Erst als Sextus sich verabschiedet, wendet Caesar sich mir zu, doch statt eines charmanten Kompliments bedenkt er mich mit einem durchdringenden Blick. „Das war unvorsichtig, Kleopatra“, ist alles, was er sagt. Sein Ton klingt neutral, aber ich höre dennoch die unterschwellige Verärgerung in seiner Stimme. Warum ist er verärgert?
„Meinst du nicht, du übertreibst?“, flüstere ich.
„Vielleicht. Aber ich bin für deine Sicherheit verantwortlich und bei deiner Schwester weiß man nie.“
„Arsinoe ist eine Plage, aber im Gegensatz zu Ptolemaios hat sie noch nie ernsthaft versucht, mir etwas zu tun. Über Sextus‘ Einmischung war sie übrigens gar nicht begeistert.“
„Sie kann froh sein, dass ich Sextus geschickt habe! Jeder andere wäre nicht so diplomatisch vorgegangen.“ Caesar sieht mich streng an. Unter diesem Blick würde vermutlich jeder seiner Männer den Kopf einziehen. Oh Isis, er ist wirklich verärgert! „Und was sollte das überhaupt mit dem Tanz? Ist dir nicht bewusst, wie das vor römischen Augen wirkt? Kein Römer und keine Römerin von Stand würde in der Öffentlichkeit so einen Auftritt absolvieren!“
„Wir sind hier aber nicht in Rom!“, erwidere ich mit leiser, aber fester Stimme. „Hier in Ägypten sind Tanz und Musik ein fester Bestandteil des öffentlichen Lebens.“
„In Rom auch, aber dort überlässt man das den infames!“[4]
„Hier in Alexandria musiziert die ganze königliche Familie“, versuche ich zu relativieren. Caesar muss die kulturellen Unterschiede doch kennen! „Mein Vater hat sogar Wettbewerbe gewonnen.“
„Und in Rom hat er sich damit lächerlich gemacht!“, erwidert Caesar ungerührt. Aber in mir entfachen seine Worte eine Flamme des Zorns.
„Rom ist nicht das Maß aller Dinge und von Kultur hat man dort sowieso keine Ahnung!“ Nun bin ich diejenige, die ihn warnend anfunkelt.
„Wollen wir uns darüber jetzt wirklich streiten?“, fragt er mit hochgezogener Braue.
Ich funkele ihn weiter wütend an. „Wer hat denn gerade mit dem Streit angefangen?“, frage ich leise.
Irritiert mustert er mich einen Moment und hebt dann beschwichtigend die Hand. „Schon gut. Alexandria ist die Kulturhauptstadt der Welt, das gebe ich neidlos zu. Und wenn so ein öffentlicher Auftritt für Prinzessinnen hier angemessen ist, dann von mir aus. Nur das nächste Mal bitte ohne Waffen! Oder glaubst du, Apollodorus hat sich nicht genauso gesorgt, wie ich? Ich möchte deiner Schwester nichts unterstellen, aber für einen Anschlag wäre das eben die perfekte Gelegenheit gewesen!“
Ich werfe kurz einen Blick zu Apollodorus, der neben Sextus und Diodorus steht und eben in diesem Moment mit gerunzelter Stirn zu mir herübersieht. Bin ich gerade wirklich so unvorsichtig gewesen? Langsam wende ich mich wieder Caesar zu, der mich abwartend anschaut. Ich will mich nicht streiten, aber ich bin auch nicht hier, um mir irgendwelche Vorhaltungen machen zu lassen oder eine Beleidigung meines Vaters einfach so hinzunehmen!
„In Ordnung. Wenn du dann beruhigter bist“, lenke ich ein.
Doch Caesar ist noch nicht fertig. „Noch etwas: So einen Tanz will ich nicht noch einmal von dir sehen, wenn Römer dabei sind!“
Verständnislos schaue ich ihn an. „Was ist dabei? Das war eine Pyrrhiche! Wir haben doch nicht wie Hetären oder Bacchantinnen getanzt!“
„Meinst du, meine Offiziere können da differenzieren?“
„Vielleicht sollte ich dir mal den Unterschied zeigen!“
„Das kannst du für mich privat gerne tun. Wenn wir alleine sind!“
Einen Augenblick erwidere ich stoisch seinen Blick und merke, wie laut mein Puls in meinen eigenen Ohren dröhnt und wie die Wut erneut in mir brodelt. Ich sollte jetzt nichts Unüberlegtes sagen! „Ich brauche frische Luft!“, murmele ich und im nächsten Moment habe ich mich auch schon erhoben und begebe mich in Richtung des Peristyls. Charmion und Khered-Anch schließen sich mir wortlos an und auch Apollodorus nehme ich am Rande meines Blickfeldes wahr. Über die sich verneigenden Köpfe der Gäste und Diener sehe ich indes mit einer Maske der Erhabenheit hinweg. Ich muss hier raus, um wieder atmen zu können!
Zum Glück ist niemand sonst im Garten. Ich gehe zu dem Brunnen im Zentrum und stütze mich einen Augenblick mit der Hand ab, bevor ich mich zitternd auf den noch immer von der Sonne erwärmten Kalkstein setzte.
„Was ist los, Kleopatra?“, flüstert Charmion. Sie ist neben mir auf die Knie gesunken und schaut mich besorgt an.
„Nichts!“, versichere ich ihr mit einem gezwungenen Lächeln. „Ich brauche einfach nur kurz Ruhe. Lasst mich einen Moment allein mit meinen Gedanken!“
Charmion sieht mich zweifelnd an, zieht sich aber mit den anderen an eins der Tore zurück. Der Garten ist von Fackeln und Lampen beleuchtet und gut überschaubar und natürlich werden sie mich nicht aus den Augen lassen. Aber ich bin gerade nur dankbar, dass sie mir zumindest diesen Freiraum geben. Zitternd hole ich Luft, atme langsam ein und aus. Ein und aus. Die Statue in der Mitte des Brunnens zeigt Artemis als Jägerin mit einer Hirschkuh. Das ist so typisch für Arsinoe. Allmählich beruhigt sich die Sturmflut meiner Gefühle und aus dem Nebel lösen sich einzelne Gedanken. Doch bevor ich sie wirklich sortieren kann, erklingt eine helle Stimme direkt neben mir.
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[4] Als infames galten im Rom der späten Republik z.B. Schauspieler und andere Unterhaltungskünstler, die man als ehrlos und berüchtigt ansah und die keinen guten Ruf genossen.