Möglichst leise näherte er sich dem Geröllfeld, verbarg sich hinter einem der größeren Steine und schaute vorsichtig über dessen obere Kante.
Ein verletzter Wolf lag halb unter einem kleinen, aber vermutlich schweren Steinhaufen eingeklemmt. Sein inzwischen leiseres Jaulen erfüllte immer noch die Nacht, wenn er in unregelmäßigen Abständen versuchte, sich zu befreien.
Ganz in der Nähe des verwundeten Tiers stand ein zweiter Wolf, ein wenig größer als der Verletzte. Das inzwischen eindeutig bedrohliche Knurren kam von ihm, der in deutlich angespannter Haltung und mit gesträubtem Nackenfell dastand und die Umgebung musterte.
Kalte Wut stieg in dem Mann auf, und sein Griff um den Stab wurde fester. Dachte dieser knurrende Wolf etwa, er könne seinen am Boden liegenden Artgenossen weiter verletzen?
Erinnerungen blitzten vor seinem inneren Auge auf: Der Hinterhalt, in den er mit seinen Kameraden geraten war. Die sogenannten Rebellen, die sie umstellten und ihr Leben bedrohten.
Und dann das Bild, das er einfach nicht vergessen konnte: Der verzweifelte, flehende Blick in den Augen des hilflosen, am Boden liegenden jungen Soldaten, kurz, bevor man ihn abgeknallt und liegengelassen hatte, als wäre er ein Stück Müll. Er hatte es nicht mehr in die Sicherheit hinter dem Fahrzeug geschafft.
Er hatte damals nichts tun können.
Aber er würde es kein zweites Mal zulassen!
Entschlossen richtete er sich auf und machte den Angreifer mit einem Ruf auf sich aufmerksam: „Hey!“
Mit einer raschen Bewegung drehte sich das Tier zu ihm um, das Knurren wurde deutlich lauter. Einige Steine rutschten unter seinen Pfoten weg, als es sich vorsichtig auf ihn zubewegte.
„Komm nur her“, sagte er bedrohlich leise, „Mit dir werde ich schon fertig, du Bastard!“ Fluchen und Schimpfworte halfen, sich auf den Gegner zu fokussieren, auch, wenn der ihn nicht verstand.
Der Wolf erreichte den Rand des unsicheren Geländes und trat ihm offen entgegen.
Wollte er ihn von seiner Beute fernhalten? Mit festem Griff packte der Mann den Stab und hob ihn in Richtung des immer noch bedrohlich knurrenden Tiers, genau in dem Moment, als dieses ihn ansprang.
Mit einer raschen Bewegung zur Seite wich er aus, schlug im gleichen Moment mit dem Ende seiner Waffe nach der Flanke seines Gegners, um ihn von sich fortzustoßen und die Distanz zwischen ihnen zu vergrößern. Ein unwilliges Geräusch verriet, dass er gut getroffen hatte, und er erlaubte sich ein hämisches Grinsen, als der Wolf sich ihm wieder zuwandte.
„Vergiss es“, zischte er ihn an, „Du musst dir ein anderes Opfer suchen!“ Dann ging er zum Angriff über, rammte das stumpfe Ende des Stabs wie einen Billardqueue fest gegen die Brust des Wolfs, was der mit einem überraschten Jaulen quittierte, holte in einer kurzen seitlichen Bewegung aus und schlug seine Waffe kräftig in Richtung des Kopfs.
Der Wolf riss seinen Kopf gerade noch rechtzeitig zur Seite, rollte über den Boden und somit aus der Reichweite des Stabs. Mit angelegten Ohren presste er sich auf den felsigen Untergrund, sprungbereit, und knurrte. Es klang nicht mehr ganz so entschlossen wie zuvor. Aber dennoch schien das Tier nicht aufgeben zu wollen und starrte seinen Kontrahenten konzentriert an.
„Hau ab“, sagte der Mann mit lauter, ruhiger Stimme. „Kusch!“ Er drohte mit der langen Waffe – er hoffte, das Tier damit einschüchtern zu können, und tatsächlich wich es ein Stück in Richtung des Geröllfelds zurück. Wenn er den verletzten Wolf aber schützen wollte, musste er den Angreifer von ihm fortdirigieren. Immer mit dem Stab drohend beschrieb er einen Bogen um ihn herum, bis er einige kleinere Steine erreichte, die sich als Wurfgeschosse eigneten.
„Hau ab!“, rief er und warf den ersten Stein. Der Wolf zuckte, als er getroffen wurde, wich aber kaum zurück. „Du kriegst den hier nicht!“ Der nächste Stein flog. „Ich lasse nicht zu ...“, ein weiterer Stein traf sein Ziel „... dass du ihm noch mal was antust!“ Er schrie diese Worte, die er dem Wolf mit dem letzten Stein entgegenschleuderte, und endlich machte dieser kehrt und verzog sich in die Dunkelheit.