Auch diesmal essen wir nicht im offiziellen Andron, sondern in Caesars privatem Triclinium[1].
„Hast du den Botenjungen nach seinem Namen ausgewählt, oder heißt er nur zufällig Eros?“, frage ich leise, als ich neben Caesar auf seiner Kline Platz nehme.
„Oh, er heißt Eros, tatsächlich? Da habe ich ja genau den passenden Boten für meine Nachricht ausgesucht.“ Caesar wirkt sehr mit sich zufrieden und als mich sein amüsierter Blick trifft, bin ich mir sicher, dass es kein Zufall war, dass der junge Bote ausgerechnet den Namen des Gottes der Verliebten trägt.
Ich schmunzele und nehme einen Schluck aus meinem Kelch. Caesar hat sich entspannt neben mir auf der Kline zurückgelehnt und ich lasse mich ein wenig gegen ihn sinken. Sofort spüre ich seine streichelnde Hand auf meinem Rücken und genieße die kleinen wohligen Schauer, die er damit auslöst. Meine Augen huschen zu Ptolemaios, der links von uns auf der ersten Kline thront. Doch er ist mit seinem kleinen schwarzen Hund beschäftigt, den er heute mitgebracht hat und kümmert sich nicht darum, wie nah seine Schwestergemahlin und sein römischer Patron hier zusammensitzen oder was sie in seiner Gegenwart tun. Offenbar hat er sich inzwischen an unseren Anblick gewöhnt. Meine Augen wandern weiter zu Arsinoe und Maios, die auf der anderen Kline zu unserer Rechten Platz genommen haben. Das neue zyprische Königspaar. Meine Schwester wirft mir einen ironischen Blick zu. Sie weiß ganz genau, was Caesar und ich hier machen, aber in ihrem neu entdeckten Anflug von Diplomatie zieht sie es offenbar vor zu schweigen, zumindest für den Augenblick.
Die Diener tragen nun silberne Platten mit allerlei Köstlichkeiten herein, die sie auf kleinen Tischchen vor unseren Klinen abstellen. Charmion und Khered-Anch werden ebenfalls bedient, essen allerdings zusammen mit der Gefolgschaft meiner Geschwister im Vorraum. Von dort dringen gedämpfte Stimmen zu uns herüber.
Der König greift nach einer Platte, um seinen Hund damit zu füttern. Der sitzt zu Füßen seines Herrn auf einem Bodenmosaik mit farbenfrohen Fischen und Wasservögeln, die fast so echt wirken wie die gegrillten Wachteln, die Ptolemaios nun vor ihm abstellt.
„Muss das wirklich sein, dass der Hund von deinem Teller frisst? Theodotos hätte das niemals erlaubt und nicht alles an seiner Erziehung war schlecht!“, bemerkt Arsinoe konsterniert.
„Zerberus ist ein königlicher Hund, nur das Beste ist gut genug für ihn!“ Ptolemaios hüllt sich in seine neu entdeckte pharaonische Würde und lässt sich nicht beirren.
„Du hast diesen kleinen süßen Hund tatsächlich Zerberus genannt?“, frage ich amüsiert.
„Naja, er wächst ja noch ein bisschen“, antwortet er stirnrunzelnd, während Zerberus mit sichtlichem Appetit bereits die zweite Wachtel verspeist.
„Ja, vielleicht wachsen ihm ja noch zwei Köpfe“, murmelt Arsinoe, worauf Maios sich die Hand vor den Mund schlägt, um sein Lachen zu verbergen.
„Hör nicht auf die Weiber, die haben ja keine Ahnung!“, redet Ptolemaios jetzt lieber mit seinem Hund.
„Also bitte, meine Damen, ein wenig mehr Respekt! Wenn der König seinen Hund Zerberus nennen will, dann ist das seine Sache“, bemerkt Caesar mit mildem Tadel in der Stimme und ergreift damit überraschenderweise die Partei meines Bruders. Er lächelt Ptolemaios aufmunternd zu, was dieser mit einem dankbaren Blick erwidert. Erstaunlich.
Arsinoe verdreht kurz die Augen, wendet sich dann aber an mich: „Kleopatra, erlaubst du mir eine Frage?“ Verblüfft sehe ich meine Schwester an. Sie hält sich zur Abwechslung wirklich an das Hofprotokoll, indem sie mich als die Ranghöhere respektvoll fragt, ob sie das Wort an mich richten darf. Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Aber andererseits, was ist hier in letzter Zeit schon normal?
„Natürlich, Arsinoe. Ich bin sehr gespannt, worum es sich handelt“, entgegne ich ebenso höflich.
„Ich wollte morgen Abend ein kleines Symposion abhalten, mit Musik und Literatur. Ptolemaios ist auch dabei und ich würde dich und unseren römischen Ehrengast, gerne dazu einladen, falls es eure Zeit erlaubt.“ Ist das tatsächlich ein Friedensangebot?
„Darf ich auch mitkommen?“, fragt Maios dazwischen, bevor ich antworten kann.
„Symposien sind etwas für Erwachsene, Maios“, ertönt Caesars Stimme auf meiner anderen Seite. „Und zum Erwachsensein gehört auch, Ältere nicht zu unterbrechen, wenn sie sich unterhalten“, ermahnt er ihn mit leicht erhobener Augenbraue. Dann wendet er sich an meine Schwester: „Kleopatra und ich nehmen die Einladung selbstverständlich mit Freuden an, Arsinoe.“
Ich nicke zustimmend, alles andere wäre unhöflich. „Wir kommen sehr gerne, Arsinoe. Vielen Dank für die Einladung.“
Auf dem Gesicht meiner Schwester bereitet sich ein zögerliches Lächeln aus. „Wunderbar, dann erwarte ich euch morgen um die zehnte Stunde in meinem Palast.“
Mein jüngster Bruder blickt dagegen etwas enttäuscht.
„Mach dir keine Sorgen, Maios. Ich erzähle dir, wie es war und werde ein Auge auf deine zukünftige Gemahlin haben. Sie wird sich benehmen!“, erklärt Ptolemaios großspurig. Arsinoe verdreht erneut die Augen und diesmal bin ich geneigt, es ihr gleichzutun. Und im selben Augenblick bin ich unglaublich erleichtert, denn ohne Caesar müsste ich diesen Äußerungen meines halbstarken königlichen Bruders tatsächlich Gewicht zumessen. Theoretisch ist sein Wort Gesetz. Praktisch liegt diese Macht jedoch allein bei Julius Caesar, der mich protegiert und der sich meisterhaft darauf versteht, andere auf subtile Weise zu lenken.
Caesars Hand streichelt noch immer meinen Rücken, wobei er sie gelegentlich provozierend tiefer wandern lässt. Ich schaue blinzelnd zu ihm auf und begegne seinem wissenden Blick. Dunkel, begehrlich und voller sinnlicher Versprechen. Doch dann räuspert er sich und ergreift das Wort, um während des Essens noch einige unterhaltsame Geschichten aus Rom zum Besten zu geben. Meine Brüder hängen an seinen Lippen.
Als wir nach diesem anregenden, aber für ptolemäische Verhältnisse erstaunlich harmonischen Essen schließlich aufbrechen, erwartet uns draußen bereits Sextus mit einer Zenturie Soldaten, die zusammen mit der makedonischen Palastwache unseren Geleitschutz bilden. Das Metall der vielen Rüstungen blitzt im gleißenden Sonnenlicht. Im Gegensatz zu den leichteren Leinenpanzern der Palastwachen oder den ledernen und bronzenen Muskelpanzern der römischen Offiziere, bestehen die Rüstungen der Legionäre aus eisernen Kettenhemden oder Schuppenpanzern. Bezeichnet Caesar seine VI. Legion deshalb als „die Eiserne“, wie der von uns belauschte Soldat gestern erwähnt hat?
In seinem sehr viel bequemer aussehenden dunkelblauen Chiton wartet mein Vertrauter Apollodorus entspannt neben meiner Sänfte. Er verneigt sich gutgelaunt in meine Richtung und gibt dann Charmion mit einem kleinen Nicken zu verstehen, sich zu ihm zu gesellen. Leise beginnen die beiden eine Unterhaltung, sicherlich um Neuigkeiten aus der Stadt auszutauschen.
„Es gab wieder einige Unruhen auf der Agora. Aber wir haben die Lage erst einmal beruhigt“, höre ich Caesars leise Stimme neben mir.
„Was ist passiert?“, entgegne ich genauso leise.
„Beschimpfungen, Hetzreden und ein paar Steine, die sich verflogen haben. Nur das Übliche. Irgendwer scheint die Leute gegen uns aufzuhetzen und ich wüsste nur zu gerne, wer dahintersteckt.“
„Vielleicht Potheinos?“, schlage ich vor.
„Auch ein Lieblingskandidat von mir. Noch kann ich ihm nichts nachweisen, aber wir werden sehen.“
Ich drücke seine Hand und er erwidert den Druck, während er mich persönlich bis zu meiner Sänfte geleitet und wartet, bis ich eingestiegen bin. Dann nimmt er von Sextus die Zügel seines Hengstes entgegen und schwingt sich mühelos in den Sattel. Die Ohren des Pferdes zucken sofort aufmerksam in Richtung seines Reiters und es biegt geschmeidig den Hals und nimmt eine stolze Haltung an, als würde es Caesars lässige Eleganz imitieren wollen. Dieser zwinkert mir noch einmal zu und vollführt mit seinem Pferd eine halbe Pirouette, bevor er sich in versammelten Galopp an die Spitze des Zuges begibt, um zusammen mit Sextus die Prozession der königlichen Sänften anzuführen. Ich sehe durch die seidenen Vorhänge nur noch Caesars roten Feldherrnmantel, der sich über der Kruppe seines Pferdes sanft im Wind bauscht.
Während Caesar und Sextus uns hoch zu Ross voranreiten, folgt unsere Prozession der breiten Prachtstraße und wird dabei auf beiden Seiten von Soldaten flankiert. Die Hofdamen und königlichen Leibdiener folgen zu Fuß, aber es ist ohnehin nur ein kurzes Stück, denn die hohen Mauern des Theaters ragen bereits über uns auf und dahinter beginnen die königlichen Stallungen.
Doch das Gelände mit den Rennbahnen, Übungsplätzen, Ställen und Koppeln hat sich sehr verändert, seitdem ich es das letzte Mal besucht habe. Caesars Auxiliartruppen haben das Gelände mit Palisaden gesichert und zu einem römischen Truppenübungsplatz umgebaut. Als wir ankommen, erleben wir seine gallischen und germanischen Reiter in voller Aktion. Die gerade noch wild gegeneinander kämpfenden Reiter bilden beim Eintreffen ihres Feldherrn sofort eine Formation und entbieten ihren militärischen Gruß. Einige berittene Soldaten, wohl die Kommandeure, begeben sich unverzüglich an seine Seite.
Direkt vom Pferderücken aus erteilt Caesar ein paar knappe Befehle, lobt die Auxiliar Kavalleristen für ihren Einsatz und verspricht dem siegreichen Team der Reiterspiele eine doppelte Soldzahlung für diese Woche, womit er einen Sturm der Begeisterung unter den Versammelten auslöst, die nun losgaloppieren, um ihre Positionen einzunehmen. Der Feldherr selbst beruhigt seinen tänzelnden Hengst, der den anderen Pferden offensichtlich am liebsten hinterherstürmen würde und tätschelt ihm noch einmal den Hals, bevor er absteigt und ihn an einen Soldaten übergibt. In Begleitung von Sextus und einem weiteren Offizier wendet Caesar sich nun wieder meinen Geschwistern und mir zu und nickt dann in Richtung des mir unbekannten Mannes. „Königin Kleopatra und König Ptolemaios, Prinzessin Arsinoe und Prinz Ptolemaios, darf ich euch den Kommandeur meiner Auxiliartruppen, den Reiterpräfekten Gaius Volusenus Quadratus vorstellen?! Er hat bereits in Gallien und Britannien großen Mut und Scharfsinn bewiesen und ist einer meiner fähigsten Männer.“
Der Angesprochene nimmt seinen Kampfhelm mit den ohrenbedeckenden Wangenklappen ab, worunter ein kantiges Gesicht mit kurzgeschnittenem grauem Haar zum Vorschein kommt. Der Beiname Quadratus passt in der Tat hervorragend zu seinen Gesichtszügen, kann ich mir den ironischen Gedanken nicht verkneifen, doch in seinen Augen sehe ich Klugheit und Menschenkenntnis. „Mein Feldherr, Majestäten und Königliche Hoheiten, es ist mir eine Ehre“, begrüßt er uns in einwandfreiem Griechisch und salutiert dann respektvoll: „Die Männer werden Euch zu Ehren einige Reiterspiele vorführen, wie sie bei den gallischen und germanischen Kriegern beliebt sind.“ Er wechselt kurz einen Blick mit seinem Feldherrn und fügt dann hinzu: „Bitte verzeiht die etwas rauere Ausdrucksweise während der Übungen, aber die Männer sind daran gewöhnt und müssen entsprechend geführt werden.“
„Das verstehen wir vollkommen“, antworte ich auf Latein und nicke ihm freundlich zu. „Mein königlicher Bruder, meine Geschwister und ich haben schon viel von Caesars legendären Siegen vernommen und sind begierig, die Kunstfertigkeit seiner Kavallerie mit eigenen Augen zu sehen.“ Ptolemaios neben mir nickt gewichtig, obwohl er mit Sicherheit nur einen Bruchteil verstanden hat, aber auf Volusenus‘ Gesicht breitet sich ein aufrichtiges Lächeln aus, bevor er abermals salutiert und sich dann zu seinen Reitern begibt. Caesar reicht mir schmunzelnd seinen rechten Arm: „Wollen wir, meine bezaubernde Königin?!“
„Gerne, mein siegreicher Imperator.“ Lächelnd ergreife ich seine Hand und zwinkere ihm übermütig zu. Sein Schmunzeln vertieft sich. Caesar führt meine Geschwister und mich samt unserem Gefolge zu einer überdachten Tribüne, die sich schattenspendend vor dem türkisblauen Himmel abhebt und offensichtlich gebaut wurde, um die Wettkämpfe besser verfolgen zu können. Man hat sie direkt zwischen zwei Reiterdenkmälern aus rotem Pophyr und Rosengranit errichtet, welche die Begründer unseres Hauses Ptolemaios Soter und Berenike Sotera[2] auf ihren Streitwagen mit sich davor aufbäumenden Pferden zeigen. Im Vorbeigehen überfliege ich die auf dem Sockel eingravierte Inschrift:
„Als erste und einzige haben wir drei Könige im Wagen zu Olympia gesiegt, die Eltern und ich. Der eine bin ich, gleichen Namens wie Ptolemaios, der Sohn der Berenike… Dem großen Ruhm meines Vaters füge ich den meinen hinzu. Aber dass die Mutter als Frau den Sieg mit dem Wagen errang, das ist großartig.“[3]
Caesar ist meinem Blick gefolgt: „Mir war nicht bewusst, dass ptolemäische Königinnen sogar an den olympischen Spielen teilgenommen haben. Ist diese Königin Berenike wirklich gefahren oder war sie nur die Besitzerin des Siegergespanns?“, fragt er interessiert. Und seine Frage ist berechtigt, denn normalerweise sind die Spiele für Frauen verboten.
„Für Ptolemäerinnen gelten andere Maßstäbe“, erklingt Arsinoes triumphierende Stimme von ihrem Platz hinter uns. „Natürlich ist unsere Ahnherrin Berenike Sotera selbst gefahren!“ Soviel zu Arsinoes kurzer Anwandlung von höfischer Etikette.
„Unsere Vorfahrinnen haben nicht nur in Olympia, sondern bei vielen Pferderennen in Griechenland gesiegt. Einige sind sogar mit dem Streitwagen in den Krieg gezogen. Der Dichter Poseidippos rühmte sie als heiliges Geschlecht von Frauen. Sie waren richtige Amazonen“, füge ich stolz hinzu.
„Was heißt hier waren?“, murmelt Arsinoe, während wir die Stufen der Tribüne hinaufsteigen.
„Hier in Alexandria lernt man jeden Tag Faszinierendes und Neues. Aber für Amazonen wirkt ihr beiden doch recht zart und mädchenhaft“, meint Caesar mit einem vielsagenden Blick und fügt dann nur für meine Ohren bestimmt hinzu: „Was ich bei dir durchaus reizvoll finde, mein Kätzchen!“ Errötend hefte ich meinen Blick auf die hölzernen Bodenbretter, während ich an seiner Hand die leeren Reihen der Tribüne durchquere, um schließlich neben ihm in einer Art Loge Platz zu nehmen. Von hier aus kann man das gesamte Gelände überblicken. Caesar überlässt den geschmückten Ehrenplatz Ptolemaios und mir, setzt sich selbst aber rechts neben mich, woraufhin Arsinoe an seiner anderen Seite Platz nimmt und Maios sich neben den König setzt.
Unter uns füllen sich nun auch die unteren Ränge mit unserem Gefolge, sowie einigen Soldaten, die wohl ihren Kameraden zuschauen wollen, während die Auxiliartruppen einen effektvollen Einritt absolvieren. Angeführt von Standartenträgern galoppieren die Reiter in Abteilungen herein. Die Pferde wirken etwas kräftiger, als unsere eigenen ägyptischen Züchtungen, doch dafür sind sie erstaunlich flink und zeigen überraschende Figuren und Wendungen. Mit ihrem farbenfrohen Schmuck heben die Reiter sich kontrastreich vom hellen Sand der Arena ab. Die Zäumung der Pferde ist genauso prunkvoll wie die Rüstung ihrer Reiter und mit vielen Glöckchen und Schmuckelementen versehen, die bei jeder Bewegung leise klingen.
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[1] Ein dreiteiliges Liegesofa bzw. eine aus drei Klinen bestehende Sitzgelegenheit. Als Triclinium wurde auch der Speisesaal in römischen und griechischen Häusern bezeichnet.
[2] Königin Berenike I. ( ca. 340-274 v. Chr.).
[3] Epigramm des Hofdichters Poseidippos von Pella: König Ptolemaios II. rühmt seinen Sieg in Olympia und die Siege seiner Eltern Ptolemaios I. und Berenike I. Zitiert nach Michael Pfrommer, Königinnen vom Nil, S. 46.