Die ganze Woche musste ich immer wieder an ›Rachel‹ und ihre Weste denken. Am Donnerstag hielt ich es dann nicht mehr länger aus. Ich ging ins Cash in der Hoffnung, sie wäre wieder dort. Und wenn nicht, dann hatte ich dort wenigstens gute Chancen, mich abzureagieren.
Da Lance arbeiten musste – er hatte ein Engagement in einem kleinen Theater – und Andrej keine Lust hatte, war es das erste Mal seit Jahren, dass ich allein in einen Club ging. Freiwillig, ohne dass mich jemand ewig dazu überredete. Lance hatte es nur mit einem »Tut dir sicher mal wieder gut« kommentiert.
Doch jetzt, da ich dort war, war ich mir da nicht mehr sicher. Ich fühlte mich unwohl. Um etwas in Stimmung zu kommen, ging ich zunächst an die Bar und holte mir etwas zu trinken. Danach ließ ich den Blick über die wenigen Anwesenden schweifen. Nein, ›Rachel‹ war nicht dabei. Ich beschloss, noch eine Weile zu warten.
Nach zwei weiteren Drinks war sie noch immer nicht aufgetaucht und ich entschied mich, mich stattdessen anderweitig umzusehen. Ich wollte die Nacht wenigstens sinnvoll nutzen. Doch leider bestand das spärliche Publikum an diesem Abend hauptsächlich aus Männern. Recht schnell hatte ich dennoch zwei Frauen ausgemacht, die mir gefielen.
Die, die mir etwas besser gefiel, saß in einer Ecke des Clubs mit einigen Freunden an einem Tisch. Ich schnappte mir mein Glas und lief langsam hinüber. So wirklich hatte ich noch keinen Plan, was ich sagen wollte, aber mir würde schon etwas einfallen. Einfach erstmal ein Gespräch führen, alles andere ergab sich schon.
Als ich mich dem Tisch näherte, sah ich, dass noch ein Platz frei war. Perfekt. Ich lächelte einmal in die Runde, nachdem alle registriert hatten, dass sich jemand ihnen näherte, dann verweilte mein Blick beim Objekt meiner Begierde. Die feuerrote Mähne ließ sie selbst hier im Halbdunkeln hervorstechen, ihr eher rockiger Stil, der im Gegensatz zu den meisten Damen hier mehr verdeckte als enthüllte, tat sein Übriges, um sie abzuheben. Es gefiel mir, sie hatte es auch gar nicht nötig, sich künstlich zu präsentieren. »Abend. Ist hier noch frei?«
Sie musterte mich kurz skeptisch, schien direkt zu verstehen, dass ich an dem Rest des Grüppchens wenig interessiert war. Eine tiefe Furche zog sich über ihre Stirn, als sie sie in Falten legte und sich im Raum umblickte. »Ist doch noch genug Platz an den anderen Tischen.«
Ich tat, als sehe ich mich ebenfalls noch einmal um, dann zuckte ich mit den Schultern, lächelte sie erneut an und erwiderte freimütig: »Joa, aber ich hätte gern nette Gesellschaft. So allein sitzen ist ja auch doof.«
»Alter, verpiss dich!«, kam es genervt von einem recht kleinen, schmächtigen Kerl, der neben ihr saß. Und wenn ich jemanden als klein und schmächtig bezeichnete, mochte das schon etwas heißen. »Wir wollen dich hier nicht.«
Während ich beschwichtigend die Hände hob, legte er besitzergreifend einen Arm um ihre Taille. Daher wehte also der Wind. Na gut, da wollte ich mich dann auch gar nicht einmischen. »Schon gut, beruhig dich. Schade, hätte mich gefreut. Dann noch einen schönen Abend.«
Ich verwandelte die beschwichtigende Geste in einen Gruß in die Runde und zog von dannen. Jemandem die Freundin ausspannen hatte ich sicher nicht nötig.
Ich sah mich nach der zweiten Frau um, die mir zuvor ins Auge gefallen war, und fand sie auf der Tanzfläche. Gut, dann hatte sie hoffentlich nicht mitbekommen, dass sie nur die zweite Wahl war. Ich trank aus und stellte das leere Glas irgendwo ab, danach machte ich mich auf den Weg zu ihr.
Als ich näher kam, stockte ich dann doch. Von Weitem hatten ihr mädchenhaftes Gesicht und ihre schmale Figur durchaus ansprechend gewirkt, zumal sie sich zu bewegen wusste. Doch beim Näherkommen offenbarte sich, dass sie noch viel jünger wirkte, als zuerst angenommen. War sie wirklich schon einundzwanzig? Das Gesicht hätte locker auch einer Vierzehnjährigen gehören können. Der Pony zu den etwas mehr als schulterlangen, glatten, blonden Haaren verstärkte diesen Eindruck nur noch. Hätte die Korsage nicht kokett ihre durchaus üppige Oberweite betont, hätte es kein Zeichen ihres hoffentlich richtigen Alters an ihr gegeben.
Doch kneifen zählte nicht. Sie hatte offenbar bemerkt, dass ich mich ihr schnurstracks genähert hatte und ihren Kopf bereits neugierig leicht schief gelegt, während sie mich beobachtete. Ich hoffte nur, dass sie wirklich schon volljährig war. Eigentlich durfte keiner unter einundzwanzig ins Cash, da sich Aaron, der Besitzer, den Stress ersparen wollte, den es mit sich brachte, schon ab achtzehn einzulassen. Aber ich wusste selbst, wie leicht man sich in Clubs reinschleichen konnte. Dennoch hatte er eigentlich immer ein Auge auf die Leute hier und auch die Barkeeper waren angewiesen, im Zweifelsfall noch einmal nachzufragen.
Mit einem Lächeln auf den Lippen näherte ich mich ihr. Mein Timing war überraschend perfekt. Gerade als ich bei ihr ankam, begann ein neues Lied. Welches es war, konnte ich nicht ausmachen, der DJ legte heute Abend nur Mist auf, den kein Schwein kannte. Das erklärte auch die wenigen Leute. Aaron sollte sich wirklich überlegen, ihn zu feuern. Ich würde die Schicht mit Freuden übernehmen.
Doch ich ließ mich davon nicht beirren. Ich nickte dem Mädchen grüßend zu und wartete, ob sie es erwiderte. Erst nachdem sie das getan hatte und den Kopf verlegen etwas senkte, legte ich ihr die Hände auf die Hüften und bewegte mich im Takt mit ihr. Zuerst noch zurückhaltend, doch recht schnell zeigte sie, dass es auch weniger züchtig ging.
Hui, ich hoffte doch inständig, dass es legal wäre, mit zu ihr zu gehen, sie heizte mir mit ihren Bewegungen ziemlich ein. Besonders nachdem ich sie an der Hüfte herumgedreht hatte und sie nun mit dem Rücken zu mir tanzte, wobei sie nicht gerade zufällig immer mal wieder meine Mitte mit ihrem süßen kleinen Hintern streifte, während ich meine Hände über ihren Bauch und ihre Seiten wandern ließ.
Das wurde mir jedoch recht schnell langweilig. Ich wollte etwas trinken und dann auch recht bald zur Sache kommen. Es waren zwar Ferien, aber ich hatte morgen einen Ferienkurs in Musikpädagogik, den ich nur besuchte, damit ich auch während der Ferien im Wohnheim bleiben konnte. Er war öde, aber ich wollte nicht rausfliegen, weil ich schon wieder verschlief, denn ich hätte nicht gewusst, wo ich sonst die zwei Monate wohnen sollte. Daher raunte ich ihr nach dem nächsten Lied ins Ohr: »Willst du was trinken?«
Sie nickte und ließ sich von mir zur Bar führen. Ich bestellte für sie einen Caipi, für mich das Übliche. Ein wenig schöntrinken musste ich sie mir noch, damit ich wirklich mit zu ihr konnte. Im Moment waren meine Hemmungen dafür definitiv noch zu groß.
Während wir tranken, redeten wir über alles Mögliche und lachten ein wenig. Sobald ich jedoch auch nur die kleinste Andeutung machte, gemeinsam zu gehen oder sie leicht am Arm oder der Schulter berührte, blockte sie ab. Nicht auffällig oder bestimmt, es war eher ihr Blick, der mir verriet, dass es ihr unangenehm war. Daher ließ ich es dann auch. Ich drängte mich ihr sicher nicht auf. Dafür musste sie dann aber auch damit leben, dass es bei dem einen Drink blieb.
Zum Glück konnte ich ihr die Abfuhr ersparen, die wohl oder übel an mir hängengeblieben wäre, da gerade in dem Moment eine weitere junge Frau zu uns kam, mich kurz musterte und sie ansprach. »Natalie, wir wollen los. Kommst du mit oder bleibst du noch etwas?«
Die Frau – Natalie sah fragend zu mir, als könnte ich ihr diese Frage beantworten, obwohl ihre Haltung es schon deutlich gemacht hatte. Dennoch lächelte ich. »Ich muss morgen wieder früh raus und werd auch gleich gehen, mach dir also keine Sorgen. Ich wünsch euch noch einen schönen Abend und kommt gut nach Hause.«
Sie erwiderte das Lächeln, nickte und legte dann kurz ihre Arme um mich. »Danke dir für den schönen Abend.«
Ich sparte mir eine Antwort. Hätte sie mehr gewollt, hätte sie noch immer fragen können, ob wir nicht gemeinsam gingen, wenn ich sowieso nicht mehr lange blieb. Dass sie es nicht tat, war eindeutig. Ich sah den beiden Frauen kurz nach und wandte mich dann wieder der Bar zu, wo der Barkeeper mir bereits zugrinste und bedeutete, dass er schon wusste, was ich wollte.
Ich war nicht wirklich wütend über die Abfuhr, damit konnte ich leben. Frustrierend war eher, dass es am Anfang noch so gut ausgesehen hatte. Aber was sollte es, ich konnte es nicht ändern und jemanden überreden, gehörte nicht zu den Dingen, die ich tat.
Den restlichen Abend widmete ich mich anderen Dingen, die die Albträume genauso zuverlässig vertrieben wie ein guter Fick vor dem Einschlafen. Zumindest konnte ich mich mit genug Alkohol am nächsten Morgen nicht mehr erinnern, was ich geträumt hatte. Das war die Hauptsache.
»Is this the price for all the fame
Is this the pain to play the game
But I never want – that’s so unreal«
Wynardtage – Tragic Hero