Am nächsten Morgen gingen wir zum Frühstück nach unten, wo Roger bereits auf uns wartete. Während ich kurz ins Bad verschwand, um mir die Zähne zu putzen, da ich oben nicht auch noch eine Bürste besetzen wollte, wenn wir sowieso nach unten gingen, bereiteten Toby und Roger das Essen vor.
Ich grüßte Roger, als ich ins Zimmer kam, und setzte mich neben Toby an den Tisch.
Roger kam zu uns und stellte die letzten Sachen vor uns ab. Dann beugte er sich zu mir herunter. »Guten Morgen, Kleiner. Hattet ihr eine schöne Nacht?«
Sofort senkte ich den Kopf. Mehr als ein zaghaftes Nicken brachte ich nicht zustande. Gerade wurde mir bewusst, dass ich in der Nacht zu weit gegangen war. Ich kannte meine Rolle in ihrer Beziehung. Und das, was ich am Abend getan hatte, gehörte eindeutig nicht dazu. Den kleinen Ausrutscher vor ein paar Wochen konnte Roger mir ja vielleicht noch verzeihen, aber dass ich Toby gefickt hatte? Nein, ganz sicher nicht. Das stand mir nicht zu. Nervös knabberte ich an meiner Unterlippe.
»Hey, magst du mit deinen Lippen nicht lieber etwas Schöneres anstellen, statt sie zu malträtieren? Mir zum Beispiel endlich einen Guten-Morgen-Kuss geben?«
Das Hauchen, das meinen Mund verließ, war wohl kaum als »Nein« zu identifizieren.
Ich konnte die Verwunderung deutlich in Rogers Stimme hören, als er fragte: »Was ist denn los?«
»Liegt es an gestern?« Eine Hand legte sich von der anderen Seite in meinen Nacken und strich sanft darüber.
Auch wenn ich mich etwas entspannte, an meinem schlechten Gewissen änderte es nichts. Leicht nickte ich.
»Hey, ich hab dir doch gesagt, dass es okay ist.«
»Nein! Nein, ist es nicht. Ich hab ... ich hab mich wieder nicht an die Regeln gehalten. Ich hab ... das darf ich nicht ... Ich ...«
»Kleiner, beruhig dich. So schlimm kann es doch gar nicht gewesen sein.« Roger legte mir ebenfalls eine Hand auf die Schulter.
Doch sie war genauso schwer wie die Schuld in mir, daher schüttelte ich sie ab.
Roger seufzte und entfernte sich dann. Während er sich Toby gegenüber setzte, wandte er sich noch einmal an mich: »Lasst uns erstmal essen. Wenn du magst, können wir danach unter vier Augen reden.«
Da ich noch nicht ganz sicher war, ob ich das wirklich wollte, reagierte ich zunächst gar nicht darauf, sondern nahm mir einfach nur ein Toast.
»Roger? Können wir reden?« Ich hatte mich dazu entschieden, dass es besser wäre, wenn ich das mit ihm klärte. Toby würde später sowieso mit ihm darüber sprechen. Ich sollte dafür sorgen, dass ich seine Wut abbekam und nicht sein Freund.
»Einen Moment, lass uns noch eben hier alles fertig machen.« Roger nahm mir die Teller aus der Hand, die ich in die Küche gebracht hatte, und räumte sie in den Spüler.
»Ich geh dann nach oben und mach dort klar Schiff«, bot Toby an und erhielt dafür von seinem Freund einen Kuss als Dank.
Nachdem wir alles vom Frühstück weggeräumt hatten, verabschiedete sich Toby mit einem »Bis gleich« und ging nach oben.
Sofort machte sich ein ungutes Gefühl in mir breit. Nun war die Stunde der Wahrheit gekommen.
Roger sah zu mir und fragte geradeheraus: »Wollen wir ins Wohnzimmer gehen oder uns lieber an den Küchentisch setzen?«
»Wohnzimmer«, urteilte ich und setzte mich direkt in den Sessel. Die Knie zog ich dabei an meine Brust und machte mich klein.
Roger beobachtete mich einen Moment von der Couch aus, dann erhob er das Wort: »Ihr habt es getan, oder?«
Zögerlich nickte ich und hauchte dann ein »Ja«, da ich mir nicht sicher war, ob er die Geste hinter meinen Knien sehen konnte.
Entgegen meiner Annahme lächelte er ehrlich erfreut. »Das freut mich für euch. Wirklich. Und was genau macht dich daran jetzt so unsicher?«
»Ich hab ... Eigentlich wollte ich ja ... aber das ging nicht und deswegen ... ich ... es tut mir leid, ich ...«, purzelten die Worte fast gleichzeitig aus meinem Mund.
Roger stand auf und setzte sich neben mich auf die Lehne. Locker legte er mir eine Hand auf die Schulter. »Isaac, ich versteh überhaupt nichts. Bleib bitte ruhig und fang von vorne an. Ich verspreche dir, dass ich dich weder anschreien, noch dir wehtun werde.«
Ich schluckte. Ja, das würde er nicht. Dafür war er gerade viel zu gelassen. Vielleicht war ja doch alles in Ordnung? Zumindest ein wenig hoffen durfte ich doch wohl.
So ruhig wie möglich erzählte ich Roger, was geschehen war, nachdem Toby und ich in Medford angekommen waren. Gegen Ende wurde es jedoch immer stockender.
Als ich fertig war, legte ich den Kopf auf die Knie. Doch schon einen Moment später erhob ich mich. »Roger, ich ... es tut mir leid. Ich sollte verschwinden.«
Er drückte mich sanft wieder auf den Sessel, sobald ich mich nur ein kleines Stück erhoben hatte. »Nein, bleib hier. Es ist okay. Ich habe mir schon gedacht, dass es irgendwann so kommt. Deshalb habe ich Toby auch darum gebeten, dass ihr besser nach oben geht. Ich wollte nicht dabei sein.«
»Aber es ist für dich okay?«, fragte ich unsicher nach. So ganz verstand ich das noch nicht. Immerhin hatte er sich ja beim letzten Mal zurecht ziemlich aufgeregt.
»Ja, hab ich euch doch schon gesagt. Solange ihr vorher mit mir redet, ist es in Ordnung. Und Toby hat nach der Sache mit mir geredet und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es vermutlich die einzige Chance ist, dass du erstmal die Führung übernimmst, bis du dir sicherer bist.«
»Aber warum? Toby hat gesagt, dass nur du das darfst. Dass ihr ...« Ich hatte keine Ahnung, wie ich das alles genau ausdrücken sollte, ich hatte viel zu viele Gedanken im Kopf.
»Weil du es bist und Toby dich braucht.« Roger lächelte mich ein wenig traurig an und strich mir über die Wange. Offenbar bemerkte er meinen verwirrten Gesichtsausdruck, denn er fuhr von sich aus fort. »Glaubst du wirklich, zwei dominante Kerle können ein Leben lang zusammen sein? Was er braucht, ist nicht jemand, der ihn ab und zu mal liebevoll vögelt und ansonsten ihn mit anderen machen lässt, sondern jemand, der auch wirklich gern mal einsteckt.«
Erschrocken riss ich die Augen auf. Das konnte doch nicht sein Ernst sein! War er völlig übergeschnappt? Viel zu laut schrie ich: »Nein, das stimmt nicht! Toby braucht dich, weil er dich liebt! Ganz egal, ob du dich gerne ficken lässt oder nicht.«
Wie konnte Roger so etwas nur denken, geschweige denn auch noch sagen? Ihm sollte doch klar sein, dass Toby ihn niemals verlassen würde. Das war doch völlig lächerlich! Zumal Roger so tat, als liefe es bei ihnen im Bett nicht gut. So weit ich wusste, stimmte das ja nun gar nicht. Das brach auch aus mir heraus, bevor ich etwas dagegen tun konnte: »Außerdem hab ich gesehen, dass du es auch genießen kannst, wenn Toby dich nimmt.«
Sofort schlug ich die Hände vor den Mund. Scheiße, das hätte ich nicht sagen dürfen! Ich hatte es so lange geschafft, das für mich zu behalten, und dann brach es so aus mir heraus. Verdammt, das war es dann.
Doch zu meinem Erstaunen lächelte Roger noch immer, mittlerweile sogar wieder leicht erheitert. »Keine Sorge, ich weiß, dass du reingekommen bist. Glaubst du wirklich, Toby könnte so etwas lange für sich behalten?«
Ich stockte vor Überraschung. Er schien überhaupt nicht böse darüber. Genauso wenig wie über das, was in der Nacht geschehen war. Eigentlich sollte mich das wohl erfreuen, doch in Wirklichkeit verunsicherte es mich. Vor allem in Verbindung mit seiner Aussage, dass es für ihn und Toby unmöglich wäre, ewig zusammen zu sein. Wenig überzeugt sah ich ihn an.
Sanft strich Roger im Nacken über meinen Haaransatz. »Es ist wirklich in Ordnung. Ich weiß, dass du das nicht absichtlich getan hast, sondern vermutlich mal wieder völlig in Gedanken warst. Wenn es nicht okay wäre, hätte ich dir das schon lange gesagt. Aber so weit ich weiß, hast du ja draus gelernt. Mach dir deswegen keine Gedanken.«
Noch immer war ich nicht überzeugt, doch ich nickte. Was sollte ich auch mit ihm darüber diskutieren? Er würde bei der Aussage bleiben. Eine Sache gab es da jedoch noch: »Und das von gestern kommt auch nicht mehr vor.«
Auch wenn Roger nichts anzusehen war, seine Finger stoppten kurz. »Und wie soll es dann weitergehen? Oder wäre es okay, wenn Toby dich das nächste Mal fickt?«
Ich schüttelte den Kopf. Natürlich würde das nicht so einfach funktionieren, ich war ja noch nicht einmal sicher, ob ich wieder den Mut finden würde, selbst die Führung zu übernehmen. »Aber ich will mich nicht zwischen euch drängen.«
Roger zog mich an sich. »Das tust du doch gar nicht. Bei und zwischen uns ist noch mehr als genug Platz für dich. Wir haben dich gern und es ist für uns in Ordnung.«
»Für mich aber nicht«, flüsterte ich, machte mich jedoch nicht aus Rogers Umarmung los. »Ich will das nicht. Mir wär’s lieber, wenn es wäre wie früher. Da fühle ich mich sicherer.«
»Ach Kleiner, wenn das nur wirklich so einfach wäre.« Roger seufzte und drückte mich noch fester an sich.
Erst nach einer Weile sprach er weiter: »Ist gut, wir lassen uns etwas einfallen, okay? Aber bitte sprich mit uns, wenn du etwas anderes brauchst. Wir wollen das mit dir zusammen hinbekommen und nicht über deinen Kopf hinweg.«
Ich nickte und ließ mich etwas mehr gegen ihn fallen. Es war beruhigend zu wissen, dass sie mich nicht zwangen, eine dominantere Rolle einzunehmen. Auch wenn das paradox klang. Ich fühlte mich bei ihnen doch gerade wohl, weil ich genau wusste, welchen Platz ich in ihrer Beziehung hatte, und keine Angst haben musste, dass sich das plötzlich änderte. »Kann es dann zwischen uns auch wieder so werden wie früher? Toby hat gestern gesagt, dass er uns gerne beide in seinem Bett hat und eigentlich finde ich es auch schön, mit euch beiden zusammen.«
Roger strich mir mit der Hand durch die Haare. »Von mir aus gern, aber im Moment klappt das nicht. Ich will dir nicht noch mehr Angst machen.«
»Ich weiß. Aber vielleicht ... keine Ahnung, vielleicht könntest du einfach wieder öfter einfach dabei sein? Das hat doch auch ganz gut geklappt. Ich will nur, dass du weißt, dass ich euch beide gleich gern hab.« Um ihm das zu beweisen, drehte ich mich etwas und suchte seine Lippen mit meinen.
Obwohl ich ihn nur hatte kurz küssen wollen, wurde daraus ein leidenschaftlicher Kuss, den wir lange nicht unterbrachen.
Von mir unbemerkt hatten sich Rogers Hände irgendwann unter mein Shirt geschoben und streichelten mich dort, während wir uns noch immer küssten. Erst ein amüsierter Laut ließ mich atemlos aufblicken.
Schmunzelnd stand Toby ein Stück von uns entfernt und beobachtete uns. »Lasst euch von mir nicht stören.«
»Zu spät«, murrte Roger und richtete sich etwas auf. Dennoch war ich mir sicher, dass er das nicht so böse meinte.
»Ich werd euch nicht davon abhalten, weiterzumachen. Vor allem nicht, wenn ich euch zusehen darf.«
»Da ist das Problem.« Genauso verwirrt wie Toby sah ich zu Roger. Seit wann war das denn ein Problem? »Isaac hat darum gebeten, dass wir es wieder so wie früher machen.«
Noch verwunderter und vielleicht auch ein wenig enttäuscht sah Toby mich an. »Oh. Okay ... Darf ich fragen, warum? Hat dir das gestern nicht gefallen?«
»Was? Nein!« Wie kam er denn jetzt darauf? Schnell versuchte ich, ihn zu beruhigen. »Ich fühl mich nur wohler, wenn ich genau weiß, wo ich stehe.«
Toby nickte nachdenklich, wirkte dabei aber ein wenig traurig. Hatte es ihm wirklich so gut gefallen?
Roger schob hinterher: »Ich hab ihm gesagt, er muss uns nur sagen, wenn er etwas daran ändern möchte.«
Noch immer schien Toby nicht ganz zufrieden, nickte aber erneut. Zu gern hätte ich ihm erzählt, dass unter anderem Rogers Aussage zu dieser Entscheidung beigetragen hatte, doch ich sah ein, dass bei dem, was er mir anvertraut hatte, es vielleicht besser war, wenn sie das unter sich klärten. Immerhin hatte Roger mehr oder weniger davon gesprochen, Toby zu verlassen.
Allein der Gedanke, dass die beiden irgendwann nicht mehr zusammen sein könnten, war schrecklich. Vielleicht war das kindisch, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie jemals mit jemand anderem glücklich werden könnten. Auch wenn ihre Liebe anders war als die der meisten Paare, ich fand, sie waren perfekt für einander. Umso mehr wollte ich ihnen helfen.
Eine Weile überlegte ich, was ich tun konnte. Sie hatten mir so oft unter die Arme gegriffen, irgendetwas musste ich doch für sie tun können! Zumal ich mich teilweise dafür verantwortlich fühlte.
Dann kam mir die Idee. Es war nicht ganz uneigennützig, aber umso weniger würde das auffallen. »Eine Sache hätte ich da. Ich wusste nicht, dass das Küssen auch dazugehört. Wäre es okay, wenn wir das so machen wie die letzten zwei Jahre?«
Beide schmunzelten. »Soso, da willst du also eine Extrawurst.«
Möglichst unschuldig lächelte ich. »Na ja, ihr habt gesagt, ihr wollt auch wieder zu dritt ins Bett. Dabei ist es doch schöner, wenn ich euch küssen darf, oder nicht?«
Immerhin brachte ich sie gemeinsam zum Lachen. »Da könntest du recht haben.«
Aber Hallo! Natürlich hatte ich damit recht! Es war doch viel schöner, nicht ständig darauf achten zu müssen, ob der jeweils andere gerade im Raum war und man sich deshalb nicht küssen durfte. Dann hätte ich das ja in dem Moment auch nicht bei Roger tun dürfen.
Lachend löste er sich nach einer Weile. »Ist ja gut, du hast uns überzeugt.«
»Warum hörst du dann auf?«, fragte ich mit einem spitzbübischen Grinsen. »Toby hat gesagt, wir sollen uns von ihm nicht stören lassen.«
»Du fühlst dich wohl ein bisschen zu sicher!«, neckte mich Roger und schnappte nach meinen Lippen.
Genüsslich ließ ich mich in den Kuss fallen. Na gut, diese Aktion war alles andere als uneigennützig.