(Heerlager bei Pelusium am 28. September 48. v. Chr. – 10 Jahre später)
Im 3. Regierungsjahr der Kleopatra Thea Philopator und des Ptolemaios Theos Philopator
Im 274. Jahr der Seleukidischen Ära
Unter dem Konsulat des C. Iulius Caesar und des P. Servilius Isauricus
Im Jahr 705 nach der Gründung Roms
„So endete Pompeius, der die größten Kriege erfolgreich geführt, das Reich der Römer am stärksten vergrößert und sich dadurch den Titel eines Großen erworben hatte. Er war noch nie besiegt worden, sondern war von Jugend an unbesiegt und äußerst erfolgreich geblieben. Von seinem dreiundzwanzigsten bis zu seinem achtundfünfzigsten Lebensjahr hatte er nicht aufgehört, seine Macht auszubauen, die von ihrer Stärke her die eines Alleinherrschers war, aber durch den unvermeidlichen Vergleich mit Caesar einen fast demokratischen Charakter hatte.“
(Appian, Bürgerkriege 2,86)
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„Der große Pompeius ist tot. Unsere Kundschafter haben es soeben bestätigt.“ Mardian, mein Minister und Stratege stand am Kartentisch und blickte mit ernster Miene in die Runde. Stille hatte sich über meine Berater gesenkt, die sich inmitten des königlichen Zeltes um mich versammelt hatten, hier in unserem militärischen Hauptquartier. Obwohl die Wände nur aus dickem Leinenstoff bestanden, schien kein Laut von außen hereinzudringen. Oder war es einfach nur der Schock über das soeben Gehörte? Gnaeus Pompeius Magnus, der große römische Feldherr, der über Mithridates Eupator triumphiert, die Reiche der Seleukiden und Nabatäer besiegt und eine ganze Ära geprägt hatte. Der Patron meines Vaters, in dessen römischer Villa wir zu Gast gewesen waren – er war nicht nur von Caesar bei Pharsalos besiegt worden, sondern nun auch noch einem Mord zum Opfer gefallen. Einem Mord, den mein 14-jähriger Bruder Ptolemaios befohlen hatte.
Fassungslos wie die anderen lauschte ich Mardians Bericht: „Pompeius wurde getäuscht, denn man versicherte ihm, dass er in Ägypten willkommen sei. Ein königliches Empfangskomitee, zu dem auch der ägyptische General Achillas und ein ehemaliger Offizier des Pompeius gehörte, ließ sich zu ihm rudern und begrüßte ihn an Bord seines Flaggschiffes. Der Offizier names Lucius Septimus behauptete, die Anlegestelle sei nur mit kleinen Ruderbooten erreichbar und überredete Pompeius, mit der Delegation an Land zu kommen, um alles weitere zu besprechen. Pompeius vertraute diesem Mann, da dieser unter ihm Centurio gewesen war. Doch Septimus diente inzwischen Achillas und das Ganze war eine Falle. Noch bevor das Boot die ägyptische Küste erreicht hatte, stachen die beiden von hinten auf Pompeius ein, während seine Familie vom Schiff aus zusehen musste.“
Meine Berater schwiegen betroffen. „Was ist dann geschehen?“, fragte ich in die Stille.
„Die Schiffe machten kehrt und flohen aufs offene Meer. Der Leichnam des Pompeius wurde am Strand zurückgelassen, nachdem man ihm den Kopf abgeschlagen hatte. Ein treuer Sklave hat dort aus Treibholz einen notdürftigen Scheiterhaufen errichtet, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.“
„Was für ein bitteres Ende für einen so siegreichen Feldherrn wie Pompeius!“ Es war eine verabscheuungswürdige und feige Tat, die schreckliche Konsequenzen für Ägypten nach sich ziehen konnte. Besonders, wenn es auf Befehl des Königs geschehen war.
„Seid Ihr sicher, dass mein Bruder den Befehl dazu erteilt hat?“, fragte ich noch einmal nach.
„Selbst wenn er anderer Meinung gewesen sein sollte, so handelte der General doch in seinem Namen.“
Ich schloss kurz die Augen. Meinem Bruder – diesem dummen, ignoranten Jungen – war einfach alles zuzutrauen und er wusste vermutlich nicht einmal, was er damit angerichtet hatte. Er war blind gegenüber der realen Weltpolitik und eine Marionette seiner Berater. „Die Götter mögen uns beistehen!“
Ich hatte angefangen, hin- und herzulaufen, doch innerlich überschlugen sich meine Gedanken. „Wahrscheinlich geschah es auf Rat von Theodotos oder Potheinos. Aber das ist jetzt gleichgültig. Ptolemaios versteht mit Sicherheit überhaupt nicht, welche katastrophalen Auswirkungen das haben kann!“ Einen gottgleichen römischen Feldherrn wie Pompeius zu ermorden, konnte einen Krieg mit Rom bedeuten. Mit Rom, das seit Jahren nur nach einem Grund suchte, unser Land zu besetzen. Allerdings befanden die Römer sich selbst im Bürgerkrieg. Und nach seinem Sieg über Pompeius war Julius Caesar nun derjenige, der im Namen des Senates und Volkes von Rom über das weitere Vorgehen in Ägypten entscheiden würde. Ich musste mit ihm reden…
Mardian war offensichtlich zu demselben Schluss gekommen und seine Miene war ein Spiegelbild meiner eigenen Besorgnis: „Caesar wird das nicht auf sich beruhen lassen. Und wenn die Berichte stimmen, dann…“
„Dann dürfte Caesar in wenigen Tagen in Alexandria sein“, vollendete ich den Satz. „Er verfolgt Pompeius und wenn er für eine Sache bekannt ist, dann für seine Schnelligkeit!“
„Dann ist sofortiges Handeln unerlässlich“, bestätigte Apollodorus. Wir tauschten einen kurzen Blick. Mein Leibwächter verstand wie so oft meine unausgesprochenen Gedanken. Hinter seiner gelassenen und unbeschwert wirkenden Fassade verbarg sich ein blitzschnell arbeitender Geist.
Ich hatte in der Vergangenheit diplomatische Briefe mit Julius Caesar gewechselt. Aber ein Brief würde in dieser Situation nicht ausreichen. „Ich muss mich mit Caesar treffen“, sprach ich die einzig logische Schlußfolgerung aus. „Und ich muss ihn allein sprechen!“
„Das ist viel zu riskant, Kleopatra“, mischte sich nun Charmion in die Unterhaltung ein. Normalerweise hielt meine Freundin und erste Hofdame sich während der Beratungen zurück. Aber nun sah sie mich besorgt und eindringlich an.
„Das Risiko muss ich eingehen! Ohne ihn zu treffen, kann ich unmöglich einschätzen, was er denkt. Er könnte so wütend sein, dass er Ägypten den Krieg erklärt – Pompeius war schließlich sein Schwiegersohn. Oder er könnte es pragmatisch betrachten und sich auf die Seite meines Bruders stellen. Beides wäre fatal. Wahrscheinlich ist Caesar aber immer noch bereit, mich anzuhören und dann wäre jetzt die Chance, ihn von meiner Seite zu überzeugen. In seinen Briefen hat er ohnehin ein Treffen vorgeschlagen. Jetzt ist die Gelegenheit dazu. In dieser Situation nicht zu handeln, wäre viel zu riskant!“ Ich erwiderte Charmions Blick gefasst, bis sie schließlich den Kopf senkte. Sie kannte diesen entschlossenen Ausdruck und wusste, wann ich es ernst meinte. Und ich wusste, wann ich dieser inneren Stimme in mir folgen musste, die mich jetzt antrieb, sofort zu handeln und das entstandene Machtvakuum zu meinem Vorteil zu nutzen. Tief in mir spürte ich die Gewissheit, dass Caesar mit sich reden lassen würde – dass er mit mir reden würde – wenn ich es schaffte, zu ihm zu gelangen.
„Caesar hat Euch für dieses Treffen seinen Schutz zugesagt, das ist wahr, Majestät“, gab Mardian zu bedenken. „Doch als er das schrieb, war die Situation eine andere. Aber selbst, wenn Caesar weiterhin geneigt ist, in Eurem Sinne zu vermitteln, so kann er Euch keinen militärischen Geleitschutz zur Verfügung stellen. Man erzählt, er sei nur mit drei Legionen unterwegs und habe die Mehrzahl seiner Soldaten in Kleinasien gelassen.“ Mein Stratege sah mich stirnrunzelnd an und ich nickte. Die Zahlen bedeuteten, dass Caesar nicht vorgehabt hatte, militärisch in Ägypten vorzugehen. Es zeigte seine guten Absichten, als Schiedsrichter im ägyptischen Thronstreit zu fungieren. Doch nun standen die Dinge anders.
„Wir müssten durch feindliches Gebiet reisen und selbst, wenn Euer Bruder diplomatischen Verhandlungen und einem Waffenstillstand zustimmen sollte…“, fuhr Mardian fort und sah mich dann eindringlich an. „Wir haben gerade erlebt, wie wenig man seinen Worten trauen kann, Majestät!“
„Ja, Ihr habt Recht, Minister. Achillas würde uns überfallen und im Namen meines Bruders ermorden. Und aus diesem Grunde darf er überhaupt nicht davon erfahren!“ Mit einem entschlossenen Ausdruck erwiderte ich seinen Blick. „Ich reise deshalb in Verkleidung und ohne Eskorte! Das ist die schnellste Lösung und damit werden sie nicht rechnen!“
„Wir haben geschworen, Euch zu schützen, Majestät.“
„Und das tut ihr auch, Minister.“ Ich lächelte ihn beruhigend an. „Aber in diesem Fall tut Ihr das, indem ihr mich nicht begleitet. Es ist eine Prüfung der Götter und die Götter werden mich beschützen.“ Und noch während ich die Worte aussprach, spürte ich einen Hauch der Vorsehung. Die Entscheidung war gefallen. „Man muss glauben, dass ich mich weiterhin hier im Feldlager aufhalte und nur ein oder zwei Leibwächter dürfen mich begleiten.“
„Ich kann deine Rolle spielen, Kleopatra.“ Diesmal hatte sich Iras in unser Gespräch eingemischt. Ich musterte meine Milchschwester und zweite Hofdame, ihre zierliche Gestalt und ihr schmales feingeschnittenes Gesicht, das von einer Fülle ebenholzschwarzer Locken umspielt wurde. Iras war die Tochter meiner Amme und zusammen mit Charmion und mir aufgewachsen und unterrichtet worden. Von Weitem hatten wir große Ähnlichkeit und es wäre auch nicht das erste Mal, dass wir die Rollen tauschten, doch bisher war das nur ein Spiel gewesen, jetzt würde mein Leben davon abhängen.
„Es wäre von Vorteil“, überlegte Apollodorus. „Mit dem entsprechenden königlichen Ornat und aus der Ferne könnte die Täuschung gelingen… zumindest für ein paar Tage, um uns die nötige Zeit zu verschaffen.“
„Ich komme mit dir!“, entgegnete Charmion entschieden und wirkte in diesem Augenblick ganz wie die Tochter des treuen Generals, der meinem Vater bis in den Tod gedient hatte. Bei Charmions entschlossenen Blick, wurde mir bewusst, dass sie für mich dasselbe tun würde.
„Dann ist es beschlossen!“, entgegnete ich und nickte ihr zu, innerlich froh, dass sie mich begleiten würde. „Das Einzige, was wir jetzt noch brauchen, ist ein funktionierender Plan!“
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Der gesamte Nachmittag war mit der Besprechung der gewagten Aktion vergangen. Zunächst hatten wir alle möglichen Einfälle gehabt und wieder verworfen, bis Apollodorus auf die zündende Idee gekommen war.
„Viel zu riskant!“, hatte Mardian sofort widersprochen, doch ich hatte kurz darüber nachgedacht und dann genickt. Ja, die Idee war verrückt und alles andere als angemessen für eine Königin, aber genau deshalb würde niemand damit rechnen. Genau aus diesem Grunde könnte es funktionieren…. Und genau für so eine Situation hatte Caesar mir vielleicht auch in weiser Voraussicht sein Siegel zukommen lassen. Er hatte es seinem letzten Brief beigelegt und aus einer seltsamen Vorahnung heraus, hatte ich es seitdem wie einen Glücksbringer bei mir getragen. Und war nicht auch Caesar in einem seiner Berichte so vorgegangen? Vielleicht würde ihm mein Plan sogar imponieren. Ich musste einfach auf mein Glück vertrauen. Unwillkürlich umschlossen meine Finger das goldene Oval mit dem Stier der Göttin Venus – der göttlichen Ahnherrin, von der seine Familie ihre Abstammung herleitete. Das Siegel war nicht größer als eine Tetradrachme, aber es würde mir die Türen zu ihm öffnen. Und seltsamerweise erfüllte mich das mit einem Gefühl der Aufregung und Euphorie. Diese Reise würde gefährlich werden, aber sie war auch ein großes Abenteuer. Und vielleicht musste ich alles riskieren, um alles zu gewinnen.
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Heerlager bei Pelusium am 29. September des Jahres 705 nach Gründung Roms (48 v. Chr.)
Als die Abenddämmerung sich über das Lager senkte und die ersten Sterne das schwindende Licht der Sonne ersetzten, hatten wir endlich alle Vorkehrungen getroffen. Bereits im Morgengrauen würde ich mit Apollodorus und Charmion aufbrechen, zuerst ein Stück über Land, um die feindlichen Wachposten zu umgehen und dann auf einem Boot entlang der Küstenlinie.
Nichtsahnend von meinen Plänen hatten die Soldaten begonnen, die abendlichen Kochfeuer vor den Zelten zu entzündeten. Für sie war es nur ein weiterer Tag gewesen, den sie in gespannter Erwartungshaltung verbracht hatten. Mein Söldnerheer belagerte seit Tagen die Grenzfestung Pelusium, doch bis auf den Austausch von diplomatischen Worten und militärischen Drohgebärden war bisher nicht viel passiert. Die Wachen waren in Alarmbereitschaft, doch die übrigen Soldaten vertrieben sich die Abende mit Geschichten und beim Würfelspiel. Von den Feuern klang vereinzelt Musik zu mir herüber. Immer mehr Lichter erhellten die zunehmende Dunkelheit und bildeten somit das irdische Äquivalent zu den am Nachthimmel erscheinenden Sternen. Der Nordwind brachte die Kühle des Meeres mit sich und die abendliche Ruhe begann sich über das Lager zu senken, unterbrochen von vereinzelten Gesprächen und Gesängen, die man an den Feuern angestimmt hatte.
Die Stimmung der Musik und des Feuers hüllte mich ein. Ich ließ mich treiben. Neben mir hatten Iras und Charmion Platz genommen und wir alle lauschten der melancholisch-schönen Stimme einer nubischen Sängerin. Mardian hatte sich auf der anderen Seite des Feuers niedergesetzt und studierte noch immer eine der Karten. Leise unterhielt er sich dabei mit Apollodorus über die Reiseroute, die wir einschlagen würden, doch das Knistern der Flammen übertönte ihre Worte.
Mit einem Mal erschien mir alles unwirklich, das königliche Zelt, die uns umgebende Wüste und die nächtlichen Geräusche des Heerlagers. Iras lehnte sich leicht gegen mich und ich legte den Arm um ihre Schultern und zog sie an mich, um uns beiden Mut zu machen. Nein, heute Abend war ich keine Königin und sie nicht meine Dienerin. Ich war nur eine junge Frau, umgeben von meinen Freunden, die an mich glaubten und bereit waren, alles für mich zu riskieren. Doch schon morgen würde nichts mehr so sein, wie zuvor. Vielleicht würde mich der vor mir liegende Weg in den Tod führen, vielleicht würde er mir aber auch meine alte Macht zurückbringen. Doch vielleicht war das auch völlig unwichtig, im Angesicht der ewigen Sterne, die auf uns herabschauten. Vielleicht war unser Schicksal dort oben schon lange festgelegt und unsere angebliche Willensfreiheit nichts anderes als Selbstbetrug. Vielleicht. Und dennoch: Bei diesem Treffen musste ich mein Bestes geben und auf Isis vertrauen – dass der nun eingeschlagene Weg mich nicht in den Tod, sondern zurück ins Leben führen würde. Ich würde mich Julius Caesar stellen – und danach würde nichts mehr sein wie jemals zuvor. Das begriff ich mit einer merkwürdig distanzierten Klarheit.
Dieses seltsame Leben im Exil würde enden, aus meinen Freunden würden wieder meine Untertanen werden und aus Vertrautheit würde Distanz werden. War es überhaupt erstrebenswert, eine Herrscherin zu sein? Könnte ich nicht einfach dieser Aufgabe entfliehen und irgendwo ein bescheidenes und unauffälliges Leben führen? Ohne Angst. Eine seltsame Frage und merkwürdig, dass ich sie überhaupt stellte. Nein, so etwas war nicht möglich für eine Ptolemäerin – und es wäre auch nicht gerecht gegenüber meinen Freunden, die an mich glaubten und meinem Land, das mich brauchte. Der Weg einer ägyptischen Königin war vorgezeichnet. Wir wurden geboren, um zu herrschen, wir taten alles, um diese Macht zu wahren. Wir lebten und starben im Dienst unseres Landes. Dies war der Wille der Götter.
Charmion summte leise die Melodie des Liedes mit und Iras und ich stimmten ein. Es war ein uraltes Lied aus der Zeit der Pharaonen, wie ägyptische Mädchen entlang des Nils es seit Jahrtausenden sangen. Und auch wir waren an diesem Abend einfach nur drei Mädchen an einem Lagerfeuer, inmitten der Wüste. Aber bald schon musste ich wieder zu der anderen werden, der Welt das Gesicht der Königin zeigen und einen römischen Eroberer für mich gewinnen. Die Würfel würden geworfen werden und danach würde nichts mehr so sein wie jemals zuvor.