Die nächsten Wochen verliefen ähnlich. Ich ging mindestens zwei Mal die Woche zum Training und ein Mal danach zu ihnen. Und auch der Abend verlief dann immer auf die gleiche Weise: Toby massierte mich, während Roger für uns alle kochte und wir uns unterhielten.
Ich hatte die Augen geschlossen und lauschte ihnen eher nebenbei, wie sie sich über ihre Arbeit unterhielten. Tobys Hände fühlten sich ganz ohne Shirt tatsächlich immer noch am besten an. Bereits beim dritten Besuch hatte er ganz leicht über meinen Nacken gestreichelt und mir damit eine Gänsehaut beschert, beim fünften hatte ich es dann nicht mehr ausgehalten und mir einfach das Shirt über den Kopf gezogen. Toby hatte es mit einem Lächeln zur Kenntnis genommen und dann unbeirrt weitergemacht.
Ich unterdrückte das leise Seufzen, das sich einen Weg bahnen wollte, als die Daumen sich in meinen Nacken gruben. Verdammt, meine Gedanken waren ganz woanders. Da saß ich zwischen seinen Beinen auf dem Boden und genoss seine Berührungen, bis ich mich langsam herumdrehte und über seine Beine streichelte. Ganz langsam von den Knien nach oben zu seinen Oberschenkeln und noch weiter hinauf. Am Bund seiner Hose angekommen ...
»Wie läuft es eigentlich mit deiner Band?«, hörte ich Tobys Stimme aus weiter Ferne. »Hat sich da schon was Neues ergeben?«
Es dauerte einen Moment, bis ich wieder in der Gegenwart angekommen war und verstand, was Toby von mir wollte. Ich blinzelte ein paar Mal.
Warum mussten wir jetzt plötzlich auf mich zu sprechen kommen? Ich hätte gern weiter geträumt. Andererseits war es vielleicht auch nicht schlecht, bevor ich mit meinen Phantasien zu weit ging. »Ehm ... Na ja, wir haben zwar endlich einen Drummer gefunden, aber bisher noch nichts Eigenes zustande gebracht. Keine Ahnung, wir sind uns noch nicht so ganz einig, was den Stil angeht. Aber wir arbeiten dran.«
Aufrichtig lächelte Toby. »Klingt doch, als würde es vorwärtsgehen. Freut mich.«
»Ja, es wird hoffentlich werden. Aaron hat mir den Kontakt zu einer kleinen Bar vermittelt, wo wir demnächst auftreten, wenn wir so weit sind. Ich hoffe mal, dass uns da mein Name ein wenig weiterhilft, dass wir nicht ewig auf diesem Niveau rumkrebsen.« Ich hoffte es wirklich. Immerhin hatte er zumindest dafür gesorgt, dass wir in der Bar dann auch sehr kurzfristig auftreten konnten. Wenn wir damit etwas Geld einspielten, war das ein Anfang.
»Wenn ihr zwei so weit seid, könnt ihr dann beim Tischdecken helfen?«, forderte Roger uns auf und holte bereits Teller aus dem Schrank.
»Ja klar. Ich geh mir nur eben die Hände waschen, Isaac kann dir ja helfen.« Damit verschwand Toby aus dem Zimmer.
Ich verzog etwas das Gesicht. Schon wieder hatte er mich Isaac genannt. Ich mochte es nicht, doch ich traute mich auch nicht, sie darum zu bitten, es zu lassen. Denn wenn ich das getan hätte, hätte ich ihnen auch erklären müssen, warum ich nicht so genannt werden wollte. Dazu war ich nicht bereit.
Ich zog mir meinen Pullover wieder an und ging zu Roger in die Küche, um die Sachen abzuholen. Er reichte mir einen Untersetzer und die Teller. »Hast du eigentlich schon einen Psychiater gefunden?«
Ich schüttelte den Kopf und verteilte die Sachen auf dem Tisch.
Doch Roger ließ nicht locker: »Hast du überhaupt schon gesucht?«
Wieder schüttelte ich den Kopf. Ich sah noch immer nicht ein, was mir das bringen sollte. Ich wollte mit niemandem darüber reden. Schon gar nicht mit irgendeinem Typen, der mein ganzes Verhalten nur auf irgendwelche Ereignisse in meiner Kindheit zurückführen wollte. Was sollte mir das denn bringen?
»Isaac, das war nicht der Deal!«, ermahnte Roger mich und stellte die Auflaufform auf den Tisch.
Mein Name und der scharfe Ton ließen mich unwillkürlich zusammenzucken. Doch ich riss mich schnell wieder zusammen. »Und was soll mir das bringen? Jetzt sag mir nicht, ich kann mal mit jemandem darüber reden. Ich will nicht mit jemandem darüber reden!«
»Dann hättest du das vielleicht nicht versprechen sollen. Der Deal war klar: Wir helfen dir. Aber nur unter der Voraussetzung, dass du dir professionelle Hilfe holst!« Rogers Blick war unerbittlich auf mich gerichtet.
Ich stöhnte und verteilte das Besteck. »Mir blieb ja wohl kaum etwas anderes übrig. Außerdem kann ich mir so einen Quacksalber nicht leisten.«
Roger wandte sich um, um den Salat aus der Küche zu holen. »Ja, ich weiß, ich bin gleich wieder das Arschloch, aber damit kann ich leben: Dann such dir verdammt nochmal einen Job!«
»Ich habe einen Job!« Wütend knallte ich das letzte Messer etwas zu fest auf den Tisch. »Ich habe sogar drei verfickte Jobs!«
»Dann formuliere ich es anders: Such dir einen Job, in dem du auch was verdienst.«
Wütend funkelte ich ihn an. »Du klingst wie mein Vater!«
»Irgendjemand muss es dir ja mal sagen. Es ist schön und gut, wenn du deinen Traum verfolgst, aber du hast nichts davon, wenn du verhungerst. Sieh dich doch mal an, du bist immer noch total abgemagert.« Mit der Schüssel in der Hand deutete er in meine Richtung.
»Du hast doch keine Ahnung, was das heißt! Du hast deinen tollen Job und dein tolles Eigenheim und musst dir keine Gedanken machen. Du ...« Ich spürte, wie es hinter meinen Augen kribbelte, doch noch konnte ich die wütenden Tränen zurückhalten.
»Isaac!«, fuhr mich Toby an. Er war mittlerweile wiedergekommen und stand im Wohnzimmer.
»Was denn?«, motzte ich ihn dennoch an. »Ist doch wahr! Er hat keine Ahnung, wie es ist, sich mit drei Jobs rumzuschlagen, die ganze Freizeit auf der Straße zu verbringen, um noch ein wenig Kohle reinzubekommen und trotzdem nicht zu wissen, ob man sich am Ende des Monats noch mehr als trocken Toast leisten kann!«
»Dich hält niemand davon ab, dir einen Job zu suchen, der mehr Geld einbringt«, versuchte es Roger erneut.
»Ich kann aber nichts anderes! Und ich will auch nichts anderes!«
»Isaac, krieg dich wieder ein«, mahnte Toby erneut und kam auf mich zu.
»Nein! Wie würde er denn reagieren, wenn man ihm sagt, er soll sich doch gefälligst was anderes suchen?« Ich drehte mich zu Roger um. »Nur weil das, was du gut kannst und gern machst, dir mehr Geld einbringt, bist du noch lange nicht besser! Ich wette, du musstest dir nicht mal das College allein bezahlen, richtig? Ich wette, das haben alles schön Mami und Papi bezahlt. Was willst du mir schon von Geld erzählen?«
»Isaac, es reicht!« Toby war deutlich lauter geworden und ließ mich zusammenzucken. Auf seinem Gesicht zeichnete sich deutlich die Wut ab.
Als er weiter auf mich zukam, wich ich automatisch ein paar Schritte zurück. Mit großen Augen sah ich ihn an und stützte mich am Stuhl hinter mir ab. Zitternd wartete ich, was passieren würde. Ich hatte es zu weit getrieben. Viel zu weit.
Beim nächsten Schritt schluckte ich schwer. Fuck!
Toby streckte die Hand nach mir aus und es brach aus mir heraus: »Nein! Nein, es tut mir leid!«
Zwei Hände griffen mir von hinten an die Schultern.
Ich schrie erschrocken auf und versuchte, sie von mir abzuschütteln.
Doch sie hielten mich fest und drückten mich auf den Stuhl. »Isaac, niemand tut dir was. Du sollst dich einfach nur beruhigen.«
Ich atmete tief durch, während Toby sich mir gegenüber setzte und mich streng ansah. Nachdem ich wieder etwas runtergekommen war, fragte er: »Wer von euch beiden erklärt mir jetzt, was gerade los war?«
»Isaac hat sich noch immer keinen Psychiater gesucht«, antwortete Roger, bevor ich überhaupt eine Chance dazu hatte.
»Ich brauch keinen scheiß Psychiater!«, brachte ich deutlich weniger überzeugend heraus als zuvor. Noch immer zitterte ich leicht.
»Doch, ganz offensichtlich brauchst du den, wenn du so austickst«, sagte Toby sanft und legte mir eine Hand aufs Knie. »Isaac, wir haben eine Abmachung.«
»Ich kann mir das aber nicht leisten.« Ich drehte mich zu Roger um, der gerade Luft holte. »Und sag mir nicht wieder, ich soll mir einen anderen Job suchen! Ihr habt doch gar keine Ahnung, was ich durchgemacht hab, um überhaupt so weit zu kommen.«
»Nein, wissen wir nicht. Da du es uns aber auch nicht erzählst, solltest du dir jemanden suchen, dem du das erzählen kannst und der dir hilft, damit klarzukommen.« Toby strich über mein Knie und schien auf eine Reaktion zu warten. Als diese nur aus Schweigen bestand, fuhr er fort: »Ich habe nicht aus Spaß auf diese Abmachung bestanden. Und wenn du nicht vorhast, dich daran zu halten, dann muss ich dich bitten zu gehen.«
»Du schmeißt mich raus?«, fragte ich leise und mit gebrochener Stimme.
Toby nahm seine Hände von meinen Knien und richtete sich auf. »Nein, ich geb dir Zeit, dir zu überlegen, was du möchtest. Würde ich dich rausschmeißen, bräuchtest du nicht mehr wiederkommen.«
Mit einem wütenden Schnauben erhob ich mich. Gab es das? Er warf mich einfach so raus!
Ich ging in den Flur und zog mich an. Hoffentlich kam bald eine Bahn, ich hatte keine Lust, ewig in der Kälte zu stehen.
Gerade als ich gehen wollte, hörte ich Rogers Stimme: »Isaac, warte kurz.«
»Was denn noch?« Erst schmissen sie mich raus, dann sollte ich warten?
Roger verschwand noch einmal kurz im Wohnzimmer. Als er zurückkam, hatte er eine Tupperdose in der Hand. Er kramte in einem der Schränke und packte sie in einen Beutel, den er mir entgegenhielt.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich will kein Almosen!«
»Das sind keine Almosen. Ich hab dich fürs Essen mit eingeplant und für uns zwei ist das zu viel.« Noch immer hielt er es mir entgegen.
Für mich klang das noch immer nach Almosen.
Genervt stöhnte er. »Jetzt hör auf, einen auf verletzten Stolz zu machen!«
Da mein Magen mich in dem Moment sowieso verriet, schnappte ich mir den Beutel, schnaubte ein »Danke« und verließ dann die Wohnung.