„Was sollte das gerade?“, zischt sie leise, während wir die ersten Schritte aufeinander zu tanzen.
„Caesar macht sich offenbar Sorgen um meine Sicherheit.“ Ich zucke anmutig mit den Schultern und hebe die Arme, wobei ich die Spannung bis in die Fingerspitzen fließen lasse. Mich an das Prinzip der Emmeleia[3] erinnernd, vollführe ich die maßvollen, gemessenen und fließenden Bewegungen, die allen zeremoniellen Tänzen zu eigen sind. Meine Schwester und ich umkreisen einander, wie wir es gelernt haben.
„Er muss mich ja für sehr gefährlich halten!“, höhnt Arsinoe, „oder dich für besonders wehrlos. Seine treue kleine Klientelkönigin, die völlig auf ihn angewiesen ist.“
„Hör auf, Arsinoe. Nicht schon wieder dieses Thema!“
„Wenn er mich ständig provoziert!“ Trotzig begegnet sie meinem warnenden Blick, während wir uns in komplexen Schrittfolgen aufeinander zu- und wieder voneinander wegbewegen. Meine Muskeln erinnern sich wie von selbst an die Bewegungsfolgen, während wir eine schwungvolle Drehung vollführen, um uns dann in Gegenrichtung erneut zu umkreisen. Unsere Bauchmuskeln sind angespannt und die Köpfe stolz erhoben, genau wie die aufeinander gerichteten Schwerter.
„Du bist diejenige, die ständig provoziert. Du merkst das nicht mal, oder?“, entgegne ich ungerührt, während sich mein Griff um das Tanzschwert unwillkürlich verstärkt. „Was sollte das gerade mit der Anspielung auf das Erschlagen der Feinde?“
„Warum? Ist doch nur die Wahrheit!“ Nun zuckt Arsinoe mit den Schultern und vollführt eine elegante Bewegung mit dem Chepesch, mit der sie tänzerisch in die Angriffsposition übergeht. Automatisch gehe ich in die Verteidigung und unsere Schwerter treffen mit choreographischer Präzession aufeinander und erzeugen dabei einen metallischen Klang. Überall um uns herum folgen die Tänzerinnen unserem Beispiel.
„Und dann dieses Amazonenthema! Ich dachte, das hier soll ein versöhnlicher Abend sein?“ Diesmal vollführe ich den Angriff und Arsinoe kontert geschickt.
„Wieso? Caesar ist doch ein so ein großer Krieger! Ich dachte, das Thema könnte ihm gefallen.“
„Vor allem gefällt es dir!“
„Mir gefällt es, die Göttin zu ehren! Und falls es dich interessiert: Der Tanz hier erinnert an die Tempelgründung von Ephesos. Ich denke, Caesar wird dort neuerdings als Gott verehrt? Was wäre passender?“
„Du drehst dir auch immer alles so, wie es dir passt, oder?“, entgegne ich, bevor wir beide in die nächste Drehung übergehen.
„Ich besinne mich nur auf unser Erbe. Wir stammen beide von Königen und Göttern ab. Du bist die Göttin von Ägypten, aber ich werde die von Zypern sein. Ist es nicht so?“
Einen Moment funkeln wir uns ernst an, aber dann nicke ich ganz leicht und plötzlich wird der harte Ausdruck in ihrem Blick weicher. Und damit kommt eine Leichtigkeit über mich, die ich lange nicht mehr in Arsinoes Gegenwart empfunden habe. Ich spüre den Widerhall der Musik in meinem Körper und folge intuitiv ihrem tragenden Rhythmus. Hinter dem Kreis der Tänzerinnen schimmert die Statue der Artemis in ihrem milchweißen Heiligtum und bei der nächsten Drehung verschwimmen die Farben der königlichen Klinen vor meinem Blick. Dann sehe ich wieder in die leuchtenden Augen meiner Schwester. Und wieder treffen unsere Tanzschwerter synchron zum Rhythmus der Rahmentrommeln aufeinander. Als Mädchen sind wir oft bei religiösen Feiern aufgetreten, denn in Ägypten ist Tanz Bestandteil der Tempelrituale. Aber vielleicht hatte unser Vater bei den Tanzstunden in unserem Lehrplan auch die Hoffnung gehegt, dass seine Kinder auf diese Weise näher zusammenfinden, denn die Liebe zur Musik war immer etwas, das uns Ptolemäer verbunden hat.
Arsinoe vollführt die nächste Drehung und bewegt sich dabei mit der überirdischen Anmut einer Tänzerin. Der Stoff ihres Chitons umspielt ihre mädchenhafte Figur und wäre sie keine ptolemäische Prinzessin, könnte ich sie für eine liebliche junge Frau halten und nicht für eine gefährliche Rivalin, die ich nach Zypern schicken muss, um sie im Zaum zu halten.
Der Rhythmus des Tanzes ist schneller geworden, genau wie die exakte Abfolge unserer Bewegungen und für einen Moment verliere ich mich selbst im Rausch der Musik. Um mich herum nehme ich nur noch ein Meer drehender Körper wahr und Arsinoe und ich wirbeln in schnellen Pirouetten umeinander, bis wir bei dem letzten Ton wieder in die Ausgangsposition zurückfinden, um in diesem Moment in der Bewegung zu erstarren. Mein Puls pocht laut in meinen Ohren, doch ich zwinge meine Muskeln zur Ruhe. Arsinoe scheint nicht außer Atem. Auch sie steht in bewegungsloser Eleganz da. Wir beide warten, bis auch die letzten Bewegungen um uns herum zur Ruhe kommen. Nach und nach sinken die Tänzerinnen um uns herum auf die Knie, bis nur noch meine Schwester und ich wie Hohepriesterinnen vor dem Tempel und in der Mitte des Kreises stehen. Arsinoes Augen sind auf die Statue der Göttin gerichtet. In diesem Moment wirkt sie selbst wie das perfekte Bildhauermodell einer Amazonenkönigin. Dann drehen wir uns beide vom Tempel zu den königlichen Klinen, um den Beifall unserer Brüder und der versammelten Festgäste mit einem hoheitsvollen Nicken entgegenzunehmen. Innerlich bin ich noch völlig euphorisch, denn ich spüre noch immer den Klang der Musik in meinem Körper. Vielleicht sollte ich wieder öfter tanzen, denn ich habe es vermisst.
Zwei der Tänzerinnen nehmen unter Verneigungen unsere Schwerter entgegen, bevor sie mit dem Rest der Gruppe den Saal verlassen. Die Musiker stimmen nun eine leise, melancholische Hintergrundmelodie an, während Arsinoe und ich uns synchron zu den königlichen Klinen begeben, um unsere Plätze zur rechten und linken Seite des Königs einzunehmen. Caesar wirft mir einen kurzen Blick zu, als ich mich neben ihm niederlasse, widmet sich dann aber wieder seiner lateinischen Unterredung mit Sextus. Irritiert schaue ich zu ihm herüber und nehme einen Schluck von dem verdünnten Mareotiswein. Hat Caesar unserem Tanz überhaupt zugesehen, oder sich die ganze Zeit über Waffentechnik unterhalten?
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[3] Emmeleia bedeutet soviel wie Wohlangemessenheit und beschreibt nach Platon Tänze, die Ausdruck einer besonnenen Seele sind, was sich wiederum körperlich u.a. in Form von schönen Bewegungen äußert. K. G. Kachler, Der Tanz im antiken Griechenland, S. 12.