"Vor langer Zeit, da lebte eine Wolfsfledermaus. Eines Tages griff sie einen langohrigen Hasen an, doch der Hase strampelte und hampelte, bis er sich schließlich losriss. Er hoppelte so rasch wie möglich zu den anderen Hasen und erzählte ihnen davon, dass die Wolfsfledermaus ihn angegriffen hatte. So entschlossen die Hasen, gemeinsam zu der Wolfsfledermaus zu hoppeln, um sie für ihre Tat büßen zu lassen."
Appa rauschte über das dunkle Wasser des Ozeans. Der Luftbison flog so schnell er konnte, damit sie ihr Ziel möglichst schnell erreichen würden. Und ihr Ziel war die Flotte der südlichen Räuber, eine Einheit der Feuernation, in welcher Zuko den Mann vermutete, der Kataras Mutter vor all diesen Jahren getötet hatte. Die Wasserbändigerin sagte die ganze Reise über kein Wort, was den Feuerbändiger nicht wenig beunruhigte. "Du solltest etwas schlafen, damit du fit bist, wenn wir ankommen", schlug er vor, als der Vollmond langsam über dem Horizont aufstieg. "Ich bin fit genug", antwortete Katara mit kalter Stimme. Einige Stunden später wurden in der Ferne Schiffe sichtbar. "Das sind sie", erkannte Zuko an den Flaggen. "Das sind die südlichen Räuber." Katara nickte und ließ Appa auf einem nahen Eiland landen. Die beiden Teenager sprangen von dem großen Tier und liefen los. Katara machte keine Anstalten, vor dem Meereswasser halt zu machen und Zuko tat es ihr gleich, da er darauf vertraute, dass sie wusste, was sie tat. Berechtigtes Vertrauen, wie sich gleich darauf herausstellte, denn Katara fror das Wasser vor ihnen ein und ließ die Eisscholle, sobald sie darauf standen, wie ein kleines Boot in Richtung der Flotte schießen. Dort angekommen bändigte sie das Wasser aufwärts, so dass sie ohne Probleme an Deck des großen Kriegsschiffes gehen konnten. Auf ihrem Weg zur Kapitänskajüte stellten sich ihnen einige Soldaten entgegen, doch der Vollmond bewirkte, dass Katara sie mit einer einzigen Handbewegung von Bord fegen konnte. Dann kamen sie endlich bei einer dicken Eisentüre an. "Hier ist es Katara. Der Kerl befindet sich hinter dieser Tür", meinte Zuko. "Bist du bereit, ihm gegenüberzutreten?" Katara antwortete nicht. Stattdessen bändigte sie ihr Wasser mit einem Schrei so fest auf die Türe, dass sie glatt aus den Angeln flog und durch den halben Raum segelte. Zuko stürmte sofort hindurch und wehrte die Feuerattacken ab, die der Mann im Inneren auf sie abschoss. "Wer seid ihr?" fragte er die beiden wütend. "Du erinnerst dich nicht an sie? Das wird sich gleich ändern!", rief Zuko und wehrte den nächsten Angriff ebenfalls mit Leichtigkeit ab. Doch bevor der Mann erneut auf sie feuern konnte, verkrampften sich plötzlich seine Muskeln. Wie die einer Marionette wurden seine Arme in die Höhe gerissen. Gleich darauf krümmte sich sein ganzer Körper zusammen und er ging langsam in die Knie. Zuko warf einen Blick zurück auf Katara, die hinter ihm Bändigungsbewegungen ausführte und das heile Auge des Feuerprinzen wurde groß, als er erkannte, was das Mädchen gerade tat. ‚Unglaublich, sie bändigt sein Blut‘, dachte er ehrfürchtig. Doch dann schüttelte er leicht den Kopf, um sich wieder konzentrieren zu können und er drehte sich zu dem nun auf dem Boden kauernden Mann. "Erinnerst du dich jetzt?", fragte er. "Erinnerst du dich an das, was du damals beim südlichen Wasserstamm gemacht hast?" "Ich war nie bei einem der Wasserstämme", antwortete der Mann verwirrt. "Tatsächlich? Sieh ihr in die Augen und sag, dass du dich erinnerst!" Katara brachte ihn dazu, seinen Kopf zu heben und sie anzusehen. Blankes Entsetzen spiegelte sich in den Augen des Feuerbändigers wider, als er ihren hasserfüllten Blick sah. Katara sah ihn zornig an, doch dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck und sie seufzte enttäuscht. "Er ist es nicht." Zuko war eindeutig überrascht. "Was soll das heißen? Er muss es sein! Er ist der Anführer der südlichen Räuber!", rief er, doch die Wasserbändigerin schüttelte bloß den Kopf und wandte sich zum Gehen. "Ihr…ihr sucht vielleicht Yon Rah", murmelte der Mann da plötzlich. "Er war vor mir der Anführer hier, aber inzwischen ist er im Ruhestand." Kataras Blick wurde wieder grimmig, als sie sich zu ihm umdrehte. "Sag mir, wo er ist!"
Es war der nächste Tag und Katara und Zuko beobachteten den alten Feuerbändiger, der gerade auf den Marktplatz des Dorfes ging. Er wirkte schwach, kränklich und nicht eben furchteinflößend, nicht im Geringsten wie der Mann, den Katara in Erinnerung hatte. Und trotzdem war sich das Mädchen hundertprozentig sicher, als sie sein Gesicht erblickte: "Das ist er!"
Es begann zu regnen und schon bald schüttete es wie aus Eimern. Yon Rah fluchte leise, während er seinen Weg fortsetzte, als er plötzlich ein Geräusch hinter sich hörte. Ruckartig drehte er sich um. "Wer ist da?", rief er, doch niemand antwortete ihm. Gerade wollte er weitergehen, da sprang vor ihm plötzlich ein maskierter Junge aus dem Gebüsch und beförderte ihn auf den matschigen Boden. Ein Feuerstoß ließ ihn hastig rückwärtskrabbeln, bis ein Felsen seinen Weg versperrte. Hinter dem Jungen kam ein ebenso maskiertes Mädchen hervor. Sie nahm sich ihre Maske ab und kam näher. "Erinnerst du dich an mich?", fragte sie ihn leise. Der alte Mann sah sie verwirrt an. "Ich…äh…nein…wer bist du?", fragte er sie und das Mädchen kniff wütend die Augen zusammen. "Du hast meine Mutter getötet!", rief sie und ein Blitz durchfuhr den Himmel. Der Feuerbändiger betrachtete sie erneut und plötzlich dämmerte es ihm. "Du…du bist das kleine Mädchen von der Wasserbändigerin am Südpol", erkannte er. "Sie hat mich überredet, dich zu verschonen, wenn sie mir den letzten Wasserbändiger ausliefert." Das Mädchen schloss die Augen. "Sie hat dich angelogen. Sie hat den letzten Wasserbändiger des Südpols beschützt", meinte sie und er riss seine Augen auf. "Wirklich? Wen?" "Mich!", rief das Mädchen zornig und breitete die Arme aus. Diese eine Bewegung reichte aus, um den Regen im Umkreis von fünfzehn Metern zu stoppen. Mit einem wilden Schrei ließ sie das Wasser, welches sich in der Luft in Eiszapfen verwandelte, auf den Mann zuschießen. Doch kurz bevor sie ihn erreichten, blieben sie in der Luft stehen. Der Mann sah schreckerfüllt auf die messerscharfen Geschosse vor ihm und kauerte sich vor der Wasserbändigerin hin. "I-ich verstehe, dass du wütend bist! Ich habe deine Mutter genommen! A-also…äh…warum nimmst du mir nicht meine Mutter, das wäre fair!", stotterte er ängstlich. Das Mädchen sah ihn kurz an, dann zerflossen die Eiszapfen und der Regen fiel wieder wie zuvor auf sie herab. "Ich habe mich immer gewundert, was für ein Monster von einem Mann so etwas tun konnte. Aber jetzt, wo ich dich sehe, finde ich dich einfach nur erbärmlich. Du bist nicht mal ein Mann. Du bist traurig." Mit diesen Worten ging sie, der junge Feuerbändiger dicht hinter ihr, und sie ließen den Mann alleine zurück.
Katara versorgte gerade noch Appa, als Aang auf sie zugelaufen kam. "Katara!", rief er und sie drehte sich zu dem Luftbändiger um. "Zuko hat mir erzählt, was du getan hast. Oder besser gesagt, was du nicht getan hast. Ich bin stolz auf dich", meinte er ehrlich, doch das Mädchen schüttelte bloß den Kopf. "Ich weiß nicht, ob ich zu schwach war, um es zu tun, oder ob ich stark genug war, es nicht zu tun", murmelte sie. Der Avatar lächelte ihr ermutigend zu. "Nun ich denke, dass Vergebung der erste Schritt ist, um wieder mit sich selbst ins Gleichgewicht zu kommen." Katara sah ihren Freund nachdenklich an, dann erblickte sie Zuko, der zu ihnen kam. "Ich habe ihm nicht vergeben, das werde ich nie", erklärte sie Aang, doch zu ihrer Überraschung war er nicht im Geringsten enttäuscht davon. Sie beschloss, nicht länger darüber nachzudenken und trat stattdessen zu dem Feuerprinzen, der inzwischen bei ihnen angekommen war. "Aber ich bin bereit, dir zu vergeben", meinte sie und umarmte ihn, was ihn zuerst etwas überraschte. Doch dann erwiderte er die Umarmung. Katara lächelte glücklich und ging daraufhin zurück ins Lager, so dass die beiden Jungen alleine bei Appa blieben. "Du hattest recht", meinte Zuko zu Aang. "Gewalt war wirklich keine Lösung." "Das ist sie nie", meinte dieser. "Dann habe ich eine Frage an dich", fuhr der Feuerbändiger fort und Aang sah ihn neugierig an. Doch die Frage bewirkte, dass alle Fröhlichkeit aus seinem Gesicht wich: "Was wirst du tun, wenn du meinen Vater triffst?"
"Als die Hasen die Wolfsfledermaus fanden, traten sie auf sie ein und nagten an ihr, so dass sie höllische Schmerzen erlitt. ‚Nanu, nanu!‘, ertönte da eine Stimme und die Hasen blickten hinauf in die Bäume, wo eine Katzeneule saß. ‚Was ist geschehen, dass ihr lieben Hasen diese Wolfsfledermaus angreift?‘ ‚Sie hat einen der Unseren angegriffen‘, sprachen da die Hasen, um sich zu rechtfertigen. Die Katzeneule legte ihren Kopf schief. ‚Ah ja, aber sie ist doch auch eine Wolfsfledermaus. So etwas tut sie. Ihr seid Hasen, ihr solltet das nicht machen‘, meinte sie. ‚Wir sollen es also einfach geschehen lassen?‘, fragten die Hasen verwundert. ‚Nein, doch es gibt andere Wege‘, erklärte die Katzeneule. ‚Wenn ihr dasselbe tut, was euch angetan wurde, dann seid ihr um keinen Deut besser.‘ So lernten die Hasen, dass man Gewalt nicht mit Gewalt und Hass nicht mit Hass begegnen sollte."
En-Die beendete seine Erzählung. "Ich denke, dass ich es jetzt verstehe", murmelte Toph. Die Erdbändigerin hatte den Schatten nach dem Grund gefragt, warum er Katara losziehen hat lassen, doch anstatt ihr zu antworten hatte er begonnen, diese Geschichte zu erzählen. "Ich hatte Hoffnung, dass Katara stark genug ist, um schwach wie ein Hase zu sein. Und sie hat mich nicht enttäuscht." Tophs seismischer Sinn breitete sich bis zum Lagerfeuer aus, wo die anderen sich inzwischen zusammensetzten und miteinander redeten, diesmal ganz ohne Zwiespalt. "Das hat sie wohl nicht", murmelte sie. En-Die bedeutete ihr, zum Lagerfeuer zurückzugehen, während er lieber abseits blieb. Das blinde Mädchen wollte gerade losgehen, doch dann drehte sie sich noch einmal zu ihm um und fragte: "Fällt es dir nicht manchmal schwer, immer Hoffnung haben zu müssen?" Da breitete sich ein Lächeln auf En-Dies Gesicht aus. "Nicht bei euch, Toph. Nicht bei euch."