„Nein, der bezahlt immer bar. Warum fragst du?“ In Lukas‘ Blick lag mehr als nur Neugier, doch Jonathan war von der Information zu enttäuscht, um darauf zu achten.
„Ach, nicht so wichtig“, beschied er ihm. Er konnte ja selbst nicht genau sagen, warum er so darauf brannte, mehr zu erfahren.
Lukas seufzte, legte die Unterlagen beiseite, mit denen er sich gerade beschäftigt hatte, und sah Jonathan ernst an. „Hör zu, Jona. Mit dem Typen stimmt was nicht. Wirklich. Schlag ihn dir aus dem Kopf, bitte. Es ist besser für dich. Ehrlich.“
„Wie meinst du das?“ Verwirrt sah Jonathan seinem alten Schulkameraden in die Augen.
Lukas räusperte sich, hob verlegen die Hände. „Ich weiß ja nicht, ob du ... also ... Es geht mich natürlich nichts an. Aber das, was du da machst ... das ist ja quasi schon Schwärmerei.“
Jonathan starrte ihn fassungslos an. Was faselte Lukas da?
„Nicht, dass ich das verurteile, wirklich nicht“, fügte Lukas eilig hinzu. „Und natürlich geht es mich nichts an, nein, nur – ich will nicht, dass dir was passiert, verstehst du?“ Sein Blick bewies, dass er bereute, das Thema überhaupt angeschnitten zu haben.
Ärger lag in Jonathans Stimme, als er endlich antwortete. Lukas‘ Andeutungen ließ er dabei völlig außer Acht. „Du kennst ihn doch überhaupt nicht!“
Er wollte ihn belehren? Ausgerechnet er? Grollend erwiderte Lukas: „Niemand hier kennt ihn wirklich, Jona. Aber wir haben genügend Erfahrungen mit ihm, das selbst die Jäger versuchen, einen Bogen um seine Hütte zu machen! Und die sind bewaffnet! Der alte Moser schwört, dass er den Typen die letzten beiden Nächte im Nebel vor seiner Tür hocken sah, als würde er sie beobachten! Der Kerl macht die Leute hier schon nervös genug – wenn man noch an Hexerei glauben würde, wäre er längst fällig, das kannst du mir glauben!“
Er hatte sich in Rage geredet, war immer lauter geworden – genau das Verhalten, das Jonathan zuverlässig zu Widerworten reizte. Lukas wusste das. Aber er wollte sich mit ihm streiten, endlich all das aussprechen, was ihn die letzten Tage so störte.
„Du und dein Bruder, ihr verschwindet von hier, seit jahrelang weg, meldet euch nie und kommt dann zurück und tut so, als wüsstet ihr über alles Bescheid, als könntet ihr all die kleinen Rätsel, die uns zurückgebliebene Dörfler beschäftigen, bei einem verdammten Besuch mal eben lösen. Dabei seid ihr doch nur hier, um das Haus zu verkaufen und nie mehr herkommen zu müssen – was interessiert ihr euch eigentlich für unsere Angelegenheiten? Wir werden den Idioten am Hang schon irgendwie wieder los, und wir brauchen wirklich keinen Auswärtigen, der ihn anhimmelt! Wenn wir Glück haben, zielt der alte Moser bei der Wolfsjagd vielleicht schlecht und schafft das Problem für uns aus der Welt!“
Die Fassungslosigkeit in Jonathans Gesicht hatte sich bei seiner Tirade immer weiter vertieft. Jetzt drehte er sich kommentarlos um und verließ fluchtartig den Laden.
Lukas sah ihm schwer atmend hinterher.
Als sein Puls sich langsam wieder beruhigte, schämte er sich ein wenig für seinen Ausbruch. Ja, er hatte endlich aussprechen müssen, was ihm auf der Seele lag, aber Jonathan alles auf einmal an den Kopf zu werfen war eine schlechte Taktik. Er war schon während der Schulzeit immer ein Sensibelchen gewesen. Fast wie ein Mädchen. Und jetzt himmelte er diesen Kerl in den Bergen an. War ja klar, worauf das alles hinauslief.
Wahrscheinlich war es gut, wenn die Brüder das Haus verkauften. Jemanden wie Jonathan wollte Lukas nicht in seinem beschaulichen Dorf haben. So jemand brachte nur Unruhe.
Und doch würde er die beiden vermissen. Schon wieder.
Aber das Wohlergehen seiner Gemeinde war wichtiger.
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Jonathan rannte fast nach Hause. Er nahm dabei kaum wahr, dass der Nebel inzwischen zu Regen geworden war.
Er konnte auf keinen Fall zulassen, dass Jäger ... er wollte es sich nicht einmal vorstellen!
Kaum hatte er die Haustür zugeworfen, eilte er durchs Erdgeschoss, riss sich dabei die Kleidung vom Leib und ließ sie achtlos fallen. Als die Terrassentür hinter ihm ins Schloss fiel, hatte er in Wolfsgestalt längst den nassen Garten durchquert und jagte in der Dämmerung hangaufwärts.
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Jäger! Das waren Jäger, die dort am Waldrand herumschlichen!
Erschüttert ließ der Mann das Fernglas sinken. Für ihn bestand kein Zweifel daran, dass sie hinter seinem Wolf her waren. Sie wollten ihn töten.
Maskierte der Regen die Witterung der Jäger? Das Tier ahnte nichts, würde sich vertrauensvoll seiner Hütte nähern, falls es heute Nacht wieder unterwegs sein sollte. Es glaubte sich hier in Sicherheit!
Er musste etwas unternehmen – den Wolf von den Jägern fortlocken oder ihn verjagen. Er wollte ihn nicht vertreiben – aber wenn das der Preis war, sein Leben zu schützen, würde er ihn mit Freude bezahlen. Entschlossen nahm er Messer und Wanderstab und ließ die Hütte hinter sich.