Laura fuhr am nächsten Morgen direkt nach Hause, da sie die Katzen nicht warten lassen wollte, während ich noch blieb, um beim Aufräumen zu helfen. Anschließend ging ich gemeinsam mit Lance zurück in die WG. Mein Motorrad würde ich in den nächsten Tagen bei Laura abholen. Im Endeffekt war es egal, ob es bei ihr oder bei uns vor der Tür stand. Doch noch eine Nacht wollte ich nicht bei ihr verbringen. Das hätte nur weitere Hoffnungen bei ihr geschürt.
»Sorry, Alter, ich wollt dich gestern nicht eifersüchtig machen«, meinte Lance irgendwann auf dem Weg.
Verwundert sah ich zu ihm auf. Wie kam er darauf?
»Ich meine wegen Laura. Ich wollte dich nur aufziehen, weil du sie so angestarrt hast.«
»Warum sollte ich eifersüchtig sein?«, fragte ich schnell. Ich war ganz sicher nicht eifersüchtig auf ihn! Warum sollte ich?
»Du hast ziemlich aggressiv reagiert, als ich dich darauf angesprochen hab, dass sie süß ist. Und das gestern Nacht ... Komm schon, was sollte das?«
»Ich weiß nicht, was du meinst«, behauptete ich und legte einen Schritt zu. Das war doch albern. Ich hatte gar keinen Grund, eifersüchtig zu sein.
»Ja klar, du hattest einfach nur Bock, es ihr mal so richtig vor Publikum zu besorgen, schon klar.« Er hielt mit mir Schritt und stieß mich leicht gegen die Schulter.
»Sorry, ich dachte, du schläfst schon.« Er sollte endlich aufhören, mir solchen Unsinn zu unterstellen.
»Schon klar, Alter. Ich schlaf ja immer schon nach fünf Minuten«, antwortete er sarkastisch, schwieg dann aber, bis wir am Apartment waren.
Ich war dankbar dafür, noch mehr solchen Unsinn wollte ich mir nicht anhören.
In der Wohnung angekommen, wurden wir von Andrej und Cohen begrüßt, die in der Küche frühstückten. »Na, wie war die Party? Ihr habt aber nicht bis jetzt gefeiert, oder?«
»Nein, ist nur etwas spät geworden«, antwortete ich und holte mir eine Cola aus dem Kühlschrank. »Haben dort gepennt.«
»Die Party war echt nett. Na ja, wenn man das Party nennen kann.« Lance umriss kurz, wie wir den Abend verbracht hatten. Dann ergänzte er unnötigerweise: »Und ich hab dann in der Nacht noch ’nen gratis Hörporno bekommen.«
»Alter!« Das ging die beiden doch gar nichts an!
»Bäh, wie widerlich! Wer will schon ’nen Kerl vögeln hören?« Angewidert verzog Cohen das Gesicht.
Dagegen grinste Andrej nur versaut. »Geil! Welche der beiden Schnecken war’s denn? Ach egal, die sind beide echt heiß.«
Mit einem entsetzten Kopfschütteln verließ ich die Küche und ging in unser Schlafzimmer. Ich wollte gar nicht hören, wie sich Lance und Andrej weiter über Laura ausließen und sich darüber unterhielten, wie geil sie sie fanden. Außerdem hatte ich noch ein paar Aufgaben zu erledigen. Ich schaltete den PC ein und begann mit den Recherchen.
Als Lance später in den Raum kam, beachtete ich ihn nicht. Irgendwie nervte er mich heute gewaltig. Doch auch er ignorierte mich, holte ein Buch aus seiner Tasche und las.
»Bist du immer noch sauer wegen gestern?«, fragte Lance, als wir am Abend in unseren Betten lagen.
»Nein, warum sollte ich?« Ich verdrehte die Augen. Er sollte endlich damit aufhören.
»Ach, vergiss es.« Genervt stöhnte er. »Du bist manchmal echt anstrengend.«
»Danke. Du auch«, gab ich ebenso genervt zurück. Was erwartete er denn von mir? Dass ich Freudensprünge machte, weil er Laura süß fand?
Eine Weile schwieg er, dann sagte er: »Ich mein das ernst. Früher hättest du kein Problem damit gehabt. Du hättest einfach gefragt, ob ich mitmachen will.«
»Was!?« Völlig verwirrt richtete ich mich auf. »Wie kommst du denn auf den Scheiß?«
»Früher hattest du kein Problem mit Dreiern«, behauptete er und hatte damit nicht einmal unrecht. Wobei ich noch immer nichts dagegen gehabt hätte. Aber wenn dann nur mit zwei Frauen. »Ich weiß nicht, wie viele Frauen ihr euch geteilt habt, aber es waren eindeutig nicht wenige, wie man gehört hat.«
»Aber doch nicht mit dir! Bäh, wie kannst du überhaupt an sowas denken?« Unweigerlich schüttelte ich mich bei dem Gedanken. »Du bist wie mein Bruder, ich kenne dich, seitdem ich denken kann. Schon der Gedanke an dich beim Sex ist widerlich!«
Lance brach in schallendes Gelächter aus. »Du sollst ja auch nicht mit mir vögeln!«
»Ja, aber du wärst dann doch trotzdem dabei. Es ist schon schlimm genug, dich beim Wichsen zu erwischen.« Ernsthaft, das ging gar nicht. Schon der Vorschlag war unter aller Sau!
»Aha ... Sicher, dass es daran liegt, und nicht daran, dass du niemanden an Laura ranlassen willst?«, fragte er mit lauerndem Unterton.
»Natürlich!« Wie kam er bitte schon wieder auf so einen Mist? »Wenn du was von ihr willst, dann sag’s ihr.«
»Und das würde dich nicht stören?«, fragte er skeptisch nach.
Automatisch knirschte ich mit den Zähnen, verbot es mir aber sofort. Ich hatte keinen Grund dazu. »Natürlich nicht. Warum sollte es? Wir sind nicht zusammen.«
»Sicher?«, fragte er listig. Warum klang er jetzt, als hätte er mich genau da, wo er mich haben wollte?
»Klar! Sonst wüsste ich das ja wohl.« Ich würde doch wohl wissen, wenn ich eine Freundin hätte und wer das wäre.
»Aha? Das letzte Mal, als ich dich sowas gefragt hab, wusstest du es nicht. Und eine Woche später standest du freudestrahlend vor meiner Tür, weil ihr ein Paar wart.«
»Ja, aber das war etwas völlig anderes.« Scheiße, er sollte mich nicht daran erinnern! Damals war ich so naiv gewesen. Ich hatte mich Hals über Kopf in diesen Mann verliebt. Doch noch einmal würde mir das nicht passieren, ich würde mich nie wieder so an jemanden hängen.
»Aha. Was ist denn diesmal anders?« Obwohl ich ihn nicht sah, wusste ich, dass er mich neugierig beobachtete.
»Ich hab mich nicht in sie verliebt.«
»Ihr kuschelt und knutscht also nicht rum? Erzählt euch nicht, was ihr so den Tag über gemacht habt?«, fragte er. Ich war gerade dabei ihm das zu bestätigen, da fuhr er fort: »Erzähl mir doch nichts. Ich bin nicht blind. Ich seh doch, dass ihr das tut. Du telefonierst fast jeden Tag mit ihr, wenn ihr euch nicht seht. Du hast sogar eine Geburtstagsfeier für sie organisiert.«
»Aber doch nur, weil ich ihr eine Freude machen wollte«, gab ich kleinlaut zu. Das hatte doch noch lange nichts mit verliebt sein zu tun. Verliebt sein war etwas anderes. »Deswegen bin ich doch noch nicht in sie verliebt.«
»Scheint mir aber so. Du strahlst jedes Mal, wenn du sie siehst. So wie damals.« Obwohl er die Behauptung sehr sicher hervorbrachte, wirkte er dennoch vorsichtig. Er wusste, dass er sich damit in gefährliches Terrain begab.
Kurz schluckte ich, brachte dann aber doch Töne hervor. »Nein, tu ich nicht. Ja, ich war in ihn verliebt. Damals ... Aber ich bin nicht in sie verliebt.«
Lance seufzte resignierend. »Na gut, wenn du meinst. Dann schlaf gut und hör auf zu zicken. Ich will wirklich nichts von ihr.«
Ich grummelte ebenfalls ein »Gute Nacht« und drehte mich herum.
Wie sollte ich denn jetzt schlafen? Er konnte doch nicht solche Erinnerungen wecken und dann erwarten, dass ich einfach einschlief. Das würde nicht gut gehen und konnte nur Albträume bedeuten. Dennoch musste ich schlafen. Die letzten Nächte waren zu kurz gewesen.
Tatsächlich schlief ich auch innerhalb von ein paar Minuten ein, während ich noch versuchte, auf andere Gedanken zu kommen.
Zärtlich wanderten die Hände und Lippen des Mannes hinter mir über meine Haut, drangen seine geflüsterten Worte in mein Ohr. »Alles gut, Süßer. Entspann dich.«
Mit jedem Mal, dass er es wiederholte, glaubte ich es mehr, entspannte mich und schob die Angst ganz weit nach hinten. Ich wollte das hier genießen und vergessen, wollte endlich wieder ein wenig Nähe spüren.
Die Frau vor mir, in die ich monoton mit jedem Stoß von ihm eindrang, konnte mir nicht einmal ansatzweise die Nähe geben, die ich brauchte. Nur er konnte das. Sie war mir völlig egal. Sie würde hiernach verschwinden und ich sie hoffentlich nie wiedersehen. Aber er ... Er war alles, was mir geblieben war. Der Einzige, der ein nettes Wort für mich übrig hatte, der noch freiwillig mit mir sprach. Alle anderen hatte ich von mir gestoßen, damit sie nicht merkten, was für ein elender Schwächling ich war.
Doch ich konnte mich nicht ganz fallen lassen. Womöglich hätte er geglaubt, es läge an der Frau vor mir, deren Namen ich nicht einmal kannte, und dann wäre er wütend geworden. Genau das wollte ich nicht, genau davor hatte ich Angst. Er hatte versprochen, dass er das nicht mehr tun würde, dass ich mich nur an die Regeln halten müsste, ihm zeigen müsste, dass ich ihn noch liebte. Wir hatten es beide versprochen und uns in den letzten Monaten auch daran gehalten. Ich wollte ihm keinen Grund geben, daran zu zweifeln. Es lag allein in meiner Hand, ihn nicht wieder zu provozieren.
»Bleibst du heut Nacht mit mir hier unten?« Er streichelte zärtlich über meinen verschwitzten Nacken und küsste sanft meine Schulter. Erschöpft nickte ich.
Die Frau musste irgendwann gegangen sein. Oder hatte es sie nie gegeben? War es ein anderes Mal gewesen? Es war egal. Wichtig war nur, dass er mit mir hierbleiben wollte, dass alles gut war und dass wir heute Nacht wieder ein Paar waren. Heute Nacht konnte ich vergessen, was zwischen uns passiert war.
Noch immer leicht gerädert betrat ich den Probenraum. Ich hatte doch gewusst, dass das Gespräch am Abend nichts Gutes bringen konnte. Es war zum Glück kein Albtraum gewesen, der meinen Schlaf heimgesucht hatte, aber ich war mir dennoch unsicher, ob ich froh darüber sein sollte.
Manchmal waren die anderen Träume noch viel schlimmer. Sie zeigten mir, wie naiv ich gewesen war, immer wieder zu glauben, es könnte irgendetwas gut werden, zu glauben, ich könnte mich auf Dauer an die Regeln halten, ihn nicht provozieren. Heute wusste ich, dass es unmöglich war.
Außerdem verfolgten sie mich länger. Die Albträume wurde ich schnell los, ging duschen, lenkte mich ab, aber diese Träume ... Die Sehnsucht, die in ihnen mitschwang, war nicht nur geträumt, sie war real. Sehnsucht, die ich nie hätte fühlen dürfen. Sehnsucht nach einem Mann, der mich immer wieder verletzt und gedemütigt hatte.
Und auch wenn ich Lance mittlerweile wieder zu meinen Freunden zählen konnte und wusste, dass er für mich da war, fehlte etwas. Einen Teil davon konnte ich bei Laura vergessen, wenn ich ganz ehrlich war, fand ich ihn sogar bei ihr. Doch der andere Teil, der, der mir teilweise tagelang nachhing, das war der, den sie nie ersetzen konnte und der mich davon abhielt, das, was ich bei ihr fand, zu sehr zu genießen. Der andere Teil würde es nur kaputt machen und mich wieder in die gleiche Situation bringen.
»Du siehst echt scheiße aus. Geht’s dir nicht gut?«, fragte Lance besorgt, nachdem ich es mir auf einem Stuhl bequem gemacht hatte. »Wir können Alan für heute auch absagen.«
»Nein, schon gut. Hab nur wieder schlecht geschlafen«, wiegelte ich ab. Ich wollte das durchziehen, immerhin mussten wir ja mal anfangen, auch wenn ich eigentlich gern ins Bett gegangen wäre. Schon in den Vorlesungen wäre ich mehrmals beinahe eingeschlafen.
»Wie du meinst. Wie wollen wir das denn machen? Ein wenig Zeit haben wir ja noch, bis er kommt«, wurde Lance geschäftig. Das gefiel mir, denn es machte es auch mir leichter, mein professionelles Ich zu zeigen.
In den letzten Jahren war Samsa mehr geworden als nur ein Pseudonym, es war wie ein Schutzschild, eine zweite Persönlichkeit. Ich hatte nie nach außen zeigen dürfen, was wirklich zu Hause passierte, hatte vor unseren Freunden und auf der Bühne den extrovertierten, jungen Sänger geben müssen. Isaac war dann zu Hause geblieben, hatte ihm bereitwillig Platz gemacht. Und auch jetzt war ich für die meisten Leute Samsa. Nur selten zeigte sich Isaac, vermischte sich manchmal mit Samsa, besonders wenn es darum ging, mit Männern zu reden. Denn das konnte er nicht, dann bekam er Angst und da half häufig nicht einmal das Schutzschild. Auch im professionellen Bereich hielt er sich völlig raus, überließ seinem Alter Ego komplett das Feld, entspannte sich und ließ sich treiben. Lance war der Einzige, der durchaus auch mal länger einen Blick auf Isaac warf und der noch zu ihm durchkam. Wenn es nach mir ginge, würde nie wieder jemand anderes Isaac sehen. Am liebsten hätte auch Lance ihn nie wieder zu Gesicht bekommen, aber das war utopisch, solange wir in einer WG wohnten und uns ein Zimmer teilten.
»Ich würde mir erst mal anschauen wollen, was er drauf hat, dann können wir uns mal ein paar Sachen gemeinsam ansehen«, schlug ich vor. So wirklich hatte ich ja auch keinen Plan, wie man das machte.
»Wie lief es denn damals bei den Death Demons? Ich glaub, du hast nie erzählt, wie das Vorstellungsgespräch genau ablief.« Lance setzte sich auf einen der anderen Stühle.
»Eigentlich ziemlich genau so.« Nach einem kurzen Blick auf die Uhr begann ich zu erzählen, wir hatten noch genug Zeit, viel gab es ja auch nicht zu berichten.
Wie üblich drifteten wir irgendwann vom Thema ab, unterhielten uns über dies und das, lästerten über Dozenten und Mitstudenten. Als ich das nächste Mal auf die Uhr sah, war bereits über eine halbe Stunde vergangen. »Wollte er nicht halb acht hier sein?«
»Wie spät ist es denn?« Skeptisch sah Lance sich um. Als er die Uhr erblickte, entfuhr ihm ein überraschter Laut. »Was? Schon viertel vor?«
Missmutig griff ich nach meiner Tasche. Da hatte ich ja Lust drauf. Ich hätte schon lange im Bett sein können. »Dann können wir wohl gehen.«
»Hey, lass uns noch ’nen Moment warten. Vielleicht hat er nur die Bahn verpasst.«
Genervt seufzend setzte ich mich wieder. Na gut, ein paar Minuten gab ich ihm noch. Aber das durfte auf keinen Fall häufiger vorkommen. »Das ist aber schon mehr als nur eine Bahn. Oder wo wohnt er?«
»Southie. Also ja, eigentlich sollte das kein Problem sein. Keine Ahnung.« Hilflos zuckte Lance mit den Schultern.
Nachdem wir noch einige Minuten schweigend rumgesessen hatten, ging die Tür auf. Ein nicht ganz schlanker junger Mann mit Brille und kurzen braunen Haaren betrat den Raum. Auf den ersten Blick wirkte er nicht besonders, eher schüchtern. Er sammelte schon jetzt ohne Ende Minuspunkte.
»Hi, ich bin Alan.« Er streckte mir mit einem schüchternen Lächeln die Hand entgegen.
Ruhig nahm ich sie und drückte einmal zu. Gut, zumindest einen Händedruck hatte er drauf. Wenigstens eine Sache, die für ihn sprach. »Samsa. Lance kennst du ja bereits.«
Ich wusste gar nicht, woher sich die beiden kannten, aber das war an sich auch gar nicht wichtig. Sonderlich gut schien es aber nicht zu sein, denn die Begrüßung fiel eher knapp aus.
Während ich mich schon wieder setzte, Alan schien sich nicht entschuldigen zu wollen, dass er zu spät war, forderte Lance ihn auf, sich so weit fertig zu machen, den Bass anzuschließen und dann einfach mal zu zeigen, was er konnte.
Alan war tatsächlich echt gut, das musste ich zugeben. Dennoch, so ganz wurde ich mit ihm nicht warm.
Das schien auch Lance zu merken, denn als wir später zum Essen in der Mensa saßen, bohrte er nach: »Und, was sagst du nun zu Alan?«
»Ich weiß nicht ... Er ist gut, aber keine Ahnung, ob er zu uns passt.«
»Was genau stört dich denn?« Aufmerksam wurde ich beobachtet.
Unschlüssig zuckte ich mit den Schultern. »Vor allem, dass er zu spät war. Das geht gar nicht. Was ist, wenn wir ’nen Auftritt haben? Dann kann er nicht einfach fast ’ne halbe Stunde zu spät kommen.«
»Und das ist alles? Kann doch mal passieren. Du bist auch nicht immer pünktlich.«
»Bei wichtigen Dingen schon. Das heißt für mich: Er ist entweder regelmäßig unpünktlich oder es ist ihm nicht wichtig genug. Ist beides scheiße«, erklärte ich meine Gedanken. Dann fügte ich hinzu: »Außerdem hat er sich nicht mal dafür entschuldigt, uns warten zu lassen.«
Zustimmend grummelte Lance, während er sich seine letzte Gabel voll Pasta in den Mund schob. Nachdem er nachdenklich aufgekaut hatte, bemerkte er: »Vielleicht nimmt er es auch nicht so ernst wie wir. Vielleicht ist es für ihn ja nur eine Freizeitbeschäftigung. Wäre das denn so schlimm?«
Während ich selbst ein paar Fritten von meinem Teller sammelte und mir in den Mund schob, überlegte ich. Dann schüttelte ich den Kopf. »Ich glaub nicht, dass das funktioniert. Ich weiß ja nicht, was er sonst macht, er hat ja nichts erzählt, aber wenn er nicht voll dahinter steht und der Band auch ’ne gewisse Priorität gibt, glaub ich nicht, dass das funktioniert. Was bringt es uns, wenn er letztendlich nicht mitzieht, wenn es um Auftritte und Ähnliches geht, weil ihm was anderes wichtiger ist?«
»Mag sein, dass du recht hast«, überlegte Lance laut. »Andererseits bringt es uns doch auch nichts, wenn wir gar keinen Bassisten haben, oder?«
Leicht nickte ich. Unrecht hatte er da auch nicht. »Du meinst also, wir sollen ihn dazu holen und dann sehen, wie es ausgeht?«
Lance nickte ebenfalls. »Wenn es nicht klappt, dann muss er eben gehen. Aber dann haben wir eine Chance überhaupt mal anzufangen. Den Beat kann ich künstlich drunterlegen, Gitarre kannst du auch beim Singen spielen. Ich weiß, du magst das nicht, aber irgendwann sollten wir anfangen. Und zu zweit seh ich da einfach keine Chance.«
»Vermutlich hast du recht.« Ich seufzte. »Dennoch fühl ich mich nicht ganz wohl dabei. Irgendwie komm ich mir dabei vor, als würden wir ihn ausnutzen.«
»Wir können ihm ja sagen, was Sache ist, dann kann er entscheiden, wie wichtig ihm das ist und ob er noch mitmachen möchte«, schlug Lance vor und erntete ein leichtes Nicken von mir. Na gut, dass würde wohl gehen. Völlig selbstverständlich und mit einem frechen Grinsen griff er sich ein paar meiner Fritten und hielt mir dann eine davon vor die Nase. »Wer sagt außerdem, dass er nicht versucht, dich auszunutzen? Als ich ihm erzählt hab, wer der Sänger ist, war er völlig aus dem Häuschen.«
Ich ließ ihn ohne Protest ein paar weitere nehmen. Alle würde ich eh nicht schaffen. Außerdem zahlte er. Im Gegensatz zu mir erhielt er nämlich finanzielle Unterstützung durch seine Eltern. Zusammen mit dem Stipendium für das Masterstudium, der von James bezahlten Miete und den gelegentlichen Jobs ging das schon klar, wenn er mal für mich mitbezahlte.
»Kann ich mir gar nicht vorstellen. Er wirkte so ruhig. Fast schon zu ruhig.«
»Na ja, was halt für ihn aus dem Häuschen sein bedeutet.« Lance lachte auf. »Ja, Alan ist echt ruhig, aber ich glaub nicht, dass das ein Problem ist, oder?«
»Nö. Besser als wenn er mir die Show stiehlt«, feixte ich und brachte Lance damit erneut zum Lachen.
Er wusste schon, wie ich das meinte. Als Sänger war ich nun mal zwangsweise das Aushängeschild, das erste, was Fans wahrnahmen. Dennoch mochte ich es noch immer, auch einen Duettpartner zu haben, das gab einfach mehr Möglichkeiten. Lance war da ja zum Glück nicht ganz talentfrei, denn das traute ich Alan nicht zu. Selbst wenn er vielleicht singen konnte, musste er da schon deutlich mehr aus sich herauskommen, damit es funktionierte.
»Also kann ich ihm sagen, er soll nächste Woche wieder zur Probe vorbeikommen und dann reden wir nochmal mit ihm?«, hakte Lance noch einmal vorsichtshalber nach.
»Ja, machen wir’s so. Woher kennst du ihn eigentlich?«
Ich aß auf, während Lance erzählte, wie er Alan bei seinem letzten Theaterjob kennengelernt hatte. Dieser war dort für die Lichttechnik verantwortlich gewesen und irgendwann waren sie ins Gespräch gekommen.
»Once long ago I felt lost without you
And life had left me high and dry
Once long ago didn’t know what to do
Alone inside my mind«
Cain’s Offering – Into the Blue