Einen kurzen Moment wartete Toby ab, dann zog er den Finger langsam aus mir heraus und streichelte dann sanft über meine Hüfte. Nach einem weiteren Augenblick, in dem ich noch immer nichts gesagt hatte, stellte er auch das ein. Eine Taschentuchpackung knisterte.
Ich dagegen kauerte mich immer mehr zusammen. Es war doch so schön gewesen! Bis ...
Sanft legte sich ein Arm um meinen zitternden Körper und zog mich zu sich. Die vertraute Stimme flüsterte ein »Sorry« in mein Ohr, während Toby versuchte, sich so zu drehen, dass sich seine Mitte nicht ebenfalls an mich drückte. Er hielt mich einfach nur, streichelte dabei meinen Oberarm und wartete, bis ich mich beruhigt hatte. Als er nach der Decke griff und dabei einen leisen, überraschten Laut von sich gab, krümmte ich mich noch mehr zusammen.
»Hey, alles gut. Ich mach das nachher einfach sauber. Es ist alles okay.«
Ich jedoch schüttelte den Kopf.
Leicht Strich er über meine Wange. »Was ist los?«
»Du ... Du wolltest ... Mit deinen Fingern ... Ich ...« Wie sollte ich ihm das erklären? Ich hatte Angst bekommen und dennoch war ich gekommen. Das war doch nicht normal!
»Du bist noch nicht so weit, hab ich recht?«
Ich nickte, brachte jedoch kein Wort heraus.
»Das ist okay, ich mach das nicht nochmal, versprochen. Aber du hast noch etwas anderes, oder? Du hättest mir sonst einfach gesagt, dass du das nicht willst. Das kannst du mittlerweile sehr gut.«
Toby strich mir über die Wange, schien abzuwarten. Dann seufzte er. »Ist es, weil du gekommen bist, obwohl es dir nicht gefallen hat?«
Ängstlich nickte ich und kämpfte mit den Tränen und den Erinnerungen.
Zum Glück hielt er Letztere zurück, indem er weitersprach: »Ist dir das auch passiert, als Peter dich vergewaltigt hat? Bist du da auch gekommen, obwohl er dir wehgetan hat? Zitterst du deswegen gerade so?«
Mehrmals nickte ich und kauerte mich immer weiter zusammen.
Er zog mich noch fester in seine Arme, gab mir damit Halt. Mittlerweile hatte sich auch wieder sein ganzer Körper an mich geschmiegt. Es gab dort nichts mehr, was mir zusätzlich hätte Angst machen können.
Toby strich mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht und flüsterte sanft: »Hey, Kleiner, hör mal zu. Das ist völlig normal. Dein Körper reagiert einfach nur auf die Reize. Das heißt nicht, dass es dir gefallen hat, sondern dass er einfach nur lange genug deinen Körper stimuliert hat. Auch wenn er dir vermutlich etwas anderes eingeredet hat.«
Ich nickte leicht. Ja, hatte er. Immer wieder. Die Erinnerung ließ mich noch heftiger zittern.
»Schau mich mal an.« Toby drehte vorsichtig meinen Kopf in seine Richtung. »In diesem Haus wird nichts passieren, was du nicht möchtest, hast du verstanden? Es tut mir leid, wenn ich gerade etwas zu forsch war, ich hab mich zu sehr gehen lassen. Es kommt ... Weißt du, vergiss, was ich gerade sagen wollte. Ich weiß nicht, wie ich das wieder gut machen kann. Du sollst nicht das Gefühl haben, dass ich versuchen würde, dich zu etwas zu drängen.«
Schnell schüttelte ich den Kopf. Mit einem leisen Schniefen erwiderte ich: »Hast du nicht. Ich wollte das ja.«
»Dann hat es dir gefallen?«, fragte er überrascht.
Ich nickte und spielte verlegen mit seinen Fingern, die auf meinem Bauch lagen. Vermutlich verschmierte ich dabei einiges an Sperma, aber das schien ihn nicht zu interessieren.
»Warum schämst du dich dann?«
»Weil ... es war wirklich schön und mir hat das alles wirklich gefallen, auch der Gedanke, dass du mich vielleicht wirklich ficken könntest. Aber als du mit dem Finger ...« Ich wollte den Kopf wegdrehen, doch er hielt mich sanft davon ab. »Ich hab Angst bekommen. Ich wollte dir sagen, dass du aufhören sollst. Trotzdem bin ich gekommen.«
»Es ist völlig okay, wenn du Angst hast. Du musst nichts ... Nein, anders: Du sollst nichts tun, vor dem du Angst hast. Aber wenn du wegen etwas gekommen bist, das dir gefallen hat, dann ist das doch nichts Schlimmes, oder? Du musst mir die Frage nicht beantworten, sondern dir selbst. War es etwas Schönes, das dich dazu gebracht hat? Dann spricht zumindest aus meiner Sicht auch nichts dagegen, es zu genießen.«
Nur zögerlich nickte ich. So ganz war ich mir noch nicht sicher. Immerhin hätte es weitreichende Folgen das zu akzeptieren. Ich würde später darüber nachdenken.
Für Toby schien das aber vorerst Antwort genug zu sein. Kurz sah er mich eindringlich an, ließ seinen Blick über meine Lippen wandern und als ich ihm leicht entgegenkam, legten sich seine auf meine. mViel zu schnell wollte er sich wieder entfernen, dabei hatten sich doch unsere Zungen gerade erst berührt. Schnell legte ich eine Hand in seinen Nacken und hielt ihn fest. Seine Lippen verzogen sich zu einem Schmunzeln, während er den Kuss ein wenig intensivierte.
Dennoch unterbrach er ihn direkt danach. »Gönn einem alten Mann eine Pause. Dieses Auf und Ab macht mich fertig.« Tatsächlich hatte sich die Lust in seinen Augen und seiner Stimme niedergeschlagen. Er richtete sich etwas auf, ließ seine Hand aber weiter auf meinem Bauch und malte mit den Fingern kleine, imaginäre Kreise darauf. »Weißt du, Fantasien können etwas sehr Schönes sein, wenn man sie genießt. Zum Beispiel das gerade. Nur zu sehen, wie dich die Vorstellung davon, was ich mit dir machen könnte, erregt, hat mich so mitgerissen, dass es nur eine kleine Berührung von dir gebraucht hätte. Und das, obwohl ich genau wusste, dass es nur eine Fantasie ist, die sich in nächster Zeit garantiert nicht erfüllt. Aber dafür sind sie doch da, oder nicht? Um sich etwas auszumalen, was nicht möglich ist, aber man gerne hätte. Vielleicht kannst du sie ja mit dem Gedanken auch etwas besser zulassen. Lass dir von Peter nicht auch noch deine Wünsche nehmen.«
Nur langsam nickte ich. Denn die Art wie Toby sprach, sagte mir, dass unsere Zeit langsam um war. Dabei wollte ich sie noch ein wenig genießen.
Doch er war unerbittlich. »So und jetzt geh duschen, bevor ich es mir doch noch anders überlege und über dich herfalle. Ich geh mal meinen Freund suchen und meine Fantasien mit ihm ausleben.«
Ich schluckte. Das klang fast wie eine Einladung. Ich wusste, dass sie nichts dagegen hatten, wenn ich ihnen zusah. Vor allem nicht, wenn ich an ihrer Erregung schuld war. Aber direkt mit dazukommen, nein, das traute ich mich nicht. Vor allem nicht nach gerade. »Hast recht, ich sollte duschen gehen. Wegen mir müsst ihr euch nicht zurückhalten ...«
»Wie gern würde ich dich jetzt beim Wort nehmen ...«, raunte Toby und raubte mir dreist mit einem Kuss den Atem.
Erst als es mir zu viel wurde und ich den Mund wegzog, löste er sich mit einem Zwinkern.
»Lass dir Zeit.« Noch einmal strich seine Hand durch die feinen Härchen unter meinem Bauchnabel, dann stand er auf.
Ich konnte gar nicht anders, als ihm nachzusehen. Sein starker Körper schob sich zuerst ins Bad zum Händewaschen, dann hinaus in den Flur. Er machte gar keinen Hehl daraus, dass sich sein erigierter Penis unter der Shorts abzeichnete.
Nach dem Duschen machte ich mich auf den Weg ins Wohnzimmer. Tatsächlich hatte ich mir etwas Zeit gelassen in der Hoffnung, sie wären dann schon fertig. Ja, ich sah ihnen gern zu, aber immer wollte ich das auch nicht. Gerade war ich zu verwirrt von dem, was zuvor passiert war. Hatte Toby recht? Sollte ich die Dinge einfach zulassen, solange sie Spaß machten? Machte ich mir selbst zu viel Stress? Ich wusste es nicht.
Vor der geschlossenen Wohnzimmertür stellte ich fest, dass Toby und Roger wohl doch noch nicht fertig waren. Ich wollte schon umdrehen und wieder ins Schlafzimmer gehen, da fiel mir auf, dass etwas an den Geräuschen anders war. Es klang nicht wie sonst.
Einen Moment lauschte ich. Nur langsam kam die Erkenntnis, was so anders war als sonst: Ich hörte Roger stöhnen!
Man mochte meinen, dass das nichts Ungewöhnliches war, immerhin hatten sie Sex, doch das war es. Roger stöhnte nicht! Er stöhnte normalerweise nur, wenn er kam, aber dafür dauerte das schon viel zu lange an. Oder wenn man einen ganz bestimmten Punkt an seinem Piercing berührte, wo er besonders empfindlich war. Aber das klang anders. Meine Neugier war geweckt.
Ich machte die letzten Schritte und öffnete vorsichtig die Tür, da ich sie nicht erschrecken wollte.
Doch statt sie zu erschrecken, erschreckten sie mich. Nie im Leben hätte ich mit dem Bild gerechnet, dass sich mir dort bot. Hastig zog ich die Tür wieder zu und lehnte mich von außen dagegen. Der wütende, aufgebrachte Blick, den Toby mir zugeworfen hatte, hatte sich mir eingebrannt. Roger schien mich zum Glück nicht bemerkt zu haben.
Scheiße! Ich sollte verschwinden! Vermutlich war es auch das, was die beiden von mir erwarteten. Ich hatte gerade mächtig Scheiße gebaut. Wie konnte das passieren? Sie hatten sich doch klar ausgedrückt: Ich hatte geschlossene Türen zu respektieren! Fuck! Das war eine simple und einfache Regel, doch ich konnte nicht einmal die einhalten. Das würden sie mir nie verzeihen. Toby vielleicht noch, aber Roger? Niemals! Er hätte niemals zugelassen, dass ich ihn so sah. Ich war so ein Idiot!
Ich stand auf und schlüpfte in meine Schuhe. Ich musste weg. Ich wollte jetzt nicht auf Konfrontation mit ihnen gehen. Vielleicht später, vielleicht verschwand ich aber auch einfach erneut aus ihrem Leben. Diesmal wären sie mir sicher nicht böse, immerhin hatte ich ihr Vertrauen missbraucht – Schon wieder!
Leise verließ ich das Haus und wanderte die Straße hinab. Das war das Dümmste, was ich je getan hatte! Doch meine Neugier war einfach zu groß gewesen. Zu groß, um auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, dass die Tür aus einem guten Grund geschlossen war. Irgendwie war es mir nicht einmal falsch vorgekommen. Immerhin hatten sie auch schon ab und zu Sex im Schlafzimmer gehabt, während ich Duschen gewesen war. Da war es nie ein Problem gewesen, wenn ich aus dem Bad gekommen war. Vermutlich war das aber auch etwas völlig anderes, sie konnten ja auch nicht erwarten, dass ich seelenruhig im Bad blieb, während sie es vor der Tür miteinander trieben. Aber das Wohnzimmer ... das war etwas völlig anderes.
Seufzend ließ ich mich auf einer Bank am Straßenrand nieder. Ich war doch blöd! Warum musste ich mir das selbst kaputt machen?
Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und sah in den Himmel. Doch statt des strahlend Blaus sah ich Toby und Roger vor meinem geistigen Auge. Roger, wie er mit dem Rücken auf der Couch lag, die Beine in die Luft gestreckt und den Kopf in den Nacken geworfen, und sein Freund, der sich über ihn gebeugt hatte und mitten in der Bewegung aufblickte, um mich böse anzufunkeln.
Mein Handy klingelte. Natürlich wusste ich, wer es sein würde, doch ich wollte nicht so feige sein, es einfach zu ignorieren, daher nahm ich ab.
Noch bevor ich mich melden konnte, fragte Toby: »Warum bist du abgehauen?«
»Ich musste einfach raus. Tut mir leid. Ich hab nicht nachgedacht, ich wollte das nicht.« Verzweifelt fuhr ich mir mit der Hand durchs Gesicht.
»Schon gut, das glaub ich dir ja«, beruhigte Toby mich. »Bist du schon auf dem Weg nach Hause?«
»Nein, ich bin nur ein paar Straßen weiter.«
»Magst du wieder herkommen? Oder doch lieber nach Hause?«
»Wollt ihr mich denn überhaupt noch bei euch haben? Immerhin hab ich mich nicht einmal an diese eine Regel halten können.« Obwohl er mich nicht sehen konnte, zog ich dennoch automatisch den Kopf ein.
Toby seufzte, dann sprach er sanft weiter: »Aber du hast es eingesehen und ich denke nicht, dass es nochmal passiert. Es war immerhin keine Absicht, oder?«
Schnell schüttelte ich den Kopf und erinnerte mich dann, dass er das nicht sehen konnte. »Nein. Wie gesagt, ich hab da einfach nicht drüber nachgedacht.«
»Dann sollte es einfach nicht wieder vorkommen. Wir haben dich gern hier und auch kein Problem, unser Sexleben mit dir zu teilen, aber nicht alles geht dich etwas an.«
»Ich weiß. Es tut mir auch wirklich leid. Ich weiß, dass ich das nicht sehen sollte.« Frustriert raufte ich mir die Haare. Ich verstand sehr gut, warum sie das nicht wollten, genauso wie das eine Mal, als ich zufällig in ihr Schlafzimmer gesehen hatte. Das waren einfach ihre ganz privaten Momente.
»Schon gut.« Toby machte eine kurze Pause. »Tu mir nur bitte den Gefallen und sag Roger nichts davon.«
Ich blinzelte verwundert. Toby wollte das vor Roger geheimhalten? Also war es doch so schlimm, wie ich angenommen hatte! Meine Haltung fiel weiter in sich zusammen. Natürlich, Roger hätte sich mir niemals freiwillig so schwach gezeigt. Ich atmete tief durch. Wollte ich das wirklich?
Toby merkte wohl mein Zögern. »Du musst nicht, du kannst es ihm auch sagen, wenn dir das lieber ist. Roger ist nur etwas empfindlich, was das angeht. Vermutlich wird er ziemlich böse werden. Versteh mich nicht falsch, ich bin auch nicht begeistert und etwas wütend, aber Roger ... Für ihn ist das wirklich schlimm.«
Ich murmelte zustimmend. Ja, so etwas hatte ich mir schon gedacht. Es war merkwürdig, aber irgendwie war für mich gleich klar gewesen, dass ihm das überhaupt nicht passen würde. Dabei konnte ich nicht wirklich nachvollziehen, warum.
Leise fragte ich nach.
Toby seufzte. »Das ist für ihn einfach etwas sehr Intimes. Du weißt, dass wir bei dir schon einige Zugeständnisse machen, die wir sonst nicht machen, aber das würde für ihn zu weit gehen.«
»Meinst du, er schmeißt mich dann raus?« Bevor ich mich entschied, ob ich mit ihm darüber sprach, wollte ich wissen, wie schlimm es wirklich war.
Ich hörte Toby leise lachen. »Nein, das glaub ich nicht. Roger würde mir eine ziemliche Standpauke halten und etwas mit uns zicken, aber das wäre es dann auch schon. Glaub mir, etwas Schlimmeres, als dass ich die nächsten Wochen darauf verzichten muss, wird nicht passieren.«
Wieder murmelte ich zustimmend. Das klang dann doch gar nicht so schlimm. Dennoch war ich unsicher.
Nach einer Weile fragte Toby: »Also kommst du jetzt wieder zurück?«
»Ja, aber nicht heute. Okay?« Ich wollte noch etwas Zeit haben, mir darüber Gedanken zu machen, ob ich Roger von meinem Vergehen erzählen wollte.
»Ist gut. Wir sehen uns dann nächste Woche beim Training. Gib mir per SMS Bescheid, ob du danach zu uns kommst.«
Ich stimmte zu und legte dann auf.
Auf dem Nachhauseweg dachte ich noch eine Weile darüber nach, schob die Gedanken dann aber zur Seite. Vermutlich würde es noch eine ganze Weile dauern, bis ich eine Lösung fand, jetzt wollte ich mir darüber keine Gedanken mehr machen. Mir würde schon noch etwas einfallen, wie ich damit umgehen wollte.
»My dream, it seems, fails to see the mornings
My one and only aim
I hear you breathe, I’m not alone in the darkness
I feel something on my lips I should not«
Sonata Arctica – No Dream Can Heal A Broken Heart