Frisch umgezogen und geschminkt betrachte ich schließlich meine schlanke Silhouette in dem großen Bronzespiegel. Der golden schimmernde Seidenstoff meines Chitons umschmeichelt meine Bewegungen wie fließendes Wasser. Filigrane Schmuckstücke aus Perlen und Goldröhrchen schmücken meinen Hals und meine Handgelenke. Meine dunklen Haare sind teilweise geflochten und zu einer kunstvollen Frisur im Nacken hochgesteckt, aus der nur einzelne Locken herausfallen und mein Gesicht elegant einrahmen. Über meiner Stirn funkeln die Edelsteinaugen der beiden heiligen Uräusschlangen – und meine Augen strahlen genauso, da hat Charmion durchaus Recht. Sind meine Gefühle wirklich so offensichtlich?
Verstohlen betrachte ich die Gesichter meiner Hofdamen, die auf meine Anweisungen warten. Charmion und Khered-Anch haben sich ebenfalls hübsch gemacht. Beide tragen blütenweiße Chitone und goldene Armreifen. Charmion hat sich die kastanienbrauen Haare in ähnlicher Weise wie ich hochgesteckt, während Khered-Anch einen Kranz aus Lotosblüten in ihrem offenen blauschwarzen Locken trägt.
„Ich möchte, dass Ihr den Schmuck, den ihr heute tragt, behaltet“, sage ich mit Blick auf die goldenen Schlangenarmreifen an ihren Oberarmen. Beide versichern mir, dass dies nicht nötig sei, da sie sich ja aus dem hier befindlichen Sortiment jederzeit bedienen können, doch ich bestehe darauf. Charmion hat bei der Flucht zusammen mit mir auch alles zurücklassen müssen und Khered-Anch hat sich eine Belohnung verdient. Sobald die Verhältnisse wieder einigermaßen geordnet sind, muss ich mich daran machen, dass mein innerer Kreis wieder angemessen bezahlt wird und alle ihre konfiszierten Besitztümer zurückerhalten. Bisher hat keiner von ihnen etwas gesagt, aber es liegt in meiner Verantwortung, mich darum zu kümmern. Ich darf meine zahlreichen Pflichten nicht vergessen, versuche ich mich zu ermahnen. Für mehr als ein paar gestohlene Stunden ist das nicht möglich. Für Caesar genausowenig, wie für mich.
~*~
„Meine goldene Göttin“, sind seine erste Worte, als wir uns wiedersehen. Caesars Obsidianaugen gleiten über mein golddurchwirktes Seidengewand und nehmen meine königliche Erscheinung in sich auf. Auch er hat sich für das Symposion umgezogen und eine elegante Tunika samt der darüber drapierten Toga praetexta angelegt, deren purpurne Streifen seine Würde als Konsul betonen. Hinter ihm haben sich auch Sextus, Hirtius und Tiberius eingefunden, alle sind für den abendlichen Anlass festlich gekleidet.
„Imperator“, grüße ich Caesar förmlich und nicke seinen Offizieren freundlich zu. Sogleich begebe ich mich wieder an seine Seite. Und für einen Moment kommt es mir so lächerlich vor, diese höfliche Distanz zu wahren, wo wir uns doch gerade so nahe waren, wie Mann und Frau es nur sein können. Wieder trifft mich sein amüsierter Blick, doch er ist gut darin, seine Emotionen nicht zu zeigen. Vermutlich viel besser als ich das momentan schaffe. Doch auch wenn wir den Höflichkeitsabstand einhalten, es ist schön, an seiner Seite zu sein. Und so durchschreiten wir mit unserem Gefolge die langen Flure bis zum fackelerleuchteten Vorhof, wo bereits Apollodorus und Rufio mit einer Zenturie römischer Legionäre bei den bereitstehenden Sänften warten, um uns durch das mondbeschienene Alexandria zum Palast meiner Schwester zu begleiten.
~*~
Meine Brüder sind bereits eingetroffen, als wir Arsinoes großen geschmückten Festsaal betreten. Alles ist in dezenten Ocker-, Silber- und Grüntönen gehalten. Das prächtige Bodenmosaik in der Mitte zeigt die Göttin Artemis und den Jäger Aktaion.
Mit grünen Kissen bezogene Klinen aus Ebenholz sind entlang der Wände aufgestellt, die mit Natur- und Jagd-Darstellungen bemalt sind. Auf dem leicht erhöhten Podest an der Stirnseite des Raumes stehen drei besonders prächtig dekorierte Klinen. Ptolemaios hat bereits auf der mittleren Platz genommen und teilt sich die Liegefläche mit Maios. Als Nymphen gekleidete Dienerinnen begrüßen unser Gefolge mit Kränzen aus Myrte und Efeu, während Sklaven und Sklavinnen mit Tüchern und Schalen voller Rosenwasser neben den Klinen bereitstehen, um den Gästen die Füße zu waschen. In durchsichtige Stoffe gekleidete Hetären spielen auf ihren Lyren eine sinnliche Melodie. Nur von Arsinoe fehlt jede Spur.
„Geliebter Bruder!“ Mit einstudierter Anmut neige ich meinen Kopf vor Ptolemaios, als ich Hand in Hand mit Caesar das erhöhte Podest betrete.
„Geliebte Schwester!“ Auch der König nickt mir höflich zu. Der Prinz ist dagegen aufgestanden, um mir und unserem Patron Respekt zu erweisen. Ich zwinkere ihm zu.
„Ptolemaios und Maios, schön euch wiederzusehen. Wo bleibt denn die Gastgeberin?“, erkundigt sich Caesar.
„Sie muss noch etwas vorbereiten“, erklärt Ptolemaios kryptisch. „Aber sie hat Ganymedes zum Symposiarchen ernannt und damit beauftragt, das Fest bis dahin zu leiten.“
„Sie wollte noch etwas mit den Künstlern besprechen. Aber es soll eine Überraschung werden“, fügt Maios mit einem Schulterzucken hinzu.
„Nun, auf Arsinoes Überraschungen sind wir natürlich sehr gespannt“, entgegnet Caesar in lockerem Plauderton. Doch wie so oft höre ich die feine Ironie in seinen Worten, die mich zum Lachen reizt.
Ich schaue kurz zum Eingang, wo Arsinoes Eunuch noch immer damit beschäftigt ist, ankommende Gäste zu begrüßen, während sich der Saal zusehends füllt.
Nach ein paar weiteren höflichen Sätzen mit meinen Brüdern, nehmen Caesar und ich unsere Plätze auf der Kline zur Rechten des Königs ein, woraufhin auch unser Gefolge und Caesars römische Wachen sich in unserer Nähe verteilen. Überall setzen nun Gespräche ein, während zwei Sänger eine Hymne auf den Gott Apollon anstimmen.
Sextus lehnt grinsend an einer Wand und unterhält sich scheinbar unbekümmert mit einer der hübschen Musikantinnen, die ihre Lyra im Arm hält und zu seinen Worten eifrig nickt. Diodorus steht gestikulierend daneben. Hirtius reicht Caesar noch eine Wachstafel mit Namen, bevor er sich ebenfalls setzt, Caesars andere Offiziere haben es sich bereits auf den nahegelegenen Klinen bequem gemacht.
„Was ist das für eine Liste?“, frage ich interessiert.
„Ach, nur die Gästeliste für heute Abend. Rufio hat sie bereits überprüft, aber vielleicht fällt dir ja noch etwas dazu ein“, meint Caesar leichthin und übergibt mir die Tafel.
Ich überfliege die Namen und schaue mich dann im Raum um.
„Wie schön, dass Potheinos offenbar zu beschäftigt ist, um teilzunehmen“, sage ich leise, denn der Minister glänzt dankenswerterweise durch Abwesenheit.
„Das mag an meiner freundlichen Empfehlung liegen“, antwortet Caesar ironisch.
„Sehr umsichtig von dir, ihn auszuladen!“, flüstere ich und ernte dafür ein Schmunzeln. Die anderen Namen sind mir mehr oder weniger bekannt. Von den Freunden des Königs sind Dioskorides und Serapion anwesend. Außerdem erkenne ich einige Gelehrte und Dichter aus dem Museion, die zu Arsinoes Kreis gehören.
„Wer ist zum Beispiel dieser Parasitos[2]?“, will Caesar mit einem Blick auf die Liste wissen.
„Ach, der ist harmlos. Einer der Dichter aus dem Museion. Ein ziemlicher Schmeichler.“ Unauffällig neige ich den Kopf in Richtung eines dicklichen jungen Mannes mit einem grünen Himation. „Aber er ist so ziemlich bei jeder Feier im Palast dabei, daher der Spitzname.“
................................................................................................................................
[2] Ein Mann namens Parasitos (griech.: Der Tischgenosse) ist tatsächlich durch eine alexandrinische Inschrift aus dem Jahr 34 v. Chr. bekannt, in der er Marcus Antonius als „unnachahmlich in der Liebeskunst“ und als „seinen eigenen Gott und Wohltäter“ bezeichnet. Stefan Pfeiffer, Die Ptolemäer. Im Reich der Kleopatra, Stuttgart, 2017, S. 207. Der Block mit der Inschrift befindet sich heute im Griechisch-Römischen Museum in Alexandria.