»Lydia möchte übrigens, dass ihr Samstag zu ihrer Geburtstagsfeier kommt. Das geht doch klar, oder? Ich schick euch die Adresse später per SMS.«
Ich packte meine Gitarre in den Koffer und verschloss ihn. »Ja klar, kein Thema. Wann denn?«
»So gegen neun wäre gut. Vorher sind wir noch bei ihren Eltern.« Lance’ Augen leuchteten, als er das verkündete.
Freundschaftlich legte ich ihm meine Hand auf den Oberarm. »Glückwunsch. Es scheint ernst zu werden.«
»Viel Glück!«, wünschte Troy lachend. »Wissen sie, dass du gerne Frauenkleider trägst?«
»Erstens sind das Röcke und keine Kleider. Und zweitens sind die für Männer«, verteidigt sich Lance. Ich wusste zum Glück, dass er das genauso wenig ernst nahm, wie Troy es meinte.
»Ja klar, red dir das nur weiter ein.« Troy griff nach Lance’ Rock und hob ihn ein Stück hoch. »Hast du da überhaupt was drunter?«
Mein bester Freund entriss ihm den Saum. »Das wüsstest du wohl gern! Pech, du wirst es nie erfahren.«
»Dann frag ich eben Samsa, ich bin sicher, er weiß das.« Troy sah fragend zu mir.
Abwehrend hob ich die Hände. »Warum sollte ich das wissen? Meinst du, mich interessiert, was er unter dem Rock hat? Da musst du wohl Lydia fragen. Warum interessiert dich das überhaupt?«
Troy lachte, als ich vielsagend mit den Augenbrauen wackelte. »Niemals! Ich wollte nur wissen, ob er ein wahrer Schotte ist.«
Ich überließ es Lance, unseren Drummer darüber aufzuklären, welchen Unterschied es zwischen Schotten und Iren gab, und kümmerte mich lieber darum, unser Equipment zusammenzupacken. Das war das Ätzende daran, wenn man keinen eigenen Probenraum hatte: Man musste nach jeder Probe alles wieder wegräumen und mitnehmen. Dafür waren wir mittlerweile bei Konzerten sehr schnell, unser Equipment aufzubauen. Man musste es auch mal positiv sehen.
»Was ist eigentlich aus dem Plattenvertrag geworden«, fragte Alan, als ich das Mikrophon von der Bühne räumte.
Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Bisher hatte ich die Begegnung, so gut es ging, verdrängt. Toby hatte am selben Abend noch mit mir gemeckert, dass ich ihm nicht von vornherein gesagt hatte, dass die Plattenfirma auch die Death Demons unter Vertrag hat, aber im Grunde tröstete er mich vor allem und gratulierte mir, dass ich Peter die Stirn geboten hatte. Außerdem war auch er dafür, das Geld anzunehmen. Er fand es nur gerecht, dass ›das Schwein‹ dafür zahlte. Etwa dieselbe Reaktion hatte ich auch von Lance erhalten. Er hatte mir direkt versichert, dass er voll hinter meiner Entscheidung stand. Er ging sogar so weit, mir anzudrohen, die Band zu verlassen, sollte ich meine Meinung ändern. Das hatte ich jedoch nicht vor. Nur dem Rest der Band hatte ich bisher nichts davon erzählt. Um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft, dass sie Mr. Booker einfach vergaßen.
Daher musste ich schlucken, bevor ich möglichst selbstsicher antwortete: »Nichts. Ich hab das Angebot abgelehnt.«
»Was?! Das ist nicht dein Ernst!«
Der plötzliche Ausbruch von Alan, der zwar viel nörgelte, aber bisher nie wütend geworden war, erschreckte mich. Dennoch versuchte ich ruhigzubleiben. Meine Entscheidung war die einzig richtige. »Doch.«
»Und das entscheidest du einfach so, ohne vorher mit uns zu reden?«, mischte sich nun auch Troy ein. »Ich dachte, wir sind eine Band, sollten wir da nicht mitreden können, wenn es um so etwas geht?«
Ich war froh, dass wenigstens er ruhig blieb. Er schien zwar ebenfalls wütend, aber er schrie nicht herum. Lance warf mir einen kurzen, fragenden Blick zu, doch ich wiegelte mit einer leichten Kopfbewegung ab. Solange keiner auf mich losging, würde ich mich selbst verteidigen. »Würde ich normalerweise auch machen, aber in dem Fall ging es weniger um die Band als um mich.«
»Das heißt im Klartext?« Troy schien mir die Gelegenheit geben zu wollen, mich zu erklären. Dem Bassisten dagegen war anzusehen, dass er keine Erklärung zulassen würde. Vermutlich wäre er auch sauer gewesen, wenn ich das abgelehnt hätte, weil wir keine oder nur geringe Bezahlung dafür bekämen.
»Extreme Goth Records hat versucht, mich zu zwingen, wieder bei den Death Demons zu singen.« Ich spürte, wie bei dem Gedanken ein leichter Schauer durch meinen Körper lief, dennoch sprach ich schnell weiter: »Im Gegenzug sollten wir bei der nächsten Tour als Vorband auftreten.«
»Ja und?« Noch immer klang Alan gewaltig aggressiv. »Dann hättest du halt für sie gesungen, ist doch kein Problem.«
»Ich habe mich nicht umsonst von ihnen getrennt!« Nun riss auch mein Geduldsfaden.
»Nur weil du ein Problem mit deiner alten Band hast, müssen wir jetzt darunter leiden, oder wie?« Alan trat ein paar Schritte auf mich zu. Sofort war Lance neben mir. »Bei deinem Ego wundert es mich ja, dass sie dir überhaupt noch eine Chance geben wollen.«
Krampfhaft biss ich die Zähne zusammen. Das war doch wohl die Höhe!
Lance schritt direkt ein. »Die Gründe, warum Samsa die Death Demons verlassen hat, gehen euch einen Scheißdreck an!«
»Nicht, wenn das der Grund ist, weshalb wir keinen Plattenvertrag bekommen. Dann geht es uns sehr wohl etwas an.« Auffordernd sah Troy mich an. »Also, warum müssen wir auf unseren Erfolg verzichten?«
»Weil ich mit den Leuten nicht mehr zusammenarbeiten kann.«
»Pfft. Ja klar, und darunter sollen wir jetzt leiden? Du hast es verbockt, nicht wir! Nimm deshalb nicht uns die Chance, ebenfalls erfolgreich zu werden!« Alan hatte seinen feindseligen Ton noch immer nicht abgelegt.
Zum Glück sprang Lance erneut für mich ein, bevor ich ausfallend wurde. Das übernahm er selbst schon ganz gut. »Du musst gerade reden! Dein Ziel war es doch von vornherein, von Samsas Bekanntheit zu profitieren. Und dieses Angebot wäre nichts anderes gewesen! Wir wären dafür belohnt worden, dass er die Arbeit für uns macht. Das hat nichts mit unserer eigenen Leistung zu tun, sondern ist lediglich ein Druckmittel. Wären wir wirklich interessant genug, dann bräuchte es solche Hintertürchen nicht, dann würden sie uns einen Vertrag geben.«
»War ja klar, dass ihr zusammenhaltet!« Alan schnappte sich seinen Bass und warf sich die Tasche über die Schulter. »Wenn ihr so viel besser seid als wir, dann schafft ihr das ja auch ohne uns. Kommst du Troy, wir werden hier nicht mehr gebraucht.«
Troy warf mir einen kurzen, skeptischen Blick zu, schnappte sich dann seinen Koffer mit dem Übungsdrummkit und folgte. Die Tür des Probenraumes wurde von Alan so stark ins Schloss geworfen, dass man das Gefühl hatte, der ganze Raum wackelte.
Lance sah skeptisch zu mir herüber und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Alles klar?«
»Mhm.« Ich atmete tief durch. »Ich hatte fast schon damit gerechnet, daher ist es nicht so schlimm.«
Er griff etwas fester zu. »Es war richtig. Lass dir von ihnen nichts einreden. Du hättest das nicht durchgehalten und richtig finde ich das von denen auch nicht. Wenn wir Erfolg haben, dann weil wir es uns selbst erarbeitet haben, nicht weil wir zufällig mit dir in derselben Band sind. Na komm, lass uns etwas Essen gehen.«
Ich nickte, schnappte mir ebenfalls meine Sachen. Es hatte keinen Sinn, weiterhin rumzustehen und sich darüber aufzuregen. Alles was jetzt noch blieb, war zu warten, ob sie wiederkamen.