„Der nähere Umgang mit ihr [Kleopatra VII.] hatte einen unwiderstehlichen Reiz und ihre Gestalt, verbunden mit der geistvollen Unterhaltung und der Anmut ihres ganzen Wesens hinterließen einen tiefen Eindruck. Selbst ihre Stimme war höchst angenehm. Sie wusste ihre Zunge wie ein vielseitiges Instrument in jede beliebige Sprache zu fügen und bediente sich nur im Umgang mit ganz wenigen Völkern eines Dolmetschers. Den meisten antwortete sie selbst (in deren eigener Sprache), wie den Äthiopiern, den Troglodyten, den Hebräern, Arabern, Syrern, Medern und Parthern. Auch soll sie die Sprache noch vieler anderer Völker erlernt haben, während die Könige, die vor ihr regierten, sich nicht einmal die Mühe gemacht hatten, die ägyptische zu verstehen und einige sogar die makedonische Mundart vergessen hatten."
(Plutarch)
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Staunend stehe ich mit Charmion in meinem neuen Ankleidezimmer. Ich drehe mich langsam und betrachte die riesige Auswahl: Kisten mit Schmuck, Modelköpfe mit Perücken voller Goldschmuck auf Tischen und zahlreiche Truhen mit Kleidungsstücken, sowie zeremonielle Gewänder, die sorgfältig drapiert an Kleiderhaken hängen. Die Gewänder und Utensilien nehmen den ganzen Platz des nicht gerade kleinen Zimmers ein. Charmion hatte den Raum in eine begehbare Kleiderkammer verwandelt.
„Wie hast du das denn alles heute Morgen hierhergeschafft?“, frage ich beeindruckt.
Charmion lächelt sichtlich geschmeichelt.
„Ich konnte kaum schlafen vor Aufregung heute Nacht. Also bin ich noch vor Sonnenaufgang aufgestanden und wollte zu dir. Der wachhabende Soldat auf dem Gang erklärte mir, dass Caesar nicht gestört werden will. In dem Moment kam dieser Offizier namens Rufio, der von gestern Abend, vorbei und teilte mir mit, dass du bis auf Weiteres hier in diesem Flügel wohnen wirst. Da habe ich ihm erklärt, dass er dann sofort für eine standesgemäße Garderobe sorgen muss.“ Sie sieht mich verschmitzt an. „Er schien ein bisschen hilflos bei dieser Forderung. Also habe ich ihm versichert, dass er mir einfach nur ein paar Soldaten und zwanzig Sklaven zum Tragen zur Verfügung stellen muss und ich mich um den Rest kümmere.“
„Und das hat er so einfach gemacht?“
„Ich habe gedroht, dass du dich sonst bei Caesar über ihn beschweren wirst.“
„Da wusstest du doch noch gar nicht, wie der Status quo zwischen uns ist.“
„Ja, aber er auch nicht.“ Sie kichert und fährt dann fort: „Außerdem hast du die Nacht in Caesars Gemächern verbracht und warst immer noch dort. Rufio hat mir also die Soldaten und Sklaven besorgt und ich bin mit der ganzen Truppe noch vor Sonnenaufgang in deine ehemaligen Gemächer und danach ins Schatzhaus und die königliche Näherei marschiert und habe alles Nötige zusammenpacken und herbringen lassen.“
„Und niemand hat etwas gesagt?“
„Die meisten Diener haben noch geschlafen und die Beamten im Schatzhaus kannten mich noch von früher. Ich habe gesagt, dass ich in deinem offiziellen Auftrag handele und beim Anblick von Caesars Eskorte haben sie keine weiteren Fragen gestellt.“
„Das hast du großartig gemacht, Charmion. Danke.“ Ich lächele sie an und sehe mit Belustigung, wie Charmion ganz rot vor Freude wird.
Ich öffne eine der Truhen und betrachte die kostbaren Halskragen, Ketten, Ringe, Armbänder und Pektorale. Gold und Edelsteine, wohin man schaut. Sogar einige meiner Lieblingsstücke sind darunter. Arsinoe hat sich überraschenderweise nicht all meiner persönlichen Habe bemächtigt. Erstaunlich! Ich bin Charmion dankbar für ihr schnelles Handeln, denn mein Auftritt muss perfekt sein, wenn ich meinen Hof wieder um mich versammele. Außerdem eignen sich viele dieser Schmuckstücke wunderbar als kleine Geschenke und Gunstbeweise für meine Gefolgsleute.
Ein leises Pochen an der Tür unterbricht meine Überlegungen.
„Ja?“
Der Wachsoldat öffnet die Tür und grüßt mich mit einer knappen Verbeugung.
„Majestät, ein gewisser Apollodorus möchte Euch sprechen.“
„Er möge hereinkommen.“
Apollodorus wedelt lächelnd mit einer Papyrusrolle in der Hand. „Majestät, gerade ist diese Botschaft aus dem Serapeum gekommen. Die Gesandten der Priesterschaft werden sich heute zur Audienz einfinden.“
Ich greife nach der Papyrusrolle, um das Schreiben selbst zu lesen. Die obere Hälfte des Briefes nimmt allein meine königliche Titulatur ein. Der Hohepriester des Serapeums überschlägt sich förmlich in höflichen Floskeln und kündigt eine Gesandtschaft von Priestern aus Memphis an, die mich um eine Audienz bitten. Ich weiß natürlich, worum es geht, und lächele erleichtert.
„Das sind wahrlich gute Neuigkeiten. Gut gemacht, Apollodorus. Hast du den Empfangssaal für die Audienz vorbereitet?“
„Euer Thron steht für Euch bereit, meine Königin und die Weihrauchbecken sind entzündet, damit die Heiligkeit der priesterlichen Nasen nicht durch den römischen Legionärsgeruch oder den Pesthauch des Regentschaftsrates gestört werden möge.“ Apollodorus vollführt grinsend eine völlig übertriebene Verbeugung und ich verdrehe in gespielter Empörung die Augen.
Nachdem Apollodorus uns wieder verlassen hat, um noch einiges vorzubereiten, beginnen Charmion und ich mit der Kleiderauswahl für den Empfang. Da die Gesandtschaft aus Memphis stammt, sollte mein Erscheinungsbild heute weniger griechisch-makedonisch, sondern eher ägyptisch-pharaonisch sein. Das gebieten die Feinheiten der Höflichkeit im Umgang mit der Priesterschaft.
Meine Krone und persönlichen Insignien sind noch im Heerlager bei Iras, aber im Palast gibt es keinen Mangel an Kronjuwelen und Regalien. Ich schreibe eine kurze Notiz für den Kronenbewahrer und Charmion übergibt sie einem der Botenjungen im Flur.
Zurückgelehnt auf einem bequemen Stuhl, entspanne ich mich unter Charmions sanften Strichen, mit denen sie mein Gesicht schminkt. Sie ist eine wahre Künstlerin, was Kosmetik angeht. Sobald ich meinen Hof wieder versammelt habe, werden mich bei solchen Anlässen ganze Scharen von Dienerinnen und Sklavinnen umgeben, die mir Luft zufächeln und Erfrischungen reichen. Aber gerade bin ich froh über unsere ungestörte Zweisamkeit und die ungezwungene Atmosphäre.
Das Gewand, das Charmion für mich ausgesucht hat, ist ein Traum aus perlmuttfarbener schimmernder Seide.
„Ist das nicht wunderschön?“ fragt sie begeistert, als sie meinen erstaunten Blick sieht. „Der Stoff ist mit der letzten Lieferung aus Berenike gekommen.“
Kurz überlege ich, ob ich nicht trotzdem lieber ein Leinengewand beim Empfang der Priesterschaft tragen sollte, denn Leinen gilt als kultisch rein. Andererseits sind wir hier im Palast und nicht im Tempel und ich muss auch kein Ritual vollziehen. Ich mustere die glänzende Oberfläche des Kleides, die je nach Lichteinfall sanft changiert, während Charmion mir beim Anziehen hilft und einen passenden Seidengürtel fest um meine Taille bindet. Ursprünglich stammen diese kostbaren Stoffe aus China, dem Land am anderen Ende der Welt. Aber indische Händler kaufen sie auf und veräußern sie wiederum an arabische und griechische Seeleute. Wenn die Schiffsladungen mit den Stoffballen schließlich in unserer Hafenstadt Berenike am Roten Meer eintreffen, haben sie bereits eine unglaublich lange Reise hinter sich. Die schönsten und ausgefallensten Stoffe bleiben hier im Palast, der Rest wird weiterverkauft. Das gehört zur höfischen Prachtentfaltung der Ptolemäer, um die unsere Nachbarn uns nicht wenig beneiden.
Ich drehe mich in dem enganliegenden Kleid vor dem riesigen Bronzespiegel. Ein feiner Glanz betont jede meiner Bewegungen und korrespondiert mit dem schimmernden Lidschatten und dem feinen Goldpuder auf meiner Haut. Ich bilde mir ein, einen elaborierten Geschmack zu besitzen, aber auch wenn das nicht so wäre, würden mich trotzdem alle Damen Alexandrias nachahmen. Was die Königin von Ägypten heute trägt, bestimmt morgen die Mode im ganzen Mittelmeerraum. Ich muss mich nur selbst gerade wieder daran gewöhnen.
„Es ist perfekt, Charmion.“
„Soll ich dir die Haare frisieren oder möchtest du lieber eine Perücke tragen?“
„Nimm eine Perücke, das geht schneller.“
Ich betrachte die Auswahl, die Charmion mitgebracht hat und entscheide mich für eine blauschwarze Perücke, die aus hunderten von fein geflochtenen Zöpfen besteht, die mir bis über die Brüste reichen. In jeden einzelnen Zopf sind kleine Goldröhrchen und Perlen eingeflochten. So etwas mit meinem eigenen Haar zu machen, würde Stunden dauern und dafür haben wir nun wirklich keine Zeit!
Als ich fertig angekleidet bin, klopft es wieder an der Tür und die Wache kündigt diesmal den Kronenbewahrer an.
Nachdem ich ihn hereingebeten habe, betritt ein alter Mann mit ernster und gewichtiger Miene den Raum. Vor sich auf einem Kissen trägt er die königlichen Zepter und ein Uräendiadem. Ich kenne den alten Beamten noch von früher. Er ist so alt, dass er noch meine Urgroßmutter Kleopatra Euergetis[1] gekannt hat. Er heißt Stephanophoros[2], aber alle nennen ihn nur Stephanos. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das sein wirklicher Name oder ein Scherz ist.
„Ich grüße dich, Stephanos, und danke dir, dass du so schnell gekommen bist.“
„Majestät, es ist so schön, dass Ihr wieder zurück seid. Euer seliger Vater wäre untröstlich über diesen schrecklichen Zwist und Eure Verbannung gewesen.“
„Die Göttin Isis hat ihre schützende Hand über mich gehalten und mich wohlbehalten zurückgeführt.“ Ich lächele den alten Mann herzlich an. Er gehört zu den wenigen treuen Seelen in diesem Palast und seine Sorge um mich ist wirklich echt.
Dann betrachte ich die Krone, die er mir mitgebracht hat. Die Stirnschlange der Pharaonen ist heilig und kann nicht einfach wie normaler Schmuck in irgendeiner Schmuckschatulle aufbewahrt werden. Nachdem ich sie getragen habe, wird Stephanos sie abholen und wieder in einem Schrein verwahren, bis ich sie das nächste Mal benötige. Vorsichtig ergreife ich das Diadem und betrachte die Krone in meiner Hand. Statt einer sind zwei Uräusschlangen an der Stirnseite des goldenen Reifens befestigt.
„Gehörte diese Krone meiner Urahnin Arsinoe Philadelphos[3]?“
„So ist es Majestät. Die göttliche Königin trug stets zwei der heiligen Uräusschlangen an der Stirn. Diese Krone wurde nicht mit ihr bestattet, sondern verblieb bei den Regalien.“
„Warum zwei Schlangen statt nur einer?“
„Nun, Majestät, die gängige Meinung ist, weil sie sowohl die Tochter als auch die Gemahlin eines Pharaos war. Doch das trifft auf viele Königinnen zu. Doch sie war die erste Ptolemäerin, die ihren Bruder heiratete, um an die alten Traditionen des Pharaonenreiches anzuknüpfen. Sie und ihr Bruder nannten sich die geschwisterliebenden Götter. Andere sagen deshalb, dass die beiden Uräen für die beiden Philadelphoi, also die Königin und ihren Bruder, standen.“
„Und was glaubst du, Stephanos?“ Seinen umständlichen Ausführungen zu lauschen ist zwar immer etwas ermüdend, denn es ist ja nicht so, dass ich das meiste davon nicht wüsste. Aber oft kennt er tatsächlich Details, die mir unbekannt sind. Außerdem mag ich den alten Kronenbewahrer, dessen Augen zu leuchten beginnen, wenn er sein Wissen mit jemandem teilen kann.
„Majestät, Ihr wisst, dass Königin Arsinoe Philadelphos schon zu Lebzeiten als Göttin verehrt wurde, sowohl von ihren griechisch-makedonischen als auch von ihren ägyptischen Untertanen. Ich denke deshalb, dass die beiden Uräen für Ägypten und Makedonien stehen, die beiden Kulturen, die durch die gemeinsame Verehrung der neuen Göttin zusammengewachsen sind.“
Die Göttin Arsinoe Philadelphos. Selbst im Allerheiligsten des Isis-Tempels von Philae ganz im Süden wird sie verehrt. Ich hatte ihre Bilder bewundert, als ich als kleines Mädchen mit meinem Vater den Tempel besuchte. Ich mustere die blitzenden Glasaugen der heiligen Schlangen. Die Göttin Arsinoe hatte die zwei Kulturen einander nähergebracht, die damals hier in Alexandria aufeinandertrafen. Auch ich herrsche über Griechen und Ägypter – und habe jetzt zusätzlich auch noch mit den Römern zu tun. Nun, wenn es danach ginge, müsste ich drei Uräen tragen. Vielleicht sollte ich eine neue Krone in Auftrag geben!
Ich danke dem alten Mann für seine Ausführungen und der Kronenbewahrer verabschiedet sich glücklich mit einer tiefen Verbeugung.
Behutsam setze ich mir das goldene Uräendiadem auf und Charmion hilft mir, es auf der Perücke zu befestigen. Der Legende nach wacht die Göttin Uto über diese Krone und wird all meine Feinde mit ihrem gleißenden Feuer vernichten. Ich hoffe, dass es stimmt. Als ich wieder in den Bronzespiegel schaue, sieht mir die Gottkönigin Ägyptens entgegen. Jung, schön und unnahbar.
~*~
Der süße Duft es Weihrauchs erfüllt den Raum und mischt sich mit der kühlen Brise, die durch die hohen vergitterten Fenster vom Meer herüberweht. Ich sitze auf einem Thron aus vergoldetem Holz und betrachte mein neues Audienzzimmer – in Caesars Räumen. Der Mosaikboden ist phantasievoll mit nilotischen Szenen gestaltet und korrespondiert mit den sanften Blau- und Türkistönen der Wandmalereien. Die Decke wird durch acht Papyrussäulen gestützt, deren vergoldete Kapitelle im einfallenden Sonnenlicht strahlen. Eine Harfenspielerin sitzt neben dem Thronpodest und spielt leise eine Melodie auf ihrem Instrument. Bewegungslos wie eine Statue sitze ich auf meinem Thron, während zwei Sklaven mir mit großen Straußenwedelfächern frische Luft zufächeln. Charmion und Apollodorus haben neben mir Aufstellung angenommen, die kleinen Federfächer in ihren Händen betonen ihren Rang als meine Vertrauten.
Wenn wir Alexandriner uns in einer Sache auskennen, dann, wie man einen eindrucksvollen Auftritt inszeniert. Apollodorus und Charmion haben heute Morgen wirklich alle Hebel in Bewegung gesetzt. Natürlich ist der offizielle Thronsaal im Hauptpalast unsagbar prächtiger, aber nach Monaten in einem Zelt ist das hier eine enorme Verbesserung. Alles wirkt königlich und könnte auch einem der alten ägyptischen Wandgemälde entstammen.
Die Nachricht meiner Rückkehr hat sich in Windeseile herumgesprochen und viele Höflinge nutzen die Möglichkeit, um bei mir vorstellig zu werden. Die wachhabenden römischen Soldaten werden zusehends unruhig, angesichts der Menge an unangekündigten Bittstellern, und fordern Verstärkung an, während Apollodorus in der Rolle des Zeremonienmeisters glänzt und mir die Besucher vorstellt.
Gerade sind meine ehemaligen Hofdamen erschienen, viele davon in Begleitung von Familienangehörigen. Ich blicke auf die gesenkten Köpfe der Mädchen, die vor mir auf dem Boden knien. Mit ausdrucksloser Miene lasse ich meinen Blick über die gesenkten Köpfe schweifen: schwarze Haare, braune und einige blonde zu kunstvollen Frisuren geflochten oder hochgesteckt und mit allerlei Schmuck angetan. Die Töchter der edlen Häuser von Alexandria. Sie beugen ihre Köpfe vor mir, so war es schon immer. Aber was sich hinter dieser demütigen Geste verbirgt, gilt es noch herauszufinden. Welche von ihnen sind mir treu geblieben, welche sind Opportunistinnen und welche möglicherweise Spioninnen meiner Feinde? Apollodorus stellt jeder der Hofdamen einige Fragen und alle beteuern, wie sehr sie mich verehren und sich wünschen, wieder in meine Dienste treten zu können.
„Man hat mich aus dem Palast entlassen, nachdem Ihr fort wart, Majestät. Meine Familie ist in Ungnade gefallen“, berichtet eins der Mädchen. Ihr Name ist Thais und ich bin geneigt ihr zu glauben.
„Majestät, Ihr wisst, dass ich als Priesterin Eurer göttlichen Ahnin Arsinoe Philadelphos Dienst tue, der Hohepriester hat mich angewiesen zu bleiben, auch wenn er über Eure Abwesenheit sehr betrübt war. Also habe ich weiter meine Pflichten erfüllt und der ganze Tempel hat für Eure sichere Rückkehr gebetet…"
In der folgenden Stunde höre ich mir mit erhaben freundlicher Miene noch viele solcher Geschichten an. Meine früheren Hofdamen nehme ich wieder in Gnaden auf, da ihre Dienste vor allem repräsentativer Natur sein werden und ich mir damit die Loyalität ihrer Familien sichere. Trotzdem werden mein innerer Kreis und ich sie alle im Auge behalten müssen. Andere Bittsteller, die ihre Anstellung verloren haben, vertröste ich auf später, denn noch hat Potheinos die administrative Verwaltung des Palastes unter sich. Doch das wird sich mit Caesars Hilfe hoffentlich bald ändern.
Schließlich erscheinen die Besucher, auf die ich schon die ganze Zeit gehofft habe. Sistrumspielende Musikpriesterinnen führen den Zug an und noch mehr Weihrauch durchströmt den Saal, als die memphitische Gesandtschaft den Saal betritt. Es sind etwa dreißig Priester, bekleidet mit blütenweißen Leinengewändern und mit kahlrasierten Schädeln. Der Anführer kommt gemessenen Schrittes auf mich zu, verbeugt sich zunächst, um dann in einer fließenden Bewegung auf die Knie zu fallen und dreimal mit der Stirn den Boden zu berühren, bevor er sich wieder elegant erhebt.
Ich kann ein kleines Lächeln nicht unterdrücken, denn ich kenne ihn gut, ebenso wie meine Vertrauten, denn wir haben während des Exils einige Monate bei seiner Familie gelebt.
„Der Priester Psenamounis, Sohn des Khahap und Abgesandter des Hohepriesters des Ptah von Memphis, Psen-Ptah, bittet um eine Audienz“, stellt Apollodorus den Mann vor.
„Ich begrüße dich an meinem Hof, Psenamounis, und freue mich dich wiederzusehen. Wie geht es dem Hohepriester und seiner Gemahlin Tay-Imhotep? Ist ihre Schwester, deine Gemahlin Tnepheros, wohlauf?“
Psenamounis begrüßt mich mit all meinen Titeln, bevor er mir berichtet, dass sich die Familie bester Gesundheit erfreut. Der junge Priester ist nicht nur ein einfacher Diener des Gottes Ptah, sondern auch der Schwager des Hohepriesters von Memphis, der wiederum mein Cousin ist. Genau wie ich, ist er in die Mysterien der Isis eingeweiht und wir Eingeweihten haben eigene Mittel der Kommunikation.
Ich mache eine unauffällige Handgeste, die für einen neutralen Betrachter beiläufig wirken muss. Doch Psenamounis versteht die Botschaft sofort und winkt einen der Priester herbei, der ihm einen länglichen Kasten aus Ebenholz überreicht. Dann fällt er ehrerbietig vor mir auf die Knie und wechselt vom Griechischen ins Altägyptische:
„Tiwoshet erati Sheri-en-Esi. Pehont tepai Pa-sheren-Ptah ti etoti ne sechi ipen. Tinu nu titaas ne?“[4]
„Pehmot naf shep, sechi ipen petnenef echenti-Unu. Meis nai!“[5], antworte ich ihm in der alten Sprache der Pharaonen und bedeute ihm, sich zu erheben und das Kästchen an Charmion weiterzureichen, die es vorsichtig in Empfang nimmt.
Danach wechsele ich wieder ins Griechische und richte noch einige höfliche Worte an Psenamounis, dem ich durch Charmion meinerseits Geschenke für seine Familie überreichen lasse, insbesondere einen goldenen Halskragen mit Amuletten der Geburtsgöttin Toeris für seine Schwägerin, denn Tay-Imhotep wünscht sich nach der Geburt von zwei Töchtern sehnlichst einen Sohn, der die Nachfolge ihres Mannes als Hohepriester des Ptah antreten kann. Wie passend, dass ich den Toeris-Halskragen heute Morgen in einer der Schmucktruhen entdeckt habe.
Psenamounis ist gerade dabei, mir zu danken, als energische Soldatenschritte durch den Saal hallen. Gaius Julius Caesar betritt zusammen mit einer römischen Eskorte den Audienzraum, sein Blick gleitet kurz über die Gesandtschaft der Priester links des Eingangs, und bleibt dann auf mir haften. Er nähert sich mit lässiger Selbstverständlichkeit dem Thron und seine Augenbrauen wandern leicht in die Höhe, als er Psenamounis registriert, der zum Abschied wieder auf die Knie gesunken ist.
Caesars Augen huschen kurz von ihm zu mir und er senkt leicht den Kopf, nicht genug, dass es als Verneigung durchgehen könnte, aber immerhin als höfliche Geste; wäre da nicht dieser ironische Zug um seinen Mund.
„Meine Königin“, spricht er mich an, wobei er nicht das griechische ,Basilissa‘, sondern das lateinische ,Regina‘ verwendet, wodurch es eher wie ein Kosename, als wie ein Titel klingt. „Ich störe nur sehr ungern deine Audienz, aber deine Anwesenheit in einer wichtigen politischen Beratung ist von Nöten. Wärst du geneigt, mir zu folgen?“ Er lächelt mich charmant an.
„Mein lieber Gaius Julius, ich bin gerade mit einer wichtigen Angelegenheit beschäftigt. Bitte warte doch kurz in meinem Empfangsraum. Ich bin sogleich bei dir. Charmion wird dir inzwischen ein paar Erfrischungen anbieten.“
Ich schaue lächelnd von oben auf ihn herab und bedeute ihm mit einer Bewegung meines Heqa-Zepters, dass er entlassen ist. Caesars Blick verspricht mir bittersüße Vergeltung heute Nacht, doch er schickt seine Eskorte weg und folgt Charmion in meine neu eingerichteten Räumlichkeiten.
Als mein Blick den von Psenamounis trifft, sind dessen Augenbrauen in ungeahnte Höhen gewandert.
„Ich muss die Audienz für heute beenden, wartet im Serapeum auf mich, ich werde euch allen für morgen eine Einladung in den Palast schicken“, verabschiede ich mich.
Würdevoll erhebe ich mich, während alle Besucher zu Boden sinken, und überlasse es Apollodorus, die Versammlung offiziell zu beenden.
~*~
Als ich den Raum betrete, ist Caesar gerade dabei, meine neue begehbare Kleiderkammer in großen Schritten zu durchqueren und den Raum in Augenschein zu nehmen. Charmion wirkt etwas verschüchtert.
„Du hast dich hier ja schon häuslich eingerichtet!“, begrüßt er mich sarkastisch.
„Nur das Nötigste, was man so braucht.“
„Ja, das dachte ich mir.“
Ich trete an einen der Tische und betrachte das Kästchen aus Ebenholz, das Charmion dort abgestellt hat. Dann drücke ich meinen Siegelring in die kleine Vertiefung im Deckel und benutze ihn als Schlüssel. Der Mechanismus des Schlosses klickt einmal deutlich hörbar und der Deckel klappt auf.
Ich fasse hinein und greife nach der Schriftrolle, die darin verborgen war. Die königlichen und priesterlichen Siegel darauf sind intakt.
„Was ist das?“, fragt Caesar verblüfft.
„Das Testament meines Vaters.“
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[1] Kleopatra III. (ca. 160-101 v. Chr.).
[2] Stephanophoros heißt auf griechisch soviel wie „Kronenträger“, Stephanos: „Krone / der Gekrönte“. Die Figur des Stephanos ist fiktiv, allerdings gab es eine eponyme Priesterin für Kleopatra III., die den Titel einer Stephanophore führte (Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreichs, 2004, S. 367).
[3] Die vergöttlichte Königin Arsinoe II. (316-270 v. Chr.).
[4] Koptisiertes und vokalisiertes Neuägyptisch: „Ich werfe mich Euch (eigentlich: Dir, das das Ägyptische keine Höflichkeitsform im Sinne des deutschen „Euch“ kennt) zu Füßen, Tochter der Isis. Der Hohepriester Psen-Ptah hat mir diese Urkunde für Euch anvertraut. Jetzt ist die Zeit gekommen, sie Euch zu überreichen.“
In ägyptologischer Transkription (belle, erkennt die Umschrift leider nicht): tw=j (Hr) wSd r-rdwj=T Srjt nt Ast. Hm-nTr tpj Dj r-Drt=j n=T sxA pn. tA-nw nw Dj=j st n=T.
[5] Kleopatras Antwort (koptisiertes und vokalisiertes Neuägyptisch): „Ich danke ihm. Diese Urkunde kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Gib sie mir!“
In ägyptologischer Transkription: pA=? n=f Xpr.w sxA pn pA-ntj nfr r-xnw tA-Wnwt jrj st n=j.
Historische Anmerkung: Zur memphitischen Priesterfamilie habe ich lange recherchiert und bei den altägyptischen Sätzen hat mir ein befreundeter Ägyptologe geholfen. Alle namentlich genannten Personen waren tatsächlich in der hier beschriebenen Weise miteinander verwandt, bis auf Kleopatras nahe Verwandtschaft mit dem Hohenpriester Psen-Ptah, die zwar nicht unmöglich, aber auch nicht belegbar ist. Tatsächlich bestand aber zumindest eine entfernte Verwandtschaft, denn Psen-Ptahs Großmutter Berenike war sehr wahrscheinlich eine Tochter von Kleopatras Urgroßvater Pharao Ptolemaios VIII.
Und auch die kleinen Details, wie Tay-Imhoteps Kinderwunsch oder Kleopatras Krone mit drei Uräen stimmen.