„Nun aber werden die größten aller Güter uns durch den Rausch zuteil, wenn er als göttliches Geschenk verliehen wird. Denn die Prophetin in Delphi und die Priesterinnen in Dodona haben in der Besessenheit vieles Schöne für Haus und Stadt in Hellas getan, bei klarer Besinnung aber Kümmerliches oder nichts.“
(Platon, Phaidros, 22)*
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Meine Augen überfliegen die Zeilen der Schriftstücke, die Seleukos mir gerade vorbeigebracht hat – Bestellungen aus den Palastarchiven und Getreidelieferungen für Caesars Armee, die meine Schreiber heute morgen vorbereitet haben. Ich überfliege die bürokratischen Formulierungen und unterschreibe dann jeweils mit genésthô (es soll geschehen), bevor ich den Stapel wieder an meinen geduldig wartenden Sekretär zurückgebe.
„Hat das Büro des Dioiketes die Zahlungen an die Getreidehändler veranlasst?“, frage ich leise.
„Ja, Majestät, allerdings ist bisher nur eine Anzahlung gemacht wurden. Außerdem hat der Leiter der königlichen Kanzlei mich darauf aufmerksam gemacht, dass zukünftig nur noch Befehle, die das neue Siegel tragen, berücksichtigt werden können.“
„Wer hat das entschieden?“
„Der Dioiketes, Majestät“
„Und sind die neuen Siegel bestellt?“
„Ja, Majestät, sie sollten morgen eintreffen.“
„Gut, das wäre alles für heute, Seleukos. Wir sehen uns morgen früh.“ Mein Sekretär verneigt sich tief und entfernt sich dann, die Hände voller Befehle. Ich blicke seinem blassblauen Himation noch einen Augenblick nach und streichele gedankenverloren über das weiche Fell der kleinen Katze, die es sich neben mir auf der Kline bequem gemacht hat und nun genussvoll zu schnurren beginnt.
Als ich aufblicke, begegne ich Caesars aufmerksamen Blick. Er schenkt mir ein feines Lächeln, bevor er sich wieder seiner eigenen Korrespondenz zuwendet. Auch er ist mit einigen Briefen beschäftigt, die Hirtius und ein ziemlich verkatert aussehender Sextus ihm vorhin vorbeigebracht haben. Meine Schwester hat sich entspannt auf ihrer Kline zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Ihr langes blauschwarzes Haar schimmert mit der kostbaren Seide des Kissens um die Wette. Das warme Wetter lädt dazu ein, einfach nur zu dösen. Entspannt lehne auch ich mich wieder zurück, streichele die Katze neben mir und betrachte versonnen Caesars konzentriertes Minenspiel beim Lesen der Schriftrollen. Ich kann seine Gedanken förmlich arbeiten sehen. Caesars Geist ist immer aktiv. Er scheint nur nachts zu ruhen, wenn er neben mir schläft. Wenn überhaupt, vielleicht arbeitet er ja sogar in seinen Träumen weiter?
Unsere seltsam friedliche Stimmung wird unterbrochen, als einer von Caesars Dienern erscheint und uns informiert, dass meine königlichen Brüder und ihr Gefolge eingetroffen sind. Da ertönen auch schon laute Schritte auf der Treppe und Potheinos‘ nasale Stimme klingt unangenehm zu uns herüber, was die kleine Katze dazu bringt, erschrocken aufzuspringen und hinter den Blumenkübeln in Deckung zu gehen. Ich zwinge mich zu einem gleichmütigen Gesichtsausdruck, als ich den Dioiketes mustere, der sich gerade mit zwei Fächerträgern an den Wachen vorbei, seinen Weg zu uns auf die Dachterrasse bahnt.
Mit einer knappen Verneigung grüßt er Caesar, Arsinoe und mich: „Imperator, Majestät, Königliche Hoheit! Seine Majestät Pharao Ptolemaios Theos Philopator und Seine Königliche Hoheit Prinz Ptolemaios sind soeben auf Eure Einladung hin mit ihrem Gefolge eingetroffen. Nun weigern sich die römischen Legionäre im Untergeschoss, die königliche Gesellschaft passieren zu lassen!“, ereifert er sich da auch schon auf seine heuchlerisch freundliche Art, während er gegen das grelle Sonnenlicht anblinzelt, vor dem Caesar, Arsinoe und ich durch den großen Sonnenschatten über uns geschützt sind.
Caesar hat seinen Brief sinken lassen und sich nun ebenfalls zurückgelehnt, als er Potheinos mustert, wie ein entspannter Löwe eine einzelne Hyäne: „Aber werter Minister, Ihr habt doch sicher Verständnis dafür, dass wir uns mit dem König und Prinzen intern besprechen möchten! Da es sich heute um ein Treffen im engsten Familienkreis handelt, wird die königliche Entourage unten im Andron bewirtet. Bei mir und seinen Schwestern ist der junge König in den besten Händen. Ihr könnt unten mit den anderen essen. Ich bin sicher, es wird Euch und den übrigen Freunden des Königs dort an nichts mangeln.“
Potheinos starrt Caesar einen Moment lang an, doch seine Miene ist unbewegt, als er sich mit einem knappen: „Wie Ihr wünscht, Konsul“, abwendet.
„Potheinos wird vor Wut kochen, dass du ihn mal wieder wie einen Dienstboten behandelt hast“, kommentiert Arsinoe die Szene. Wenn ich etwas an Arsinoe schätze, dann ihre erfrischende Ehrlichkeit.
„Wieso, ich war doch sehr freundlich zu eurem Eunuchen“, erwidert Caesar mit Unschuldsmiene, doch in seinen Augen blitzt es übermütig. Wie schafft er es nur, gleichzeitig so liebenswürdig und arrogant-herablassend zu wirken?
„Arsinoe hat schon recht“, gebe ich zu bedenken. „Potheinos‘ Position ist an seinen Einfluss auf den König gebunden. Und er hat Angst, diesen Einfluss zu verlieren, wenn er nicht bei jedem Treffen dabei ist.“
„Wirst du ihn absetzen, wenn du wieder in vollem Umfang regierst, Kleopatra?“, stellt Arsinoe ihre gar nicht subtile Frage.
„Wieso, willst du ihn mit nach Zypern nehmen? Nur zu!“, erwidere ich ironisch.
„Nein, du kannst ihn behalten. Als Verwalter für Zypern habe ich bereits Ganymedes vorgesehen.“
„Den anderen Eunuchen?“, fragt Caesar nach und erspart mir so eine weitere Antwort. Natürlich werde ich Potheinos als Minister ersetzen, sobald sich eine günstige Gelegenheit ergibt. Aber ankündigen werde ich das Arsinoe gegenüber bestimmt nicht!
„Das klingt so despektierlich aus deinem Mund!“, bemerkt Arsinoe spitz.
„Despektierlich? Aber nein. Dein Ganymedes hat bestimmt seine Vorzüge“, antwortet Caesar gelassen. Ich verkneife mir ein Lachen, denn Caesars ironischer Unterton ist kaum zu überhören. Ich liebe seinen subtilen Humor.
„Die hat er durchaus, auch wenn jemand wie du, das nie verstehen würde!“, schnaubt meine Schwester angriffslustig.
Caesar hebt nur eine Augenbraue. „Dann erleuchte mich!“
Leider sieht sich Arsinoe nun veranlasst, einem anstrengenden Monolog über die Vorzüge von Eunuchen im Allgemeinen und die ihres Strategen Ganymedes im Besonderen zu halten. Ich greife nach meinem Weinkelch und nehme einen tiefen Schluck, bevor ich Caesar einen „das hast du nun davon“-Blick zuwerfe. In seinen Augen blitzt es spöttisch.
„…und das ist auch einer der Gründe, warum vorzugsweise Eunuchen diese höchsten Ämter am Königshof erhalten. Sie sind loyal und nicht daran interessiert, eine eigene Dynastie zu gründen und auf den Thron zu setzen!“, schließt Arsinoe mit Überzeugung.
„Wenn man Angst vor richtigen Männern hat, dann braucht man natürlich Eunuchen“, bemerkt Caesar spöttisch. „Wobei man in eurem Fall eher Angst vor den Frauen haben sollte.“
„Du kannst dir deinen Spott sparen, Caesar. Ich schätze einen treuen Eunuchen tatsächlich mehr, als einen ehrgeizigen Mann. Es ist ja nicht so, als würden ihm die fehlenden Körperteile in irgendeiner Weise mehr Kompetenz verleihen“, erwidert Arsinoe schnippisch.
„Und mit männlichen Kompetenzen kennst du dich natürlich aus! Ohne dir deine Illusionen rauben zu wollen, Prinzessin, aber eure Eunuchen hier sind alles andere als ein Vorbild treuer Ergebenheit. Du solltest lernen, echte Treue von falscher zu unterscheiden.“ Er lächelt süffisant und fügt dann noch hinzu: „Lass dir das von einem Mann mit einer gewissen Lebenserfahrung gesagt sein. Denn es ist ja nicht so, als würden die vorhandenen Körperteile Männern in irgendeiner Weise weniger Kompetenz verleihen.“
„Wenn sie damit denken, dann schon!“
Ich halte mir die Hand vor den Mund, um mein Lachen zu unterdrücken. Arsinoe ist wieder in Hochform, aber Caesar nicht minder.
„Oh glaub mir, richtige Männer können sich durchaus beherrschen, Prinzessin!“, erwidert er trocken und bedenkt Arsinoe mit einem kalten Blick, den sie mit einem wütenden Funkeln erwidert.
Zeit dazwischen zu gehen: „Vernunft und Begierde sind nach Platon die beiden Kräfte, die jeden Menschen antreiben. Sie müssen nur gezügelt und in Einklang gebracht werden, wie zwei Pferde vor einem Wagen“, berufe ich mich auf das Bild des Seelenwagens in Sokrates‘ Dialog mit Phaidros.
„Und was hat das hiermit zu tun?“, will Arsinoe wissen.
„Dass es immer und in jeder Situation darum geht, die eigenen Leidenschaften zu beherrschen, sie aber auch als Antriebskräfte zu erkennen und zu nutzen.“
Caesar lächelt. „Eine sehr pragmatische Deutung. Das gefällt mir.“
„Ging es im Phaidros-Dialog nicht um irgend so etwas Abgehobenes, wie Seelenwanderung?“, fragt Arsinoe nach und ich höre aus ihrer Frage deutlich die abfälligen Worte ihres Lehrers Theodotos, der den platonischen Ideen noch nie viel abgewinnen konnte.
„Ja, Sokrates beschreibt die menschliche Seele im göttlichen Zustand als dreiteiliges Wesen, bestehend aus einem Wagen mit geflügeltem Wagenlenker, der von zwei ebenfalls geflügelten Pferden gezogen wird. Im Unterschied zu den Seelen der Götter, ist eins der Pferde jedoch bockig, weshalb der Seelenwagen ins Ungleichgewicht geraten und zur Erde stürzen kann. Wenn das geschieht, verliert die Seele ihre Flügel und wird als Mensch in einem materiellen Körper wiedergeboren“, fasse ich Sokrates‘ Gleichnis kurz zusammen.
„Aber wenn sie in diesem Zustand etwas Schönes entdeckt“, ergänzt Caesar und sieht mich dabei mit einem Lächeln in den Augen an, „dann erinnert sie das an ihre göttliche Heimat und das erweckt sowohl die Sehnsucht, als auch die erotische Anziehungskraft. In diesem Zustand der Freude und Erregung können der Seele neue Flügel wachsen.“
Ich erwidere seinen intensiven Blick und mein Herz pocht schneller. Möglichst neutral fahre ich fort: „Sokrates beschreibt den Zustand des Verliebtseins als göttliche Mania, die den Menschen je nach Veranlagung dazu bringt, alles Schickliche und Standesgemäße zu vergessen, aber auch über sich selbst hinauszuwachsen und nach Höherem zu streben. Für ihn sind auch Genie und Inspiration eine vergeistigte Ausdrucksform dieser Kraft.“
„Und was hat das gleich nochmal mit unserem Thema zu tun?“, unterbricht Arsinoes genervte Frage Caesars und meinen Blickkontakt.
„Ganz einfach: Wenn man einem Menschen die körperliche Fähigkeit zu lieben nimmt, dann beschneidet man damit auch seine Seele. Ich glaube, mehr brauche ich zum Thema Eunuchen nicht zu sagen!“, erklärt Caesar bestimmt, was ebenfalls eine sehr pragmatische Auslegung von Platons Ideenlehre darstellt.
Arsinoe zuckt mit den Achseln. „Ihr könnt gerne weiter Aphrodite und Eros verehren, ich halte mich an Artemis und Athene.“
„Tu das“, meint Caesar nur gleichgültig, bevor er noch als ironischen Seitenhieb hinzufügt: „im Tempel der Artemis von Ephesos würdest du dich bestimmt wohlfühlen, mit all den Eunuchen, die der Göttin dort dienen.“
„Die Aphrodite von Paphos auf Zypern wird jedenfalls nicht von Eunuchen verehrt“, wechsele ich bewusst das Thema.
„Wie wollt ihr beiden die Geschichte mit Zypern eigentlich dem König beibringen, ohne dass er den nächsten Wutanfall bekommt?“ Arsinoe hat sich wieder auf ihrer Kline zurückgelehnt und beäugt Caesar und mich weiterhin misstrauisch.
„Das lass mal ganz meine Sorge sein, Arsinoe“, erwidert Caesar nonchalant und schenkt ihr ein süffisantes Lächeln. Meine Schwester verdreht nur genervt die Augen.
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* Übersetzung nach P. Matussek: http://www.peter-matussek.de/Leh/V_06_Material/V_06_M_08/Phaidros_Dialog.pdf