Das Klingeln meines Handys riss mich aus dem unruhigen Traum. Oder war es eher eine Erinnerung? Vermutlich machte es bei diesen Träumen keinen Unterschied.
Erneut gab das Handy schrille Töne von sich, die durch die Kopfschmerzen noch viel schlimmer wurden. Es erinnerte mich daran, dass jemand mit mir sprechen wollte.
Ich streckte die Hand nach dem Handy aus, nahm das Gespräch blind an und hielt mir das Gerät ans Ohr, während ich mich weiter in meine Decke kuschelte. »Ja?«
»Oh Gott, da bist du ja«, grüßte mich Laura. Klang sie erleichtert? Warum? »Geht es dir gut?«
»Ja?«, murmelte ich verwirrt. Hatte ich etwas verpasst?
»Sag mal, wolltest du nicht heute vorbeikommen?«, half sie mir auf die Sprünge.
Wollte ich? Ach ja, sie hatte recht! Ich hatte nach der letzten Vorlesung zu ihr fahren wollen. Sie hatte morgen Geburtstag und wollte unbedingt direkt morgens in den Zoo.
Ich drehte mich auf die andere Seite. »Ja, aber doch erst um drei.«
»Brummi, es ist fast fünf!«
»Was?« Erschrocken fuhr ich hoch und suchte eine Uhr. Tatsächlich! »Sorry! Tut mir leid, ich hab total verschlafen.«
»Wie, verschlafen? Geht’s dir nicht gut?«, fragte sie noch einmal besorgt. »Soll ich lieber zu dir kommen?«
»Nein!« Oh Fuck! Hoffentlich hatte es sich für sie nicht auch so panisch angehört wie für mich. Ich hatte sie die letzten drei Monate seit Silvester davon abhalten können, wieder vorbeizukommen, das würde ich mir sicher nicht von einem Kater kaputt machen lassen. Ruhiger schob ich hinterher: »Brauchst du wirklich nicht. Ich war nur gestern zu lange auf und hab etwas zu viel getrunken. Gib mir eine Stunde, dann bin ich bei dir.«
»Na gut, dass wir für heute nichts mehr vorhaben, mein Lieber«, motzte sie mit tadelndem Unterton.
»Tut mir wirklich leid, kommt nicht mehr vor.« Na toll, wie hatte ich nur vergessen können, dass wir verabredet waren? Ich war doch ein Idiot. Ich stand auf und schnappte mir eine Hose, in die ich einhändig versuchte hineinzukommen.
Verständlicherweise stimmte sie das allein aber nicht milder. »Na, dann hoffe ich, dass du das auch wieder gutmachst. Mich einfach drei Stunden warten lassen ...«
Ich war mir nicht sicher, ob sie wirklich beleidigt war, aber ich wollte es auch gar nicht ausprobieren. Halb angezogen machte ich mich auf den Weg ins Bad. »Natürlich. Was hältst du davon, wenn ich dich morgen zum Essen einlade?«
Sie lachte. Neckisch fragte sie: »Ich dachte, das tust du sowieso?«
»Ehm«, erwiderte ich wenig geistreich. »Ich lass mir was einfallen, okay? Aber jetzt muss ich erstmal duschen, sonst wird es noch später. Wir sehen uns gleich.« Ohne auf eine Antwort zu warten, legte ich auf.
Schnell zog ich mich wieder aus und sprang unter die Dusche. So eine Scheiße! Hoffentlich war sie nicht wirklich böse auf mich. Der Streit, weil ich Valentinstag vergessen hatte, hatte mir gereicht. Zwei Tage hatte sie mit mir gezickt und war nicht ans Telefon gegangen, egal wie oft ich sie anrief. Erst als ich bei ihr vor der Tür gestanden hatte, in einer Hand eine große Tafel Schokolade und in der anderen zwei Kinokarten für irgendeine Schnulze, hatte sie mir meine Schusseligkeit verziehen.
Nur konnte ich mir das nicht schon wieder leisten. Schon der Zoobesuch morgen würde mich an meine finanziellen Grenzen bringen. Zum Glück hatte ich in zwei Wochen Geburtstag, dann würde ich zumindest von James wieder Geld bekommen. Bis dahin musste ich mich eben durchschnorren oder an meine Reserven gehen. Doch eigentlich waren die für die Kaution gedacht.
Wenn ich denn mal endlich eine bezahlbare Wohnung fand. So ganz ohne Sicherheiten, die man vorweisen konnte, war das nicht so einfach. Aber noch hatte ich ja knapp drei Monate Zeit, um etwas zu finden.
Außerdem hatten Lance und ich einen vielversprechenden Bassisten in Aussicht, der sich in ein paar Tagen vorstellen sollte. Wenn alles gut ging, konnten wir dann durchstarten. Sicher würde sich dann auch meine Blockade lösen, die bisher verhindert hatte, dass wir weiterkamen. Ich schaffte es einfach nicht, Lieder für Keyboard und Gesang zu komponieren. Das lag mir nicht. Zwar hatte Lance einige Melodien zusammengeschustert, die durchaus vielversprechend klangen, doch mir wollten einfach keine passenden Texte einfallen. Und die wiederum lagen Lance überhaupt nicht. Mit einem Bassisten hätten wir eine größere Bandbreite an Möglichkeiten, dann würde es sicher wieder flutschen. Damit könnten Lance und ich uns unseren Traum endlich erfüllen.
Ich schrak aus meiner Träumerei hoch, als mein Handy geräuschvoll über den Boden wanderte. Ich stellte die Dusche aus, trocknete mich so weit ab, dass ich nicht alles voll tropfte, und griff dann danach. Da es schon wieder still war, war es wohl eine SMS gewesen. Schnell entsperrte ich die Tasten.
Erschrocken ließ ich es gleich darauf wieder fallen. Zwanzig neue Nachrichten! Nein, das konnte nicht sein! Niemals! Zombie würde doch nicht ... Hatte er sich einfach sein Handy geschnappt? So wie beim letzten Mal?
Verdammt, es war ein Fehler gewesen, Mat um Hilfe zu bitten. Nun hatte er meine Nummer. Und damit war es für seinen Bruder ein leichtes, sie sich zu besorgen. Nur er schrieb mir in so kurzer Zeit so viele Nachrichten.
Ich würde mir wieder eine neue Nummer besorgen müssen. Die Dritte in zwei Jahren.
Mit zitternden Händen hob ich das Handy auf. Ich musste die Nachrichten nur ungelesen wegdrücken, dann würde alles gut werden. Nur nicht lesen, was er schrieb. Immerhin konnte ich auch so sagen, was darin stand. Ich hatte es so oft von ihm gehört, ich kannte jede mögliche Formulierung.
Fahrig versuchte ich, die Nachrichten ungelesen zu löschen. Doch so sehr ich auch darum kämpfte, meine Finger ruhigzuhalten, zitterten sie unkontrolliert, rutschten auf den kleinen Tasten ab und öffneten eine der Nachrichten. »Was ist los? Wo bleibst du?«
Was? Das klang überhaupt nicht nach ihm. Verwundert sah ich mir die Nachricht genauer an und schlug dann frustriert meine Faust gegen die Wand. Dieser Wichser! Selbst jetzt noch kontrollierte er mein Leben, obwohl er schon so lange kein Teil mehr davon war. Dennoch hatte er mich noch immer in seiner Gewalt. Und er musste nicht einmal etwas dafür tun. Nicht mehr. Ich schaffte es schon von ganz alleine, ihm diese Macht zu geben.
Natürlich hatte Mat ihm nicht meine Nummer gegeben und er war auch nicht so verpeilt, sie ein zweites Mal so zu speichern, dass sein Bruder sie heraussuchen konnte, wenn das Handy einmal unbeaufsichtigt war. Es war lediglich Laura gewesen, die sich Sorgen gemacht hatte, weil ich sie zwei Stunden warten ließ, ohne auf ihre Nachrichten zu reagieren. Vermutlich hatte ich sie einfach verschlafen.
Und auch die Letzte war von ihr. Sie erinnerte mich daran, meinen Studentenausweis mitzunehmen. Dabei hatte ich ihn immer dabei. Vermutlich hatte sie nur gewusst, dass ich mit dem Kater in der Dusche versackte, wenn sie mich nicht davon abhielt.
Langsam entspannte ich mich wieder und legte das Handy mit einem leichten Lächeln auf die Ablage. Sie kannte mich einfach zu gut.
»Da bist du ja endlich!« Laura hatte an der Wohnungstür auf mich gewartet, nachdem sie aufgedrückt hatte. Ich wollte mich gerade entschuldigen, da fiel sie mir um den Hals. »Mensch, ich dachte schon, dir ist irgendwas passiert.«
»Tut mir leid.« Ich gab ihr einen Begrüßungskuss und drückte sie dann kurz an mich. Nein, das hatte ich sicher nicht gewollt, sie sollte sich nicht auch noch Sorgen um mich machen. Lance reichte mir da vollkommen.
»Schon gut, komm rein, bevor Nace noch stiften geht.«
Tatsächlich saß der rote Kater keinen Meter entfernt und beobachtete uns ganz genau, als suche er einen geeigneten Moment zur Flucht. Dabei hatte er ganz sicher keinen Grund dazu.
Kaum war die Tür zu, kam auch Donna aus ihrem Versteck gekrochen. Sie hatte schon, als sie meine Stimme gehört hatte, den Kopf vorgeschoben, doch nun war sie sicher, dass niemand anderes mehr die Wohnung betrat. Leise maunzend schmiegte sie sich an mein Bein.
Auch auf dem Weg ins Schlafzimmer, wo ich meine Sachen abstellte, folgte sie mir bei jedem Schritt. Ich ließ mich davon gar nicht ablenken, kannte das schon zu genüge. Nachdem ich ein paar Sachen aus der Tasche geholt hatte, bückte ich mich nach dem aufdringlichen Fellknäuel und hob es hoch. Vorher würde es sowieso keine Ruhe geben.
»Ich hab euch was mitgebracht«, verkündete ich und reichte die kleine Tüte, die ich aus meiner Tasche geholt hatte, an Laura.
Neugierig warf sie einen Blick hinein und auch Nace sprang, durch das Rascheln aufmerksam geworden, auf ihren Schoß. Donna interessierte sich gar nicht dafür, sie stellte lieber sicher, die Streicheleinheiten von mir zu bekommen, die ihr ihrer Meinung nach zustanden.
Zuerst strahlte Laura, dann setzte sie einen tadelnden Blick auf. »Du weißt doch, dass die Katzen keine Schokolade essen dürfen!«
»Oh, muss mich vergriffen haben. Gib her, dann bring ich sie zurück«, erwiderte ich gespielt reumütig und griff nach der Tafel in ihrer Hand. Tja, wenn sie ihre Lieblingssorte mit Marshmallows nicht wollte, dann eben nicht.
»Finger weg!« Hastig versuchte sie, sie wegzuziehen.
Doch ich war schneller, entriss sie ihr und lief zurück ins Schlafzimmer. Sofort sprang sie auf und rannte mir hinterher. Als sie mich erreicht hatte, griff sie nach mir und versuchte lachend, die Tafel aus meiner Hand zu entwinden.
»Vorsicht Katze!«, rief ich, als sie mich dabei anrempelte. Donna sprang, ihr Frauchen anfauchend, von meinem Arm und lief zu Nace hinüber, der neugierig den restlichen Inhalt der Tüte begutachtete.
Kurz kabbelten wir uns, dann ließ ich mich ins Bett fallen und zog Laura mit. Lächelnd küsste sie mich. »Danke dir.«
»Ich hab doch gesagt, dass ich es wiedergutmache. Tut mir leid.« Ich zog sie etwas näher an mich und küsste sie sanft.
Während sie sich langsam entspannte, fiel im Wohnzimmer etwas zu Boden. Seufzend ließ ich von ihr ab. »Du solltest Garfield davon abhalten, alles aufzufressen.«
Etwas unwillig murrte sie, stand dann aber auf, nachdem ich ihr die Schokolade überlassen hatte. Lächelnd sah ich ihr nach, wie sie ins Wohnzimmer ging, dann stand ich ebenfalls auf und folgte ihr.
Der Kater hatte die Tüte bereits ausgeräumt, scheiterte aber noch an der Plastikverpackung der Leckerlis, während seine Freundin daneben saß und wartete. Die Diva hätte sich niemals selbst die Pfoten schmutzig gemacht.
Mit freundlich mahnendem Ton nahm Laura den beiden die Leckerlis weg und legte sie ins Regal.
Schmunzelnd beobachtete ich sie dabei. Sie mit den Katzen zu sehen, war immer wieder süß. Da her hatte ich auch die Zuversicht genommen, sie mit ein paar kleinen Geschenken für sie und die Monster beruhigen zu können.
Sie packte die neue Katzenangel aus, setzte sich zurück auf die Couch und begann, mit den beiden zu spielen.
Ich ging zu ihnen hinüber, küsste Laura kurz in den Nacken und streichelte dann darüber. »Hast du schon gegessen? Oder soll ich mich schon mal darum kümmern?«
»Ja gern. Du musst es nur in den Ofen schieben.« Sie lehnte sich etwas gegen meine Hand. Offensichtlich wollte sie noch ein wenig länger gekrault werden. Als würde ich ihr das verwehren.
Erst nachdem ich ihr noch einen Moment Nacken und Rücken gestreichelt hatte, ging ich hinüber in die Küche und bereitete das Essen für uns vor.