Mein Befehl wird schneller ausgeführt, als gedacht. Ich sitze erst über dem dritten Brief, den ich Seleukos diktiere, als ein Klopfen an der Tür ertönt und die Wachen den Dioiketes ankündigen.
Betont gelassen lehne ich mich in meinem Stuhl zurück und bedeute Potheinos, näherzutreten, während die Schreiber und meine Hofdamen in ihren Tätigkeiten innehalten. Im Raum herrscht gespannte Stille, als der massige Finanzminister sich tief verneigt und dann abwartend vor mir stehenbleibt. Einige Schweißtropfen glänzen auf seinem glattpolierten Schädel. Liegt das an der Hitze und seiner Leibesfülle oder zeigt er tatsächlich Anzeichen von Nervosität?
Ich lasse einige Sekunden verstreichen und mustere den Minister schweigend. Das Gewicht der heiligen Uräusschlangen über meiner Stirn wirkt beruhigend und auch der Dioiketes ist sich ihrer wohl bewusst, denn er hält den Blick respektvoll gesenkt. Als Prinzessin habe ich mich von Potheinos einschüchtern lassen, aber diese Zeiten sind lange vorbei!
„Schön, dass Ihr so schnell erschienen seid, Minister“, eröffne ich das Gespräch, „ich denke, es ist an der Zeit, dass wir uns über einige grundsätzliche Dinge unterhalten.“ Ich mache eine bedeutungsvolle Pause und fahre dann scheinbar im Plauderton fort. „Zunächst einmal wollte ich mich höflich erkundigen, warum meine ausdrücklichen Befehle nicht unverzüglich weitergeleitet wurden. Zweitens interessiert mich ungemein, warum die königlichen Siegel trotz Eurer Zusicherung heute noch immer nicht eingetroffen sind. Und Drittens: Wie kommt es, dass Euer Ministerium sich gestern verpflichtet hat, die Getreideversorgung der römischen Legionen sicherzustellen, aber heute offenbar doch nicht dazu in der Lage ist? Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man glatt unterstellen, dass Ihr meine Befehle absichtlich zu umgehen versucht.“
Der Dioiketes hebt mit unbewegter Miene den Kopf und ich warte noch einen Augenblick, bevor ich ihm gestatte, zu antworten. „Sprecht, ich höre!“
„Majestät, ich versichere Euch, dass Eure Befehle gleich denen Seiner Majestät mit größter Umsicht ausgeführt werden“, kommen ihm die Worte glattzüngig und scheinbar respektvoll von den Lippen. „Ich bin untröstlich, dass die Siegel noch immer nicht eingetroffen sind, aber wenn Ihr es wünscht, werde ich mich sofort damit befassen und sicherstellen, dass die Siegel auf der Stelle zur Verfügung gestellt werden.“
„Aber wurden die Goldreserven nicht auf Euren Befehl hin aus den königlichen Werkstätten eingezogen, Minister?“, frage ich in sarkastischem Ton. „Könnt Ihr mir erklären, wie die Handwerker goldene Siegel ohne Gold herstellen sollen?“
„Majestät, ich bedaure zutiefst, aber Ihr wisst, dass die Schulden an Rom bezahlt werden müssen. Dass es dabei zu einer unglückseligen Überschneidung gekommen ist, bitte ich untertänigst zu entschuldigen. Ich werde sogleich anweisen, dass das erforderliche Gold für die Siegel in ausreichender Menge bereitgestellt wird.“
„Natürlich werdet Ihr das. Und damit es in Zukunft nicht zu weiteren unglückseligen Überschneidungen kommt, werdet Ihr Eure Erlässe in Zukunft von mir genehmigen lassen. Ich weiß zu schätzen, dass Ihr mich über so wichtige Briefe wie…“ und damit greife ich nach der immer noch auf meinem Tisch liegenden Papyrusrolle „…Zahlungen für durch römische Soldatenschuhe verursachte Schäden an Mosaiken in Kenntnis setzt. Aber wie kann es sein, dass mir noch immer kein Haushaltsplan vorliegt? Von den Ausgaben des letzten Jahres will ich gar nicht anfangen. Sind wenigstens die Hochrechnungen für die nächste Ernte inzwischen eingetroffen?“, wende ich mich wie beiläufig an meinen Sekretär.
„Nein, noch immer nicht, Majestät“, bestätigt Seleukos meine Vermutung in trockenem Ton. Mit innerer Genugtuung registriere ich den abfälligen Blick, mit dem er Potheinos dabei bedenkt.
„Dann würde ich empfehlen, dieses Versäumnis unverzüglich nachzuholen, werter Minister“, wende ich mich wieder an Potheinos. „Doch zuallererst geht es um die Versorgung der Armee unseres römischen Patrons. Ich sehe, dass Ihr großen Aufwand betreibt, einen ganzen Beamtenapparat mit unsinnigen, völlig überflüssigen Formalien zu beschäftigen, während die dringenden Probleme liegen bleiben. Oder wie soll ich solche Forderungen wie diesen Brief hier verstehen?“ Und damit werfe ich ihm die besagte Schriftrolle im warsten Sinne des Wortes an den Kopf.
Doch Potheinos fängt den Papyrus mit erstaunlicher Behendigkeit auf und wirft einen hastigen Blick darauf. „Ich muss einräumen…Da war wohl jemand übereifrig. Ich werde der Sache nachgehen, Majestät…“, beginnt er mit erstaunlich ruhiger Stimme.
„Gar nichts werdet Ihr tun, Minister. Außer wenn ich es Euch gestatte!“, unterbreche ich ihn ungehalten. „Im Namen meines Bruders habt Ihr lange genug schalten und walten können, wie Ihr wolltet. Diese Zeiten sind nun vorbei.“
„Natürlich, Majestät.“ Potheinos senkt ergeben den Kopf und fügt dann leise hinzu: „Doch bitte erlaubt mir, mich zu erklären.“
Das sind ja ganz neue Töne. „Nur zu, ich bin gespannt!“
„Majestät, es bekümmert mich, dass Ihr so von mir denkt“, höre ich nun Betroffenheit in Potheinos‘ Stimme. „Mir ist klar, dass unsere Zusammenarbeit in der Vergangenheit von einigen unglücklichen Umständen geprägt war. Bitte bedenkt, dass die Stimmung damals, vor allem nach der Amtszeit des Rabirius sehr aufgeheizt war. Ihr habt Euch vorbildlich bemüht, die Politik Eures Vaters fortzuführen. Heute kann ich nur eingestehen, dass Ihr damals klarer gesehen habt, als der gesamte Regentschaftsrat.“
Seine Worte treffen einen wunden Punkt, aber ich halte meine Miene unbewegt. So eine Erkenntnis hätte ich mir vor zwei Jahren von ihm erhofft, als ich seine Unterstützung gebraucht hätte. Vor diesem unglückseligen Bürgerkrieg gegen meinen Bruder. Jetzt ist es dafür reichlich spät!
„Doch ich versichere Euch“, fährt Potheinos fort, „ich habe mein ganzes Leben in den Dienst des Hauses Ptolemaios gestellt und nehme diese Verantwortung sehr ernst. Vielleicht erinnert Ihr Euch an die Umstände, die dazu führten, dass Euer allerheiligster Vater mir dieses Amt übertrug? Nach der kurzen Amtszeit, in der Gaius Rabirius das Amt des Dioiketes innehatte, lag die Wirtschaft am Boden. Ich muss Euch nicht daran erinnern, was dieser römische Bankier unserem Land angetan hat.“ Potheinos Stimme klingt sachlich und leider muss ich ihm hier Recht geben. Mein Vater hatte während seines Romaufenthaltes horrende Schulden bei besagtem Großbankier gemacht und nach seiner Rückkehr keine andere Lösung gewusst, als Rabirius zum Dioiketes zu ernennen, so dass er seine Schulden selbst eintreiben konnte. Und das hatte er dann auch getan. Mit äußerster Rücksichtslosigkeit, so dass die wütende Menge ihn fast gelyncht hätte.
„Rabirius hat sich als unfähig und habgierig erwiesen. Für seine Verbrechen hat mein Vater ihn verhaften lassen und auch später in Rom wurde ihm der Prozess gemacht“, stelle ich klar, wobei wir beide wissen, dass mein Vater Rabirius hatte entkommen lassen. Was hätte er auch sonst tun sollen? Diesen einflussreichen Römer zum Tode zu verurteilen, wäre eine Provokation Roms gewesen, die es unter allen Umständen zu vermeiden galt.
„Euer Vater war ein sehr kluger König, Majestät. Er hat mich eingesetzt, weil er jemanden brauchte, der Rabirius‘ Versagen in allen Bereichen wieder korrigieren konnte. Jemanden mit Beziehungen und Sachverstand. Deshalb hat er auch Euch zur Mitregentin erhoben, Majestät. Habe ich Euch damals nicht bei Eurer Währungsreform unterstützt, als Ihr die Idee hattet, den Wert des Geldes direkt auf die Münzen prägen zu lassen, anstatt die Bronzemünzen nach Gewicht zu bewerten, wie es bis dahin Brauch gewesen war? Erinnert Euch, dass viele das für Unsinn hielten. Ich aber habe Euch unterstützt und Eure Idee hat sich als brillant erwiesen.“ Da hatte er recht, Potheinos hatte ein Gespür für wirtschaftliche Zusammenhänge. Er war wirklich einer der wenigen gewesen, die das Potential meiner Idee sofort begriffen und erkannt hatten. Trotzdem merke ich, dass er wieder einmal dabei ist, sich herauszureden. Würde ich ihn nicht seit langem kennen, könnte er mich mit dem salbungsvollen Ton seiner versöhnlich gesprochenen Worte vielleicht einlullen.
„Ich habe es nicht vergessen, Minister. Doch ich habe auch die anderen Dinge nicht vergessen, die Ihr getan habt.“ und dabei sehe ich ihn hart an, denn er und Theodotos hatten meinen Bruder schließlich gegen mich aufgehetzt und mich aus Alexandria vertrieben! „Und spart Euch eure Schmeicheleien, ich bin nicht mein Bruder, der auf so etwas hereinfällt. Kommt zum Punkt!“
„Majestät, Ihr wart lange nicht in der Hauptstadt und könnt deshalb die Schwierigkeiten nicht kennen, mit denen wir hier konfrontiert sind. Ihr habt die Wasserstands Messungen der diesjährigen Nilschwemme angefordert. Noch sind die Berechnungen nicht abgeschlossen und ich wollte Euch nicht mit unvollständigen Berichten behelligen. Aber auch ohne die genauen Zahlen zu kennen, muss ich Euch sagen, dass Ägypten auf eine wirtschaftliche Katastrophe und eine Hungersnot zusteuert. Auch und gerade wegen der Schuldenrückzahlung an den römischen Konsul. Ihr habt zu Recht angemerkt, dass die Caligae-Forderung kleinlich und an den Haaren herbeigezogen ist. Ja, das ist sie. Aber sind die römischen Forderungen nicht allesamt an den Haaren herbeigezogen? All die Begründungen, die doch nur den einzig wahren Grund kaschieren sollen. Rom ist militärisch überlegen und herrscht durch Einschüchterung. Rom fordert und Ägypten zahlt. Und das seit Jahrzehnten. Und um diese neuerliche Forderung von 10 Millionen Drachmen bezahlen zu können ohne gleichzeitig eine Hungersnot in Ägypten auszulösen, müssen wir sparen, wo wir können. Das Ministerium hat die persönlichen Haushaltsgegenstände von Prinz Ptolemaios auf Euren Befehl hin zurückerstattet. Aber irgendwoher müssen wir die Gelder beschaffen.“
Äußerlich gebe ich mich unbeeindruckt, aber was Potheinos da sagt, ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Und wieder schweifen meine Gedanken zu Caesar. Warum muss alles so kompliziert sein? „Das ist mir bewusst, Minister. Aber gerade weil diese Situation umsichtiges und aufeinander abgestimmtes Handeln erfordert, wünsche ich ab sofort in diese Planung eingebunden zu werden. Und dasselbe gilt für den Haushaltsplan!“
„Natürlich, Majestät. Gebt mir nur noch ein paar Tage, um Euch all diese komplexen Dokumente und Informationen zusammenstellen und präsentieren zu können.“
Wieder mustere ich ihn schweigend, studiere seine unbewegte Miene, das rundliche Gesicht und erwidere den stoischen Blick seiner unter schweren Lidern halb verborgenen Augen. Ich traue ihm nicht und seine eigentliche Motivation entzieht sich mir noch immer. Aber er verfügt tatsächlich über viele Kompetenzen. Wobei Unbestechlichkeit sicherlich nicht dazu gehört. Eine gewisse Korruption bei Beamten muss man als Herrscher leider einberechnen und darüber hinwegsehen. Mein Vater hielt Potheinos in dieser Hinsicht für moderat, doch hat sich das unter der Herrschaft meines Bruders vielleicht geändert? Dann wäre es kein Wunder, dass er nun Zeit braucht, um die Buchhaltung des letzten Jahres zu beschönigen, bevor er sie meinen Schreibern vorlegen kann. Ist das der eigentliche Grund für seine Verzögerungstaktik? Wir werden sehen.
„Ich gebe Euch drei Tage Zeit, Minister. Danach erwarte ich einen kompletten und ausführlichen Haushalts- und Kostenplan.“
„Ich danke Euch, Majestät und werde Eurem Befehl selbstverständlich unverzüglich nachkommen. Doch bitte erlaubt mir, einen Vorschlag zu machen.“
Auf mein Nicken hin fährt er fort. „Majestät, selbstverständlich werden Euch in Zukunft alle Erlässe vorgelegt werden. Doch Ihr wisst selbst, dass die Kommunikation zwischen dem Ministerium und Eurem provisorischem Büro hier bereits jetzt aufgrund der geographischen Distanz etwas umständlich ist. Dass es dabei zu Missverständnissen und Verzögerungen kommen kann, ist leider nicht immer vermeidbar.“ Und dabei wirft er Seleukos seinerseits einen geringschätzigen Blick zu.
„Worauf wollt Ihr hinaus?“, frage ich lauernd.
„Majestät, Alles wäre einfacher, wenn Ihr Euer königliches Büro wieder beziehen würdet, anstatt darauf zu bestehen, von hier aus zu arbeiten. Ihr seid wieder als Regentin eingesetzt und habt mit Euren Bruder Frieden geschlossen. Ihr habt sogar die Rückgabe Zyperns bei Caesar erreicht. Jetzt ist es an der Zeit, wieder den Hauptpalast zu beziehen, wie es Eurer königlichen Stellung gebührt und wo Euch ein ganzer Gebäudetrakt voll diensteifriger Schreiber zur Verfügung steht.“
„Ich wüsste nicht, Minister, dass es Euch etwas anginge, wo die Königin von Ägypten ihren bevorzugten Arbeitsplatz wählt! So wie ich das sehe, habt ihr genau zwei Möglichkeiten: Entweder ihr arbeitet ab sofort für mich oder gegen mich. Und falls Ihr gegen mich arbeitet, arbeitet Ihr gegen Julius Caesar. Und Ihr wisst, wie er mit seinen Feinden zu verfahren pflegt. Überlegt Euch sehr genau, mit wem Ihr Euch hier anlegt! Ich würde Euch raten, alle Missverständnisse und Verzögerungen in Zukunft zu vermeiden. Das gilt insbesondere für die Getreidelieferungen an Caesars Armee! Habe ich mich klar ausgedrückt, Minister?“
„Selbstverständlich, Majestät.“
~*~
Nachdem der Minister gegangen ist, schicke ich auch Seleukos unter einem Vorwand hinaus. Ich brauche eine Weile, um mich innerlich zu beruhigen. Dieses Gespräch hat viele unschöne Erinnerungen geweckt: All die ermüdenden Auseinandersetzungen im Kronrat, die fruchtlosen Diskussionen und schließlich die Demütigung der Flucht. Potheinos wollte meine Verbannung, doch dank Caesar bin ich nun wieder diejenige, die ihm Befehle gibt. Eigentlich sollte sich das gut anfühlen und das tut es auch. Trotzdem fühle ich mich plötzlich einfach nur erschöpft. Charmion schenkt mir verdünnten Wein nach und kurz streift mich ihr verständnisvoller Blick. „Das war großartig, Kleopatra“, flüstert sie.
„Und längst fällig! Meinst du, die Drohung wird genügen?“
„Er wäre sehr dumm, wenn er sich nicht fügen würde. Und dumm ist er nicht“, sagt sie überzeugt.
„Nein, das ist er nicht, Charmion. Das ist er mit Sicherheit nicht!“