Nachdem ich mich schnell gewaschen und angezogen hatte, ging ich zu Roger in die Küche, wo dieser bereits eifrig das Essen vorbereitete. Ich suchte Teller und Besteck aus dem Schrank und machte mich daran, den Tisch zu decken.
»Kannst du mir mal den Speck ausm Kühlschrank geben?«
Ich nickte und reichte Roger das Geforderte. Er ließ seinen Blick nur kurz über mich schweifen, dann forderte die Pfanne wieder seine Aufmerksamkeit.
Da ich sowieso den Kühlschrank offen hatte, suchte ich gleich noch alles andere heraus, was auf den Tisch gehörte. Dabei rutschte mir eine Packung Käse aus der Hand, die ich fluchend wieder aufsammelte.
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Roger den Herd abschaltete, dann kam er zu mir. Während ich mich erhob, nahm er mir die Verpackung aus der Hand. Einen Moment sah er mich eindringlich an, bevor er mich in seine Arme zog. Zärtlich strich er mir durch die Haare und küsste mich auf die Stirn. »Tut mir leid. Das war zu früh und zu viel, oder?«
Langsam nickte ich, zuckte aber gleichzeitig mit den Schultern. Ich war mir nicht sicher. Es hatte sich gut angefühlt und es hatte mir keine Angst eingejagt. Ich bereute es nicht, dennoch fühlte ich mich überfordert. Nur fassen, was genau mich belastete, konnte ich nicht.
»Du hast aber nicht das Gefühl, wir hätten dich gezwungen, oder?« Es war Roger deutlich anzuhören, dass er das wirklich befürchtete.
Doch ich konnte guten Gewissens den Kopf schütteln. Nein, ich fühlte mich weder gezwungen noch gedrängt. Ich hatte eindeutig zugestimmt und stand noch immer zu meiner Entscheidung.
Eigentlich hatte ich gehofft, das Gespräch damit beenden zu können, doch Rogers Blick zeigte deutlich, dass er eine Antwort von mir wollte, warum ich mich so merkwürdig benahm.
»Es hat wirklich nichts mit euch zu tun. Ich hab einfach nur nicht damit gerechnet, dass es jetzt doch so schnell passiert. Und dann mit dir.«
»Ist es schlimm, dass ich es war und nicht Toby?«
Schnell schüttelte ich den Kopf. »Nein, so mein ich das nicht. Ich bin nur nach dem letzten Jahr immer davon ausgegangen, dass es mit Toby sein würde. Allein. Mich stört es nicht, dass es mit dir war oder dass du dabei warst, es war nur unerwartet.«
»Wenn ich ehrlich bin, hab ich auch nicht damit gerechnet. Ich hatte sogar ziemlich Angst davor, dir näherzukommen. Ich kann mit dem, was dir passiert ist, nicht so gut umgehen wie Toby. Er kann das h ausblenden, aber ich kann das nicht. Ich hab wahrscheinlich mehr Angst, dich anzufassen, als du Angst hast, angefasst zu werden.«
Überrascht über dieses Geständnis riss ich die Augen auf. Damit hatte ich so gar nicht gerechnet. »Warum hast du das dann gemacht?«
Er lachte leise, drückte mich etwas fester an sich und küsste mich wieder auf die Stirn. »Dass ich nicht ganz weiß, wie ich mich dir nähern soll, heißt nicht, dass ich es nicht gern tun würde. Du sahst sehr entspannt aus, als ich ins Schlafzimmer kam. Ich hab nicht damit gerechnet, dass das so schnell umschlagen würde. Aber Toby hat dich so schnell beruhigt ... Mir ist bewusst geworden, dass du ihm vertraust und selbst wenn du Angst bekommen würdest, er dich ganz schnell wieder beruhigen kann.«
»Meinst du, er ist böse?«
»Was? Worüber denn?« Roger schob mich an den Schultern etwas von sich und sah mich fragend an.
»Na ja, weil du ... Er hat sich immer so viel Mühe gegeben und Rücksicht genommen. Vermutlich hat er auch gedacht, dass er derjenige sein würde, mit dem es passiert. Meinst du, er ist böse, dass es nicht so ist?« Vermutlich war es mal wieder albern, aber ich hatte ein wenig das Gefühl, Toby um seine – Belohnung? – betrogen zu haben.
Roger lächelte und zog mich fest in seine Arme. »Nein, er ist deswegen ganz sicher nicht böse. Ich glaube, er ist einfach nur froh, dass es endlich passiert ist. Das Wie ist ihm dabei ziemlich egal. So weit ich weiß, hofft er einfach nur, dass das erste Mal das Schwierigste ist.«
Verstehend nickte ich. Insgeheim hegte ich nämlich dieselbe Hoffnung. Auch wenn es immer mal Rückschläge gegeben hatte, für mich war es immer leichter gewesen, etwas erneut zu tun, auch wenn es einmal zu einem Anfall geführt hatte, als etwas Neues zu wagen. Vermutlich war Toby das nicht entgangen.
Ich hörte, wie er ins Zimmer kam und einen Moment später hinter mich trat. »Darf ich mitkuscheln?«
Statt ihm zu antworten, drehte ich mich in Rogers Arm herum und zog Toby an mich. Genießerisch legte er den Kopf in Rogers Halsbeuge.
Eine Weile kuschelte er so ruhig mit uns, dann löste er sich etwas und strich mir eine Strähne hinters Ohr. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja, mittlerweile ist alles in Ordnung«, berichtete ich wahrheitsgemäß. Ich wollte ihn nicht anlügen.
»Oh, was war denn?« Sofort sah Toby mich besorgt an.
»Nichts Schlimmes. Das kann Roger dir nachher in Ruhe erzählen. Ich denke, du musst bald los.« Ich hatte überhaupt keine Lust, das mit ihm noch einmal durchzugehen. Wenn es ihn interessierte, sollte Roger ihm das erklären.
Zum Glück schien Roger meine Einschätzung zu teilen. Er versprach Toby, es ihm später zu erzählen, wenn er von seinem Termin zurück war.
Da es für mich keinen Grund gab, allein mit Roger in Medford zu bleiben, und ich außerdem arbeiten musste, fuhr ich nach dem Frühstück gemeinsam mit Toby nach Boston. Toby erzählte mir unterwegs von dem Kurs, zu dem er auf dem Weg war. Es handelte sich wohl um einen Kurs, den er belegen musste, um weiterhin als Trainer arbeiten zu dürfen. So ganz verstand ich den Sinn dahinter nicht, immerhin machte er das ja schon lange und war fit, aber er versicherte mir, dass es so seine Richtigkeit hatte. Er meinte, es sei wichtig, damit Trainer auf einem halbwegs aktuellen Stand blieben, was Medizin und Wissenschaft anging.
Nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten, meinte Toby plötzlich: »Wegen heute Morgen: Bist du dir wirklich sicher, dass du nicht mit uns darüber reden möchtest, was passiert ist? Oder mit irgendjemandem? Am besten mit einem Psychiater.«
Ich warf ihm einen bösen Blick zu und schüttelte den Kopf. Er hatte doch versprochen, das Thema bleiben zu lassen!
Sanft legte er die Hand auf meinen Oberschenkel und seufzte. »Du willst das nicht hören, aber es würde dir vermutlich wirklich guttun. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es gut ist, wenn du das nur in dich reinfrisst.«
Beleidigt wendete ich den Kopf ab und sah aus dem Fenster. Wie oft sollte ich ihm noch sagen, dass es mir nicht möglich war, darüber zu reden?
Im Spiegelbild konnte ich sehen, dass Toby den Kopf kurz in den Nacken legte, bevor er mich einen Moment lang ansah. Wenn er mir etwas sagen wollte, von dem er schon vorher wusste, dass ich es nicht hören wollte, warum hielt er dann nicht einfach den Mund?
Doch natürlich tat er mir den Gefallen nicht. Auch wenn er sich weiter mir zuwandte, wanderten seine Augen nach unten. Leise erklärte er: »Peter wollte auch nie darüber reden, was ihm passiert ist. Er hat immer gesagt, dass er allein damit klarkommt und das allein verarbeitet. Ich denke, wir müssen nicht darüber diskutieren, ob er das geschafft hat.« Mit einem tiefen Seufzen strich Toby mir von hinten eine Strähne hinters Ohr. »Ich habe Angst um dich. Was ist, wenn du es auch nicht verarbeiten kannst, weil du meinst, du müsstest alleine stark sein?«
Mit einem Ruck drehte ich mich um und starrte ihm in die Augen. Wie konnte er so etwas behaupten?!
Doch bevor ich ihn anschreien konnte, legte er seine Hand auf meinen Arm. »Ich sage nicht, dass du dasselbe tun würdest wie Peter. Es wäre schon schlimm genug, wenn du nicht einmal die Sache mit deiner Angst in den Griff bekommst.«
»Keine Sorge, ich schaff das schon! Und wenn du solche Angst hast, dass ich jemandem etwas antue, dann solltest du dich vielleicht nicht mit mir abgeben!«
»Isaac! Ich habe dir doch gerade gesagt, dass ich das nicht glaube.« Wir waren beide etwas lauter geworden, doch nun bekam Toby wieder mit, dass noch andere Leute im Abteil saßen, und senkte etwas die Stimme. »Ich weiß, dass du wirklich hart an dir arbeitest und sicher nicht werden willst wie er. Aber ich bin mir sicher, dass er auch nicht so werden wollte.«
Ich schnaubte böse. »Du hast doch überhaupt keine Ahnung!«
»Nein, du hast recht, ich habe keine Ahnung, wie das ist. Ich weiß weder wie es für ihn war, noch wie es für dich war. Aber deswegen zu schweigen ist keine Lösung. Auch wenn ich es nicht nachempfinden kann, kann ich dir dennoch zuhören.«
»Wie oft denn noch: Ich will nicht darüber reden!« War das denn so schwer zu verstehen? Darüber zu reden, machte es nicht besser, sondern schlimmer.
Toby nickte mit einem schweren Seufzen und wandte sich ab.
Erst nach einer ganzen Weile drehte er sich wieder zu mir und legte mir seine Hand aufs Knie. »Ich würde aber gerne darüber reden.«
Ich sah nur kurz zu ihm und starrte dann wieder stur geradeaus auf den Sitz vor mir. Schön für ihn, wenn er darüber reden wollte, das änderte aber nichts daran, dass ich es nicht wollte.
Er schien zu warten, ob nicht doch eine Antwort von mir kam, dann fuhr er fort: »Ich habe Angst, es schlimmer zu machen, wenn ich nicht weiß, was genau dich beschäftigt und was passiert ist. Für dich muss das albern klingen, aber ich fühle mich dafür mitverantwortlich.«
Skeptisch zog ich die Augenbrauen zusammen und wandte mich doch wieder zu ihm. »Stimmt, klingt es.«
»Roger hat mir erzählt, dass du mir keine Schuld daran gibst, was an deinem Achtzehnten passiert ist. Das ändert nur nichts daran, dass ich mich schuldig fühle. Vielleicht nicht unbedingt daran, aber ... Was ist an Mats Zweiunddreißigsten passiert?«
Vehement schüttelte ich den Kopf. Nein, ich hatte ihnen erzählt, was an meinem Achtzehnten geschehen war. Mehr würde ich ihnen nicht sagen. Alles andere ging sie nichts an.
Doch Toby sah das anders. »Er hat es wieder getan, oder? Weil du mit mir geredet hast. Du wirktest plötzlich eingeschüchtert, ich hab das damals nicht kapiert, aber ...«
»Toby, ich will nicht darüber reden! Es war nicht deine Schuld, okay? Reicht dir das? Du konntest nichts dafür. Du wusstest nichts davon. Ich hätte es besser wissen müssen und dich einfach ignorieren sollen. Es war allein meine Schuld.«
»Isaac, hör auf! Du bist daran nicht schuld!«
»Ach. Bist du lieber dafür verantwortlich? Wäre dir das lieber?«
»Nein.« Toby seufzte und sah mich dann wieder deutlich sanfter an. »Aber du bist es auch nicht.«
»Das ist deine Meinung.« Ich stand auf und scheuchte ihn mit einer Handbewegung hoch. »Lässt du mich bitte raus, ich will aussteigen.«
Statt mir zu widersprechen, stand Toby auf und ließ mich aus der Sitzreihe. Er konnte sich wohl denken, dass es nichts brachte, mich aufzuhalten.
Ich wollte raus und an die frische Luft. Meine Entscheidung stand fest, ich würde nicht mit ihm darüber reden. Schon gar nicht in einem Zug.
Wie schon im Jahr zuvor stand ich mit der Band zusammen, als Toby den Club betrat und zu Mat ging, um ihm zu gratulieren. Bis auf ein knappes »Guten Tag« ignorierte ich ihn jedoch und machte mich auf den Weg, um beim Abwaschen der Gläser zu helfen.
Ich merkte, dass Toby immer wieder mal zu mir sah, doch ich schaffte es fast zwei Stunden lang, ihm aus dem Weg zu gehen. Erst dann fand ich mich plötzlich ohne Gesprächspartner wieder, die mir bisher eine gute Ausrede gegeben hatten, mich nicht mit Toby beschäftigen zu müssen.
Nicht einmal zwei Sekunden später stand er neben mir. »Hey, Kleiner. Ist alles klar?«
Obwohl ich innerlich fluchte, lächelte ich ihn an. Er konnte nichts dafür. Und eigentlich würde ich ja auch gern mit ihm sprechen. »Ja, alles gut. Und bei dir? Wie geht es Roger?«
»So lala. Roger ist ein wenig erkältet und daher etwas unleidlich. Aber das wird schon wieder.« Toby musterte mich kurz, dann fragte er: »Wie läuft es mit Peter?«
Ganz automatisch sah ich mich nach diesem um. Natürlich traf mein Blick direkt den seinen. Auch über die Entfernung hinweg konnte ich das wütende Funkeln darin wahrnehmen. Ein unangenehmer Schauer jagte über meinen Rücken und ich fuhr zusammen.
Schnell blickte ich zurück zu Toby. »Es läuft super.«
»Das freut mich.« Mit einem offenen Lächeln trat Toby einen Schritt auf mich zu und wollte mich umarmen.
Sofort machte ich einen Schritt zurück und sah mich um. »Ehm, ja, danke. Du, sorry, ich muss mal eben ... Ich muss eben kurz zu Lance.«
Ich wusste, dass er mir nachsah, als ich so fluchtartig wegrannte, aber das war mir egal. Zu fest saß die Erinnerung an Independence Day in meinem Kopf. Noch einmal wollte ich das nicht!
Ich war noch nicht einmal bei Lance angekommen, da stand auch schon mein Freund neben mir. Er legte seine Hand auf meinen Unterarm. »Komm mal kurz mit.«
Gemeinsam gingen wir nach oben in die Wohnung. Kaum war die Tür hinter uns ins Schloss gefallen, packte er meinen Arm fester. Ohne auf meinen Widerstand zu achten, zog er mich ins Wohnzimmer.
»Hey, warte mal!«
»Worauf? Dass dein Macker hinterherkommt?«
»Nein, es ... Es ist nicht so, wie du denkst.«
»Ach nein, natürlich. Du wolltest ihn sicher nur mal wieder ›freundschaftlich umarmen‹ so wie letztes Jahr, hab ich recht? Und vermutlich jedes Mal, wenn ihr euch getroffen habt. Hast du geglaubt, ich bemerk das nicht?«
Als wir bei der Treppe ankamen, stemmte ich mich gegen seinen Griff. Doch er zerrte noch fester.
»Nein. Ich hab seit einem halben Jahr nicht mit ihm geredet!« So sehr ich mich gegen ihn wehrte, ich schaffte es nicht, meinen Arm aus seinem Griff zu befreien. Daher stolperte ich hinter ihm die Treppe hoch.
»Das war sicher auch gar nicht nötig.« Ohne Umschweife zog er mich ins Schlafzimmer und schmiss die Tür hinter uns zu. »Um dich zu ficken ist das auch gar nicht notwendig. Du hältst deinen Arsch doch sowieso jedem bereitwillig hin.«
»Zieh dich an und geh dich nachschminken, du bist völlig verheult.«
Ich schniefte und wischte mir flüchtig mit der Hand durchs Gesicht. Nun war es auch schon egal.
Ich zog meine Hose wieder hoch und ging langsam ins Bad. Mir tat alles weh, ich konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzen.
»Reiß dich zusammen und lauf vernünftig!«
Ich tat es und versuchte so normal wie möglich zu wirken. Er war noch immer wütend und ich wollte es nicht auf die Spitze treiben. Er würde nicht davor zurückschrecken, mich noch ein zweites Mal spüren zu lassen, dass ich mich mal wieder nicht an unsere Vereinbarungen gehalten hatte. Und dann hatte ich auch noch die wichtigste Regel gebrochen: kein Kontakt zu Toby und Roger. Dabei wusste ich doch, dass schon der Verdacht, ich hätte sie getroffen, ihn aus der Haut fahren lassen konnte. Kein Wunder also, dass seine Wut noch nicht verraucht war.
Er wartete im Wohnzimmer auf mich, wo er einen Joint rauchte. Er wirkte nur geringfügig entspannter, als er aufstand und sich mein Gesicht betrachtete. Offenbar war er zufrieden. Ich hatte versucht, so gut es ging, alle Spuren zu beseitigen. Doch noch immer funkelten mich seine Augen wütend an.
Leise brachte ich ein »Es tut mir leid« hervor.
»Das sollte es auch. Ich hoffe, wir haben das jetzt geklärt. Ich will das nicht noch einmal tun müssen.«
Ich nickte und ließ mich von ihm küssen.
Vorsichtig wanderte seine Hand dabei in meine und umfasste sie. »Dann komm, wir sollten wieder nach unten.«
Ich folgte ihm, wobei er meine Hand losließ, bevor wir aus der Wohnung traten.
Den Rest des Abends versuchte ich mich so weit wie möglich von Toby fernzuhalten. Zum Glück unternahm dieser aber keinen Versuch mehr, sich mit mir zu unterhalten. Vermutlich lag es daran, dass sich mein Freund nur selten mehr als ein paar Schritte von mir entfernte. Er behielt mich immer im Auge und sobald mein Blick auch nur einmal zu lange in Tobys Richtung wanderte, packte er mir mit einem kräftigen Griff an meinen geschundenen Hintern.
Um mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr das schmerzte, biss ich die Zähne zusammen und ertränkte den Schmerz in Alkohol.
Mit einem leisen Stöhnen setzte ich mich auf. Mein Kopf dröhnte und das Bett unter mir schwankte, als befände ich mich auf einem Schiff. Offenbar hatte ich mich nicht nur im Traum zulaufen lassen, sondern auch am Abend.
Nachdem ich mich mit Toby in der Bahn gestritten hatte, war ich mit einigen Umwegen nach Hause gefahren und hatte versucht, mal wieder ein wenig für die Band zu tun. Doch das war vergeblich gewesen. Immer wieder waren meine Gedanken zu unserem Streit gewandert. Ja, ich verstand, dass er gerne mehr wissen wollte, doch er musste auch verstehen, dass ich nicht darüber reden konnte.
Mein Blick schweifte durch das halbdunkle, fremde Schlafzimmer und fand den Körper auf der anderen Bettseite. Natürlich, ich hätte es wissen sollen.
Mit einem weiteren Seufzen schwang ich die Beine aus dem Bett. Vielleicht hatte meine Zeit mit Toby und Roger doch mehr Fortschritte gebracht, als ich bisher angenommen hatte. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich nicht das Bedürfnis hatte, zu flüchten. Bleiben würde ich dennoch nicht.
Ich suchte meine Klamotten und zog mich möglichst geräuschlos an. Als ich gerade dabei war, den Gürtel zu schließen, drehte sich der andere Mann mit einem leisen Grummeln zu mir herum. Erst ein paar Sekunden später, richtete er sich auf. »Du gehst?«
Ich grummelte zustimmend. Hatte er wirklich gehofft, ich würde bleiben? Scheinbar.
»Hmm, schade. Ich hatte morgen auf eine kleine Runde zum Munterwerden gehofft.«
»Ich muss wirklich los.« Auch wenn es mich etwas Mühe kostete, das so selbstsicher zu sagen, ich verbat mir, meinem ersten Impuls nachzugeben und ihn anzuflehen, mich gehen zu lassen.
»Du meinst wohl eher, du willst gehen, oder? Ich glaub nicht, dass du«, er warf einen kurzen Blick auf den Wecker, »um drei Uhr morgens einen Termin hast.«
Ich grummelte leise etwas vor mich hin, das man gut als Zustimmung werten konnte. Oder eben auch nicht, es hatte nicht wirklich eine Aussage. Ich wollte einfach nur gehen.
Der Mann erhob sich und ich konnte erkennen, dass er alles andere als klein war, dafür aber ziemlich schlaksig. Im nüchternen Zustand hätte ich ihn vermutlich weder angesprochen noch mich auf einen Flirt eingelassen. »Ich bring dich raus, die Haustür ist sicher abgeschlossen.«
Ich wartete, bis er sich zumindest etwas übergezogen hatte, dann folgte ich ihm schweigend durch die Wohnung und den Hausflur.
Tatsächlich hatte wohl jemand die Tür im Flur abgeschlossen, die er mir öffnete. Er hielt sie mir auf und nachdem ich einen kurzen Abschiedsgruß gemurmelt hatte, erwiderte er: »Mach’s gut. Ruf an, wenn du es dir anders überlegst.«
Ich grummelte wieder etwas Unbestimmtes und hob nach einigen Schritten meine Hand zu einem letzten Gruß. Ihm war vermutlich genau wie mir klar, dass ich nicht anrufen würde. Dennoch beruhigte mich die Erkenntnis, dass ich so gelassen das Haus verlassen konnte, auch wenn ich kurz daran gezweifelt hatte, als er aufgewacht war.
»Der verlorenen Spur
Folgt Vergessen
Und eine Wiederholung
Der verlorenen Spur
Folgt Vergessen
Und eine Wiederholung«
Goethes Erben – Rot Blau Violett Grün Gelb