„Mein Herz meiner Mutter,
mein Herz meiner Mutter,
mein Herz meiner wechselnden Formen
– stehe nicht auf gegen mich als Zeuge,
tritt mir nicht entgegen im Gerichtshof,
mache keine Beugung wider mich vor dem Wägemeister!“
Ägyptisches Totenbuch, Spruch 30B[1]
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Als ich mich schließlich aus Caesars Umarmung löse, wird mir die plötzliche Stille um uns herum bewusst. Die Unterhaltungen unserer Gefolgsleute im Nebenraum sind verstummt und tatsächlich warten nur noch Charmion, Apollodorus, Hirtius und Faberius auf uns, als wir schließlich zurück in die Grabkammer treten. Vor dem Podest halte ich noch einmal inne, um die dort wachenden Totenpriester anzuweisen, die Ilias der Schatulle zu uns in den Palast zu bringen. Die Wächter verneigen sich schweigend und mein Blick gleitet beim Hinausgehen ein letztes Mal zu dem gläsernen Sarkophag, hinter dessen schimmernden Wänden man Alexanders goldene Gestalt erahnen kann.
Als wir aus dem Dunkel der Grabstätte wieder ins Sonnenlicht treten, werden wir von Rufio und meinen wartenden Hofdamen samt einer Schar von Fächer- und Baldachinträgern empfangen und zu einem kleinen Pavillon begleitet, den man unterdessen im Schatten zweier Akazien auf dem Platz vor dem Mausoleum für uns errichtet hat. Ptolemaios und Sextus sitzen auf zwei Klinen und trinken Wein, während Maios mit den Söhnen seiner Amme fangen spielt. Auch die Freunde des Königs haben es sich auf Decken und Kissen bequem gemacht, die Soldaten warten in einigem Abstand und die Diener sind damit beschäftigt, Getränke und Erfrischungen zu verteilen. Die meisten der Priester haben sich indessen zurückgezogen und auch meine Schwester und ihre Hofdamen glänzen durch Abwesenheit.
„Wo ist Arsinoe?“, wende ich mich an Ptolemaios, nachdem Caesar und ich ebenfalls Platz genommen und Getränke gereicht bekommen haben.
„Am Grab von Berenike“, antwortet mein Bruder gleichmütig, „wollen wir noch zu Vaters Grab oder können wir nach Hause?“
„Wenn wir schon einmal hier sind, sollten wir Vater unseren Respekt erweisen – und auch die Gräber unserer Mütter besuchen“, werfe ich ein und schaue fragend zu Caesar, der jedoch bedauernd den Kopf schüttelt. „Sextus und ich müssen noch einiges für die Zeremonie heute Abend vorbereiten, aber ich lasse dir Rufio und seine römische Eskorte als Geleitschutz da.“
Bei dem Gedanken, dass er sich dann nur mit wenigen Begleitern zurück durch die Stadt begeben wird, ist mir nicht ganz wohl, aber ich verscheuche das mulmige Gefühl. Caesar weiß, was er tut! Außerdem sind die Prachtstraßen des Brucheions trotz der Unruhen auf der Agora sicher. Zumindest waren sie das heute Morgen auf dem Hinweg.
„Dann sehen wir uns heute Abend, Imperator“, verabschiede ich mich und würde ihn am liebsten schon wieder umarmen und küssen. Stattdessen strecke ich mich ihm nur ein bisschen entgegen und erwidere seinen warmen Blick.
„Bis später, meine schöne Göttin“, verabschiedet er sich mit einem Lächeln in den Augen, bevor er sich in ernstem Ton an meine Brüder wendet: „Ptolemaios und Maios, ich erwarte euch heute Abend bei der Trauerfeier für Gnaeus Pompeius Magnus. Und dasselbe gilt auch für Arsinoe!“
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Ich schaue Caesar noch einen Augenblick nach, als er sich mit seinen Offizieren entfernt und registriere erleichtert, dass Rufio zumindest einige seiner Legionäre abkommandiert, um ihn zu begleiten. Denn auf seine Liktoren hat Caesar heute verzichtet.
Mich auf die anstehenden Planungen und Besprechungen besinnend, winke ich Apollodorus zu mir, der sogleich neben meine Kline tritt und sich kurz verneigt.
„Hat Psenamounis schon auf das Schreiben reagiert, dass Seleukos ihm heute morgen geschickt hat?“, erkundige ich mich bei meinem Berater.
„Mehr als das, er hat vorhin einen Boten geschickt und mitgeteilt, dass er auf dem Weg hierher sei, da für heute nachmittag ohnehin ein Treffen mit dem Kollegium der Nekropole angesetzt ist.“
„Dann hat er gewiss wieder einiges zu berichten“, mutmaße ich und gehe im Geist die Punkte durch, die ich noch bezüglich des geplanten Festes mit ihm besprechen muss, während Apollodorus mich über die neuesten Entwicklungen in der Stadt in Kenntnis setzt. Inzwischen herrscht allgemeine Aufbruchstimmung und Charmion hat damit begonnen, meine Hofdamen zusammenzurufen. Auch Ptolemaios hat sich bereits erhoben und so begebe ich mich an seine Seite, während unser Gefolge sich um uns herum formiert und wir schließlich aufbrechen.
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[1] Übersetzung nach Erik Hornung, Das Totenbuch der Ägypter, S. 96.