereits die ganze Welt erobert.“
„Das hast du inzwischen ebenso!“
„Ja, aber mit 51, statt mit 32, Kleopatra.“
„Er starb bereits mit 32! Denn wie sein Held Achillas hatte er für sich ein kurzes, aber ruhmvolles Leben gewählt. Ist es das, was dich so an ihm fasziniert hat?“
„Nein, aber sein unerschütterlicher Wille zum Sieg und sein Glaube daran. Er hat ein Reich aus dem Nichts erschaffen und das unmöglich erscheinende möglich gemacht. Er ist seiner Bestimmung gefolgt, hat sein Ziel nie aus den Augen verloren und sich nicht beirren lassen. Er verfügte über den Mut des Kriegers, die Kunst des Staatsmanns und die Gunst Fortunas. Und er hat bewiesen, dass es möglich ist, das Angesicht der Erde zu verändern.“
„Und erst seitdem ich dich kenne, habe ich erkannt, was das wirklich bedeutet, Caesar. Du magst länger gebraucht haben, aber du wurdest auch nicht als König geboren, wie Alexander. Und im Gegensatz zu Alexander, der oft in jugendlicher Unbesonnenheit handelte, hast Du neben dem Charisma und der Begeisterung auch die nötige Weisheit und Erfahrung. Dein Reich wird nicht zerfallen, wie das seine.“
„Mein Reich?“ Caesar hat eine Braue gehoben. „Ich bin immer noch Römer, Kleopatra. Rom ist eine Republik.“
„In der Theorie vielleicht. Aber in Wirklichkeit regierst doch Du! Und du träumst denselben Traum. In dir brennt dasselbe Feuer, das auch ihn beseelt hat. Ist es nicht so?“
„Und welcher Traum sollte das sein, Kleopatra?“ Caesar sieht mich forschend an.
Einen Moment fühle ich mich in der Zeit zurückversetzt und wie jenes kleine Mädchen, das ich damals war. Damals, als ich auf seine Fragen über das Wesen von Göttern und Königen improvisierte. Und auch jetzt halte ich seinem brennenden Blick stand und antworte mit ruhiger Stimme, deren Sicherheit irgendeinem verborgenen Bereich in meinem Herzen entstammt:
„Alexander hatte stets ein offenes Herz, Caesar. Sein Traum war es, die Menschen und Nationen durch Verständnis miteinander zu verbinden. Seine glänzenden Siege waren stets nur der erste Schritt. Er war ein Eroberer, aber er war auch ein großer Herrscher mit einer Weitsicht, die weit über seine Lebenszeit hinausreichte. Die meisten seiner Zeitgenossen konnten oder wollten es nicht verstehen. Sie fühlten sich als Makedonen, Perser, Inder, Griechen – doch Alexander hat immer das Ganze gesehen. Er hat diese Stadt hier gesehen und ihren Plan gezeichnet, die Straßen, auf denen wir uns heute bewegen. Er hat diese Vision so klar vor sich gesehen und gezeichnet, dass er ihren Plan mit Mehl auf den Boden streuen ließ. Und selbst als die Vögel des Himmels kamen, um das Mehl zu fressen, nahm er das nur als weiteres Zeichen, dass hier eine Stadt entstehen würde, mit der Fähigkeit, Menschen aller Nationen und aus allen Himmelsrichtungen zu beheimaten und zu versorgen. Mit materieller Nahrung genauso wie mit geistiger. Er hat sich nicht von schlechten Omen beirren lassen, genausowenig wie du, Caesar. Denn dieselbe göttliche Flamme, diese Zuversicht brennt in dir. Auch du bist ein Eroberer, der sich die Welt untertan macht. Aber nicht, um sie zu zerstören, sondern um eine bessere Welt aufbauen zu können. Alexanders Lebenszeit war zu kurz bemessen, um sein Werk zu vollenden. Sein Freund Ptolemaios hat es jedoch bewahrt, soweit er konnte. Und er hat diese Aufgabe an seine Nachfolger weitergegeben. In der Hoffnung, dass einst ein neuer Gott aus unserer Dynastie erwachsen könnte, der Alexanders Idee weiterführt. Und so haben wir diese Stadt aufgebaut und das Wissen der Welt gesammelt. Das überragende Kriegsglück Alexanders war niemanden in diesem Maße beschieden. Doch die Erinnerung und das Wissen darüber haben wir bewahrt. Ägypten hat sich Alexander einst freiwillig ergeben, er brauchte es nicht erobern, weil es in ihm bereits den Sohn Amuns, den Sohn des Zeus erkannt hatte. Er war ein Halbgott, Caesar. Ein lebender Gott, genau wie du.“ Ich sehe ihm direkt in die Augen und halte dem dunklen Feuer darin stand. „Ich weiß, was Größe ist, Caesar, und ich kann sie in dir erkennen. Du bist von den Göttern gesandt, genauso wie einst Alexander.“
„Und dennoch ist er in der Blüte seines Lebens gestorben, ohne dass er sein Werk vollenden konnte“, bemerkt er mit einem Blick auf den Sarkophag. „Die Flamme ist vor der Zeit verloschen, nachdem sie so hell gebrannt hat.“
„Sie ist nicht verloschen, Caesar, denn sie brennt in dir. In uns!“ Ich habe seine Hand ergriffen und erwidere ihren Druck. Wärme fließt durch mich hindurch und bald darauf kann ich kaum noch sagen, wo seine Haut beginnt und meine endet. Ich begegne seinem flammenden Blick, in dem so viele unausgesprochene Emotionen flimmern. Und dann sehe ich die einzelne Träne, die sich ihren Weg bahnt, und langsam an seiner Wange herabläuft. Doch seine Mine bleibt dabei unbewegt, er weint wie ein Gott und der Anblick lässt auch meine Augen brennen. Wir beide sagen kein Wort. Nur der Druck unserer Hände verstärkt sich und schließlich zieht er mich in seine Arme und drückt einen Kuss auf meinen Scheitel. Lange stehen wir dort, den Blick auf den Sarkophag gerichtet, als würde die Zeit, die Alexander so früh zum Verhängnis geworden ist, nicht existieren.
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[5] Die Beschreibung der Szenen basiert auf Diodor, 18, 26-27, https://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Diodorus_Siculus/18B*.html