Nachdenklich sah ich aus dem Fenster der T, in dem ich mich spiegelte. Schnell sortierte ich die Haare, die ich mir scheinbar vor Nervosität vollkommen durcheinandergebracht hatte. Am liebsten hätte ich geraucht, um mich zu beruhigen, doch ich wollte nicht zugekifft zum Termin erscheinen. So viel Professionalität hatte ich dann doch, auch wenn man es mir vielleicht gerade nicht ansehen mochte. Das Image des Rockstars musste immerhin gewahrt bleiben. Daher verließ ich zu solchen Anlässen das Haus nicht ohne entsprechendes Outfit. James wäre sicher ausgeflippt, hätte er das gewusst. Aber aus gutem Grund hatte ich ihm nichts von dem Termin erzählt. Ich wusste nicht, was mich erwartete, und wollte unabhängig von ihm meine Karriere aufbauen.
An der Haltestelle ›Aquarium‹ stieg ich aus und wanderte die Straße hinunter, auf das Gebäude zu, in dem sich die Geschäftsräume von Extreme Goth Records befanden. Ich war wirklich gespannt, was sie mir anboten.
Fast hätte ich das kleine Grüppchen übersehen, das ein Stück abseits des Eingangs stand. Doch die Stimme des Mannes wurde bis zu mir getragen. Es war Zombie! Ganz automatisch sah ich hinüber.
Tatsächlich stand er dort neben einer blonden, vollkommen überschminkten Frau und fuchtelte mit den Armen, während er ihr unschöne Worte an den Kopf warf. Vermutlich wären sie noch härter gewesen, wäre nicht ein Baby in einem Tragetuch vor seinen Bauch gebunden gewesen.
Einen Moment lang war ich geschockt, doch als ich realisierte, dass mich keiner von ihnen bemerkte, verschwand ich schnell im Inneren des Gebäudes.
Fuck! Das konnte doch nicht wahr sein! Wenn Mat hier war, konnte Peter auch nicht weit sein. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass der Drummer allein zu einem Termin ging, wo sein Bruder doch alles, was mit der Band zusammenhing, im Griff behalten wollte. Oder hatte Mat mittlerweile doch eine Frau und ging nur zufällig hier mit ihr spazieren? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Auch nicht, dass er so mit ihr gesprochen hätte.
Da ich nicht austesten wollte, ob Peter in der Nähe war oder nicht, suchte ich lieber so zügig wie möglich das richtige Zimmer. Je schneller ich wieder fort war, desto unwahrscheinlicher war es, jemandem über den Weg zu laufen.
Vor dem gesuchten Büro blieb ich stehen. Es waren undeutlich Stimmen darin zu hören. Hatte Mr. Booker noch einen anderen Termin? Nervös stieg ich ein paar Mal von einem Bein auf das andere, entschied mich letztendlich aber doch dazu, anzuklopfen. Wenn es gerade ungünstig war, würde er mir das schon mitteilen.
Nachdem einen Moment Stille geherrscht hatte, kam von drinnen die Aufforderung: »Kommen Sie rein.«
Automatisch zog ich die Augenbrauen zusammen. Hatte Mr. Booker nur telefoniert?
Was sollte es, ich wollte ihn nicht warten lassen. Daher ging ich hinein, ohne mich umzusehen. Obwohl ich das dringende Bedürfnis dazu hatte, blieb mir keine Zeit, denn Mr. Booker saß hinter seinem Schreibtisch, der der Tür gegenüber stand, und winkte mich mit einer freundlichen Geste heran. Wenn ich nicht unsicher wirken wollte, musste ich auf ihn zugehen und ordentlich grüßen. Das war nicht der richtige Zeitpunkt, um paranoid zu werden. Ich brauchte jetzt meine gesamte Professionalität.
»Guten Tag, Mr. Valentine. Schön, dass es so schnell geklappt hat.«
Ich erwiderte sein falsches Lächeln und reichte ihm meine Hand über den Schreibtisch hinweg. »Wenn Sie ein gutes Angebot für mich haben, werde ich Sie doch nicht warten lassen.«
Sein Lächeln wurde breiter und ich aufmerksamer. Der Typ war schmierig, ich traute ihm alles zu. »Setzen Sie sich. Kaffee?«
»Ja.« Während ich mich auf dem Stuhl niederließ, folgte ich mit den Augen seinen Händen, die nach der Kaffeekanne griffen. Sie war schon ziemlich leer und die zweite, benutzte Tasse, die daneben stand, deutete einmal mehr darauf hin, dass jemand hier gewesen war. Mein Unbehagen wuchs.
Doch erneut ließ er mir keine Chance, mich umzusehen. Er stellte mir eine dampfende Tasse hin und stieg sofort ein: »Ich denke, Sie bevorzugen es, wenn wir direkt zum Geschäft kommen?«
Ich nickte. Dafür war ich hier, nicht, um einen Kaffeeklatsch zu halten.
Er lächelte und zog sich einen dünnen Hefter heran, auf dem ich groß den Schriftzug »Blutlaster« erkennen konnte. Der Mann war gut organisiert. Er öffnete ihn und sah mich dann direkt an, ohne etwas gelesen zu haben. »Ich habe mir das Konzert am Mittwoch angesehen. Sie und Ihre Band haben großes Potential.«
Ich ließ mich von der Kunstpause nicht aus der Ruhe bringen, auch wenn ich mich noch immer am liebsten umgeschaut hätte. Mich würde er nicht aus der Reserve locken. Weder durch die Einschüchterung, noch durch ein übermäßiges Ego. Sähe er kein Potential, hätte er mich nicht eingeladen. Ich wartete lieber auf den Haken.
»Sie haben einen einzigartigen Stil und bringen Ihre Erfahrung gut auf die Bühne. Dennoch hat«, er warf einen Blick auf den Ordner, auch wenn ich mir sicher war, er wusste ziemlich genau, was dort stand und wie man es aussprach, »Blutlaster noch einen langen Weg vor sich. Ihren Freunden fehlt die Erfahrung, die Sie bereits mitbringen.«
Ich lehnte mich nach vorne und faltete die Hände. Erst nachdem ich ihm einen Moment in die Augen gesehen habe, antwortete ich: »Wenn Sie mir nahelegen wollen, Blutlaster zu verlassen, können Sie sich ihr Angebot dorthin stecken, wo die Sonne nicht scheint.«
Ein listiges Grinsen flog über sein Gesicht. Fuck, ich war ihm auf den Leim gegangen! »Nichts liegt mir ferner. Sie haben da ein Trüppchen guter, wenn auch unerfahrener Musiker zusammengesammelt. Wie ich bereits sagte: Sie alle zusammen haben großes Potential. Und das würde ich gerne fördern.«
Eigentlich hatte ich vorgehabt, die Pause wieder verstreichen zu lassen, um ihm nicht erneut in die Karten zu spielen, doch sein Blick machte deutlich, dass er ohne Reaktion nicht fortfahren würde. Möglichst gelassen ließ ich mich nach hinten sinken und verschränkte die Arme. Dabei versuchte ich aus den Augenwinkeln den Raum zu inspizieren, konnte jedoch nicht mehr sehen als zuvor. »Zu welchen Bedingungen?«
»Nun, Sie müssen verstehen, so eine unbekannte Band unter Vertrag zu nehmen, birgt viele Risiken für Extreme Goth Records. Sie bringen eine gute Liveperformance, ohne Frage, aber können sie diese auch dauerhaft aufrechterhalten? Außerdem fehlt ihnen die Erfahrung in der Studioarbeit, abgesehen davon, dass ...«
»Kommen Sie auf den Punkt«, unterbrach ich ihn. Mir war schon klar, dass ich ihm damit erneut Futter gab, aber das war mittlerweile egal und ich hatte keine Lust mehr, um den heißen Brei herumzureden.
»Ach, die Jugend, immer geradeheraus. Aber keine Sorge, ich wurde schon vorgewarnt, dass Sie eine direkte Kommunikation bevorzugen.« Er lächelte siegessicher. »Wir bieten Ihnen die einmalige Gelegenheit, mit einer unserer Bands auf Amerikatour zu gehen. Blutlaster wird als Vorband auftreten. Sie erhalten damit die Chance, unserem Konzern zu beweisen, dass Sie eine Investition wert sind. Wenn das gut läuft, können wir über eine anschließende Europatour als Vorband und einen Plattenvertrag nachdenken.«
Abermals machte er eine Pause und ich hielt mich diesmal zurück, ihn erneut zum Weiterreden zu drängen. Ich hatte schon verstanden, dass er mir das schmackhaft machen wollte, bevor er mir präsentierte, was unser Teil der Abmachung wäre. Bisher klang das einfach zu gut, um keinen gewaltigen Haken zu haben.
Aber hatte ich wirklich eine Wahl? Er hatte immerhin recht, dass es eine einmalige Gelegenheit war. Extreme Goth Records war die größte Plattenfirma auf dem Gebiet. Wenn sie uns nicht unter Vertrag nahmen, würden wir es schwer haben, jemals Fuß zu fassen. Egal, was sie dafür verlangten: Wenn es machbar war, würde ich zuschlagen!
Sein Grinsen zeigte, dass man mir deutlich ansah, dass ich sowieso zusagen würde. Ihm war genauso bewusst, dass ich gar nicht ablehnen konnte. »Natürlich werden wir für die vollen Kosten der Tour aufkommen. Damit wir sicher sind, dass sich diese Investition für uns lohnt, gibt es jedoch eine Bedingung.«
Ich wollte gerade aufatmen, weil er endlich mit der Sprache rausrückte, da gefror mir das Blut in den Adern. Meine Nackenhaare stellten sich auf, Übelkeit breitete sich in meinem Magen aus.
Mr. Booker hatte erneut eine Akte aus dem Haufen gezogen und schon das Emblem darauf sorgte für Schweißausbrüche. »Wie Sie sicher wissen, haben die Death Demons nach ihrem Fortgang einige Probleme, einen dauerhaften Sänger zu finden. Nun, da auch Angel und Zulu ab September ausfallen und weitere personelle Veränderungen notwendig machen, wird es schwer, den Fans die Death Demons noch als solche zu verkaufen.«
Bevor er noch weiter reden konnte, unterbrach ich ihn: »Meine Antwort lautet Nein!«
Er lächelte, als hätte er diese Antwort erwartet. »Mr. Valentine, seien Sie doch vernünftig. Eine Wiedervereinigung der Death Demons mit Ihnen würde allen Parteien zugutekommen.«
Ich ballte die Fäuste, während ich den Mann verfluchte, der für all das verantwortlich war. Dennoch versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen. »Meine Antwort bleibt die gleiche.«
»Es würde nicht nur den Ticketverkauf steigern, an dem Sie natürlich angemessen beteiligt werden, sondern auch die Verkaufszahlen der alten Alben«, überging er meinen neuerlichen Einwand. »Für Sie ist es eine Win-win-Situation. Sie steigern nicht nur die Bekanntheit ihrer eigenen Band, sondern auch ihre Einkünfte durch die Death Demons.«
»Ich wiederhole mich nur ungern. Ich sagte: Nein!« Langsam wurde ich wütend. Egal, was er mir sagte, es würde mich nicht umstimmen. Ich würde nie wieder mit diesem Mann auf einer Bühne stehen! Um keinen Preis der Welt.
»Ich wiederhole mich ebenfalls nicht gern«, reagierte er nun deutlich aggressiver. »Das ist ein einmaliges Angebot.«
»Wenn Sie kein anderes Angebot für mich haben, dann werden wir wohl nicht ins Geschäft kommen«, antwortete ich bemüht ruhig. Langsam fiel es mir wirklich schwer. Der Fluchtreflex wurde immer stärker.
»Sind Sie sich da sicher? Das ist das einzige Angebot, das wir Ihnen machen werden. Wenn Sie es nicht annehmen, sehe ich für Sie keine Zukunft bei Extreme ...«
»Wallace, lass die leeren Drohungen stecken«, wurde er unterbrochen.
Ich krallte meine Hände in die Stuhllehnen. Aufgrund der Aufregung war ich nicht einmal auf die Idee gekommen, dass sein Gesprächspartner von vorher noch im Raum sein könnte. Und dann noch ausgerechnet er!
Nur mühsam atmete ich die aufkeimende Panik weg. Ein Teil von mir wollte aufspringen und wegrennen, doch ich war vor Schreck wie gelähmt. Ich konnte mich keinen Millimeter rühren.
»Ich habe dir gesagt, dass das eine saublöde Idee ist und Samsa sich niemals darauf einlassen wird.«
»Maniac, setz dich hin und lass mich meine Arbeit machen!«
»Ohne mich!« Plötzlich tauchte die viel zu vertraute Gestalt neben mir auf und stützte sich auf den Schreibtisch. »Ich mach da nicht mit.«
Bewegungsunfähig und wie durch einen Schleier sah ich dabei zu, wie er nach der Mappe griff, ein Blatt Papier daraus hervorholte und es demonstrativ vor meinen Augen entzweiriss. Doch ich konnte kaum auf das Schriftstück achten. Etwas an seiner linken Hand zog meinen Blick auf sich. Ein goldenes Funkeln an seinem Ringfinger.
»Mach deine Arbeit und such jemanden, der wirklich mit uns arbeiten will. Ohne Zwang!«, spuckte er dem wenig beeindruckt wirkenden Mr. Booker entgegen. Dann warf er mir noch einmal einen Blick aus den smaragdgrünen Augen zu, der viel zu viele gegensätzliche Gefühle in mir auslöste.
Genauso schnell, wie er erschienen war, war er verschwunden. Was blieb, war das laute Knallen der Bürotür.
Einen Moment sah ich ihm nach, war noch immer völlig perplex. Als ich mich wieder gefasst hatte, stand ich auf.
»Mr. Valentine, warten Sie noch einen Moment«, forderte Mr. Booker. Er schien nicht im Geringsten von Peters Abgang beeindruckt. »Sie sollten sich das Angebot noch einmal gründlich überlegen. Maniac wird Sie nicht ewig fürs Schweigen bezahlen.«
»Was?!« Wovon zur Hölle sprach er?
»Wollen Sie mir wirklich weismachen, Sie wüssten nichts hiervon?« In aller Ruhe suchte er in der Mappe und hielt mir dann ein Schriftstück entgegen.
Eigentlich wollte ich es gar nicht entgegennehmen, doch die Überschrift erweckte meine Neugier: ›Tantiemenabrechnung‹. Sofort blieb mein Blick an den markierten Daten hängen. Mein Name, sowie eine Geldsumme. An sich nichts besonderes, ich hatte sie schon ein paar Mal bei Peter gesehen und er hatte mir auch mal erklärt, wie das berechnet wurde. Doch in der Hand hatte ich schon seit unserer Trennung keine mehr. Dennoch fiel mir nichts Merkwürdiges auf.
Bevor ich etwas dazu sagen konnte, wurde mir ein weiterer Ausdruck gereicht: ein Kontoauszug. Auch dort waren mein Name und ein Betrag markiert. Dieser war jedoch deutlich höher. Sofort wanderte mein Blick zum Abrechnungsdatum. Es war derselbe Monat!
»Ich kann Ihnen noch mehr davon zeigen«, machte Mr. Booker wieder auf sich aufmerksam. »Haben Sie wirklich geglaubt, es würde nicht auffallen, dass Ihnen Maniac jeden Monat eine gewisse Summe überweist? Sie wollten Klartext? Irgendwann wird er verstehen, dass sowieso jeder weiß, dass Sie die Band aufgrund seiner Drogenprobleme verlassen haben. Seien Sie vernünftig und steigen Sie wieder ein, setzen Sie ein Zeichen, dass das vorbei ist und sie wieder zusammenarbeiten können.«
Das Bewusstsein, dass Mr. Booker nicht wusste, was zwischen mir und Peter vorgefallen war, beruhigte mich. Daher fiel es mir auch leichter, beide Papiere wieder auf den Tisch zu legen und ihn ernst anzusehen. »Ich werde nicht wieder einsteigen. Einen schönen Tag wünsche ich noch.«
Es war schwer, nicht aus dem Zimmer zu stürmen, doch wenigstens bis ich aus der Tür war, musste ich mich zusammenreißen. Danach konnte ich tun und lassen, was ich wollte. Doch vor diesem schmierigen Typen würde ich keine Schwäche zeigen!