„Im Testament des Vaters Ptolemaios waren als Erben der ältere der beiden Söhne und von den beiden Töchtern ebenfalls die ältere aufgeführt. In demselben Testament beschwor Ptolemaios das römische Volk bei allen Göttern und der Heiligkeit der Verträge, die er in Rom geschlossen hatte, dafür zu sorgen, dass dies geschehe. Ein Exemplar des Testaments war durch Gesandte des Königs nach Rom geschickt worden, wo es im Aerarium niedergelegt werden sollte; da man es hier wegen der politischen Unruhen nicht hatte aufbewahren können, hatte man es dem Pompeius hinterlegt. Ein zweites Exemplar desselben Inhalts war zurückbehalten und versiegelt worden; es wurde in Alexandria vorgelegt.“
(Caesar, Der Bürgerkrieg III, 108)
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Bewegungslos sitze ich auf einem bequemen Stuhl im Ankleideraum, während Charmion meine Lider kunstvoll mit glänzendem Antimonpulver schminkt und die Augen danach mit feinen schwarzen Lidstrichen umrandet und verlängert. Die anderen Hofdamen bereiten in der Zwischenzeit meine königlichen Gewänder und Schmuckstücke vor und unterhalten sich dabei leise. Heute abend werde ich die Hohe Federkrone mit den goldenen Kuhhörnern und der Sonnenscheibe der Göttin Isis-Hathor über dem Diadem tragen. Stephanos hat diese heilige und alte Krone inzwischen hergebracht und vorbereitet. Golden glänzend erstrahlt sie nun auf einem Podest und wartet darauf, dass ich sie aufsetze. Es ist die alte Krone der Königinnen Ägyptens. Man sieht sie auf den Tempelwänden in Karnak auf uralten Reliefs. Indem ich sie trage, folge ich einer Jahrtausende alten Tradition.
„Bitte schließ die Augen, Kleopatra. Und nicht blinzeln, bevor ich es sage.“ Ich tue wie geheißen und überlasse mich Charmions sanften Händen, die mein Gesicht in ein Kunstwerk verwandeln. Doch während ich mich entspanne, schweifen meine Gedanken zurück zu dem Gespräch mit Psenamounis und den Fragen, die er aufgeworfen hat.
Ich habe mich auf Julius Caesar eingelassen. Weiß ich wirklich, was ich da tue und ist es tatsächlich der Wille der Götter? Die Worte des Priesters klingen in mir nach: „Es wäre Gotteslästerung, so etwas zu behaupten, wenn es nicht wirklich der Fall wäre.“ Ich hatte vor einer Wegkreuzung gestanden und war meiner inneren Stimme gefolgt und die hatte mich mit traumwandlerischer Sicherheit zu Caesar geführt. Und diese innere Stimme hatte recht behalten. Caesar hätte mir nicht helfen müssen, er hätte mich auch an Potheinos ausliefern können, dann wäre ich jetzt bereits tot. Aber Caesar hatte mich unterstützt, mir die Hand gereicht und soviel mehr als das…Und gestern morgen hatte ich von der Göttin geträumt, auch wenn die Bilder mit dem Aufwachen entschwunden waren. Das musste doch göttliche Fügung sein! Wenn ich Psenamounis gegenüber beteuert hatte, dass Isis dieses Schicksal für mich bestimmt hatte, dann war das nur eine deutlichere Version der göttlichen inneren Stimme, die mich führte.
Und wieder kommen mir Caesars Worte in den Sinn: „Wir schaffen unsere eigene Realität, Kleopatra. Den Göttern ist es herzlich gleichgültig, ob wir moralische Vorschriften überschreiten oder nicht, die sich andere Menschen für uns ausgedacht haben.“ Ich atme tief durch, für Zweifel und Hadern ist es viel zu spät. Ich teile Caesars Bett und er setzt meinen Thronanspruch durch. Wir haben eine Übereinkunft getroffen.
Aber dann ist da auch noch diese fast schon verstörende Anziehungskraft und Vertrautheit zwischen uns. Ich genieße es mit ihm zu sprechen, zu flirten und…ja, mit ihm zu schlafen! Ist das nur so, weil ich alle erotischen Gefühle so lange unterdrückt habe? Bin ich naiv, weil ich ihm vertraue? Spielt Caesar mit mir? Was für eine Frage! Natürlich spielt er mit mir und ich spiele voller Begeisterung mit. Und dieses Spiel ist genauso gefährlich wie aufregend. Wie ein Balanceakt auf einem Seil, das hoch in der Luft gespannt ist. Doch ich weiß wie man balanciert, Diplomatie ist ein ständiger Balanceakt. Ich darf nur nicht zulassen, dass die Angst Besitz von mir ergreift.
Aber würde Caesar zu mir stehen, sollte die Lage für ihn selbst gefährlich werden? Ich hoffe einfach, dass es nicht so weit kommen wird. Ich möchte Frieden mit meinem Bruder schließen und diesen Bürgerkrieg hinter mir lassen. Und ich möchte mehr von diesem Gefühl spüren, das Caesar in mir auslöst. Was geschieht da zwischen uns? Ich genieße die Unterhaltungen und die gemeinsame Zeit mit ihm, wie er mich geistig und körperlich herausfordert und ich spüre, dass es ihm ähnlich geht. Und, dass es da noch so viel mehr gibt, was ich mit ihm erleben möchte. Da ist etwas Besonderes zwischen uns, eine Anziehung, die ich bisher noch nie erlebt habe…Benehme ich mich gerade wie ein verliebtes Mädchen? Bin ich dabei, mich in Julius Caesar zu verlieben? Isis steh mir bei!
~*~
Mit sanften, geübten Griffen steckt Charmion meine Haare hoch und setzt mir eine blauschwarze Perücke auf. In die langen glänzenden Zöpfe sind tausende von fein ziselierten Goldröhrchen netzartig eingeflochten, die mit dem Gold der Stirnschlange und der Hohen Federkrone eine strahlende Einheit bilden.
Angetan mit einem golddurchwirkten Gewand aus schimmernder Seide und einem kostbaren Schmuckkragen aus unzähligen Türkis-, Karneol- und Lapislazuliperlen, erscheine ich schließlich, gefolgt von meinen nicht minder prächtig gekleideten Hofdamen im kleinen Thronsaal. Mein gestriger Audienzraum wird heute als Besprechungsraum für die Testamentsverlesung dienen und wurde von Apollodorus entsprechend umgestaltet. Insgesamt haben sich mehr als zwanzig Würdenträger hier versammelt, darunter Psenamounis und weitere Vertreter der Priesterschaft, der Regentschaftsrat meines Bruders, die Freunde des Königs und die Vorsteher der fünf Stadtteile Alexandrias.
Aller Augen sind auf mich gerichtet und betrachten mich voller Staunen. Ich sehe aus, wie eine goldene Göttin. Charmion hat wieder ganze Arbeit geleistet. Doch ich habe nur Augen für Caesar, der wiederum mich mit seinen dunklen Blicken verschlingt und jede meiner Bewegungen verfolgt. Mein Herz schlägt schneller und ich schenke ihm ein leichtes Lächeln, das er mit einer winzigen Neigung seines Kopfes erwidert.
Auch er hat sich dem Anlass entsprechend gekleidet und trägt nun die offizielle Toga trabea mit einem breiten Purpurstreifen. Würdevoll wie der eigentliche Herrscher dieser Versammlung steht er inmitten seiner Offiziere. Sextus, Rufio und Tiberius flankieren ihn in ihren militärischen Uniformen und hinter ihm haben sich die Fasces tragenden Liktoren platziert, ein deutlicher Hinweis darauf, dass er als Konsul die Weltmacht Rom verkörpert.
Auf dem Thronpodest glänzen zwei goldene Stühle, an deren Rückenlehnen fein ziselierte Falkendarstellungen angebracht sind. Mein Bruder Ptolemaios hat bereits auf seinem Platz genommen und mustert mich abwartend. Auch er wirkt in seinem Ornat königlich und trägt jetzt das pharaonische Nemes-Kopftuch mit der heiligen Uräus-Schlange und Krummstab und Geißel. Ich neige ehrerbietig den Kopf vor dem Pharao, bevor ich mich an seine Seite begebe und auf dem Thron neben ihm Platz nehme.
Kaum, dass ich sitze und auch Charmion und meine Hofdamen ihre Plätze eingenommen haben, öffnen sich die Türen erneut. Verblüfft erkenne ich meine Schwester Arsinoe. Sie trägt ein strahlend weißes Gewand und schimmernden Perlenschmuck. Ihr schwarzes Haar hat sie mit silbern glänzenden Bändern kunstvoll im Nacken hochgesteckt, wobei einige Locken nach vorne fallen und ihr ebenmäßiges Gesicht weich umrahmen. Sie wirkt edel und makellos wie eine griechische Göttin. Gefolgt von ihrem Strategen Ganymedes und zwei fächertragenden Dienerinnen betritt die Prinzessin mit selbstverständlich wirkender Anmut die Stufen zum Thronpodest. Auf ein Nicken des Königs hin, wird ein kleinerer Stuhl neben seinen gestellt und Arsinoe nimmt darauf Platz.
„Was genau tust du hier, Arsinoe?“, frage ich leise.
Meine Schwester hebt eine Braue und sieht meinen Bruder, der zwischen uns sitzt, vielsagend an. Ptolemaios räuspert sich und antwortet an ihrer statt ebenfalls leise: „Du hast mir doch angeboten, eine Nebenfrau zu wählen. Wer wäre besser für dieses Amt geeignet als Arsinoe? Und da sie in Zukunft ohnehin bei Audienzen anwesend sein wird, habe ich sie heute eingeladen, als meine Ratgeberin zu fungieren.“
„Das kann nicht euer Ernst sein!“, flüstere ich.
„Hast du dagegen etwas einzuwenden, Kleopatra?“, fragt mein Bruder leicht irritiert.
Ja, allerdings! Das kann niemals funktionieren. Aber jetzt ist nicht der richtige Moment, um diesen absurden Einfall zu diskutieren. „Darüber unterhalten wir uns noch!“
„Prinzessin Arsinoe, welch unerwartetes Vergnügen.“ Caesar ist neben meinen Thron getreten und fixiert meine Schwester mit seinem durchdringenden Blick. „Ich hoffe doch, dass wir heute alle gut miteinander auskommen und eine freundliche Einigung erzielen werden, nicht wahr, Königliche Hoheit?!“ Übersetzt heißt das nichts anderes als: Wehe du benimmst dich nicht! Arsinoe erwidert stoisch seinen Blick, zeigt aber sonst keine Regung. „Natürlich, verehrter Konsul.“
Das fängt ja wunderbar an. Aber es hilft alles nichts. Augen zu und durch. „Können wir anfangen?“, fragt Caesar leise an mich gewandt.
„Ja.“ Ich nicke ihm unmerklich zu und Caesar nimmt daraufhin selbst lässig auf seinem eigenen Stuhl Platz, der sich rechts neben meinem und seitlich neben dem Thronpodest befindet. Sein Stuhl ist im Gegensatz zu den königlichen Falkenthronen einfach gestaltet, doch allein durch seine Größe und die hohe Rückenlehne, die von einem römischen Adler geziert wird, fast genauso imposant. Julius Caesar ist unser römischer Vormund und der Königsmacher. Diese Botschaft vermittelt seine Position unverkennbar. Die römischen Legionäre stehen in allen Ecken des Saales und bewachen die Versammlung. Einige befinden sich nahe genug, um im Notfall eingreifen zu können. Ich bin mir bewusst, dass Caesar dafür heute seine besten Männer ausgewählt hat. Es war sehr vorrausschauend von ihm, die Testamentsverlesung hier stattfinden zu lassen.
Als oberster Minister tritt nun Potheinos vor das Thronpodest und erklärt die Versammlung für eröffnet. Der berüchtigte Eunuchenkanzler ist allein durch seine Leibesfülle eine imposante Erscheinung, doch er hält sich normalerweise lieber im Hintergrund. Und so übergibt er auch heute sehr schnell das Wort an Theodotos von Chios, der mit gewichtiger Miene nach vorne tritt. Der königliche Rhetoriklehrer ist schlank und drahtig. Seine Erscheinung bildet einen auffälligen Kontrast zu der des Ministers, doch beide verstehen sich hervorragend und bilden eine geschlossene Front, besonders wenn es darum geht, mir zu schaden.
Theodotos wechselt einen bedeutungsvollen Blick mit Potheinos und beginnt dann als Vertreter des Regentschaftsrates mit seiner Rede. Zunächst begrüßt er mit salbungsvollen Worten die königliche Familie, den römischen Konsul und die Würdenträger. Dann beginnt er mit dem eigentlichen Thema: „Wir haben uns heute hier versammelt, um das Ende des Bürgerkrieges zu feiern und über die Wiedereinsetzung der Königstochter, Königsschwester und Königsgemahlin Kleopatra Thea Philopator als Regentin und Herrscherin zu verhandeln. In seinem Testament hat der allerhöchste Gottkönig, der zum Himmel geflogene Falke und mit dem Sonnengott eins gewordene Pharao Ptolemaios Philopator Philadelphos Neos Dionysos, verfügt, dass sein ältester Sohn und seine älteste Tochter gemeinsam regieren sollen. Beide Kinder wurden gemäß der Tradition in Memphis durch den Hohepriester des Gottes Ptah gekrönt,“ sein Blick streift Psenamounis, „und als die vaterliebenden Götter in Alexandria bestätigt.“ Sein Blick gleitet über die alexandrinischen Würdenträger. „Nun ist es bedauerlicherweise zum Zerwürfnis zwischen König Ptolemaios Theos Philopator und seiner Schwestergemahlin gekommen. Beide haben sich jedoch heute auf Einladung des römischen Konsuls Gaius Julius Caesar hier eingefunden, um sich zu versöhnen und alle kriegerischen Handlungen in der Folge einzustellen, damit in Ägypten wieder Friede und Einigkeit herrschen mögen. Verehrter Konsul, ich bitte Euch mit der Verlesung des Testamentes zu beginnen.“
Und damit wendet er sich in scheinbar ehrerbietiger Geste an Caesar, der eine Papyrusrolle aus der Hand seines Militärtribuns Sextus entgegennimmt. Caesar lässt einen fast gelangweilten Blick durch den Saal gleiten und beginnt dann betont langsam, mit rhetorischer Dramatik, die römische Kopie des Testamentes zu entrollen. Alle Augen sind auf ihn gerichtet. Schließlich erhebt er sich energisch von seinem thronartigen Stuhl und wendet sich mit tragender Stimme an die Anwesenden:
„König Ptolemaios, Königin Kleopatra, Prinzessin Arsinoe, werte Minister, Priester und Abgesandte, es ist mir eine Ehre heute hier stehen zu dürfen, um den Willen des verstorbenen Königs zu erfüllen. Als Konsul und Repräsentant des Senates und Volkes von Rom ist es mir nicht nur eine Freude, sondern auch meine Pflicht, die gemeinsame Herrschaft des Königspaares auf Grundlage dieses Testamentes zu prüfen und zu bezeugen. Dies gilt um so mehr, da die Verträge zwischen dem verstorbenen König und Rom während der Zeit meines ersten Konsulats geschlossen wurden. König Ptolemaios Neos Dionysos, der stets ein treuer Freund und Verbündeter Roms war, hinterlegte eine Abschrift seines Testamentes in Rom. Dieses Testament habe ich heute hier vorliegen und werde es für alle verlesen, damit dem Willen des verstorbenen Königs Gerechtigkeit widerfährt. Ich tue das in meiner Eigenschaft als Konsul und Pontifex Maximus, aber auch als Vormund der königlichen Geschwister, um sie gemäß dem Willen ihres Vaters miteinander zu versöhnen, auf dass König Ptolemaios und Königin Kleopatra von nun an wieder gemeinsam über Ägypten herrschen mögen…“
Caesars tiefe und tragende Stimme, erfüllt den Raum, als er nun beginnt das Testament meines Vaters zu verlesen: „…Im 26. Jahr unter dem König Ptolemaios Theos Philopator Philadelphos Neos Dionysos, dem Sohn des Ptolemaios Philometor Soter wurde dieses Testament durch die beiden Gesandten, Serapion und Dioskorides nach Rom geschickt, um es im Aerarium populi Romani[1] niederzulegen…“
Mein Blick gleitet zu den beiden im Testament erwähnten Gesandten, die von meinem Vater sehr geschätzt wurden, aber jetzt mit den anderen Freunden des Königs neben Potheinos und Theodotos stehen. Während Caesar die obligatorischen Einleitungsabschnitte des Testamentes verliest, betrachte ich die ernsten Gesichter der beiden vornehm aber zurückhaltend gekleideten Gesandten. Ob es uns wohl gelingt, sie von meiner Seite zu überzeugen?
Die Namen der zur Zeit der Testamentserstellung amtierenden Priester und Priesterinnen klingen durch den Saal. All die Athlophoren und Kanephoren, die im dynastischen Kult der Ptolemäer dienen und in den Einleitungen von solch hochoffiziellen Dokumenten, wie diesem königlichen Testament, traditionell aufgezählt werden. Ich lausche Caesars einnehmender Stimme, die jetzt an dem Punkt angelangt ist, wo mein Vater das römische Volk bei allen Göttern und der Heiligkeit der Verträge beschwört, seinen Willen durchzusetzen. Bei diesen Worten sieht Caesar kurz zu mir und seine Augen brennen sich für den Bruchteil einer Sekunde in meine. Genau das wird er tun. Für mich.
Schließlich kommt Caesar zu der für mich entscheidenden Passage: „und so bestimme ich zu meinen Erben auf dem Thron der Beiden Länder, meinen ältesten Sohn Ptolemaios Theos Philopator und meine älteste Tochter Kleopatra Thea Philopator. Mögen sie als König und Königin gemeinsam als Theoi Philopatores Philadelphoi (die Vaterliebenden und Geschwisterliebenden Götter) über Ägypten herrschen, von Ewigkeit zu Ewigkeit.“
Nachdem Caesars Worte verklungen sind, herrscht einen Moment Schweigen.
Schließlich ist es Theodotos, der sich räuspert und sich dann an Caesar wendet: „Verehrter Konsul, wir danken Euch sehr für das Vortragen dieser erhabenen Worte. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Ihr nach eurem Sieg über Pompeius, der dieses Testament ja in seinem Lager aufbewahrte, sowohl über die griechische, als auch über die lateinische Abschrift des letzten Willens unseres Königs verfügt?“
„In der Tat.“
„Nun habt ihr soeben die griechische Variante offiziell verlesen...“
„Mir war nicht bewusst, dass Ihr lieber die lateinische Übersetzung hören wolltet, werter Theodotos. Aber wenn das für Euch verständlicher ist, kann ich damit gerne dienen!“, meint Caesar und bei dem leichten Spott in seiner Bemerkung, zucken auch meine Mundwinkel unmerklich.
„Das wird nicht nötig sein und es hat sicher alles seine Richtigkeit damit. Es geht uns, die wir dem König nahestehen, eher darum, dass mit dem griechischen Wort Basilissa hier in Ägypten traditionell sowohl eine Regentin, wie auch eine Königsgemahlin bezeichnet werden kann. Leider können wir anhand dieses Testamentes, dessen Echtheit wir natürlich nicht anzweifeln wollen, obwohl die Umstände seiner Aufbewahrung ja recht abenteuerlich erscheinen, nicht sagen, welcher Regierungsanspruch der Königin daraus abgeleitet werden kann oder nicht.“
„Können wir das nicht, Theodotos?“, fragt Caesar mit trügerisch sanfter Stimme.
„Wir sind untröstlich, aber wie Ihr wisst, wird weder im Griechischen, noch im Lateinischen zwischen einer regierenden Königin und einer im Hintergrund stehenden Königsgemahlin differenziert. Um dies zu unterscheiden, würden wir das zusätzlich in ägyptischen Hieroglyphen, beziehungsweise hieratischer und demotischer Schrift abgefasste Original benötigen, das aber leider im Zuge der unglücklichen Umstände und jüngsten Ereignisse verloren gegangen ist.“
„Was für ein bedauerlicher Verlust.“ Caesar gibt sich einen Augenblick lang nachdenklich und betrübt, bevor ein überlegenes Funkeln in seinen Augen erscheint. „Zum Glück für uns alle, werter Theodotos, hat der Hohepriester des Ptah in weiser Voraussicht seine im Tempel hinterlegte Kopie nach Alexandria gesandt, damit sie heute vorgelegt werden kann. Psenamounis, darf ich bitten!“
Psenamounis tritt nach vorne und erwidert stoisch den verärgerten Ausdruck im Blick von Theodotos, der sich jedoch ansonsten nichts anmerken lässt und beiseite tritt, um dem jungen Priester Platz zu machen.
Caesar hat sich wieder gesetzt und bedeutet Psenamounis, den Kasten aus Ebenholz vor ihm auf dem Tisch abzulegen.
„Psenamounis, wie seid Ihr in den Besitz dieses Testamentes gelangt?“, fragt Caesar.
„Der erhabene Gottkönig Ptolemaios Philopator Philadelphos Neos Dionysos hat es persönlich in Anwesenheit des Hohepriesters des Ptah, Psen-Ptah versiegeln lassen und es dem Hohepriester anvertraut.“
„Und warum hat er es Euch übergeben?“
„Der Hohepriester hat es mir übergeben und mich nach Alexandria gesandt, um den Thronanspruch der Königin Kleopatra Thea Philopator Netjeret Merit-ites durch das Vorlegen dieses Testamentes zu bestätigen. Ich bin als Stellvertreter des Hohepriesters heute hier, um diese Aufgabe zu erfüllen.“
„So öffnet denn das Behältnis!“
„Nur die rechtmäßige Königin von Ägypten, die den Siegelring trägt, den ihr Vater eigens dafür anfertigte, kann dies tun, Imperator.“
Caesar gibt Charmion einen Wink und sie tritt rasch zu ihm, um den Kasten in Empfang zu nehmen und mir zu übergeben, damit ich ihn öffne. Es ist ja nicht so, dass ich das nicht schon gestern in Caesars Anwesenheit getan hätte, aber die Dramatik eines solchen Vorgangs vor Zeugen, darf man nicht unterschätzen. Ich warte einen Augenblick, um die Spannung noch ein bisschen zu steigern und drücke dann mit erhabener Geste den Siegelring mit meiner hieroglyphischen Namenskartusche in die Vertiefung des Deckels. Der Mechanismus schnappt mit einem deutlichen Klicken auf. Mit Genugtuung registriere ich das Staunen auf den Gesichtern der Anwesenden. Obwohl sie an die Genialität alexandrinischer Erfindungen gewöhnt sind, geht doch nichts über einen guten Effekt. Ich lächele und nehme die versiegelte Papyrusrolle aus dem Kasten, die ich wiederum Charmion übergebe, die sie Caesar übergibt.
„Die Siegel sehen nach meiner bescheidenen Meinung intakt aus“, fährt Caesar fort und winkt Psenamounis hinzu, um diese Aussage zu bestätigen.
„Ihr habt recht, Imperator, die königlichen und priesterlichen Siegel des Ptah-Tempels sind intakt.“
„Bitte überzeugt Euch auch davon, werter Minister“, lädt Caesar nun auch Potheinos und danach die anderen Versammelten ein, sich von der Intaktheit der Siegel zu überzeugen. Nachdem alle die Echtheit der Siegel bestätigt haben, überreicht Caesar Potheinos ein kleines Messer: „Bitte, werter Dioiketes, seid so freundlich und öffnet das Testament!“
Auf Potheinos‘ kahlrasiertem Schädel bildet sich ein kleiner Schweißfilm. Vorsichtig ergreift er unter den wachsamen Augen von Caesars Offizieren und Liktoren das Messer, das er Caesar wahrscheinlich am liebsten in den Leib rammen würde, und trennt die Schnüre auf, an denen die Tonsiegel befestigt sind. Langsam reicht er das Messer danach, mit dem Griff zuerst, an Caesar zurück. Der lächelt nur überlegen und winkt Theodotos zu sich.
„Werter Theodotos, Bitte überprüft den griechischen Text und die römische Abschrift und sagt, ob sie übereinstimmen.
Theodotos lässt sich Zeit, hält beide Papyrusrollen immer wieder in die Höhe, um die einzelnen Passagen zu vergleichen. Der Saal wartet gespannt.
„Und?“ Caesars Frage unterbricht die Stille.
„Sie stimmen überein“, räumt Theodotos ein.
„Bestehen damit noch irgendwelche Zweifel an der Echtheit beider Ausgaben des Testamentes?“
„Nein, werter Konsul.“
„Wie schön. Psenamounis, bitte lest die entsprechende Stelle in der hieratischen und demotischen Abschrift und sagt uns, welches Wort für Königin hier verwendet wird.“
Psenamounis überfliegt die hieratischen und demotischen Zeichen und antwortet dann mit fester Stimme: „Die ägyptische Übersetzung des Wortes Basilissa lautet Heqat und das bedeutet Herrscherin oder Regentin.“
„Im Ägyptischen wird also zwischen einer Herrscherin und Königsgemahlin unterschieden?“, hakt Caesar nach.
„Ja, Imperator. Eine Königsgemahlin würde man als Himet-Nesu oder Himet-Nesu-weret (Große Königliche Gemahlin) bezeichnen, doch hier steht eindeutig das Wort Heqat, was Herrscherin bedeutet.“ Psenamounis deutet auf eine Stelle im Text, die ich von meiner Position aus zwar nicht sehen kann, aber trotzdem weiß, wie die Zeichen aussehen. Ein Krummstab, gefolgt von einem kleinen Hügel und einem Halbkreis, den Hieroglyphen für die Laute q und t. Wenn ich das hier überstehe, werde ich dieses Wort in monumentaler Größe neben meinen Reliefdarstellungen in die Tempelwände meißeln lassen!
Mit zufriedener Miene wendet sich Caesar wieder an die Versammlung: „Da das Ägyptische zwischen einer Regentin und einer Königsgemahlin unterscheidet, ist die Sachlage klar. Königin Kleopatra ist nach dem Willen ihres Vaters die legitime Regentin und Herrscherin Ägyptens und ihrem Bruder deshalb gleichgestellt.“
Theodotos ergreift darauf erneut das Wort: „Der König hat seine Tochter und seinen Sohn in der Thronfolge gleichgestellt, wie nun in der Tat bewiesen wurde, verehrter Konsul. Und dies geschah bei der Abfassung dieses Testamentes sicher in guter Absicht. Doch inzwischen sind Ereignisse eingetreten, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob der Erblasser aufgrund dieser Entwicklungen heute noch so entscheiden würde, wie damals, als die Königin ein unschuldiges junges Mädchen und eine gehorsame und ergebene Tochter war.“
Caesars Blick durchbohrt Theodotos: „Bitte erläutert euren Einwand!“
Theodotos erklärt mit gewichtiger Miene: „Wir dürfen bei all dem nicht vergessen, welche untragbaren Entscheidungen der Königin zu ihrer Verbannung geführt haben. Und ich meine hier ausdrücklich nicht ihre außenpolitischen Entscheidungen, werter Konsul“, und dabei wirft er Caesar einen aufgesetzt sympathieheischenden Blick zu, „sondern die Anmaßung der Königin, ihren Brudergemahl von allen Entscheidungen auszuschließen und sich als Alleinherrscherin zu gebärden.“
Überraschenderweise ergreift hier zum ersten Mal Serapion das Wort, der sich bisher mit den anderen Freunden des Königs im Hintergrund gehalten hat: „Obwohl ich die Meinung des werten Theodotos sonst sehr schätze, muss ich sagen: So ganz überzeugend finde ich die Argumentation in diesem Fall nicht. Ihre Majestät wurde noch zu Lebzeiten ihres Vaters als legitime Regentin und Nachfolgerin eingesetzt. Sie wurde mit 17 Jahren zur Mitregentin ihres Vaters erhoben und stand ihm beratend zur Seite, seitdem sie mit 14 Jahren zur Kronprinzessin erhoben wurde. Ihre Majestät brachte also, trotz ihres jugendlichen Alters, drei Jahre Regierungserfahrung mit, während ihr Bruder, Seine Majestät, der König zu diesem Zeitpunkt einfach noch zu jung zum Regieren war.“
Hierauf mischt sich auch Psenamounis in die Debatte ein: „Königin Kleopatra herrscht als Heqat und als weiblicher Pharao. Als solche wurde sie in Memphis gekrönt. Doch selbst als Große Königliche Gemahlin wäre sie in Abwesenheit oder bei Minderjährigkeit des Königs befugt, die Regierungsgeschäfte allein zu führen. So ist es in Ägypten Sitte und zwar bereits seit 3000 Jahren!“
„Eine Heqat kann den König vertreten, ist ihm aber trotzdem Rechenschaft schuldig!“, hält Theodotos dagegen.
„Nicht wenn sie als Regentin für einen minderjährigen König regiert und unser König war damals minderjährig. In diesem Falle kann die Heqat in seinem Namen regieren und braucht nicht seine Zustimmung einzuholen.“ Psenamounis ist inzwischen laut geworden.
„Das ist der Fall, wenn der König ihr Sohn ist, es gilt aber nicht für einen Bruder.“ Auch Theodotos gibt nicht auf.
„In diesem Punkt scheint der werte Theodotos einem Irrtum zu unterliegen. Es gab auch weibliche Pharaonen, die gänzlich ohne männlichen Mitregenten regiert haben“, mischt sich nun einer der anderen Priester in die Debatte ein. „Ich erwähne hier Tawosret und Neferusobek.“
„Werter Pakhom, so sehr ich Eure Meinung sonst auch schätze, aber das ist über 1000 Jahre her!“, versucht Theodotos dieses Argument zu entkräften.
„Spielt das eine Rolle? Es ist Maat und die heilige Weltordnung der Maat ist ewig. Doch wenn Ihr ein neueres Beispiel benötigt, weil Ihr die Heiligkeit der Pharaonenherrschaft nicht begreift und euch selbstherrlich anmaßt im Namen der Göttlichen Entscheidungen zu treffen, dann denkt an Kleopatra Soteira (Kleopatra II.) und Kleopatra Berenike (Berenike III.)! Diese Königinnen haben ganz vortrefflich alleine über Ägypten geherrscht!“, greift Psenamounis den Rhetoriklehrer nun scharf an.
Und so gehen die Argumente noch eine Weile hin und her. Psenamounis und Pakhom haben inzwischen eine Debatte über regierende Königinnen eröffnet und zitieren sogar Manetho und die legendäre Pharaonin Amensis (Hatschepsut)[2], deren erfolgreiche Herrschaft sogar fast 1500 Jahre zurückliegen dürfte.
Ptolemaios, Arsinoe und ich beobachten mit verblüfftem Staunen die Entwicklung dieser Diskussion, in die sich nun auch noch andere Priester und Freunde des Königs einmischen, die sich wiederum auf Theodotos‘ Seite stellen. Rufio und Sextus werfen sich amüsierte Blicke zu, während Tiberius die lautstarken Entwicklungen skeptisch beäugt. Sollten die Römer geglaubt haben, die Alexandriner wären brav und unterwürfig, nur weil wir in einer Monarchie leben, so werden sie gerade eines Besseren belehrt. Selbst Caesar hat eine Braue hochgezogen. Ob er sich gerade an die Debatten im römischen Senat erinnert fühlt?
Doch so faszinierend die Entwicklung auch ist, wenn hier so heftig diskutiert wird, dann möchte ich gar nicht wissen, was in den Straßen der Stadt los ist. Psenamounis hat mich gewarnt. Der alexandrinische Mob hat schon desöfteren Könige abgesetzt. Ich habe selbst als Kind erlebt, wie mein Vater aus Ägypten vertrieben wurde, weil er seinem Bruder, dem König von Zypern nicht zu Hilfe kam, als Rom die Insel annektierte. Den Verlust Zyperns, das so lange zum Ptolemäerreich gehörte, hat der ägyptische Nationalstolz bis heute nicht verkraftet. Die Alexandriner hatten meinem Vater den Spottnamen Auletes (der Flötenspieler) gegeben, weil er seine Zeit ihrer Meinung nach lieber mit musikalischen Darbietungen verbrachte, als gegen Rom militärisch vorzugehen und vertrieben ihn aus der Stadt. Ich hatte ihn ins Exil begleitet.
Schließlich unterbricht Caesar die Diskussion – und meine Gedankengänge – mit ein paar wohlgesetzten Worten. „Meine Herren, Ich muss doch sehr bitten! Ich sehe, dass im Detail noch Diskussionsbedarf besteht, doch dies ändert nichts an der Tatsache, dass alle Zweifel an der Legitimation der Königin als Regentin und Herrscherin von nun an ausgeräumt sein sollten und wir mit den Versöhnungsritualen beginnen können.“
Für den Bruchteil einer Sekunde spüre ich Theodotos‘ wütenden Blick auf mir, bevor er sich abrupt an Caesar wendet und mit lauter Stimme seinen Einwand äußert: „Verzeiht, werter Konsul. Doch ein Punkt wurde bisher nicht zur Sprache gebracht: Es hat im Vorfeld des Bürgerkrieges noch andere Zweifel an der Eignung der Prinzessin zur Königin gegeben. Und damit meine ich Zweifel bezüglich ihrer ehelichen Treue gegenüber dem König!“
Ach ja? Von wem denn? Das würde mich jetzt wirklich interessieren. Doch ich zwinge mich zur Ruhe.
Caesars Lächeln ist zynisch und tödlich: „Mein lieber Theodotos. Als Vormund der Königin weise ich alle diese Anschuldigungen als unbegründete Verleumdungen zurück. Ich habe mich persönlich von ihrem einwandfreien Lebenswandel überzeugt und bezeuge hiermit ihre Unschuld.“
Theodotos öffnet den Mund…und schließt ihn wieder. Caesars Dreistigkeit verschlägt auch mir die Sprache. Ja, was soll er darauf auch erwidern, ohne Caesar offen anzugreifen? Genau das hat er bisher tunlichst vermieden. Man kann förmlich sehen, wie er mit sich ringt und die Gedanken sich in seinem Kopf überschlagen.
Doch von Arsinoe hört man ein belustigtes Schnauben und natürlich kann sie ihren Mund nicht halten: „Und auf welche Weise habt Ihr Euch davon überzeugt, verehrter Konsul?“
Caesars Lächeln wird zweideutig, als er sich meiner Schwester zuwendet: „Auf eine sehr gründliche, Prinzessin Arsinoe. Und glaube mir, wenn ich meine Maßstäbe bei dir ansetzen würde, dann denke ich nicht, dass du meinen Ansprüchen standhalten könntest.“
Ich unterdrücke ein Keuchen. Der Schlag hat gesessen. Deutlicher ging es ja kaum noch, ohne die Dinge beim Namen zu nennen. Arsinoe ist derweil aufgesprungen und funkelt Caesar zornig an. „Wie kannst du es wagen!“
„Ja, Prinzessin, genau das ist der Punkt, nicht wahr? Ich kann es wagen!“ Und die nächsten Worte richtet er wieder an die ganze Runde, während sein tödlicher Blick von einem zum anderen wandert. „Oder fühlt sich noch jemand berufen, mir dieses Recht abzusprechen?!“
Er hebt eine Braue und in diesem Moment nehmen die Liktoren und römischen Wachen im gesamten Saal geräuschvoll Haltung an. Ihre versteinerten Mienen geben nichts preis, doch jeder weiß, ein einziges Wort von Caesar würde genügen, um sie aus ihrer regungslosen Haltung erwachen zu lassen. Arsinoes Stratege Ganymedes flüstert der Prinzessin in der einsetzenden Stille einige mahnende Worte zu, woraufhin sie widerwillig wieder Platz nimmt und fortan den Mund hält, wie auch der Rest der Runde. Alle Blicke sind auf Caesar gerichtet, der sich wieder scheinbar gelassen auf seinem Stuhl zurückgelehnt hat. Doch seine dunklen Augen blitzen gefährlich, wie auch die goldenen Krallen und Flügel des Adlers hinter ihm.
Erstaunlicherweise ist es Potheinos, der sich bisher im Hintergrund gehalten hat, welcher als erster das Wort ergreift: „Majestäten, Verehrter Konsul. Ich schlage eine Unterredung im kleinsten Kreis vor, um diese Angelegenheit zu besprechen.“
Caesar wirft mir einen fragenden Blick zu und ich nicke kurz. Hier besteht in der Tat Redebedarf und je weniger Personen dabei zugegen sind, desto besser.
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[1] Die Staatskasse („Schatz des römischen Volkes“), sie befand sich im Saturntempel auf dem Forum Romanum und wurde von Quästoren verwaltet. Hier wurden auch öffentliche Urkunden aufbewahrt.
[2] Der Name der großen Pharaonin Hatschepsut Maatkare (Regentschaft 1479-1458 v.Chr.) bei Manetho. Unter dem Namen Amensis bzw. Amesses war Hatschepsut vermutlich während er Ptolemäerzeit bekannt.