„Dieser Alexander war der Sohn des jüngeren Ptolemaios, der auch Alexander genannt wurde, und der Stiefsohn von Kleopatra [Berenike III.]. Er hielt sich in Rom auf, als er nach Alexandria zurückgerufen wurde, weil es in Ägypten keine Männer aus der königlichen Familie mehr gab. Er heiratete die besagte Kleopatra, und nachdem sie ihm bereitwillig die Macht überlassen hatte, ermordete er sie nach einem Zeitraum von 19 Tagen. Dann wurde er selbst von bewaffneten Männern im Gymnasion ergriffen und getötet, weil er diesen ruchlosen Mord begangen hatte.“
(Eusebius von Caesarea, Chronik, 4. Jh.)[1]
„And I see that it is generally agreed, that the king with his own hands murdered his sister the queen, who was loved and welcomed by the people; then he was killed in a riot by a mob“
Cicero, De rege Alexandrino, Palimpsest, Scholia Bobiensia [2]
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Nach dem Vorfall auf der Straße besteht Caesar darauf, dass ich in den Schutz unserer Gemächer zurückkehre und gibt auch meinen Geschwistern römische Wachen mit, die sie zu ihren jeweiligen Palästen eskortieren. Er selbst begleitet mich noch bis in den kleinen Thronsaal.
„Willst du wirklich noch einmal weg?“, frage ich zögernd.
„Ja, ich muss noch die Schiffe und das zweite Lager besuchen. Mach dir keine Sorgen, heute abend bin ich zurück.“ Er lächelt mir aufmunternd zu, selbstbewusst und unerschütterlich wie immer.
Ich würde ihn gerne zum Abschied küssen und umarmen, aber meine Hofdamen und seine Offiziere sind in Sichtweite und stehen wartend bereit. Auf Caesars Gesicht bereitet sich ein feines ironisches Lächeln aus. Was soll‘s! Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und hauche ihm einen Kuss auf die Wange. „Bis heute Abend, Geliebter.“
„Bis heute abend, kleine Göttin!“ Seine leisen Worte legen sich wie Balsam um meine Seele und sofort fühle ich mich sicher und beruhigt. Einen Moment spüre ich noch den starken Griff seiner Hand um meine Taille, dann hat er sich bereits abgewendet und den Raum mit seinen Männern verlassen. Nur einige römische Wachen bleiben in den Ecken des Raumes zurück und starren wie immer stoisch geradeaus, als hätten sie diesen intimen Moment zwischen ihrem Feldherrn und der ägyptischen Königin gar nicht mitbekommen.
„Lasst uns ins Peristyl gehen“, beschließe ich. Charmion und Khered-Anch folgen mir schweigend in den von ionischen Säulen umgebenen Innenhof des Palastes.
Im Schatten der Kolonnaden und zweier Olivenbäume setze ich mich auf eine Bank und bedeute meinen beiden Hofdamen, sich ebenfalls zu setzen. Zwei kleine orangene Monarchfalter[3] umflattern uns. Eins der filigranen Geschöpfe setzt sich für einen Augenblick auf mein Knie. Fasziniert betrachte ich das kunstvolle weiße Muster auf den schwarzen Flügelspitzen des Schmetterlings.
„Machen wir jetzt das, was ich denke?“, ergreift Charmion nach einer Weile das Wort und streicht dabei vielsagend über den Zylinder aus ziseliertem Silber an ihrem Gürtel.
„Ja“, beschließe ich. „Falls sich jemand wundern sollte, dass ich mich so lange in deinen Gemächern aufhalte, erzählen wir, dass ich mich für die alte makedonische Wandmalerei dort interessiere und Vorlagen für Caesars geplanten Tempel in Alexandria suche.“
„Vorlagen für Caesars Tempel in meinem Zimmer?“, fragt Charmion etwas skeptisch.
„Ja.“ Ich zucke mit den Schultern und grinse. „Dort sind viele architektonische Elemente und Portale abgebildet. Andere Gebäude kann ich ja heute schlecht besuchen, da muss ich mich von dem inspirieren lassen, was ich hier im Palast finde. Wie zum Beispiel von der Anordnung der Säulen hier im Peristyl.“ Und dabei lasse ich den Blick durch den schattigen Innenhof wandern. Das Grün der Palmen und Olivenbäume bildet einen starken Kontrast zu den Rottönen der Rosengranit-Säulen und zu dem Stück türkisblauen Himmels über uns.
„Allerdings würde ich für seinen Tempel lieber dorische Kapitelle vorschlagen, als korinthische oder ionische“, scherze ich weiter.
„Warum?“, fragt Khered-Anch erstaunt. Und wieder einmal wird mir bewusst, dass vieles der hellenistischen Lebensart Alexandrias für die memphitische Priestertochter neu und ungewohnt ist.
„In der griechischen Architektur gelten dorische Kapitelle als männlich und wehrhaft, während ionische als weiblich und kultiviert angesehen werden. Korinthische gelten als zart und schlank“, erklärt Charmion geduldig.
„Ich kannte bisher nur ägyptische Säulenformen“, gibt Khered-Anch zu. „Hathor-Kapitelle für weibliche Gottheiten, offene und geschlossene Papyruskapitelle für bestimmte Positionen im Hypostyl…naja und so weiter.“ Sie verstummt und sieht mich entschuldigend an.
„Ist schon in Ordnung, Khered-Anch. Ich liebe die ägyptische Tempel-Architektur, sie ist ästhetisch, zeitlos und erhaben. Ich würde gerne deine Meinung zu den Entwürfen meiner Bauprojekte in Dendera und Hermonthis hören“, ermutige ich sie und zaubere damit ein Lächeln auf das Gesicht der jungen Priesterin.
„Sehr gerne, Majestät.“
„Aber heute gibt es dringlichere Aufgaben“, fahre ich leise fort. „In der Stadt herrscht nach wie vor Unruhe und wir müssen herausfinden, was es mit dem Tunnel auf sich hat, bevor ich es Caesar sage.“
„Was ist mit Apollodorus?“, fragt Charmion zögernd.
„Wir schauen erstmal, was da unten ist und dann entscheide ich, ob wir ihn ins Vertrauen ziehen.“ Beide nicken entschlossen.
~*~
Nachdem wir so lange Zeit in der Sonne und im Freien verbracht haben, wirkt die Dunkelheit des Ganges umso beklemmender. Khered-Anch hält wieder Wache, während Charmion und ich uns leise die Steinstufen hinabtasten. Diesmal ist es erstaunlich ruhig in den anschließenden Räumen, als habe die gespannte Ruhe in den Straßen auch den Palast ergriffen.
„Sag mal, an welchen von Caesars Räumen führt dieser Gang eigentlich vorbei?“, frage ich, nachdem ich sicher bin, dass wir uns bereits unter dem Bodenniveau befinden.
„Am Besprechungsraum, wo der Kartentisch steht, glaube ich“, antwortet Charmion ebenso leise.
„Und wieso vermutest du das?“
„In der Nacht des Banketts, als Khered-Anch und ich den Gang entdeckt haben, konnten wir die Stimmen von Tiberius, Euphranor und Rufio erkennen. Wir nehmen an, das könnte im Besprechungsraum gewesen sein.“
„Und worum ging es?“
„Sie haben über die Schiffe im Hafen gesprochen, aber ich habe keine Details verstanden. Irgendwelche militärischen Anweisungen auf Latein.“ Sie zuckt entschuldigend mit den Schultern.
„Schon gut, es ist vermutlich nicht wichtig.“ In der Nacht des Banketts war ich mit Caesar im Bad gewesen und auf dem Rückweg waren wir auch am leeren Besprechungsraum vorbeigekommen. Da hatte ich ja nochmal Glück gehabt, dass niemand dieses ‚Gespräch‘ belauscht hatte. Ich schiebe die lasziven Erinnerungen beiseite und sage stattdessen: „Haltet die Ohren offen, aber ich möchte nicht, dass ihr Caesar belauscht. Ich werde ihm wahrscheinlich von dem Gang berichten müssen und ich möchte nicht, dass er denkt, meine Hofdamen hätten ihn beschattet.“
Charmion nickt, aber ich sehe, dass ihr eine Frage auf dem Herzen brennt. „Was?“, frage ich leise.
„So sehr vertraust du ihm?“
Ja, das tue ich tatsächlich, wird mir klar. „Meine Treue und Loyalität gehören ihm und ich will nicht, dass er an mir zweifelt. Er hat mir auch keinen Grund gegeben, an ihm zu zweifeln.“
„Du hast dich in ihn verliebt, oder?“
Ich blinzele und fühle mich von meiner Freundin ertappt. „Hm…wahrscheinlich schon“, gebe ich leise zu. „Hältst du das für unklug?“
Charmion zögert mit ihrer Antwort, bevor sie zaghaft erwidert: „Ich glaube nicht, dass man so etwas willentlich beeinflussen kann. Die Götter schenken dieses Gefühl, heißt es. Aber…“, sie sieht mich ermutigend an, „…es wundert mich ehrlich gesagt nicht. Du hast schon als Mädchen für ihn geschwärmt, Kleopatra.“
„Habe ich das?“
„Oh ja, das war kaum zu übersehen.“
„Hm, mag sein. Aber was empfindet er?“ In der Dunkelheit des Ganges traue ich mich zum ersten Mal, die Frage laut auszusprechen. Julius Caesar hat mich verführt. Er hat meinen Thronanspruch durchgesetzt, er hat mir Zypern geschenkt und er hat sich mehrfach schützend vor mich gestellt. Was empfindet er für mich?
„Das ist schwer zu sagen“, räumt Charmion ein. „Er lässt dich nie aus den Augen, wenn du im selben Raum bist. Er behandelt dich aufmerksam und respektvoll, manchmal sogar liebevoll und gleichzeitig ist er so…provokant, einschüchternd und unberechenbar.“
„Ja, das ist er“, gebe ich zu und muss unwillkürlich schmunzeln. „Aber ich habe keine Angst vor ihm. Wenn ich ehrlich bin, ist es genau diese herausfordernde Art, die mich reizt.“ Ich liebe seine intelligenten Kommentare und seinen hintergründigen Humor, seine Selbstsicherheit, seine körperliche Nähe und die Selbstverständlichkeit mit der er sich mir nähert. Für die meisten Menschen wirke auch ich einschüchternd und gefährlich. Eine unantastbare Göttin. Aber nicht für Julius Caesar, auch wenn er mich gerne so nennt. In seiner Gegenwart fühle ich mich so…lebendig.
Charmion blickt mich verschwörerisch an. „Wie gesagt, nur die Tochter der Göttin Isis kann es mit so einem Mann aufnehmen.“ Ich erwidere ihr Lächeln in der Dunkelheit des Ganges.
Schweigend legen wir die letzten Schritte zurück, bevor die Umrisse der versiegelten Tür im flackernden Licht der Öllampe vor uns erscheinen. Sie wirkt noch gespenstischer als beim ersten Mal.
„Ob es hier Fallen für Grabräuber gibt?“, höre ich Charmions skeptische Frage.
„Das hier ist doch kein Grab! Und außerdem kommt so etwas vor allem in Märchen vor“, entgegne ich zuversichtlich. Und doch klingen meine eigenen Worte seltsam hohl in meinen Ohren. ,Ich bin die Gottkönigin von Ägypten und kein ängstliches kleines Mädchen!‘, rufe ich mich innerlich zur Ordnung und nähere mich dem Türschloss. Charmion reicht mir schweigend die beiden Ohrringe mit Berenikes Siegel.
Ich zögere und rezitiere zur Vorsicht noch ein paar ägyptische Besänftigungssprüche und füge dann still hinzu: ,Jnedj her etsch heqat, hjmet-nesw weret Berenike weret hesut (ägypt.: Ich grüße dich, große Königin und Königsgemahlin, hochgelobte Berenike). Ich bin Kleopatra Thea Philopator, deine Nichte, die Tochter deines Bruders und ich will nur Gutes für das Haus Ptolemaios‘. Und mit diesem Gebet werde ich ruhiger. Das mulmige Gefühl vergeht und macht einer gewissen Ehrfurcht Platz, als würde ich ein uraltes Heiligtum betreten. Langsam hebe ich die Hand mit dem Siegel und drücke die goldene Kartusche mit Berenikes Namens-Hieroglyphen in die Gravur auf der Tür. Sie passt genau. Aber nichts passiert.
„Vielleicht muss man es drehen?“, schlägt Charmion zögernd vor, auch in ihrer Stimme höre ich diese andächtige Anspannung.
Ich folge ihrem Rat und drücke den Ohrring fester gegen die Metallplatte. Und tatsächlich gibt die Gravur unter dem Druck nach und gleitet ein Stück nach hinten. Ein leises Klicken ertönt. Irgendetwas im Mechanismus der Tür ist eingerastet. Als nichts weiter passiert, versuche ich den Ring zu drehen. Nach links geht es nicht, aber als ich den Ring nach rechts drehe, geht die Platte mit. Ein dumpfes Geräusch ertönt und die Platte gleitet zur Seite. Darunter wird ein Rondell aus winzigen Metallknöpfchen sichtbar, die ebenfalls in Form einer Kartusche angeordnet sind. Versuchsweise greife ich nach dem zweiten Siegel-Ohrring mit der Kleopatra-Kartusche und drücke sie darauf. Sofort geben einige der Metallknöpfchen nach und versinken an den Stellen, wo sich auf dem Siegel die Hieroglyphen befinden. Und dann klickt das Schloss abermals. Die Tür öffnet sich langsam nach innen.
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[1] http://attalus.org/translate/eusebius1.html#165
[2] http://attalus.org/translate/bobiensia.html#alex
[3] Der Afrikanische Monarch oder Kleine Monarch (Danaus chrysippus) wurde bereits auf altägyptischen Wandmalereien abgebildet und ist auch heute noch in weiten Teilen Afrikas und des Mittelmeergebietes heimisch. Man kann ihn in Ägypten zwischen Juni und September beobachten.