„Was machst du hier, Kleopatra?“ Arsinoe schaut unschlüssig auf mich herab. Automatisch drücke ich meinen Rücken durch und nehme eine kerzengerade Haltung an. „Die Aussicht genießen“, entgegne ich zynisch, „was denn sonst!“
„Gleich fangen die Reden und Gedichte an. Ich dachte, du möchtest vielleicht zuhören. Es laufen schon Wetten, ob der Tribun sich blamieren wird.“
„Ich komme gleich“, seufze ich.
„Ärger mit deinem Liebhaber?“ Arsinoe grinst mich frech an. „Ich frag mich ja ohnehin, wie du das mit ihm aushältst.“
Gerade in diesem Moment frage ich mich das auch. „Das wirst du nie kapieren, Arsinoe“, entgegne ich ungehalten. „Und es geht dich auch nichts an!“
Arsinoe zuckt mit den Schultern und bleibt unschlüssig vor dem Brunnen stehen. Ihre Augen sind auf die vom Mondlicht beleuchtete Statue gerichtet. „Weißt du, was mir an den Amazonengeschichten so gefällt?“, fragt sie in die Stille.
„Ich nehme an, du wirst es mir sagen?!“ Warum wählt sie eigentlich immer die unpassendsten Situationen, um sich unterhalten zu wollen?
„Sie waren Königinnen aus eigenem Recht und verehrten Artemis, die jungfräuliche Göttin der Jagd. Ohne die Hilfe von Männern gründeten sie ein gewaltiges Reich am Thermodon.“
„Das sind doch Legenden!“
„Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Die drei Königinnen lebten und kämpften zusammen als Schwestern. Hippolyte, Antiope und Penthesilea. Drei Töchter des Ares mit Otrere, die den Tempel der Artemis in Ephesos erbaute.“ Sie macht eine Pause und fügt nachdenklich hinzu: „Wir waren auch einmal drei Schwestern… Berenike, du und ich.“
Mein Blick ruht nun ebenfalls auf der Statue, deren Züge ein wenig an unsere älteste Schwester erinnern. „Es ist besser, die Vergangenheit ruhen zu lassen, Arsinoe“, erwidere ich leise.
„Ich weiß nicht, wie du das kannst. Ich hab es nie verstanden.“ Ihre Antwort ist fast nur ein Flüstern. Und ich wähle meine nächsten Worte mit Bedacht.
„Wir konnten damals nichts tun“, sage ich eindringlich. Doch nicht zum ersten Mal frage ich mich, was ich an Vaters Stelle getan hätte. Denn Herrscher müssen manchmal bittere Entscheidungen treffen, daran führt kein Weg vorbei.
„Penthesilea ist mit ihren Kriegerinnen in den trojanischen Krieg gezogen, um über Hippolythes Tod hinwegzukommen und hat tapfer gegen Achillas gekämpft, den tapfersten der Krieger.“ Ein Hauch von Bewunderung liegt in Arsinoes Stimme.
„Penthesilea ist im trojanischen Krieg umgekommen, zusammen mit ihren Kriegerinnen! Ich sehe nicht, wozu das gut gewesen sein soll.“
Arsinoe zuckt mit den Schultern. „Es ist eben nicht optimal gelaufen, aber sie hat es wenigstens versucht und gekämpft. Das war tapfer und ehrenvoll.“
„Ah, und ich kämpfe nicht und setzte stattdessen mein Vertrauen in einen fremden Herrscher, so wie Antiope, nachdem Theseus sie entführt hatte? Willst du mir das damit sagen?“, meine ich zynisch.
Sie mustert mich einen Moment und grinst dann. „Nein, wenn du eine Amazonenkönigin wärst, dann käme eher Thalestris in Frage, die sich mit Alexander dem Großen freiwillig verbunden hat.“
„Thalestris und Alexander?“, ich hebe eine Braue und sehe sie skeptisch an. Ein zögerliches Lächeln erscheint an ihren Mundwinkeln, das ich zaghaft erwidere.
„Drei Göttinnen an einem Brunnen. So etwas sieht man auch nicht jede Nacht. Aber Ich hatte schon die Vermutung, dass die wirklich tiefsinnigen Gespräche sich nach draußen verlagert haben“, erklingt Caesars Stimme plötzlich neben uns. Ich seufze und Arsinoe erstarrt in ihrer Haltung.
Caesars Gesichtszüge sind ins Gegenlicht getaucht, aber ich spüre seinen Blick überdeutlich auf mir.
„Arsinoe, du gehst besser rein und kümmerst dich um die Gäste!“, sage ich leise.
„Natürlich, aber vorher würde mich doch sehr interessieren, was diese Überprüfung vorhin sollte!“ Arsinoe hat ihren Schock überwunden und funkelt Caesar nun mit verschränkten Armen an.
Er antwortet völlig gelassen. „Das war nur eine allgemeine Sicherheitsmaßnahme. Ihr wart isoliert inmitten eines Kreises von waffentragenden Unbekannten.“
„Das waren meine Tänzerinnen!“
„Es gibt auch weibliche Krieger, sowohl bei den Galliern und Germanen und in der glorreichen Vergangenheit ja erst recht. Die Amazonen haben doch einst ganz Asien beherrscht, oder nicht?“, fragt er ironisch. „Ich war nur um eure Sicherheit besorgt.“[5]
„Mein Schwert wurde auch kontrolliert!“
„Sextus hat doch nur einen Vorwand gesucht, um mit dir reden zu können, Arsinoe. Ist dir nicht bewusst, wie beeindruckt er von dir ist?“ Caesars Worte klingen charmant und besänftigend, aber Arsinoe schnaubt nur erbost.
„Versuch nicht, mich für dumm zu verkaufen! Du biegst dir die Wahrheit doch so, wie es dir gerade passt!“
„Und du verwechselst noch immer Wahrheit mit Wirklichkeit, Arsinoe!“
„Wirklich? Wie ist es eigentlich, wenn man sich eine Königin gefügig macht und sie dann so im Griff hat, wie du meine Schwester. Fühlt man sich dann besonders großartig?“
Caesar hat nur eine Braue gehoben. „Wie ist das eigentlich, wenn man einen Thron geschenkt bekommt, aber so unsicher ist, dass man seinen Patron lieber herausfordert, statt einfach danke zu sagen?“
„Danke!“, schleudert sie ihm entgegen und macht dann auf dem Absatz kehrt, um in Richtung des erleuchteten Festsaales zu verschwinden.
Verwundert sehen wir ihr nach.
„Sie ist einfach noch zu naiv, um bestimmte Dinge zu begreifen“, sage ich leise.
„Deshalb muss sie trotzdem die Verantwortung tragen“, antwortet er langsam und sieht mich dann stirnrunzelnd an. „Der Tag hat so gut angefangen, Kleopatra. Also: was ist los?“
Ich lehne mich auf dem Brunnenrand ein wenig zurück, als wäre es mein Thron und schaue ihn dann resolut an. „Der Tag hat sehr gut angefangen, bevor Ihr auf die Idee kamt, meinen Vater zu beleidigen und mir in meinem eigenen Land Vorschriften machen zu wollen, Imperator!“
Er tritt noch einen Schritt näher und betrachtet mich aufmerksam. Seine Miene ist ernst, doch in seinen Augen erkenne ich nun wieder ein Lächeln. „Es lag mir fern, deinen Vater beleidigen zu wollen und was du als Vorschriften empfindest, dient nur deinem Schutz, Majestät!“
Ich schnaube nur, aber da hat er sich schon neben mich gesetzt und wie selbstverständlich meine Hand ergriffen. Halbherzig versuche ich, sie ihm zu entwinden, aber er zieht sie einfach noch näher, um einen Kuss auf meine Fingerknöchel zu drücken. Seine Lippen verharren für einen Moment auf der Stelle und liebkosen die zarte Haut. Auch danach lässt er mich nicht los und schaut mir gleichzeitig tief in die Augen. „So, mein Liebling. Und jetzt unterhalten wir uns darüber, was da gerade vorgefallen ist!“
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[5] Eine Anspielung auf das von Sueton (22) überlieferte Zitat. Caesar soll auf die spöttische Bemerkung eines Senators, die von ihm gefassten Pläne seien für ein Weib (im Kontext als Beleidigung Caesars gemeint) nicht leicht umsetzbar, ironisch geantwortet haben: "In Syrien wäre auch eine Semiramis Königin gewesen und einen großen Teil Asiens hätten einst die Amazonen beherrscht!“